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Inland
10. Ostsee-NGO Forum unterstützt Zugang zu amtlichen Informationen
Deutschland als Schlusslicht
Von Walter Keim
Haben die Ostseeanrainerstaaten die Forderungen des ersten Ostsee-NGO Forums vom 28. bis 29. Mai 2001 in Lübeck nach Zugang zu amtlichen Informationen erfüllt und umgesetzt? Schweden ist seit 250 Jahren der weltweite Pionier beim Informationszugang. In den letzten 11 Jahren wurden dabei auch in allen anderen Ländern des Ostseeraums Fortschritte erzielt, die den Ostseeraum als weltweites Vorbild erscheinen lassen. Leider haben aber die Regierenden in Deutschland die Vorschläge deutscher NGOs und des 1. Ostsee-NGO-Forums bisher ignoriert. Deshalb ist Deutschland auf diesem Gebiet das Schlusslicht.
Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) der Bundesrepublik Deutschland verstößt gegen internationale Standards z. B. gegen das Prinzip der größtmöglichen Offenlegung von amtlichen Dokumenten. 84 Staaten mit ca. 5,5 Milliarden d. h. 75 % der Weltbevölkerung, haben demnach ein besseres IFG als die Deutschen. 5 deutsche Bundesländer haben überhaupt keine generellen Informationsfreiheitsgesetze. Weil sogar 115 Staaten mit 5,9 Milliarden d. h. 85 % der Weltbevölkerung entweder ein IFG oder entsprechende Verfassungsbestimmungen haben, stellt sich die Frage: Wie kann das Menschenrecht des Zugangs zu amtlichen Dokumenten juristisch durchgesetzt werden?
Online-Flyer Nr. 358 vom 13.06.2012
10. Ostsee-NGO Forum unterstützt Zugang zu amtlichen Informationen
Deutschland als Schlusslicht
Von Walter Keim
Haben die Ostseeanrainerstaaten die Forderungen des ersten Ostsee-NGO Forums vom 28. bis 29. Mai 2001 in Lübeck nach Zugang zu amtlichen Informationen erfüllt und umgesetzt? Schweden ist seit 250 Jahren der weltweite Pionier beim Informationszugang. In den letzten 11 Jahren wurden dabei auch in allen anderen Ländern des Ostseeraums Fortschritte erzielt, die den Ostseeraum als weltweites Vorbild erscheinen lassen. Leider haben aber die Regierenden in Deutschland die Vorschläge deutscher NGOs und des 1. Ostsee-NGO-Forums bisher ignoriert. Deshalb ist Deutschland auf diesem Gebiet das Schlusslicht.
Podium des ersten Ostsee-NGO Forums in Lübeck 2001
Quelle: http://www.cbss-ngo.de/2001
Das erste Ostsee-NGO Forum 2001 hatte folgende Forderungen aufgestellt:
..."Zugang zu Information ist ein Teil der Meinungsfreiheit, zusammen mit einer aktiven Bürgerschaft - daher sind es Vorbedingungen für die Sicherung einer lebendigen und gut informierten Demokratie. NGOs fordern von den Regierungen internationale und nationale Standards zu respektieren und mit ihnen in Übereinstimmung zu handeln.
...Die NGOs rufen die Staaten des Ostseerats dazu auf, die Umsetzung aller Menschenrechte - zivile, politische, ökonomische, soziale und kulturelle - zu einer obersten Priorität auf der politischen Tagesordnung zu machen."
Auf dem 10. Ostsee-NGO Forum 2012 im Rahmen des Ostseerates in Berlin wurde nun die Umsetzung dieser Forderungen untersucht - in dem Vortrag "Die Rolle internationaler Gesetzgeber und ihr Einfluss auf die nationale Gesetzgebung über Informationszugang" [10]. Ergebnis: Der Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung ist ein Menschenrecht gemäß Zivilpakt [1] und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aufgrund der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EKMR) [2]. Dies wird international als Voraussetzung für die Demokratie angesehen und ist wichtig im Kampf gegen Korruption.
Teilnehmer des Workshops Menschenrechte beim X. Ostsee-NGO Forum 2012
Quelle: 10. NGO-Ostsee Forum
Sowohl die drei Sonderbeauftragten von UN, OSZE und AOS für den Schutz der Meinungsfreiheit (Erklärung vom 6.12.2004) [3] als auch im § 18 des "General Comment No. 34 on Article 19 of the ICCPR" (Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Zivilpakt) bestätigen den Menschenrechtscharakter des Informationszugangs [4].
Fast alle Teilnehmer sahen den Informationszugang zu amtlichen Dokumenten als Menschenrecht an. Der sechste Staatenbericht Deutschlands CCPR/C/DEU/6 gemäß Zivilpakt wird im Juli 2013 behandelt. Ostsee-NGOs signalisierten auf dem 10. Ostsee-NGO-Forum die Bereitschaft, bei der Behandlung und Prüfung des Deutschen Staatenberichts beim Menschenrechtsausschuss der UN beizustehen [9]. Außerdem wurde eine Ombudsstelle beim Ostseerat gefordert.
Juristische Durchsetzung mit Verpflichtungsklage
Deutschland ist dem Zivilpakt und der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR) beigetreten. Gemäß Artikel 46 der EKMR ist Deutschland an Urteile gebunden. Nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs können Klagen an das Menschenrechtskomitee der UN [5] und den Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [6] Abhilfe schaffen. Deshalb wurde eine Verpflichtungsklage gegen Freistaat Bayern vorgeschlagen. Bayern hat kein Informationsfreiheitsgesetz, das amtliche Dokumente aller Bereiche zugänglich macht. Und der Landtag lehnte die Vorschläge des Menschenrechtskommissars des Europarts mit Mehrheit ab. Da Akteneinsicht in die Gründe der Ablehnung abgelehnt wurde [7], ist nun eine Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht München geplant [8]. Die Ablehnung der Akteneinsicht ohne überhaupt auf die EKMR einzugehen zeigt, dass der Menschenrechtskommissar offensichtlich das Recht haben müsste, in Bayern Schulungen in Menschenrechten vorzuschlagen.
Die Hauptverantwortung dafür, dass Deutschland in Sachen Informationsfreiheit Schlusslicht ist, trägt die Deutsche Presse mit wenigen Ausnahmen. Es ist eine Schande für die zivilisierte Welt, weil die Medien die Öffentlichkeit und die Leser nicht darüber informieren. So ist z. B. über die Tagung des Ostseerates nur einiges zur Rede des Bundespräsidenten veröffentlicht worden, aber nichts über das 10. Ostsee-NGO-Forum. In Norwegen und in der Schweiz informiert die Presse nicht nur über Informationsfreiheitsgesetze (dort Öffentlichkeitsgesetze genannt), sondern finanziert sogar selbst Kampfplattformen dazu im Internet.
Insgesamt haben 150 VertreterInnen aus den unterschiedlichsten Organisationen der Zivilgesellschaft aus der Ostsee-Region an dem NGO-Forum teilgenommen. Am 1. Juli 2012 übernimmt Russland den Vorsitz des Ostseerats und wird voraussichtlich 2013 das 11. NGO Forum in Russland ausrichten. (PK)
Quellen:
1. Zugang zu amtlichen Dokumenten ist ein Menschenrecht der VN: http://right2info.org/international-and-regional-law-standards#united-nations
2. Zugang zu amtlichen Dokumenten in Europäischer Konvention für Menschenrechte: http://right2info.org/international-and-regional-law-standards#europe
3. Gemeinsame Erklärung 2004 der drei Sonderbeauftragten von UN, OSZE und AOS für den Schutz der Meinungsfreiheit: http://merlin.obs.coe.int/iris/2005/2/article1
4. "General Comment No. 34 on Article 19 of the ICCPR" (Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Zivilpakt): http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/comments.htm
5. Klagen bei den VN gegen Staaten, die gegen das Menschenrecht des Zugangs zu Amtlichen Dokumenten verstoßen: http://right2info.org/cases#un-human-rights-committee
6. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: http://right2info.org/cases#european-court-of-human
7. Akteneinsicht in die Begründung der Ablehnung der Vorschläge des Menschenrechtskommissars: http://home.broadpark.no/~wkeim/files/ifg-einsicht.htm
8. Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht München: http://home.broadpark.no/~wkeim/files/durchsetzung_informationszugang.html
9. X. Baltic Sea NGO Forum “Social Capital for a sustainable Baltic Sea Region” 23–25 April 2012 in Berlin Final Statement: http://www.bsngoforum.org/
10. Die Rolle internationaler Gesetzgeber und ihr Einfluss auf die nationale Gesetzgebung über Informationszugang: http://home.broadpark.no/~wkeim/files/IZ-BSNF.html
Walter Keim, 1948 in Schwäbisch Gmünd geboren, war bis 2010 Dozent an der Hochschule in Sør-Trøndelag (Trøndelag University College) in Trondheim, Norwegen und unterrichtete dort in der Abteilung für Informatik und e-Learning. Er ist Dipl.-Ing. (TU Berlin) und Magister (Norwegian University of Science and Technology NTNU). Walter Keim ist Bürgerrechtskämpfer und Internet-Aktivist für Informationsfreiheit in Europa.
Online-Flyer Nr. 358 vom 13.06.2012