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Lokales
Widerstand der Studenten nun auch an Sporthochschule Köln
Protestieren geht über Studieren
Von Carl H. Ewald

"Die heutigen Studenten sind angepasst, karrieregeil und nur wenig rebellisch..." - so lautet ein nicht totzukriegendes Klischee. Dabei ist es anscheinend völlig untergegangen, dass sich die Studenten an zahlreichen deutschen Unis seit diesem Frühjahr in einer Art Dauerprotest befinden. Alle Studenten?! Natürlich nicht, aber immer mehr! Auch die Studenten an der Deutschen Sporthochschule in Köln protestieren gegen drohende Studiengebühren.

Und wen wundert das?! Schon 2003 gab es an verschiedenen Hochschulen wegen der Einführung der Studiengebühren von 500 EUR für sogenannte Langzeitstudenten massive Proteste. Die Hörsäle sollten - endlich von "Bummelstudenten" befreit - den "ernsthaft Studierenden" zur Verfügung stehen; zusätzlich sollten die Unis mehr Mittel bekommen. Tatsächlich aber war davon in den vergangenen Semestern nicht viel zu spüren - nach wie vor fehlt es den deutschen Hochschulbildungsinstituten an vielem; das Geld floss wie schon so oft in andere Kanäle. Stattdessen wurden in den meisten Magisterstudiengängen nach US-amerikanischem Vorbild Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt.

Studentenproteste an der Kölner Uni
Studentenproteste an der Kölner Uni
Foto: Sebastian Heiser



Chancengleichheit: mangelhaft!

Schon die Ergebnisse der Pisa-Studie und die Kritik des UN-Sonderbeauftragten Vernor Munoz an mangelnder Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem hätten die Politik zum Umdenken führen müssen; trotzdem setzen die Bildungspolitiker ihren Kurs hin zu elitärer Bildung weiter fort. Im Frühjahr 2006 beschloss die Landesregierung, auch in NRW Studiengebühren einzuführen, diesmal aber für alle Studierende: Ab 2006-2007 werden zuzüglich zu den üblichen 150 EUR Semesterbeitrag weitere 500 EUR fällig.

NRW Wissenschafts- und "Innovationsminister" Pinkwart schob dabei den Hochschulen den schwarzen Peter zu. Seit Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes im Januar "darf" jede Hochschule "eigenständig" entscheiden, ob und in welcher Höhe genau sie dann die "empfohlenen" Gebühren tatsächlich verhängt. Darf? Muss! Denn die Hochschulen haben de facto keine andere Wahl: Erheben sie die Gebühren nicht, stehen sie nach den Kürzungen der schwarz-gelben Regierung ganz ohne Geld da. Wenn schon nicht die Bildungspolitik, so verdient doch wenigstens dieser Taschenspielertrick das Prädikat "innovativ".

"Wie Schwerverbrecher an die Wand gestellt"

Natürlich waren die Hochschulen vollkommen damit überfordert, den Studenten die erhöhten Studiengebühren zu verkaufen. Im Mai besetzten aufgebrachte Studenten zehn Tage lang das Rektorat der Kölner Uni. Entgegen seiner vorherigen Zusage, die Protestierenden friedlich abziehen zu lassen, ließ Rektor Freimuth sein Büro von der Polizei stürmen: "Wir haben betont, dass wir friedlich sind. Wir haben nichts zerstört. Trotzdem werden wir hier wie Schwerverbrecher von der Polizei an die Wand gestellt und gefilmt!", so eine Studentensprecherin.

Uni-Rektor Axel Freimuth im Dialog mit Studenten
Uni-Rektor Axel Freimuth im Dialog mit Studenten
Foto: Sebastian Heiser


Das nächste Kapitel im Drama um die Studiengebühren war eine Schnitzeljagd im Kölner Umland. Der Kölner Uni-Rektor hatte die Senatssitzung, die den Beschluss über die Gebühren "demokratisch" absegnen sollte, ins Kernforschungszentrum Jülich verlegt: Vierzig Kilometer außerhalb der Stadt, abgeschirmt von Polizeihundertschaften und "bombensicher". Trotzdem konnten etwa 600 eigens angereiste Studierende zwar die Teilnahme einiger Senatoren an der Sitzung durch Straßenblockaden verhindern, aber nicht die Einführung der Studiengebühren, obwohl der Senat nicht vollständig tagte. Wenn Geld im Spiel ist, kommt die Demokratie auch an der Uni schnell zum Ende.

Entscheidungen hinter verschlossenen Türen

Das gleiche mussten die Studentinnen und  Studenten der Sporthochschule am 11. Juli erleben: Einen Tag vor der Senatssitzung zur Verabschiedung der Studiengebühren wurde diese von sechzehn Uhr auf acht Uhr morgens vorverlegt. Im Gegensatz zu den anderen Senatsmitgliedern waren die studentischen Vertreter erst am Vortag telefonisch informiert worden. Offensichtlich ging es dem Rektorat der Sporthochschule darum, schon im Vorfeld nicht nur protestierende Studenten, sondern auch deren Vertreter von der Entscheidungsfindung auszuschließen.

Rückschritte als Innovationen verkauft - Wissenschaftsminister Pinkwart
Rückschritte als Innovationen verkauft - Wissenschaftsminister Pinkwart
Foto: Indymedia


Der Senat tagte - auch ohne einen studentischen Abgeordneten, den die Information über die Vorverlegung nicht mehr erreichte - und beschloss die Einführung der Studiengebühren. Laut Rektorat seien es "Sachzwänge", die die volle Höhe von 500 EUR zusätzlichem Semesterbeitrag erforderten. Bei der Entscheidungsfindung jedoch stand weder der Betrag zur Disposition, noch gewährte die Hochschulleitung der Studentenschaft Einblick in ihre Haushaltspläne oder in die Mittelverteilung. Als sich während der Sitzung wegen des undemokratischen Vorgehens Protest auf Seite der Studierenden erhob, wurden sie unter Androhung von Polizeigewalt des Saales verwiesen - man erklärte die Sitzung als "nicht öffentlich".

"Freiheit" für die Hochschulen

In solchen Zusammenhängen kann der Entwurf des "Hochschulfreiheitsgesetzes", das die NRW-Regierung nach der Sommerpause vom Landtag absegnen lassen will, nur wie blanker Hohn wirken. Die neoliberale Landesregierung "befreit sich" von den Hochschulen und so ihrer bildungspolitischen Verantwortung. "Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbstständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr." - so ist auf der Webseite von "Innovationsminister" Pinkwart zu lesen. Im Klartext: Sie werden privatisiert. Aber es kommt noch dicker. Es reicht anscheinend nicht, dass Hochschulen in Zukunft ganz wie Betriebe in der "freien Wirtschaft" miteinander im Wettbewerb stehen sollen und dabei auch einmal bankrott gehen können.
Nach der Gesetzesvorlage soll auch der ohnehin schon geschwächte Senat (s.o.) zu Gunsten eines "Hochschulrates" entmachtet werden. Dieses Gremium wird dann größtenteils mit Honoratioren und Fachleuten, beispielsweise aus der Wirtschaft, besetzt. Somit wäre dann auch klar, wem der ehemalige BWL-Professor Pinkwart die Hochschulen verkauft hat.

Bei so viel liberalem Geist wird den Studierenden sicher auch in Zukunft nicht das Protestpotential ausgehen.

Weitere Informationen:

http://radiocat.member.webspace-free.de
http://www.innovation.nrw.de
http://www.innovation.nrw.de


Online-Flyer Nr. 53  vom 18.07.2006



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