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Inland
Deutscher Einfluss in Bolivien - von Barbie bis GTZ
Eigentum verpflichtet
Von Hans Georg

Rechtzeitig vor den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung in Bolivien am Sonntag kündigte Berlin seine Einflussnahme auf die Erarbeitung der neuen bolivianischen Verfassung an. Dem Verfassungsprozess wird hohe Bedeutung unter anderem für Verstaatlichungs-Pläne der neuen Regierung in La Paz zugeschrieben, die von einer breiten sozialen Bewegung getragen werden, aber ausländischen Konzerninteressen zuwiderlaufen.

Deutsche Entwicklungsorganisationen, die sich in die praktischen und inhaltlichen Vorbereitungen einmischten, haben in den vergangenen Jahren Privatisierungs-Maßnahmen gegen Proteste großer Bevölkerungsteile durchgesetzt. Während das aktuelle deutsche Vorgehen über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gesteuert wurde, gründen frühere Berliner Einflussversuche vor allem auf dem bolivianischen Milieu deutscher Auswanderer ("Auslandsdeutschtum") und auf deutschen Militärinstrukteuren in dem südamerikanischen Land.
Beide Faktoren schufen Voraussetzungen, die es z.B. dem in Frankreich dreimal zum Tode verurteilten deutschen NS-Verbrecher Klaus Barbie ermöglichten, in Bolivien unterzutauchen und dort für mehrere Putschistenregime die Aufstandsbekämpfung zu organisieren.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Einflussnahme auf die neue Verfassung

Wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) ankündigte, werden deutsche Organisationen an der Vorbereitung der verfassungsgebenden Versammlung in Bolivien teilnehmen. Die Ankündigung bezieht sich ausdrücklich auch auf inhaltliche Aspekte. Bereits in den vergangenen Jahren hat die bundeseigene Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Einfluss auf die bolivianische Politik genommen und Maßnahmen zur Umformung von Justiz und Verwaltung (darunter Dezentralisierungsprojekte) mitgestaltet. Auch jetzt werde man sich an der "inhaltlichen Aufbereitung der Themen" beteiligen, heißt es beim BMZ.[1]

Dem Verfassungsprozess, auf den Berlin Einfluss nehmen will, wird große Bedeutung für die Reformpolitik der neuen bolivianischen Regierung zugeschrieben, die sich am Vorbild Venezuelas orientiert und weitere Maßnahmen zur Verstaatlichung der Industrie sowie zur Umverteilung von Land plant. Ähnlich wie in Venezuela finden die Reformen breite Unterstützung in der Bevölkerung, doch stößt die Regierung damit auf Widerstand sowohl in der einheimischen Elite als auch im Ausland, das Expansionsinteressen seiner Konzerne bedroht sieht.
 
Millionenaufträge über GTZ

Deutsche Organisationen haben im Namen so genannter Entwicklungshilfe in den vergangenen Jahren immer wieder in innerbolivianische Konflikte um Verstaatlichung und Privatisierung eingegriffen. So bekämpfte die GTZ von der Bevölkerung gestützte Versuche, in mehreren Städten des Landes die Trinkwasserversorgung ohne Rückgriff auf privates Kapital zu sichern. Wie ein Gegner des von Berlin faktisch erzwungenen Privatisierungsprogramms berichtet, das die Bevölkerung mit drastischen Preissteigerungen bei der Grundversorgung belastet, sagt die GTZ "die Finanzierung nur zu, wenn die Firmen als gemischte öffentlich-private Unternehmen aufgebaut werden".[2] Das Vorgehen der deutschen Organisation, das in Bolivien als "Diktat" bezeichnet wird, bringt lukrative Geschäfte für deutsche Unternehmen mit sich. So führte die Mannheimer MVV Energie AG im Auftrag so genannter GTZ-Entwicklungshilfe mehrere "Beratungsleistungen" auf dem bolivianischen Wassersektor durch - ein Millionenauftrag.
 
Einfluss der Deutschbolivianrer
                                                   
Ähnlich wie in mehreren lateinamerikanischen Staaten gründen die deutsch-bolivianischen Beziehungen auf dem Einfluss deutscher Auswanderer ("Auslandsdeutschtum"), die seit dem 19. Jahrhundert in größerer Anzahl in Bolivien Fuß fassten.[3] Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatten deutsche Kaufleute in dem südamerikanischen Land eine bedeutende Stellung inne, Deutschland nahm im bolivianischen Außenhandel die führende Position ein. "Nach neueren Angaben sollen die Deutschbolivianer in etwa 30% der Privatindustrie des Landes maßgeblich Einfluß haben", hieß es noch Ende der 1970er Jahre über die bolivianischen Nachkommen deutscher Einwanderer.[4] Damals war gerade die Militärdiktatur Hugo Banzers beendet worden, eines "Deutschbolivianers", der sich 1971 an die Macht geputscht hatte, um die Privatindustrie, darunter auch Unternehmen weiterer "Deutschbolivianer", gegen Umverteilungsforderungen aus sozialen Bewegungen zu sichern.
 
Deutsche Heeresreform

Banzer, geboren 1926, hatte seine maßgebliche Prägung im bolivianischen Militär erhalten, in das er im Alter von 14 Jahren eingetreten war - zu einem Zeitpunkt, als Bolivien sich noch nicht für einen Kriegseintritt gegen NS-Deutschland entschieden hatte und deutsche Traditionen in der Armee hohe Geltung besaßen.[5] Den Grundstein dafür hatte die Berliner Regierung im Jahr 1911 mit der Entsendung einer Militärdelegation nach La Paz gelegt. Damals begann der deutsche Offizier Hans Kundt mit der Reorganisation des bolivianischen Heeres nach preußischem Vorbild - eine Niederlage für Frankreich, das damit als Militärpartner Boliviens ausschied. Nach dem Ersten Weltkrieg, den Kundt an der deutschen Ostfront verbracht hatte, kehrte er bereits 1921 in das südamerikanische Land zurück. Dabei umging er entsprechende Verbote des Versailler Vertrags, indem er als vorgeblicher Privatmann auftrat und pro forma die bolivianische Staatsangehörigkeit annahm. 1923 wurde Kundt Kriegsminister Boliviens, seine Heeresreformen haben die damalige Armee in hohem Maße geprägt.[6]
 
Aufstandsbekämpfung unter Barbie

Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte der in Frankreich dreimal zum Tode verurteilte NS-Verbrecher Klaus Barbie die Strukturen des bolivianischen Deutschtums, um in dem südamerikanischen Land unterzutauchen. Barbie hatte während des Zweiten Weltkriegs als Gestapo-Chef in Lyon gearbeitet, war für die Deportation von Jüdinnen und Juden verantwortlich gewesen und hatte sich an Folter und Ermordung von Widerstandskämpfern beteiligt. In Bolivien half er auf brutale Weise, soziale Unruhen zu ersticken und die Eliten des Landes gegen protestierende Massen zu sichern: Er stellte seine zu NS-Zeiten erworbenen Folterkenntnisse mehreren bolivianischen Militärdiktatoren zur Verfügung. Als sich im November 1964 der General René Barrientos Ortuno an die Macht putschte, erhielt Barbie die staatliche Zuständigkeit für Innere Sicherheit und Aufstandsbekämpfung.

Unter Hugo Banzer arbeitete Barbie mit dem Titel eines Oberst ad honorem als Ausbilder und Berater der Sicherheitskräfte. Im Jahr 1980 schließlich unterstützte der als "Schlächter von Lyon" bekannte NS-Verbrecher den Staatsstreich des Generals Luis García Meza. Erst als im Januar 1983 eine demokratisch gewählte Regierung ins Amt gelangte, konnte Barbie an Frankreich ausgeliefert werden.

[1] Millenniumsziele und Verfassungsreform im Mittelpunkt der deutschen Unterstützung für Bolivien; Pressemitteilung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 26.06.2006
[2] Wieder Ärger ums Wasser. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit als Vorhut der Privatisierung in Bolivien; ila 285, Mai 2005
[3] s. auch Europäische Position
[4] Reinhard Wolff, Harmut Fröschle: Die Deutschen in Bolivien, in: Hartmut Fröschle (Hg.): Die Deutschen in Lateinamerika, Tübingen/Basel 1979
[5] Auch der spätere chilenische Militärdiktator Augusto Pinochet erhielt die entscheidende Phase seiner Ausbildung in einer deutsch geprägten Armee - in den chilenischen Streitkräften der 1930er Jahre. S. dazu Siegeskreuz
[6] Unter den deutschen Soldaten, die Kundt unter Umgehung des Versailler Vertrages in den 1920er Jahren nach Bolivien folgten, befand sich auch SA-Chef Ernst Röhm.

s. auch Wandel durch Entwicklung, Warnungen und Absatz- und Beschaffungsmarkt

www.german-foreign-policy.com



Online-Flyer Nr. 51  vom 04.07.2006



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