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Inland
Deutsche Börse vor dem Scheitern der Euronext-Übernahme
Herber Rückschlag
Von Hans Georg

Die Deutsche Börse steht erneut vor dem Scheitern eines Expansionsversuchs und droht in der weltweiten Konkurrenz den Anschluss zu verlieren. Trotz massiver politischer Einflussnahme Berlins ist es dem Unternehmen nicht gelungen, die Vier-Länder-Börse Euronext zu übernehmen; stattdessen deutet sich eine Euronext-Fusion mit dem transatlantischen Konkurrenten New York Stock Exchange (NYSE) an.

Wie es unter Finanzexperten heißt, könnte die Deutsche Börse bei der gegenwärtigen Neuordnung der Börsenlandschaft isoliert bleiben und damit zur "europäischen Regionalbörse" herabsinken. Sollte die Euronext-Übernahme endgültig scheitern, müsse man ersatzweise in Süd-, Nord- und Osteuropa nach Expansionsmöglichkeiten suchen, fordern Wirtschaftskreise. In Paris habe sich "nationalistische(r) Kleingeist" durchgesetzt, schreibt die deutsche Presse über den bislang erfolgreichen Versuch französischer Unternehmen, die nationale deutsche Hegemonie über Euronext abzuwehren.

In den letzten beiden Jahren sind bereits zwei Übernahmeversuche der Frankfurter Börse abgewehrt worden: Im August 2004 lehnte die Schweizer Börse SWX Pläne für eine Fusion ab [1], im März 2005 zog die Deutsche Börse auf Druck oppositioneller Aktionäre ihre Offerte für die Londoner LSE zurück [2]. Vor diesem Hintergrund begleitete die Berliner Regierung den versuchten Einstieg der Deutschen Börse bei Euronext mit starkem politischem Druck. Bundesfinanzminister Steinbrück (SPD) erklärte publikumswirksam seine Unterstützung für das Vorhaben und für die Forderung, die Zentrale der neuen Börse müsse in jedem Fall in Frankfurt bleiben.[3] Schon zu Beginn der Gespräche war in Paris daher die Besorgnis laut geworden, die Deutschen wollten in Wahrheit keine Fusion gleichberechtigter Partner, sondern eine verdeckte Übernahme.
 
Attraktiver

Um die Offerte der Deutschen Börse abzuwehren, die in Paris eher als "imperialistischer Übernahmeversuch" gewertet wurde [4], bündelten mehrere französische Großunternehmen und Banken ihre Euronext-Anteile und stockten ihre Beteiligung an der Vier-Länder-Börse auf [5] - mit Erfolg: Die Aktionäre der französisch dominierten Euronext, die die Börsen in Paris, Amsterdam, Brüssel und Lissabon sowie die Londoner Terminbörse London International Financial Futures and Option Exchange (LIFFE) betreibt, lehnten das Fusionsangebot der Frankfurter Börsenbetreiber mehrheitlich ab. Zuvor hatte sich bereits der Euronext-Verwaltungsrat gegen das deutsche Angebot ausgesprochen und ein in direkter Konkurrenz abgegebenes Angebot der New York Stock Exchange (NYSE) als "attraktiver" bezeichnet. Die NYSE schlägt Euronext eine Fusion unter gleichberechtigten Partnern vor und räumt den Aktionären beider Unternehmen jeweils 50 Prozent am Kapital des gemeinsamen Konzerns ein. Die Frankfurter Börse hatte den Euronext-Aktionären zwar einen höheren Preis geboten (rund 8,6 Milliarden Euro gegenüber 8 Milliarden Euro), aber trotz einiger Zugeständnisse darauf beharrt, der deutsche Standort müsse aufgrund seines höheren Marktwertes die Führung übernehmen.[6]
 
Bitter

Während einige Beobachter nun eine Übernahmeschlacht erwarten, da eine endgültige Entscheidung erst auf einer außerordentliche Euronext-Hauptversammlung im Herbst fallen soll, wächst in deutschen Finanzkreisen die Befürchtung, das deutsche Unternehmen könne am Ende ohne Fusionspartner und damit als Verlierer der Neuordnung der europäischen Börsenlandschaft dastehen. Bei einer Fusion von NYSE und Euronext entstünde die weltgrößte Börse mit einem Wert von rund 20 Milliarden Euro; den Deutschen droht der Abstieg in die zweite Klasse. "Dann hätte man zwei Giganten gegen sich und würde zu einer 'europäischen Regionalbörse'", heißt es.[7] Ein erster "Gigant" hatte sich bereits mit dem Einstieg der US-Technologiebörse Nasdaq bei der London Stock Exchange (LSE) formiert. Dem Kampf um Euronext werden allerdings kaum noch Erfolgsaussichten eingeräumt: "Das Spiel ist aus, wir Deutschen haben verloren, wir sollten das Bietergefecht verlassen", erklärt die Wirtschaftspresse.[8] "Die Wahrheit ist bitter, aber wir müssen sie neidlos respektieren: Die Vierländerbörse Euronext und die Londoner Börse LSE befinden sich ziemlich fest in amerikanischen Händen."[9]
 
Kleingeist

In der deutschen Presse ruft die Pariser Entscheidung gegen die Frankfurter Machtansprüche verärgerte Reaktionen hervor. Die Tageszeitung Die Welt erklärt es für "paradox", dass sich "die Franzosen in die Arme der verhaßten Amerikaner flüchten (...) wollen, um einer Frankfurter Dominanz auf dem alten Kontinent zu entkommen".[10] Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wirft dem Euronext-Management vor, es habe die Aussicht, dass ein großes deutsch-französisches Unternehmen aus Deutschland heraus gesteuert werde, zum "Schreckensszenario" aufgebaut und damit in Paris die Reihen geschlossen. Das sei "enttäuschend - nicht nur aus deutscher Sicht, sondern auch aus der europäischen Perspektive", schreibt das Blatt und erklärt den mangelnden Willen zur Unterordnung zum Anzeichen dafür, dass "nationalistische(r) Kleingeist" in Frankreich zunehme.[11]
 
Bange Frage

Die Deutsche Börse müsse sich auf eine "ungemütliche Zukunft" einstellen, heißt es deshalb. Obwohl der Finanzkonzern diverse Fusionsanläufe unternommen hat, könnte er am Ende als einzige der drei großen europäischen Börsen ohne Partner dastehen. Dies gilt für den Finanzplatz Deutschland und das Unternehmen Deutsche Börse, die nach Marktkapitalisierung derzeit noch mächtigste europäische Börse, als "herber Rückschlag". Der Konzern wäre "isoliert und strategisch geschwächt".[12] Die Deutschen stünden damit am Scheideweg: "Spitzenliga oder Klassenabstieg lautet die bange Frage."[13]
 
Vorwärts

Die Partnersuche sollte dennoch weitergehen - im Süden, Osten und Norden Europas, fordert die Wirtschaftspresse. Die Frankfurter Börse müsse jetzt wenigstens versuchen, mit einigen der kleineren europäischen Konkurrenten zusammenzugehen, etwa mit den Italienern, den Schweizern, Spaniern oder den Skandinaviern. Alternativ käme auch die amerikanische Terminbörse CME in Frage: "Das alte Ziel, der amerikanischen Übermacht auf den Weltfinanzmärkten eine valide europäische Alternative entgegenzustellen, gilt heute mehr denn je."[14]

[1] s. dazu Uneinsichtig
[2] s. dazu Befreiungsschlag und Machtkampf
[3] Berlin geht im Börsenstreit in die Offensive; Financial Times Deutschland 05.05.2006. Finanzminister Steinbrück unterstützt Deutsche Börse; Die Welt 16.05.2006
[4] New Yorks Börse greift nach Euronext; Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.05.2006
[5] s. dazu Abwehrschlacht
[6] Acht Milliarden Euro für Euronext; Frankfurter Allgemeine Zeitun 23.05.2006. Deutsche Börse überbietet NYSE; Tagesspiegel 23.05.2006
[7] Deutsche Börse gerät in die Defensive; Handelsblatt 22.05.2006
[8] Deutscher Börse droht der Klassenabstieg; Handelsblatt 23.05.2006
[9] Au revoir Euronext; Handelsblatt 23.05.2006
[10] Kein Untergang; Die Welt 23.05.2006
[11] Ein Stuhl zu wenig; Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.05.2006
[12] Deutscher Börse droht der Klassenabstieg; Handelsblatt 23.05.2006
[13] Deutsche Börse gerät in die Defensive; Handelsblatt 22.05.2006
[14] Au revoir Euronext; Handelsblatt 23.05.2006

www.german-foreign-policy.com







Online-Flyer Nr. 46  vom 30.05.2006



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