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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Lokales
Gedanken zur Krankheit und Nachlese zum 7. Kölner Diabetes-Forum
Diabetes - Volkskrankheit oder/und Wohlstandsfolge
Von Elmar Klevers

Die Feststellung des Hausarztes nach einer Blutuntersuchung: "Sie haben Diabetes." ist für jeden Patienten zunächst einmal ein Schock. Auch wenn er sich im ersten Augenblick noch nicht im Klaren ist, was das ab dem Moment der Mitteilung des Arztes für den Rest seines Lebens bedeutet.

Junge Menschen trifft es härter, weil deren Diabetes Typ I aggressiver auftritt als bei den älteren Menschen der Typ II - im Volksmund Alterszucker genannt. Die Restlebenszeit bei den jungen und den alten Menschen hat einen Namen: "u n h e i l b a r   k r a n k". Die älteren Diabetiker haben eine kürzere Leidenszeit; sie sind ruhiger, abgeklärter und zumeist leidensfähiger. Darüber hinaus sind ältere Menschen eher bereit, die Regeln und Vorschriften einzuhalten, als die jungen. Aber ob jung oder alt, die Diabetiker sind immer von Medikamenten und/oder Insulin abhängig.

Radikale Umstellung der Lebensweise

Diese Abhängigkeit kostet eine Menge Geld, weil die Aufwendungen für den regelmäßigen Arztbesuch und die Zuzahlungen zu den Medikamenten, Messgeräten, Teststreifen und anderen Hilfsmitteln eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung darstellen. Die Bekämpfung der Diabetes bedingt eine radikale Umstellung der Lebensweise, wenn man sie ernst nimmt und sein Leben nicht mutwillig verkürzen will. Die neuen Regeln des Lebens und besonders die neue Ernährung sind gewöhnungsbedürftig. Eine abrupte Umstellung fällt den meisten schwer, weil der Geschmack, der Geruch ziemlich anders zum bisher Gewohnten und die Beschaffungskosten wesentlich teurer sind. Es ist nicht so einfach wie der Wechsel der Kleidung. Man hadert mit sich vor jeder Mahlzeit und führt mit seinem "inneren Schweinehund" einen täglichen Kampf.

Und nun auf den Teststreifen
Und nun auf den Teststreifen
Foto: Paula Schaefer



Man würde sich auf die Dauer an die neuen Ge- und Verbote und das veränderte Essen und Trinken - auch das Rauchverbot - gewöhnen, wenn, ja wenn da nicht die gesellschaftlichen Ereignisse, Festtage und andere Events wären, bei denen dann "gutmeinende Mitmenschen" sagen: "Einmal sündigen ist keinmal sündigen" oder "Du kannst doch etwas mehr spritzen", und so weiter - all die dummen, verständnislosen, weil den Kranken schädigenden Sprüche. Doch wenn man kein "Spielverderber" sein will und dem Drängen auf Dauer nachgibt, braucht sich der/die DiabetikerIn über die darauf folgenden vielfältigen Schädigungen im Körper nicht zu wundern.

Viele spritzen mehr als nötig

Die Störung der Arbeitsweise der Bauchspeicheldrüse - was anderes ist Diabetes ja nicht - wird durch die Medikamenten- oder Insulingabe entsprechend ihrer Disfunktion ausgeglichen. Die Insulingabe richtet sich nach dem vor dem Essen gemessenen Wert und der Menge des bevorstehenden Essens, unter Berücksichtigung des Fettes, der Kohlenhydrate und dem Zuckergehalt der Speise. Leider spritzen viele Diabetiker üblicherweise Praxis vor opulenten Mahlzeiten viel mehr Insulin als nötig, fühlen sich beim nächsten Messen durch einen befriedigenden Wert in der Richtigkeit ihres Handelns bestätigt, bedenken aber nicht dessen langfristige Folgen.

Die Gefahren des Diabetes und ihre mögliche Verminderung durch entsprechendes Verhalten verdeutlichten im Forum hervorragende Wissenschaftler und Mediziner in den Fachvorträgen. Leider waren bei ihnen die Zuhörer nur dünn gesät - im Vergleich zu den Menschenmassen in der Infobörse, wo sich Pharma- und Gerätefirmen, Diabetikerverbände, Fußpflegeanbieter, Podologen, Schuhfirmen, Ernährungsberater, Diabetologen, Ärzte und Krankenhäuser vorstellten.

In den Fachvorträgen, auch in Gesprächen an den Ständen wurden die Angriffsflächen im menschlichen Körper sehr offen genannt und die Wirkung von Fehlverhalten durch die Diabetiker dargestellt: Die Krankheit greift die Blutbahnen; die Nerven, besonders an den Nervenenden der Pheripherie des Körpers, die Augen, hier besonders die Netzhaut; die Füße, das Herz an und beeinträchtigt den Blutdruck sehr. Unklar ist noch, in wieweit Muskulatur und Gelenke durch Diabetes geschädigt werden.

Pharma-Industrie profitiert auf Kosten der Kranken

Obwohl die Auswirkungen in den letzten Jahren längst bekannt geworden sind, muss man sie für die Neudazugekommenen immer wieder benennen. Neue Forschungen und deren Ergebnisse, die Hoffnung für die Millionen Diabetiker auf Erleichterung oder gar Heilung verkünden könnten, sind nicht in Sicht. Man hat das Gefühl einer erbärmlichen Ohnmacht und den Eindruck, dass es so lange keinen Fortschritt in der medizinischen Forschung auf diesem Gebiet geben wird, solange die Pharma-Industrie auf Kosten der Kranken hervorragend lebt. Die früher gelobten Erfolge der Gentechnik sind inzwischen völlig aus der Diskussion verschwunden. Niemand spricht mehr von Gen-Insulin oder anderen Erfolgen der Gentechnik auf diesem Gebiet. Lob den früheren und den heutigen Gen-Fortschritts-Zweiflern.

Das gleiche Null-Summen-Spiel gilt für die diabetesbezogene Medizintechnikforschung. Kein Diabetes-Messgerät, bei dem man sich nicht vorher in die Finger stechen muss, um mit dem Bluttropfen auf einem Mess-Streifen den aktuellen Blutzuckerwert zu ermitteln. Das vor Jahren angekündigte Gerät, das wie eine Armbanduhr aussah, um den Arm gelegt werden sollte, um nach kurzer Zeit ohne Körperverletzung den aktuellen Wert zu ermitteln, wird nur noch belächelt. Es ist ein Heuchlerlächeln, weil zu den vorhandenen Blutzucker-Messgeräten Teststreifen verwandt werden müssen, die den Geräteherstellern Gewinne bringen, die denen der Petro-Chemie den Rang ablaufen.

Beispiel BAYER-Messgeräte

Nehmen wir als Beispiel die BAYER AG: deren Messgeräte kosten 20 Euro. Sie werden in Asien produziert und über die USA nach Europa gebracht. Der Herstellungswert liegt vielleicht im Bereich von drei bis vier Euro. Bayer verschenkt die Messgeräte über die Ärzte an die Diabetiker weil die Teststreifen - wie auch für alle anderen Geräte -  speziell nur dafür geeignet sind und in den Apotheken gekauft werden müssen. Diese Bayer-Teststreifen kosten in der Packung mit 50 Stück zwischen 28 und 38 Euro. Der Herstellungswert für die 50 Streifen beträgt 5 Cent, also ein Zehntel Cent pro Stück. Den Diabetiker, der darauf angewiesen ist, kostet ein Teststreifen 0,56 Euro. Der Gewinn zwischen Herstellung und dem Kranken beträgt 0,559 Euro. Deshalb kommt kein krankenfreundliches Messgerät mit dem man sich nicht verletzen muss auf den Markt.

Die Insulin-Spritzer bekommen die Teststreifen verschrieben und zahlen nichts dafür, den Preis zahlt die Krankenkasse, also die Solidargemeinschaft. Die Kranken, die mit Medikamenten in Form von Tabletten behandelt werden, zahlen die Teststreifen selbst. Wenn man täglich zweimal den Zuckerwert feststellen muss, kostet das den Betroffenen täglich 1,12 Euro, im Monat 33,60 Euro. Dabei beträgt der Gewinn zwischen Produktion und Verkauf 33,00 Euro. Wenn man bedenkt, dass allein in Deutschland acht Millionen Diabetiker mit steigender Tendenz leben, ist es aus Sicht der Hersteller ganz verständlich, daran nichts zu ändern.  -  Ob das Ulalala in Berlin auch weiß?

Zurück zu den Messgeräten und deren Messergebnissen. Otto Normalbenutzer geht davon aus, dass die Messgeräte unabhängig vom Hersteller seinen Zuckerwert exakt gleichmäßig hoch oder niedrig angeben. - Weit gefehlt! - An den Ständen der Infobörse konnte man sich den derzeitigen Zuckerwert messen lassen. Dabei trat zutage, dass mein Zuckerwert innerhalb von 15 Minuten dreimal mit erstaunlich unterschiedlichen Werten gemessen wurde und zwar 161, 171 und zuletzt mit einem Krankenhausgerät 210. Die Normalwerte liegen zwischen 80 und 120. Eine Erklärung für die unterschiedlichen Werte gab es nicht. Jeder behauptete, sein Gerät messe genau. So fragt sich ein noch denkfähiger Otto Normalbenutzer, was das Ganze für einen Sinn hat.

Medizinische Messungen ein Lotteriespiel

Bei der Entwicklung der Injektionsgeräte für die Insulingaben hat man im Designbereich kleine unwesentliche Fortschritte gemacht, aber ein Gerät womit die Insulingabe ohne Körperverletzung (Bauchstich usw.) erfolgen könnte gibt es immer noch nicht. Ein Gerät, mit dem man im Sprühverfahren Insulin über die Mundöffnung in sich aufnehmen könnte, ist noch in der Entwicklung und hat sowohl von den Ärzten als auch von den Wissenschaftlern herbe Kritik erhalten. Ähnlich unterschiedliche Messergebnisse wie bei den Zuckerwerten gab es auch bei den Blutdruckmessgeräten. Mein Eindruck: Medizinische Messungen gleichen einem Lotteriespiel - auch noch im 21. Jahrhundert.

Wann wird diese Körperverletzung endlich überflüssig?
Wann wird diese Körperverletzung endlich überflüssig?
Foto: Paula Schaefer



Die Ernährungsberatungen an verschiedenen Ständen waren im Grundsatz richtig. Hier wurde in vielen Gesprächen immer wieder auf die falschen Ess- und Trinkgewohnheiten und die Schädlichkeit des Rauchens hingewiesen. An den vorhandenen Rezepturen wurden Besuchern die inhaltlichen Grundlagen und besonders die relativ einfache Herstellung von Diabetes-positivem Essen erklärt. Obst- und Gemüsearten, die gut geeignet sind, wurden an Beispielen dargestellt. Bei diesen Gesprächen haben Besucher oft über ihre selbstverschuldete Falschernährung berichtet und frühere Unkenntnis zugegeben. Wohlstand und die damit verbundene Hektik in Beruf und  Privatleben haben viel dazu beigetragen, dass Diabetes sich so verbreitet hat. Allerdings wurden auch die genetischen Erbanlagen bei vielen Diabetikern anerkannt. In Diskussionen darüber kam in vielen Fällen zutage, dass der Diabetes eine Generation in der Familie überspringen kann.

Fachärzte, Diabetikerverbände und besonders die Selbsthilfegruppen boten den Besuchern und Anverwandten eine ständige Beratung, Hilfe in besonderen Fällen und Schulungen bezüglich Ernährung, medizinischer Notfallbehandlung, z.B. bei Koma, Bewusstseinsstörungen, Unter- und Überzuckerung an. Für viele Neu-Diabetiker gestalteten sich diese Kontakte zum positiven Erlebnis mit gleich betroffenen Menschen. Positiv in der Arbeit der Selbsthilfegruppen ist die Einbeziehung der ganzen Familie bei Bewegungs- und Freizeitangeboten, die auch gemeinsam  an Wochenenden durchgeführt werden können.




Online-Flyer Nr. 46  vom 30.05.2006



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