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Lokales
Die zweite CD von NOX : "Gabelfrühstück"
A sad and beautiful world
Von Uta Titz

"Wenn Ihnen der Abend zu depressiv werden sollte, betrachten Sie es einfach als kleinen Urlaub von der Comedy-Hölle". So sagt Gerd Köster gerne die Konzerte an, mit denen NOX im Jahr 2003 zum ersten Mal an die Öffentlichkeit ging.

NOX ist ein Projekt, das der Saxophonist, Komponist und Texter Dirk Raulf zusammen mit Gerd Köster ins Leben gerufen hat, begleitet von einer kompletten Band (aktuell: Klaus Mages (dr.), Hartmut Kracht (b.), Hinrich Franck (keyb.), Markus Wienstroer (git.)), seit einigen Monaten auch immer wieder in "Unplugged" - Besetzung (Gesang, Saxophon, Flügel, Kontrabass).

"Lieder zur Nacht" hieß ihre erste CD, und wer angesichts der vielen hochkarätigen Musiker und der hochdeutschen Texte an eine kaum hörbare, abseitig-anspruchsvolle Jazz&Lyrik-Produktion dachte, wurde angenehm enttäuscht: Es waren wirklich Lieder, Ohrwürmer zum Teil. Lieder, die der Melancholie einen großen Platz einräumen und auch vor handfester Depression nicht zurückschrecken, kompositorisch vielfältig, textlich gleichermaßen poetisch wie scharfsinnig, live vor Publikum eingespielt - ein Projekt gegen alles, was man 2003 so für Zeitgeist hielt. NOX kam genau richtig in eine Kulturlandschaft, in der Unterhaltung mit Gelächter vom Tonband gleichgesetzt wurde: ein bundesweites Publikum wusste diese Neuheit im "Marktsegment aufgeklärter Popmusikalischer Lieder" (FAZ) zu schätzen.

Nun ist die zweite NOX-CD da. Wer die "Lieder zur Nacht" genießen konnte, der wird auch der Einladung zum "Gabelfrühstück" gerne folgen. Im aufwändig gestalteten Cover befinden sich zwei CDs, die als Album und Bonus-CD definiert sind und deshalb zum Preis von einer CD angeboten werden, nichtsdestoweniger aber insgesamt 30 Titel enthalten.

Auf  "Gabelfrühstück" CD 1 sind neue Songs über den Morgen danach zu hören, in seinen Stimmungsschwankungen und NOXgemäß eher salzigen Facetten. Sich darauf einzulassen, kann einen für längere Zeit musikalische Marmeladenbrötchen vergessen machen.

Schon der erste Song zieht einen Hering vom Teller: "Es regnet Fisch", in bester Brecht/Weill - Manier, aber auch irgendwie Tom-Waits-mäßig, gnadenlos schwer, eckig, entschleunigt und furchtlos theatralisch.

Zweite NOX-Platte: Gabelfrühstück
Zweite NOX-Platte: Gabelfrühstück
Foto:  noxfoto


Der zweite Titel "So fern" kommt ganz anders, eine sanft-düstere Popmelodie, darüber lakonisch gerapte Betrachtungen zur ersten Tasse Kaffee:
der neue papst warnt vor intimitäten / die kühlschranktür trägt lustige magneten
der zimmerfarn hat eine stauballergie / die glotze läuft bis um vier in der früh
im bordeauxglas wird der rotwein sauer / in der wanne liegt ein hai auf der lauer
ein stück bonbonpapier vom karnevalswagen / ich sollte einfach mehr verantwortung tragen

Darauf folgt "Wenn die Nacht zuende geht". Das Stück klingt wie die Reggae-Version eines Klassikers (ist aber von Dirk Raulf in Text und Melodie) weht einen an wie frische Luft und macht unerwartet positive Visionen auf:
die karten werden neu verteilt / zerbrochen ist vorbei, geiz ist nicht mehr geil
der kaffeesatz erzählt vom glück / und herz und hirn atmen nicht mehr durch aspik 


Beim "Egal-Walzer" schließlich finden wir uns dann im Stadtpark wieder, wo der Sänger eine Glocke schüttelt und (Marktschreier? Prediger? Aussätziger?) verkündet:
hab von den steinen das fliegen gelernt / hab von der liebe das lügen gelernt

Melancholie ist auch am Morgen ein großes Gefühl, ebenso wie ambivalente Stimmungen: in dem zarten Stück "Jazz" betrauert die Musik ganz old school die Verflossene, während der Sänger sich diebisch freut: "ab heut nie wieder kerzenschein!"

Eindeutiger: "Hippiemusik" - auch dies ein Lied über den "Morgen danach", in diesem Fall ein böses Erwachen: ein amtlich bewusstseinserweiterter Funk trägt die ätzende Kritik an ehemaligen Alternativen und Friedensbewegten in den kriegerischen Zeiten ihrer Regierungsverantwortung:
"bist du schlimm oder lieb? - Realpolitik - nie wieder Krieg - ohne Hippiemusik".

 "Gabelfrühstück" ist neben den vielfältigen musikalischen Feinheiten auch eine Fundgrube für schräge Bilder, mehrdeutige Geschichten und zwielichtige Charaktere: hysterische Frohnaturen, die sich ihre Paranoia nicht nehmen lassen wollen, seltsame Fremde, die jeder kennt, und Nachbarn, die auf verschiedenen Planeten leben.

Gerd Köster
Gerd Köster
Foto: noxfoto


In "Ermessespielraum" lässt Köster noch einmal den Erzähler zu Wort kommen, der sich auf  "Lieder zur Nacht" im Song "Logische Standpunkt" in Pidgindeutsch als Eheberater versuchte. Diesmal tut er seine Meinung über "deutshe mann" kund, dessen auffälligste Absonderlichkeit das "immer diskutiere in gruppe" zu sein scheint. Wie auch sein Vorgänger ist dieser Titel der einzige eindeutig witzige auf dem Album, und wieder kommt er so spät, dass man eigentlich gar nicht damit gerechnet hatte.

Trotz teilweise scharfer stilistischer Kurven klingt das Album homogen, was natürlich mit dem Sänger Köster zu tun hat - ein großer Darsteller, der eigenen wie fremden Texten ihr Leben einbläst - aber auch Produzent Tim Buktu ist zu loben, der sorgfältige Produktion und live gespielte Wärme auf einen Datensatz gebracht hat.

Die Bonus-CD 2 ist für den inzwischen Fan gewordenen Hörer etwas zwischen Näh- und Schatzkästchen: eine konzeptlose Sammlung von allesamt hörenswerten Aufnahmen, die im Zusammenhang mit NOX im Laufe der Zeit entstanden sind. Die ersten sechs Titel sind live-Mitschnitte von NOX-Unplugged-Konzerten mit beeindruckend saftigen Akustik-Versionen von "Lieder zur Nacht"-Titeln. Außerdem gibt es eine Filmversion und diverse Coversongs zu hören, besonders schön: "As I sat sadly by her side" von Nick Cave und einen Studiosession-Mitschnitt von "Take the `A` Train."

Zum Kehraus schwenkt das Mikrofon in eine verregnete Szene, in der ein Banjo auf einem Akkord jammert und der Sänger die ersten zwei Strophen von "Morgenmond" in den Hinterhof summt wie weiland Tom Waits alias Zack in "Down by law" zwischen den Mülltonnen, der eine sehr NOX-verwandte Stimmung in Gesang fasste: "It´s a sad and beautiful world..."

Mehr Informationen unter:
www.noxmusik.de
www.gabelfruehstueck.de


Online-Flyer Nr. 45  vom 23.05.2006



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