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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 24
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer

Armin Kolenda, Journalist und Autor im "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt", berät mit seinem Freund und Kollegen, dem Pförtner Jupp Ippers in Neuss, über seinen Konflikt mit einigen "Werkkreis"-Mitgliedern. Der rät ihm, in der DDR Schriftstellerei zu studieren. Anschließend erleben die LeserInnen einen "Werkkreis"-Termin bei Gründungsmitgliedern der Mieterinitiative "MIG", um Material für einen BürgerinitiativenRoman zu sammeln.

Du hast heut nacht öfter rechtgehabt, geb ich gern zu. Aber zum Schriftsteller taug ich nicht. Ich habs ausprobiert, früher. Hab Gedichte geschrieben - Liebesgedichte! Und in Wyhl fürs Straßenteater ein Stück. Dies und das. Ist nicht mein Ding. Mir liegt mehr das Aktuelle, der eingreifende Text. Also wo was passiert in der Gesellschaft, wo sie - wie soll ich sagen: offen ist in die Zukunft, da möcht ich unterstützen, was die Menschen tun, ihre Motive verstehn und andern erklärn, damit die Lust kriegen, auch aufzubrechen aus ihren verknöcherten Verhältnissen. Das ist Journalismus, Jupp, das was ich in der Demokratischen Zeitung schreibe. Politischer Journalismus, wenn du willst. Aber mit geschliffner Feder, keine Wegwerftexte. Tucholsky und Kisch wären da meine Vorbilder, Ossietzky auch. In den Werkkreis bin ich gegangen, weil ich das eine tolle zukunftsträchtige Aufgabe fand - noch immer finde - Menschen wie dir, die unsre unbekannte Arbeitswelt kennen und was über ihre Leben, ihre Erfahrungen schreiben wolln, denen zu Öffentlichkeit zu verhelfen. Nicht unbedingt literarisch, eher wie Wallraff das immer gefordert hat: Realistisch, an der Wirklichkeit orientiert, genau. Das hatte was Angriffiges Jupp, Anfang der siebziger Jahre, war fast schon revolutionär - sich der Vermarktung der Literatur durch die Konzerne nicht anzupassen, sie umzukehren. Inzwischen glaubt daran keiner mehr. Oder?

   Hab ich nie dran geglaubt, knurrte Ippers.

   Jetzt sind Schleyer und Buback ermordet und die RAFGefangnen tot oder im Knast. Es ist elend kalt und finster geworden in diesem Land. Wir haben eine große Koalition als Krisenregierung, eine kasernierte Bürgerkriegspolizei, Folterzellen in unsren Gefängnissen, die keine sichtbaren Spuren an den Gefangnen hinterlassen, der Staat will sich zum Kontrolleur, zum Herrn über seine Bürger machen und höhlt die Demokratie aus per Gesetz, die angeblich damit verteidigt wird.

   Sind die Gefangnen auch selbst schuld Armin, mit ihren Wolkenkuckucksutopien, die noch aus dem Gefängnis Attentate planen für die Revolution.

   Lass uns heut nacht nicht mehr streiten Jupp - ich will nur sagen, es besteht zur Zeit eine Situation, wie wir sie achtundsechzig vor der Verabschiedung der Notstandsgesetze befürchtet haben, wir stehn mit dem Rücken zur Wand, müssen verteidigen was noch übrig ist an demokratischen Rechten. Deshalb ist mir die Arbeit in der Zeitung wichtiger als alles andre. Das weiß ich jetzt ganz klar, durch deine freundliche Mitternachtsidee.

   Na Mensch - da ist der olle Pförtner Ippers ja doch mal für was gut gewesen!

Er parkte seinen Wagen, sah sich um nach Hermann. Acht Uhr. Der hatte den weiteren Weg.

Vom Fernsehprogramm her gesehn hätte der Abend sich geruhsam gestalten lassen. Aber so lief das: Eine Woche vorher genügte der Blick in den Taschenkalender, dass an dem Abend nichts Besonderes geplant war, um die Verabredung zu treffen. Die Müdigkeit in den Knochen, der Wunsch, eine Stunde im Sessel zu sitzen, in Ruhe die Zeitung zu lesen, in Familie und gemütlich zu machen, dieses alles verdrängende Verlangen nach Feierabend, wenn die acht Stunden im Betrieb geschafft waren, das ließ sich nur durch eine frühe Eintragung im Kalender ausschalten. Überwinden. Umpolen. Erstaunlich wozu Pflichtgefühl den Menschen bringt. Da lässt man sich in eine Sache ein, die von weitem ganz intressant und neu aussieht, weil da von Arbeit und Regen und Müdigkeit nicht die Rede ist, man bucht die Reise, und plötzlich ist man eingestiegen und treibt auf hoher See, kann nicht mehr raus, nicht mehr zurück nach Spanien, muss weitersegeln bis Amerika entdeckt ist und die Erde rund.
Hermann hatte die Verabredung mit Bergmanns bei der MIGSitzung getroffen, machte das gut, brauchte nur die Zähne lachend aus der roten Wolle blitzen zu lassen, um Leute heiter und entgegenkommend zu stimmen. Brachte das gleiche Lachen mit: Hallo Martin - toll dass du da bist! Hab nich gleich n Parkplatz gefunden.
Ein Glück dass ich da bin! verbesserte Martin.
Hattstu Probleme? Mit deiner Frau?
Mit meinem Schweinehund. Der wollten Tatort sehn. Mit Bier. Der mit der Frau warst doch du.
Stimmt. Aber lass uns das heut nicht vertiefen Martin. Ich klingel jetzt! Vielleicht gibts bei Bergmannsn Bier.
Der Hausflur machte einen ganz ordentlichen Eindruck, kaum bekritzelte Wände, kaum Schmutzspuren. Der Fahrstuhl öffnete prompt, die Etagenzahlen flammten eifrig auf, auch hier kein SCHMITZ AUSBEUTER in den Lack gekrazt, kein Haufen in der Ecke, keine Spur von Unzufriedenheit der Hausbewohner.
Im Fünften standen sie Frau Bergmann gegenüber. Enge Jeans, lockerer Pullover, den Zweijährigen auf dem Arm, der sie misstrauisch beguckte. Da seid ihr! lachte sie, kommt rein. Mein Mann sitzt vor der Tagesschau. Hans! Die Herren vom Werkkreis!
Die Herren. Michael dachte, dass sie sich lustig machte über sie, weil sie sich ihr mit ihren Nachnamen vorgestellt hatten wie Versicherungsvertreter, aber da war Hans Wiedemann schon aufgestanden, hatte den Kohl von der Mattscheibe gekickt, griff ihnen kräftig in die Hände: Setzt euch her. Ich hol euch ein Bier. Oder?


erasmus schoefer

Erasmus Schöfers

"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd.3 "Sonnenflucht",

Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de



Online-Flyer Nr. 45  vom 23.05.2006



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