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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 23
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer

Armin Kolendas Veröffentlichung von Problemen im "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" hat dort heftige Kontroversen ausgelöst. Empört berichtet er seinem Freund Jupp über die Angriffe anderer Kollegen gegen sich.

   Und doch hat der Schwank mit seinen Gemeinheiten mich so gereizt, dass ich nur mit allerletzter Kraft mich festgehalten habe, ihm nicht in die Fresse zu haun! Ich wusste nicht mehr weiter. Der Hensel hat die Situation noch mal gerettet, hat einfach abgebrochen zum Abendessen. Aber am nächsten Tag hat er wieder angefangen, mit meinem Text jetzt, wie in der Werkstatt, die gleichen Beschuldigungen, und wollte den Brief von der Uschi vorlesen, obwohl sie ihn ja inzwischen ausdrücklich zurückgezogen hat, aber was heißt das schon, die andern wollten natürlich trotzdem wissen, was das Schandmaul geschrieben hat, das funktioniert mit solchen Denunziationen, erst schreibt sie den Brief an mich, gibt dem Schwank einen Durchschlag, dann zieht sie ihn zurück, aber der weiß jetzt was drinsteht, erzählt von dem Brief im Sprecherrat und dass ich Uschi gezwungen hätte, ihn zurückzuziehn, da wolln sie natürlich erst recht wissen was sie geschrieben hat,  so eine perverse Lust am Wissen von irgendwelchen schmutzigen Beschuldigungen, egal ob sie stimmen oder nicht und du sitzt da und sollst dich verteidigen, sollst widerlegen dass du selbstsüchtig oder rechthaberisch oder autoritär seist, versuch das mal, das geht überhaupt nicht ohne dass du genau den Anschein erweckst, den du widerlegen willst.

   Du hättest dich nicht verteidigen müssen Armin. Die andern Kollegen im Sprecherrat kennen dich. Das wär alles auf Uschi und Schwank zurückgefallen.

   Bist du sicher? Vielleicht hätten sie gedacht, jetzt erst den wahren Kolenda kennenzulernen. Weil sie nicht wussten, was für ein bösartiges Klatschweib unsre tüchtige Uschi rauslassen kann. Sowieso bleibt von jeder Verleumdung irgendwas hängen. Ich hab gesagt, wenn sie Schwank den Brief vorlesen lassen, bin ich weg.

   Versteh ich. Und Schwank?

   Hat beantragt, der Sprecherrat soll mich zum Rücktritt auffordern. Haben die andern abgelehnt. Aber haben mir wie gute deutsche Oberlehrer eine Rüge erteilt. Wörtlich so. Weil ich meinen Text ohne Abstimmung mit dem Sprecherrat veröffentlicht habe. Insofern sind sie eingeknickt vor dem Typ. Und ich denk immer und rätsel rum, warum tut er das? Wir sind doch politisch mehr oder weniger die gleiche Schuhgröße! Deshalb ist mir die ganze Schose unerklärlich und treibt mich zur Verzweiflung. Weil ich das nicht verstehe. Was mach ich falsch?

   Verzweiflung? Hast du im Ernst Verzweiflung gesagt? Also jetzt wirst du unanständig Armin, lass dir das von einem alten Fahrensmann gesagt sein. Für Verzweiflung gibts bessre Gründe.

    Ja ja natürlich, weiß ich! Auf die Eier gehts mir trotzdem, wenn dir ne Metafer für meinen Zustand lieber ist. Ich schreibe ehrlich und, jawohl! liebevoll über meine Kollegen, nicht als ein reingeschneiter Journalist, der mal eine Sitzung mitmacht und dann seine zufälligen Eindrücke als Wahrheit über den Werkkreis verkauft. Ich hab diese Menschen und ihre Arbeit jahrelang miterlebt und mitgestaltet als Berufsautor und aus der, aus meiner ganz persönlichen Erfahrung schreib ich - ein Stück eigenste Lebensgeschichte ist das! Wenn so was im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt nicht erlaubt sein soll, dann Jupp, dann kann kein Berufsschreiber mehr mitarbeiten in diesem erlauchten Verein!

   Gut gebrüllt Löwe, lachte Ippers, das Gedicht gefällt mir. Genau so musst du die Sache im Rundbrief vertreten, wenn sie da noch mal öffentlich verhandelt wird. Und diesen Witz mit der Rüge vom Sprecherrat - wie willst du damit

   Witz nennst du das? Für mich ist das eine Unverschämtheit; eine Anmaßung gegenüber einem Mann, der freiwillig diesem Verein angehört und ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Du hattest verdammt recht, als du auf die Funktionäre im Werkkreis geschimpft hast. Dieser Sprecherrat verwechselt sich mit ner Behörde! Mit nem Aufsichtsrat oder was weiß ich. Ich werd ihnen schreiben, dass sie die Rüge zurücknehmen müssen. Wenn nicht, sag ich tschüs Leute! Bin mit euch nicht verheiratet!

   Recht hast du. Ich würds nicht anders machen. Obwohls viele gibt, die das sehr bedauern würden. Nicht nur mich.

   Genau das ist mein Konflikt Jupp. Und der Schwank hätte sein Ziel erreicht.

   Glaub ich nicht. Nicht mal der will dich raushaben aus dem Werkkreis. Der verträgts nur nicht, dass einer ngrößeren Bogen schifft als er. Deshalb pinkelt er dich an. Er will als der heilige Saubermann in die Geschichte eingehn, der vor keinem Verdienst Respekt hat, wenns um die reine Lehre geht. Das kennt man doch.

   Kolenda hielts nicht länger auf seinem Stuhl, er sprang auf, tigerte die drei Schritte in der engen Pförtnerstube hin und her, stellte sich vor den Kollegen, die Stirn zerfurcht: Was zum Teufel ist richtig Jupp!

   Der, von unten, fast gleichmütig: Schätze, nichts ist makellos richtig. Aber etwas ist meistens richtiger. Keiner von uns ist unentbehrlich, vermutlich du auch nicht teurer Freund. Frag dich aber mal, was richtiger ist für dich.

   Als könne er das im Sitzen besser, ging Kolenda zurück zu seinem Platz. Ippers reichte ihm eine weitere Flasche Alt über den Tisch, sagte in die Stille: Nur mal so als Anregung Armin, von einem der viel von dir gelernt hat. Du solltest dich an was Größeres wagen, einen Roman. Dein Leben als gebildeter Malocher zwischen den Arbeitern und den bürgerlichen Intellektuellen, so was. Was nur du erzähln kannst. Neulich, als wir den Streit hatten in der Werkstatt über den Bürgerinitiativen-Roman, hat Hermann mich angepflaumt, erinnerst du dich, dass ich als Prolet in der DDR hätte studieren können, in Leipzig, wo sie die Schriftsteller ausbilden. Für mich klare Fehlanzeige. Aber deine Zeitung hat wetten gute Kontakte nach drüben. Und du hast keine Familie, bist unabhängig. Vielleicht könnten die dich für ein Jahr dorthin schicken, damit du den letzten Schliff kriegst? Rauskommst aus dem Schlamassel hier.

   Echte Mitternachtsidee Jupp. Traumhaft. Und da draußen hängt schaumal der Mond leichenbleich über Düsseldorf. Träumt, er möchte auch mal Sonne sein


erasmus schoefer

Erasmus Schöfers

"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd.3 "Sonnenflucht",

Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de



Online-Flyer Nr. 44  vom 16.05.2006



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