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Kultur und Wissen
Wolfgang Bittners Essay-Band "Schreiben, Lesen, Reisen"
Bemerkenswertes Zeitzeugnis
Von Franz Hartmann
Und es geht um das Thema "Vertreibung", um die Suche nach Heimat und Identität, ebenso wie um das deutsch-polnische Verhältnis, wobei es dem Autor gelingt, jeglichen Verdacht von Rückschrittlichkeit oder Revisionismus auszuschließen. Eine Gratwanderung, die er mit Bravour meistert.
In seinem ersten Beitrag geht der Autor, der in Ostfriesland aufgewachsen ist, auf seine Erfahrungen als Kind und als Jugendlicher in der Nachkriegszeit ein. Dabei misst er dem Bücherlesen große Bedeutung bei, denn Lesen kann - wie Wolfgang Bittner anmerkt - Bewusstsein erweitern und den Blick über den Tellerrand und hinter den Horizont erweitern. Es kann "Ventil und Katalysator sein, bietet Anregungen, schafft Bewegung im Kopf". Hinzu kommt, dass der Leser, im Gegensatz zum Fernsehen oder zu den Computerspielen, bei sich bleibt. Ein Buch, das etwas taugt - so meint Bittner -, ist "ein ernstzunehmendes substanzielles Gegenüber. Es verbindet Menschen, Autor und Leser, überall auf der Welt auf geheimnisvolle, unaufdringliche Weise in ihrem innersten Wesen". Das jedenfalls schreibt der Autor in seinem zweiten Beitrag "Lese-Kultur gegen Gewalt", in dem er unter anderem dezidiert und überzeugend die Ursachen jugendlicher Gewaltbereitschaft benennt und den permanenten Kulturabbau beklagt.
So spannend wie anregend ist dann ein Vortrag von 2003 mit dem bezeichnenden Titel: "Europäisches Kulturerbe oder Es gibt andere Gemeinsamkeiten als die Nationalität". Der Autor schreibt auch über seine Identitätssuche, über die Aufenthalte in Kanada, die wie Aufbrüche in eine andere Welt anmuten. Die Literatur-Szene wird unter die Lupe genommen und nicht zuletzt das deutsch-polnische Verhältnis. Des Weiteren deckt er seine Motivation auf, Literatur in der Nachfolge von Friedrich Gerstäcker oder Jack London für ein jugendliches Leserpublikum zu verfassen wie in seinen Abenteuerromanen und Erzählungen, die in exotischen Ländern, vor allem in Kanada spielen. Ein mannigfaltiges Repertoire, hintergründig und vielschichtig.
Das alles kommt nicht von ungefähr. Den Vortrag über das europäische Kulturerbe hat Wolfgang Bittner während eines fünfmonatigen Aufenthalts in Krakau gehalten, über die grenzüberschreitende und völkerverbindende Bedeutung von Literatur und Kunst hat er 2003 in Görlitz gesprochen, mit dem deutsch-polnischen Verhältnis beschäftigt er sich seit langem, über die Literaturszene hat er in den letzten Jahren zahlreiche Artikel und das Rowohlt-Sachbuch "Beruf: Schriftsteller" veröffentlicht. Und in den Norden Kanadas zieht es ihn immer wieder.
Wolfgang Bittner geht häufig von eigenen Erfahrungen aus, was ihm aufgrund seines ungewöhnlichen und hin und wieder durchaus abenteuerlichen Lebensweges möglich ist und was Authentizität schafft. Offenbar hat das Lesen bei ihm schon früh die Sehnsucht nach fernen Ländern und nach anderen Lebensbereichen geweckt, die es zu erkunden galt. Nach dem Krieg in einem Barackenlager aufgewachsen, hat er später lange Reisen auch nach Mexiko und in den vorderen Orient unternommen, ganz Europa erkundet, zeitweise in Paris, Amsterdam oder Krakau gelebt. Das ist ein umfangreicher Fundus, aus dem er schöpfen kann. Vielleicht waren die fernen Länder so wie die Phantasie Fluchtpunkte für einen Menschen, der früh Krieg erfahren hat und unter schwierigsten Bedingungen aus seiner Heimat vertrieben wurde.
1941 in Gleiwitz in Oberschlesien geboren, musste Wolfgang Bittner seine Geburtsstadt an der Hand der Mutter im Oktober 1945 verlassen. In Wittmund/Ostfriesland, wo er aufwuchs, fand die Familie eine neue Heimat. Dort hat er nach Abschluss der Schule in der Verwaltung gearbeitet, bevor er das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachholte und in Göttingen und München Jura, Philosophie und Soziologie studierte. 1972 promovierte er über ein strafrechtliches Thema und war kurzfristig als Rechtsanwalt tätig. 1974 wagte er dann endgültig den Schritt in die freie Schriftstellerei und Publizistik; er veröffentlichte seine ersten Bücher und begann für Zeitungen, Zeitschriften, den Hörfunk und gelegentlich auch fürs Fernsehen zu arbeiten.
Seinem ersten, 1978 erschienenen sehr erfolgreichen Roman "Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben", den Martin Walser als einen "exemplarischen Entwicklungsroman" lobte, folgten drei weitere Romane, die sich an ein erwachsenes Leserpublikum wenden. Anfang der achtziger Jahre begann Wolfgang Bittner auch für Kinder und Jugendliche zu schreiben, veranlasst durch seine eigenen drei Kinder. Die Romane "Abhauen" und "Weg vom Fenster", die 1980 und 1982 erschienen, wurden in den Medien als neuartige, engagierte und sprachlich gelungene Jugendliteratur bezeichnet, und zwar herausragend in einer seinerzeit oftmals noch in Tümelei und Kitsch befangenen Szene.
Außerdem entstanden Geschichten für Kinder, aus denen im Laufe der Zeit viele Bilderbücher wurden, zum Beispiel die in zahlreiche Sprachen übersetzten "Grizzly-Gruzzly-Bären". Seit 1986 erschienen dann die im kanadischen Norden spielenden Abenteuerromane, später noch drei Romane für Kinder, darunter "Tommy und Beule", verfilmt von ZDF. Das Spektrum der Veröffentlichungen ist sehr groß: Dreizehn Romane bisher, etwa fünfzehn Bilderbücher, mehrere Gedichtbände, Satiren, Essays, Hörspiele, Features usw. Daneben ging Wolfgang Bittner Vortrags- und Lehrtätigkeiten im In- und Ausland nach; 2004/2005 führte ihn eine Gastprofessur erneut nach Polen.
Eine wirklich erstaunliche Berufskarriere. Wir registrieren ein Externenabitur im Jahr 1966, das erste juristische Staatsexamen nach nur sieben Semestern, die Promotion noch während des dreijährigen Referendariats, das zweite juristische Staatsexamen bereits 1973, anschließend zahlreiche rasch aufeinander folgende Publikationen. Ein Lebensweg also, der eine in letzter Zeit ins Gespräch gekommene These stützt: Dass die Menschen, die in ihrer Kindheit durch die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg ins Abseits geraten und mit der Not der Erwachsenen konfrontiert waren, nicht selten zu außergewöhnlichen Leistungen veranlasst wurden. Wolfgang Bittners Entwicklung ist insofern paradigmatisch.
Natürlich bleiben bei einer Zusammenstellung von Aufsätzen und Vorträgen hier und da Wiederholungen nicht aus, aber alles in allem ist ein hochinteressantes, spannend zu lesendes Zeitzeugnis mit vielen weiterführenden Gedanken, Reflexionen und Vorstellungen entstanden.

Wolfgang Bittner, "Schreiben, Lesen, Reisen", Athena-Verlag, Oberhausen 2006, 116 Seiten, Broschur, 12,90 Euro.
Der Rezensent, Dr. Franz Hartmann, Jahrgang 1946, ist als Literaturwissenschaftler und Publizist in Bremen tätig.
Online-Flyer Nr. 43 vom 09.05.2006
Wolfgang Bittners Essay-Band "Schreiben, Lesen, Reisen"
Bemerkenswertes Zeitzeugnis
Von Franz Hartmann
Und es geht um das Thema "Vertreibung", um die Suche nach Heimat und Identität, ebenso wie um das deutsch-polnische Verhältnis, wobei es dem Autor gelingt, jeglichen Verdacht von Rückschrittlichkeit oder Revisionismus auszuschließen. Eine Gratwanderung, die er mit Bravour meistert.

So spannend wie anregend ist dann ein Vortrag von 2003 mit dem bezeichnenden Titel: "Europäisches Kulturerbe oder Es gibt andere Gemeinsamkeiten als die Nationalität". Der Autor schreibt auch über seine Identitätssuche, über die Aufenthalte in Kanada, die wie Aufbrüche in eine andere Welt anmuten. Die Literatur-Szene wird unter die Lupe genommen und nicht zuletzt das deutsch-polnische Verhältnis. Des Weiteren deckt er seine Motivation auf, Literatur in der Nachfolge von Friedrich Gerstäcker oder Jack London für ein jugendliches Leserpublikum zu verfassen wie in seinen Abenteuerromanen und Erzählungen, die in exotischen Ländern, vor allem in Kanada spielen. Ein mannigfaltiges Repertoire, hintergründig und vielschichtig.
Das alles kommt nicht von ungefähr. Den Vortrag über das europäische Kulturerbe hat Wolfgang Bittner während eines fünfmonatigen Aufenthalts in Krakau gehalten, über die grenzüberschreitende und völkerverbindende Bedeutung von Literatur und Kunst hat er 2003 in Görlitz gesprochen, mit dem deutsch-polnischen Verhältnis beschäftigt er sich seit langem, über die Literaturszene hat er in den letzten Jahren zahlreiche Artikel und das Rowohlt-Sachbuch "Beruf: Schriftsteller" veröffentlicht. Und in den Norden Kanadas zieht es ihn immer wieder.
Wolfgang Bittner geht häufig von eigenen Erfahrungen aus, was ihm aufgrund seines ungewöhnlichen und hin und wieder durchaus abenteuerlichen Lebensweges möglich ist und was Authentizität schafft. Offenbar hat das Lesen bei ihm schon früh die Sehnsucht nach fernen Ländern und nach anderen Lebensbereichen geweckt, die es zu erkunden galt. Nach dem Krieg in einem Barackenlager aufgewachsen, hat er später lange Reisen auch nach Mexiko und in den vorderen Orient unternommen, ganz Europa erkundet, zeitweise in Paris, Amsterdam oder Krakau gelebt. Das ist ein umfangreicher Fundus, aus dem er schöpfen kann. Vielleicht waren die fernen Länder so wie die Phantasie Fluchtpunkte für einen Menschen, der früh Krieg erfahren hat und unter schwierigsten Bedingungen aus seiner Heimat vertrieben wurde.
1941 in Gleiwitz in Oberschlesien geboren, musste Wolfgang Bittner seine Geburtsstadt an der Hand der Mutter im Oktober 1945 verlassen. In Wittmund/Ostfriesland, wo er aufwuchs, fand die Familie eine neue Heimat. Dort hat er nach Abschluss der Schule in der Verwaltung gearbeitet, bevor er das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachholte und in Göttingen und München Jura, Philosophie und Soziologie studierte. 1972 promovierte er über ein strafrechtliches Thema und war kurzfristig als Rechtsanwalt tätig. 1974 wagte er dann endgültig den Schritt in die freie Schriftstellerei und Publizistik; er veröffentlichte seine ersten Bücher und begann für Zeitungen, Zeitschriften, den Hörfunk und gelegentlich auch fürs Fernsehen zu arbeiten.
Seinem ersten, 1978 erschienenen sehr erfolgreichen Roman "Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben", den Martin Walser als einen "exemplarischen Entwicklungsroman" lobte, folgten drei weitere Romane, die sich an ein erwachsenes Leserpublikum wenden. Anfang der achtziger Jahre begann Wolfgang Bittner auch für Kinder und Jugendliche zu schreiben, veranlasst durch seine eigenen drei Kinder. Die Romane "Abhauen" und "Weg vom Fenster", die 1980 und 1982 erschienen, wurden in den Medien als neuartige, engagierte und sprachlich gelungene Jugendliteratur bezeichnet, und zwar herausragend in einer seinerzeit oftmals noch in Tümelei und Kitsch befangenen Szene.
Außerdem entstanden Geschichten für Kinder, aus denen im Laufe der Zeit viele Bilderbücher wurden, zum Beispiel die in zahlreiche Sprachen übersetzten "Grizzly-Gruzzly-Bären". Seit 1986 erschienen dann die im kanadischen Norden spielenden Abenteuerromane, später noch drei Romane für Kinder, darunter "Tommy und Beule", verfilmt von ZDF. Das Spektrum der Veröffentlichungen ist sehr groß: Dreizehn Romane bisher, etwa fünfzehn Bilderbücher, mehrere Gedichtbände, Satiren, Essays, Hörspiele, Features usw. Daneben ging Wolfgang Bittner Vortrags- und Lehrtätigkeiten im In- und Ausland nach; 2004/2005 führte ihn eine Gastprofessur erneut nach Polen.
Eine wirklich erstaunliche Berufskarriere. Wir registrieren ein Externenabitur im Jahr 1966, das erste juristische Staatsexamen nach nur sieben Semestern, die Promotion noch während des dreijährigen Referendariats, das zweite juristische Staatsexamen bereits 1973, anschließend zahlreiche rasch aufeinander folgende Publikationen. Ein Lebensweg also, der eine in letzter Zeit ins Gespräch gekommene These stützt: Dass die Menschen, die in ihrer Kindheit durch die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg ins Abseits geraten und mit der Not der Erwachsenen konfrontiert waren, nicht selten zu außergewöhnlichen Leistungen veranlasst wurden. Wolfgang Bittners Entwicklung ist insofern paradigmatisch.
Natürlich bleiben bei einer Zusammenstellung von Aufsätzen und Vorträgen hier und da Wiederholungen nicht aus, aber alles in allem ist ein hochinteressantes, spannend zu lesendes Zeitzeugnis mit vielen weiterführenden Gedanken, Reflexionen und Vorstellungen entstanden.

Wolfgang Bittner, "Schreiben, Lesen, Reisen", Athena-Verlag, Oberhausen 2006, 116 Seiten, Broschur, 12,90 Euro.
Der Rezensent, Dr. Franz Hartmann, Jahrgang 1946, ist als Literaturwissenschaftler und Publizist in Bremen tätig.
Online-Flyer Nr. 43 vom 09.05.2006