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Inland
Eine Pöbelei unseres Redaktionsrotzlöffels
"Erziehungsbündnis"
Von Hans-Detlev von Kirchbach

"Der Erzieher muß verschwinden. Das Kind soll abseits von Familie, Gesellschaft und Religion aufwachsen." - Diese teuflische Meinung würde unsere Bundesfamilienministerin als Anleitung zum Untergang des Abendlandes wohl durch einen kirchenamtlichen Exorzisten bekämpfen lassen.

Doch  stammt solch extremistische Antipädagogik nicht von einem linksradikalen Lehramtsanwärter mit Berufsverbot, sondern von Jean-Jacques Rousseau - nachzulesen in "Emile oder über die Erziehung" aus dem Jahr 1762. Der seinerseits würde sich die Haare raufen, wenn er sehen könnte, wie Ursula von der Leyen gerade einen gemeinsamen Erziehungskreuzzug von Staat und Kirche ausruft. Denn mit den beiden christlichen Großkonfessionen schmiedete die stets lächelnde Chefgouvernante der Nation gerade ein "Bündnis für Erziehung".

Frau Leyens CDU-Mitgläubige in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wollen mit ihrem neuen Landesschulgesetz das oberste Unterrichtsziel "Ehrfurcht vor Gott" verfügen. (vgl. NRhZ 40) Auf Bundesebene bereitet die mit siebenfacher Mutterschaft gesegnete  Familienministerin eine mindestens ebenso verfassungswidrige religiöse Oktroyierung mit Hilfe von Regierungsmacht vor, die Verfügung nämlich spezifisch religiöser "Erziehungs"-Regeln von Staats wegen. Daß das Grundrecht der Glaubensfreiheit nicht nur die Freiheit zum  Glauben, sondern auch die Freiheit von Glauben beinhaltet, verbietet dem Staat eigentlich die einseitige Bezugnahme auf religiöse Anschauungen. Gleichwohl droht die Gotteskämpferin im Staatsdienst unverhüllt:

"Wir wollen gemeinsam Leitlinien erarbeiten, wie christliche Werte wieder zum Fundament der Erziehung werden können."

Eine klare Ausgrenzung und ein Ausdruck regierungsamtlicher Missachtung gegenüber dem konfessionslosen Drittel der Bevölkerung. Dem spricht die glaubensfeste Ministrantin implizit "Erziehung" und "Anstand" ab, indem sie prinzipiell wünschenswerte Alltagsregeln wie "Respekt vor den anderen, Aufrichtigkeit und Verantwortung für Schwache" mit glatter Ausschließlichkeit für das Christentum reklamiert. Solch monopolistische Beschlagnahme von "Moral" und "Werten" ausgerechnet für die beiden christlichen Großkirchen, die Rechtsnachfolger von Inquisition und Hexenverbrennung, Kreuzzügen und Conquista, verbat sich einst schon Kurt Tucholsky auf das Schärfste. Darin sollten wir ihm folgen.

Denn erschwerend kommt hinzu, daß dieses Mal nicht etwa irgendein Bischof derlei kirchliche Dominanzanmaßung von der Kanzel herunter donnert, sondern der zu religiöser Neutralität verpflichtete Staat in Gestalt einer Bundesministerin die Sache des Glaubens zu seiner eigenen macht. Was in ganz eigensüchtigem Sinne gemeint sein mag. Denn gerade die Regierung, der die fromme Volkserzieherin angehört, richtet durch die Entfesselung eines ungezügelten Kapitalismus eben jene sozialen Verheerungen mit an, auf die perspektivlose Jugendliche von Zeit zu Zeit analog mit Vandalismus reagieren. 

Soziale Verwüstungen durch Moralpredigten an den lümmelhaften Pöbel gesundzubeten, ist eine traditionsreiche, aber doch eine eher hilflose Strategie: Flucht in idealistisches Tugendtheater als Mittel des ideologischen Klassenkampfes.

Wie paßt eigentlich das pädagogische Vorbild, das unsere "Eliten" abliefern - von Bonusmeilen und märchenhaften Vorstandsgehältern über Parteischwarzgelder bis hin zur BND- und Folterflugaffäre - in Ursula von der Leyens christliches Tugendbrevier?  Und wie die gespielt treuherzige Fibel- und Kopfnotenmystik in eine Alltagswelt, die doch gerade nicht zu "christlichem Respekt", sondern zu rücksichtslosem Ellenbogeneinsatz "erzieht" - als Voraussetzung dafür, den einzig wirklich gültigen "Werten" gerecht zu werden: Geld und Erfolg?



Online-Flyer Nr. 41  vom 25.04.2006



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