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Lokales
Überdimensionale Insekten im Geschwindigkeitsrausch
Schnelle Radler
Von Wolfgang Bittner
Hatten wir uns bis vor kurzem noch gefreut, dass viele Mitbürger vom Auto auf das Fahrrad umgestiegen waren, steht bei den permanenten Benzinpreiserhöhungen zu befürchten, dass wir bald mit Verhältnissen auf deutschen Bürgersteigen rechnen müssen, die an das Hauptfeld bei der Tour de France erinnern.
Neulich fuhr ich mit meinem Fahrrad - das übrigens lediglich über eine Dreigangschaltung verfügt, mit der ich ausgezeichnet klarkomme - stadtauswärts. Die mehrspurige Ausfallstraße hatte auf beiden Seiten Radwege, und ich fuhr - gar nicht mal so langsam - auf der rechten Seite. Wie es inzwischen üblich zu sein scheint, kamen mir auf meiner Seite immer wieder Radfahrer entgegen, und bei so einer Gelegenheit versuchte sich ein junger Mann, der mich mit wahnwitziger Geschwindigkeit eingeholt hatte, noch an mir vorbeizudrängen. Ein Zusammenstoß ließ sich nur durch kräftiges Bremsen verhindern; wir kamen alle drei ins Schleudern.
Als mich dann der junge Mann auf seinem Tausendeuro-Sportrad überholte, schrie er mir zu, und das habe ich noch heute im Ohr: "Scheiß Friedhofsgemüse! Kannst du nicht deinen Arsch beiseite bewegen!" Ich war derart entgeistert, dass ich nichts zu entgegnen vermochte, zumal dazu auch nur wenige Sekunden Gelegenheit gewesen wäre. Mein Freund Walter, bei dem ich mich beklagte, meinte dazu: das sei doch heutzutage der übliche Umgangston (er ist Lehrer und kennt das offensichtlich aus der Schule).
Einige Tage später wurde ich dann auf dem Gehweg vor dem Haus, in dem wir wohnen, angefahren und erlitt eine Prellung am Ellbogen. Der Radfahrer, dem nichts passiert war, drehte sich nicht einmal um. Wäre es mit rechten Dingen und entsprechend der Verkehrsordnung zugegangen, hätte er die ziemlich breite Straße benutzen müssen; aber er ist keine Ausnahme: Unser Bürgersteig wird ständig von Radfahrern benutzt. Sie tragen nicht selten Sturzhelme und eng anliegende Kunststoff-Freizeitkleidung, was ihnen das Aussehen eines Aliens oder überdimensionalen Insekts verleiht. Sie befinden sich fast ausnahmslos in einem Geschwindigkeitsrausch, und das hat zur Folge, dass sie ohne Rücksicht auf ihr eigenes, geschweige denn anderer Leute Leben selbst an Menschentrauben oder Geschäftseingängen vorbeischießen.
Ich muss gestehen, dass ich immer mehr Angst vor diesen unheimlichen Mitbürgern empfinde und dass diese Angstzustände sich in letzter Zeit manchmal bis zur Psychose steigern. Allerdings kann ich auch eine gewisse Bewunderung für die Erscheinungsweise dieser Verkehrsteilnehmer nicht ganz verhehlen. Ich habe schon überlegt, ob ich mir nicht auch so ein attraktives knatterbuntes Aliens-Insekten-Outfit zulege. Vielleicht würde das meine Angst kompensieren. Jedenfalls meint das mein Psychiater. Er ist selber passionierter Hobby-Radrennfahrer.
Wolfgang Bittner, 1941 in Gleiwitz/Oberschlesien geboren, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er studierte Jura, Philosophie und Soziologie und promovierte 1972 zum Dr. jur. Bittner erhielt mehrere Literaturpreise, ist Mitglied im PEN und hat etwa 50 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder veröffentlicht, u.a. die Romane "Niemandsland", "Narrengold" und "Weg vom Fenster" sowie das Rowohlt-Sachbuch "Beruf: Schriftsteller". Zuletzt erschienen (zweisprachig: deutsch-polnisch) die Bücher "Gleiwitz heißt heute Gliwice" und "Überschreiten die Grenze".
Weitere Informationen unter www.wolfgangbittner.de.
Online-Flyer Nr. 40 vom 18.04.2006
Überdimensionale Insekten im Geschwindigkeitsrausch
Schnelle Radler
Von Wolfgang Bittner
Hatten wir uns bis vor kurzem noch gefreut, dass viele Mitbürger vom Auto auf das Fahrrad umgestiegen waren, steht bei den permanenten Benzinpreiserhöhungen zu befürchten, dass wir bald mit Verhältnissen auf deutschen Bürgersteigen rechnen müssen, die an das Hauptfeld bei der Tour de France erinnern.
Neulich fuhr ich mit meinem Fahrrad - das übrigens lediglich über eine Dreigangschaltung verfügt, mit der ich ausgezeichnet klarkomme - stadtauswärts. Die mehrspurige Ausfallstraße hatte auf beiden Seiten Radwege, und ich fuhr - gar nicht mal so langsam - auf der rechten Seite. Wie es inzwischen üblich zu sein scheint, kamen mir auf meiner Seite immer wieder Radfahrer entgegen, und bei so einer Gelegenheit versuchte sich ein junger Mann, der mich mit wahnwitziger Geschwindigkeit eingeholt hatte, noch an mir vorbeizudrängen. Ein Zusammenstoß ließ sich nur durch kräftiges Bremsen verhindern; wir kamen alle drei ins Schleudern.
Als mich dann der junge Mann auf seinem Tausendeuro-Sportrad überholte, schrie er mir zu, und das habe ich noch heute im Ohr: "Scheiß Friedhofsgemüse! Kannst du nicht deinen Arsch beiseite bewegen!" Ich war derart entgeistert, dass ich nichts zu entgegnen vermochte, zumal dazu auch nur wenige Sekunden Gelegenheit gewesen wäre. Mein Freund Walter, bei dem ich mich beklagte, meinte dazu: das sei doch heutzutage der übliche Umgangston (er ist Lehrer und kennt das offensichtlich aus der Schule).
Einige Tage später wurde ich dann auf dem Gehweg vor dem Haus, in dem wir wohnen, angefahren und erlitt eine Prellung am Ellbogen. Der Radfahrer, dem nichts passiert war, drehte sich nicht einmal um. Wäre es mit rechten Dingen und entsprechend der Verkehrsordnung zugegangen, hätte er die ziemlich breite Straße benutzen müssen; aber er ist keine Ausnahme: Unser Bürgersteig wird ständig von Radfahrern benutzt. Sie tragen nicht selten Sturzhelme und eng anliegende Kunststoff-Freizeitkleidung, was ihnen das Aussehen eines Aliens oder überdimensionalen Insekts verleiht. Sie befinden sich fast ausnahmslos in einem Geschwindigkeitsrausch, und das hat zur Folge, dass sie ohne Rücksicht auf ihr eigenes, geschweige denn anderer Leute Leben selbst an Menschentrauben oder Geschäftseingängen vorbeischießen.
Ich muss gestehen, dass ich immer mehr Angst vor diesen unheimlichen Mitbürgern empfinde und dass diese Angstzustände sich in letzter Zeit manchmal bis zur Psychose steigern. Allerdings kann ich auch eine gewisse Bewunderung für die Erscheinungsweise dieser Verkehrsteilnehmer nicht ganz verhehlen. Ich habe schon überlegt, ob ich mir nicht auch so ein attraktives knatterbuntes Aliens-Insekten-Outfit zulege. Vielleicht würde das meine Angst kompensieren. Jedenfalls meint das mein Psychiater. Er ist selber passionierter Hobby-Radrennfahrer.

Weitere Informationen unter www.wolfgangbittner.de.
Online-Flyer Nr. 40 vom 18.04.2006