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Inland
Freidenker, DGB und GEW kritisieren NRW-Schulgesetz-Entwurf
"Verstoß gegen das Grundgesetz"
Von Peter Kleinert

"Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung." - Dieser Kernsatz im Entwurf zum neuen Schulgesetz der NRW-Landesregierung verstößt nach Auffassung des Deutschen Freidenker-Verbandes (DFV) gegen das Grundgesetz und fördert "fundamental-terroristische Kreise". Nach Auffassung von DGB und GEW verstößt der Entwurf zudem gegen das Sozialstaatsgebot.

Im Grundgesetz-Artikel 4, so der DFV in einem Offenen Brief an die Landesregierung und den CDU-Landtagsabgeordneten und ver.di-Gewerkschafter Hubert Kleff,  würden "die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Weltanschauungsfreiheit verfassungsmäßig garantiert". Diese Garantie verpflichte den Staat zu weltanschaulicher Neutralität. Genau diesem Prinzip widerspreche aber die Formulierung im Gesetzentwurf. Denn diese unterstelle, "dass nur Christen von ihrer Weltanschauung her wirklich in der Lage sind, die negativen Auswirkungen dieser Wirtschaftsordnung durch "ihr christliches Handeln" zu überwinden oder zu humanisieren".

Der Staat aber dürfe sich "nicht in die religiös-weltanschaulichen Belange seiner Bürger und Einwohner einmischen". Zwar sei auch im bisher gültigen Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen die Formulierung "Ehrfurcht vor Gott" enthalten, doch sei diese angesichts der in den vergangenen Jahren erfolgten Verschiebungen im weltanschaulichen Bereich "nicht mehr zeitgemäß".

Der DFV verweist dazu auf folgende Erhebung:

Weltanschauungen in Deutschland
Weltanschauungen in Deutschland
(Quelle: Forschungsgruppe Weltanschauungen - FOWID)


Sie belegt, dass es eine wachsende Zahl - zurzeit 32,7% - konfessionsfreier und nicht mehr an die christlichen Großkirchen gebundene und 3,9% Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland gibt.

"Sogar die ehemals kirchenkritische FDP"

Vor diesem Hintergrund finden es die Freidenker "merkwürdig, dass sogar die ehemals kirchenkritische FDP diese Formulierung nicht beanstandet". Hier blieben die Liberalen im Sinne ihrer geschichtlichen Bedeutung in der Entwicklung der parlamentarischen Demokratie eine Erklärung schuldig. Hinzu komme durch das Gesetz "auch die Gefahr einer weiteren Eskalation unter abendländisch-christlichen Vorzeichen" zwischen den Religionen und damit die einer "unbeabsichtigten Förderung fundamental-terroristischer Kreise".

Landtagsabgeordnete und Landesregierung werden in dem Offenen Brief deshalb aufgefordert, die umstrittene Formulierung zu streichen um damit "dem grundgesetzlichen Auftrag der staatlichen Neutralität in religiösen- und weltanschaulichen Fragen gerecht zu werden".

Jürgen Rüttgers - anstatt Sozialstaat Stärkung der Auslese
Jürgen Rüttgers - anstatt Sozialstaat Stärkung der Auslese
Foto: www.landtag.nrw.de



DGB und GEW: Verstoß gegen Sozialstaatsgebot

Auch DGB und GEW sind nicht der Meinung, dass Nordrhein-Westfalen durch den Gesetzentwurf - wie CDU und FDP behaupten - das "modernste Bildungssystem Deutschlands" erhalten wird. "Vielmehr orientieren sich CDU und FDP nostalgisch an bildungspolitischen Vorstellungen der Vergangenheit und ignorieren neue erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse weitgehend." Bessere PISA-Ergebnisse seien so nicht zu erwarten, "weil die Lernleistung von Kindern und Jugendlichen nicht erhöht wird, wenn nur der Druck steigt und damit die Auslese verschärft" werde.

Leitprinzip des Gesetzentwurfs der Regierung von Ministerpräsident und Ehrendoktor Jürgen Rüttgers, der einmal am Kölner Apostelgymnasium ("dasselbe wie Konrad Adenauer", wie er auf seiner website betont) Abitur machte, sei "de facto die Stärkung der Auslese": Die geplante Auflösung der Schulbezirke, die vorgesehene verbindliche Grundschulempfehlung mit Prognoseunterricht und die Isolierung des Gymnasiums durch das neue Modell der Schulzeitverkürzung sowie die Rückführung der gymnasialen Oberstufe in das System der 60er Jahre erhöhten "die selektive Funktion des Schulsystems". Ergebnis dieses Prozesses würden weniger Schülerinnen und Schüler mit qualifizierten Schulabschlüssen, mehr Abbrecher und Schulversager sein.

MdL Hubert Kleff - bis Redaktionsschluß keine Antwort
MdL Hubert Kleff - bis Redaktionsschluß keine Antwort
Foto: www.landtag.nrw.de


Kennzeichnend für den Entwurf sei eine "unreflektierte Wettbewerbsideologie". Schulen sollen danach im Wettbewerb "gestählt" bessere Ergebnisse "produzieren". Ergebnis werde aber ein Wettbewerb unter Schulen um bessere Schüler mit besseren Lernausgangsvoraussetzungen sein. Schulen in Stadtteilen mit besonderem
Erneuerungsbedarf würden durch die Veröffentlichung von Leistungsdaten und Rankings Verlierer des Reformprozesses. Dies widerspreche eindeutig dem Sozialstaatsgebot und der notwendigen Qualitätsentfaltung aller Schulen für alle Schülerinnen und Schüler.

Bis Redaktionsschluß lagen zum Offenen Brief des Freidenker-Verbandes noch keine Antworten vor.

Kontakt: www.freidenker.de und  nordrhein-westfalen@freidenker.org


Online-Flyer Nr. 40  vom 18.04.2006



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