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Eine Arbeiterpartei in Israel: Von der Idee zur Notwendigkeit
Juden und Araber kandidierten gemeinsam
Von Yacov Ben Efrat
Die Vorstellung von einer Partei der Arbeiter nahm erstmals am 11. Februar 2006 Gestalt an, als sich dreißig Arbeiter und Jugendliche zur Eröffnung der Wahlkampagne von ODA, der "Organisation for Democratic Action", im Almaden-Theater in Haifa versammelten. Das Ereignis war der Höhepunkt langer intensiver Tätigkeit auf zwei Ebenen: Zum Einen war da die alltägliche Arbeit, mit der Mitglieder des Workers Advice Centers (WAC), die ODA gegründet haben, versuchen, eine Gewerkschaft aufzubauen, die Arbeitsplätze findet und schützt, die den Bestimmungen organisierter Arbeit entsprechen. Zum Anderen ist da die allgemeine Ebene, auf der wir in ODA versuchten, eine Partei aufzubauen, die eine Antwort auf die Forderung der Arbeiter nach einer politischen Vertretung gibt.

KandidatInnen der Arbeiterpartei
Foto: Sharon Horodi, hanitzoz
Die Versammlung, die am 11. Februar zusammenkam, war im WAC organisiert. Es kamen vor allem Leute, die gelernt hatten, den Vorteil gewerkschaftlichen Schutzes zu erkennen und die davon überzeugt waren, dass sie eine eigene Partei brauchten. Letztere Idee, die zum ersten Mal 2003 in der Wahlkampagne von ODA aufgetaucht war, ist heute, unter dem Diktat der politischen und wirtschaftlichen Realität, in der wir leben, zu einer historischen Notwendigkeit geworden.
Welcher Art ist diese Realität? Zu Beginn der 1990er durchliefen Israels Gesellschaft und Wirtschaft als Ergebnis der neoliberalen Privatisierung strukturelle Veränderungen. Die Regierung ließ die Sozialwirtschaft fallen, die feste Jobs und ein Netz sozialer Sicherheit garantiert hatte. Diese Veränderung hatte eine katastrophale Wirkung auf die arabische Bevölkerung, die hauptsächlich auf dem Bau, in der Landwirtschaft und bei der Textilherstellung beschäftigt gewesen war.
In den letzten fünfzehn Jahren haben wir aber auch innerhalb der arabischen Gesellschaft selbst eine Polarisierung der Klassen erlebt. Es hat sich eine gutbetuchte Mittelklasse herausgebildet, bestehend aus Freiberuflern, Kleinunternehmern, Eigentümern von Personalagenturen und Pädagogen, denen es gelungen ist, vom Wachstum an der Spitze zu profitieren. Im Gegensatz dazu wurde die Klasse der arabischen Arbeiter - die ihren Schutz durch die Gewerkschaft verloren hat - in Erwerbslosigkeit, Ausbeutung und Armut gedrängt.
Die Stärke der arabischen politischen Parteien innerhalb Israels beruht hauptsächlich auf der Mittelschicht. Ihre grundsätzliche Botschaft richtet sich auf den panarabischen Nationalismus und den Kampf gegen Diskriminierung. Von den Fragen, die jene betreffen, die unter den strukturellen Veränderungen der israelischen Wirtschaft am meisten gelitten haben, sind sie weit entfernt.
Darauf beruht die Kluft zwischen den arabischen Parteien und der breiten arabischen, größtenteils aus Arbeitern bestehenden Öffentlichkeit. Die meisten von ihnen begreifen nationalistische Slogans als Lippenbekenntnis, das Leute verbreiten, die sich um das allgemeine Elend nicht kümmern. Da die arabischen Parteien sich mit leeren Parolen begnügen, schwindet ihre parlamentarische Präsenz in der Knesset.
Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Arbeiter von nationalen Slogans über ein Ende der Besatzung und die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates unberührt bleiben. Die allgemeine politische Lage hat es fast unmöglich gemacht, dieses Programm durchzusetzen. Amerikas Hegemonie in der Region und die einseitige Unterstützung, die es Israel erteilt, haben Frieden unerreichbar gemacht. Die arbeitende Öffentlichkeit hält sich daher an die unmittelbar existentiellen Fragen von Brot und Arbeit.
Dieses Phänomen ist nicht nur den "1948-Arabern", wie sie in Israel genannt werden, eigen. Die zahlreichen Stimmen für Hamas bei den jüngsten palästinensischen Wahlen verweisen auf einen ähnlichen Trend in den Besetzten Gebieten. Wie die arabischen Parteien in Israel hat sich auch die Regierungspartei in den Besetzten Gebieten, die Fatah, mit nationalen Slogans geschmückt, um die beschränkten Interessen einer herrschenden Clique zu bemänteln. Die palästinensische Arbeiterklasse hat nicht für das extremistische Programm der Hamas gestimmt, sondern für eine sofortige Verbesserung ihrer eigenen verzweifelten Lebensbedingungen. Die Gleichgültigkeit gegenüber der nationalen Strömung bedeutet nicht eine Akzeptanz der israelischen Besatzung. Sie reflektiert ein instinktives Gespür dafür, dass Frieden in Anbetracht des gegenwärtigen Kräftegleichgewichts ohnehin unerreichbar ist.
Wo steht der jüdische Arbeiter?
Das Angebot für eine Arbeiterpartei richtete sich nicht nur an die Araber innerhalb Israels. Auch die meisten der jüdischen Arbeiter - ob sie für einen Unternehmer oder eine Personalagentur arbeiten - sind nicht in der Histadrut, dem israelischen Gewerkschaftsdachverband, organisiert. Wie ihre arabischen Kollegen sind sie dem gesamten Parteienspektrum, von Likud bis Meretz, entfremdet. Logischerweise sollten sie sich daher einer Arbeiterpartei anschließen. Bis jetzt wurde jedoch kein ernsthafter Versuch in dieser Richtung unternommen.

ODA-Spitzenkandidatin Asma Agbarieh
Foto: Sharon Horodi, hanitzoz
Selbstverständlich ist die sozioökonomische Kluft keine israelische Erfindung. Im Westen und insbesondere in den USA schafft ungezügelter Kapitalismus unvorstellbare Abgründe. Trotz des in Amerika weit verbreiteten Phänomens des armen Arbeiters ohne gewerkschaftliche Vertretung gibt es dort keinen Versuch, eine Arbeiterpartei zu schaffen, unabhängig von Demokraten und Republikanern, die beide das Kapital vertreten.
Der jüdische Arbeiter in Israel betrachtet dieses als sein Land. Die bestehenden Parteien und Medien bieten ihm die Möglichkeit, seinen Forderungen Gehör zu verschaffen. Er kann sogar darauf hoffen, Einfluss zu nehmen, wie der Kuchen verteilt wird. Ein großer Teil der jüdischen Armen sind ultraorthodoxe Immigranten aus der Sowjetunion oder Nachkommen von Juden aus arabischen Ländern. Sie betrachten das bestehende Establishment weiterhin als - wenn auch schwachen - Rahmen, um ihren Wünschen Ausdruck zu verleihen.
Bei den Arabern in Israel ergibt sich das umgekehrte Bild: Es ist nicht ihr Staat, sie haben keine Parteien in der Nähe der Macht, und den arabischen Medien fehlt es an Einfluss. Das bestehende politische Vakuum in der arabischen Gesellschaft verwandelt die Idee einer Arbeiterpartei in eine realistische Möglichkeit.
Es ist kein Zufall, dass die arabische Öffentlichkeit in den letzten dreißig Jahren an der Spitze der Friedensbewegung und der Linken stand. Auf Grund der Stärke ihrer arabischen Mitglieder war Hadash das Zentrum, um das sich das Friedenslager scharte. Die Stärke von Hadash bei Wahlen und die der israelischen Friedensbewegung im Allgemeinen hängt von der arabischen Bevölkerung ab. Auch die Arbeitspartei ist, um die parlamentarische Mehrheit zu erhalten, von arabischer Unterstützung abhängig. Tatsächlich haben jedoch die Ereignisse im Oktober 2000 (als israelische Polizisten unter der Regierung der Arbeitspartei demonstrierende arabische Staatsbürger erschossen) einen Riss zwischen der Arbeitspartei und der arabischen Öffentlichkeit geschaffen. Seitdem ist die Zahl der Mandate der Arbeitspartei unter zwanzig gesackt und sie ist weit davon entfernt, realistisch auf eine Rückkehr an die Macht hoffen zu können.
Auch wenn der jüdischen Arbeiter vielleicht glaubt, dass eine Arbeiterpartei nicht zu ihm passt, wird deren Relevanz im israelischen Diskurs durchaus anerkannt. Das Problem der Armut betrifft nicht einen Sektor oder eine Nation. Sie überwindet Kontinente und Grenzen. Sie erkennt keine Trennung zwischen Juden und Arabern an. Die Unternehmer, Arbeitsämter und der Wisconsin Plan unterscheiden nicht zwischen Juden und Arabern: Alle fallen demselben System zum Opfer.
Da'am (ODA) hat für die Wahlen zur Knesset eine große Zahl von Arbeitern aufgestellt, Männer, Frauen und Jugendliche. Das Parteiprogramm fordert faire Beschäftigungsbedingungen. Es widerspricht der Privatisierung. Es widersetzt sich dem Import von Arbeitssklaven in Gestalt unorganisierter Arbeitsmigranten. Es widersetzt sich Einschnitten im Sozialhaushalt. Es fordert die Besteuerung der Reichen. Das ist kein panarabischer Nationalismus, sondern vielmehr ein Programm, das jeden Arbeiter ungeachtet seiner Rasse, Religion, Nationalität oder seines Geschlechts ansprechen kann und sollte.

Autor Yacov ben Efrat
Foto: Sharon Horodi, hanitzoz
Die Herren des Kapitals haben sich zusammengetan und den jüdischen Staat für ihre privaten Zwecke ausgebeutet. Sie haben die nationalistischen zionistischen Ziele durch kosmopolitische ökonomische Werte ersetzt. Sie haben nicht gezögert, im Ausland zu investieren, um die Profite zu erhöhen.
Bedauerlicherweise ist es jedoch eine Tatsache, dass unter den Arbeitern nicht dieselbe Einigkeit besteht. Allen, Arabern und Juden, ist die Armut gemeinsam. Alle werden ausgebeutet. Allen fehlt gewerkschaftlicher Schutz. Warum tun sie sich nicht zusammen? Anscheinend schwirrt der "nationale" Moskito weiter in ihren Köpfen herum, selbst nachdem er sie ausgesaugt hat. Nach wie vor besteht ein offenkundiger Unterschied zwischen denen, die glauben, durch eine starke Armee und einen vorteilhaften legalen Status vom Staat geschützt zu werden, und den anderen, die das Gefühl haben, in allen Punkten übergangen zu werden.
Der arabische Arbeiter identifiziert sich mit den Unterdrückten der Welt und spürt ihr Leiden. Er verschmäht die USA und deren imperialistische Politik. Er lehnt Zionismus ab und betrachtet die Besatzung als Ursache des fortgesetzten Konflikts. Nicht so der jüdische Arbeiter. Er zieht es vor, die Starken zu unterstützen, auch wenn deren Ziel seinen Interessen widerspricht. Deshalb gelingt es der Schicht der erwerbslosen jüdischen Arbeiter nicht, das herrschende kapitalistische Establishment herauszufordern.
Aus diesem Grund sollte jeder Linke den einzigartigen Versuch arabischer Arbeiter, ihre Partei aufzubauen - und das nicht auf Grundlage nationalistischer Bindungen sondern auf Grundlage der sozialen Klasse - als Durchbruch in Richtung Wiederaufbau der Friedensbewegung betrachten. Eine Arbeiterpartei ist ihrem Wesen nach internationalistisch. Sie verbindet sich nicht mit einem nationalistischen Lager, sondern streckt ihre Hand jedem Aktivisten, jedem Menschen entgegen, der gegen die Besatzung kämpft. Jeder Arbeiter, der Klasseninteressen über nationalistische Interessen stellt, ist ein Verbündeter im Kampf für soziale Veränderung.
Der jüdische Arbeiter hat einen langen Weg vor sich bis zu einem internationalistischen Bewusstsein, das ihn befähigt, im Araber einen Verbündeten zu sehen. Der Staat Israel kehrt sich heute von den Rechten des palästinensischen Volkes ab und ebenso von den Rechten seiner eigenen von Armut geschlagenen Bürger. Dergestalt bewegt sich Israel weiter auf den Zusammenbruch zu. Unsere Hand ist jedem entgegengestreckt, der eine andere Zukunft schaffen möchte, die auf dem Ende der Besatzung und dem Ende der Herrschaft des Kapitals beruht.
Yacov Ben Efrat ist Redakteur der israelischen Zeitschrift "Challenge" und seit langem in der nicht-zionistischen israelischen Linken aktiv. Mehr unter: www.hanitzotz.com/challenge
Übersetzung: Endy Hagen
Online-Flyer Nr. 37 vom 28.03.2006
Eine Arbeiterpartei in Israel: Von der Idee zur Notwendigkeit
Juden und Araber kandidierten gemeinsam
Von Yacov Ben Efrat
Die Vorstellung von einer Partei der Arbeiter nahm erstmals am 11. Februar 2006 Gestalt an, als sich dreißig Arbeiter und Jugendliche zur Eröffnung der Wahlkampagne von ODA, der "Organisation for Democratic Action", im Almaden-Theater in Haifa versammelten. Das Ereignis war der Höhepunkt langer intensiver Tätigkeit auf zwei Ebenen: Zum Einen war da die alltägliche Arbeit, mit der Mitglieder des Workers Advice Centers (WAC), die ODA gegründet haben, versuchen, eine Gewerkschaft aufzubauen, die Arbeitsplätze findet und schützt, die den Bestimmungen organisierter Arbeit entsprechen. Zum Anderen ist da die allgemeine Ebene, auf der wir in ODA versuchten, eine Partei aufzubauen, die eine Antwort auf die Forderung der Arbeiter nach einer politischen Vertretung gibt.

KandidatInnen der Arbeiterpartei
Foto: Sharon Horodi, hanitzoz
Die Versammlung, die am 11. Februar zusammenkam, war im WAC organisiert. Es kamen vor allem Leute, die gelernt hatten, den Vorteil gewerkschaftlichen Schutzes zu erkennen und die davon überzeugt waren, dass sie eine eigene Partei brauchten. Letztere Idee, die zum ersten Mal 2003 in der Wahlkampagne von ODA aufgetaucht war, ist heute, unter dem Diktat der politischen und wirtschaftlichen Realität, in der wir leben, zu einer historischen Notwendigkeit geworden.
Welcher Art ist diese Realität? Zu Beginn der 1990er durchliefen Israels Gesellschaft und Wirtschaft als Ergebnis der neoliberalen Privatisierung strukturelle Veränderungen. Die Regierung ließ die Sozialwirtschaft fallen, die feste Jobs und ein Netz sozialer Sicherheit garantiert hatte. Diese Veränderung hatte eine katastrophale Wirkung auf die arabische Bevölkerung, die hauptsächlich auf dem Bau, in der Landwirtschaft und bei der Textilherstellung beschäftigt gewesen war.
In den letzten fünfzehn Jahren haben wir aber auch innerhalb der arabischen Gesellschaft selbst eine Polarisierung der Klassen erlebt. Es hat sich eine gutbetuchte Mittelklasse herausgebildet, bestehend aus Freiberuflern, Kleinunternehmern, Eigentümern von Personalagenturen und Pädagogen, denen es gelungen ist, vom Wachstum an der Spitze zu profitieren. Im Gegensatz dazu wurde die Klasse der arabischen Arbeiter - die ihren Schutz durch die Gewerkschaft verloren hat - in Erwerbslosigkeit, Ausbeutung und Armut gedrängt.
Die Stärke der arabischen politischen Parteien innerhalb Israels beruht hauptsächlich auf der Mittelschicht. Ihre grundsätzliche Botschaft richtet sich auf den panarabischen Nationalismus und den Kampf gegen Diskriminierung. Von den Fragen, die jene betreffen, die unter den strukturellen Veränderungen der israelischen Wirtschaft am meisten gelitten haben, sind sie weit entfernt.
Darauf beruht die Kluft zwischen den arabischen Parteien und der breiten arabischen, größtenteils aus Arbeitern bestehenden Öffentlichkeit. Die meisten von ihnen begreifen nationalistische Slogans als Lippenbekenntnis, das Leute verbreiten, die sich um das allgemeine Elend nicht kümmern. Da die arabischen Parteien sich mit leeren Parolen begnügen, schwindet ihre parlamentarische Präsenz in der Knesset.
Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Arbeiter von nationalen Slogans über ein Ende der Besatzung und die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates unberührt bleiben. Die allgemeine politische Lage hat es fast unmöglich gemacht, dieses Programm durchzusetzen. Amerikas Hegemonie in der Region und die einseitige Unterstützung, die es Israel erteilt, haben Frieden unerreichbar gemacht. Die arbeitende Öffentlichkeit hält sich daher an die unmittelbar existentiellen Fragen von Brot und Arbeit.
Dieses Phänomen ist nicht nur den "1948-Arabern", wie sie in Israel genannt werden, eigen. Die zahlreichen Stimmen für Hamas bei den jüngsten palästinensischen Wahlen verweisen auf einen ähnlichen Trend in den Besetzten Gebieten. Wie die arabischen Parteien in Israel hat sich auch die Regierungspartei in den Besetzten Gebieten, die Fatah, mit nationalen Slogans geschmückt, um die beschränkten Interessen einer herrschenden Clique zu bemänteln. Die palästinensische Arbeiterklasse hat nicht für das extremistische Programm der Hamas gestimmt, sondern für eine sofortige Verbesserung ihrer eigenen verzweifelten Lebensbedingungen. Die Gleichgültigkeit gegenüber der nationalen Strömung bedeutet nicht eine Akzeptanz der israelischen Besatzung. Sie reflektiert ein instinktives Gespür dafür, dass Frieden in Anbetracht des gegenwärtigen Kräftegleichgewichts ohnehin unerreichbar ist.
Wo steht der jüdische Arbeiter?
Das Angebot für eine Arbeiterpartei richtete sich nicht nur an die Araber innerhalb Israels. Auch die meisten der jüdischen Arbeiter - ob sie für einen Unternehmer oder eine Personalagentur arbeiten - sind nicht in der Histadrut, dem israelischen Gewerkschaftsdachverband, organisiert. Wie ihre arabischen Kollegen sind sie dem gesamten Parteienspektrum, von Likud bis Meretz, entfremdet. Logischerweise sollten sie sich daher einer Arbeiterpartei anschließen. Bis jetzt wurde jedoch kein ernsthafter Versuch in dieser Richtung unternommen.

ODA-Spitzenkandidatin Asma Agbarieh
Foto: Sharon Horodi, hanitzoz
Selbstverständlich ist die sozioökonomische Kluft keine israelische Erfindung. Im Westen und insbesondere in den USA schafft ungezügelter Kapitalismus unvorstellbare Abgründe. Trotz des in Amerika weit verbreiteten Phänomens des armen Arbeiters ohne gewerkschaftliche Vertretung gibt es dort keinen Versuch, eine Arbeiterpartei zu schaffen, unabhängig von Demokraten und Republikanern, die beide das Kapital vertreten.
Der jüdische Arbeiter in Israel betrachtet dieses als sein Land. Die bestehenden Parteien und Medien bieten ihm die Möglichkeit, seinen Forderungen Gehör zu verschaffen. Er kann sogar darauf hoffen, Einfluss zu nehmen, wie der Kuchen verteilt wird. Ein großer Teil der jüdischen Armen sind ultraorthodoxe Immigranten aus der Sowjetunion oder Nachkommen von Juden aus arabischen Ländern. Sie betrachten das bestehende Establishment weiterhin als - wenn auch schwachen - Rahmen, um ihren Wünschen Ausdruck zu verleihen.
Bei den Arabern in Israel ergibt sich das umgekehrte Bild: Es ist nicht ihr Staat, sie haben keine Parteien in der Nähe der Macht, und den arabischen Medien fehlt es an Einfluss. Das bestehende politische Vakuum in der arabischen Gesellschaft verwandelt die Idee einer Arbeiterpartei in eine realistische Möglichkeit.
Es ist kein Zufall, dass die arabische Öffentlichkeit in den letzten dreißig Jahren an der Spitze der Friedensbewegung und der Linken stand. Auf Grund der Stärke ihrer arabischen Mitglieder war Hadash das Zentrum, um das sich das Friedenslager scharte. Die Stärke von Hadash bei Wahlen und die der israelischen Friedensbewegung im Allgemeinen hängt von der arabischen Bevölkerung ab. Auch die Arbeitspartei ist, um die parlamentarische Mehrheit zu erhalten, von arabischer Unterstützung abhängig. Tatsächlich haben jedoch die Ereignisse im Oktober 2000 (als israelische Polizisten unter der Regierung der Arbeitspartei demonstrierende arabische Staatsbürger erschossen) einen Riss zwischen der Arbeitspartei und der arabischen Öffentlichkeit geschaffen. Seitdem ist die Zahl der Mandate der Arbeitspartei unter zwanzig gesackt und sie ist weit davon entfernt, realistisch auf eine Rückkehr an die Macht hoffen zu können.
Auch wenn der jüdischen Arbeiter vielleicht glaubt, dass eine Arbeiterpartei nicht zu ihm passt, wird deren Relevanz im israelischen Diskurs durchaus anerkannt. Das Problem der Armut betrifft nicht einen Sektor oder eine Nation. Sie überwindet Kontinente und Grenzen. Sie erkennt keine Trennung zwischen Juden und Arabern an. Die Unternehmer, Arbeitsämter und der Wisconsin Plan unterscheiden nicht zwischen Juden und Arabern: Alle fallen demselben System zum Opfer.
Da'am (ODA) hat für die Wahlen zur Knesset eine große Zahl von Arbeitern aufgestellt, Männer, Frauen und Jugendliche. Das Parteiprogramm fordert faire Beschäftigungsbedingungen. Es widerspricht der Privatisierung. Es widersetzt sich dem Import von Arbeitssklaven in Gestalt unorganisierter Arbeitsmigranten. Es widersetzt sich Einschnitten im Sozialhaushalt. Es fordert die Besteuerung der Reichen. Das ist kein panarabischer Nationalismus, sondern vielmehr ein Programm, das jeden Arbeiter ungeachtet seiner Rasse, Religion, Nationalität oder seines Geschlechts ansprechen kann und sollte.

Autor Yacov ben Efrat
Foto: Sharon Horodi, hanitzoz
Die Herren des Kapitals haben sich zusammengetan und den jüdischen Staat für ihre privaten Zwecke ausgebeutet. Sie haben die nationalistischen zionistischen Ziele durch kosmopolitische ökonomische Werte ersetzt. Sie haben nicht gezögert, im Ausland zu investieren, um die Profite zu erhöhen.
Bedauerlicherweise ist es jedoch eine Tatsache, dass unter den Arbeitern nicht dieselbe Einigkeit besteht. Allen, Arabern und Juden, ist die Armut gemeinsam. Alle werden ausgebeutet. Allen fehlt gewerkschaftlicher Schutz. Warum tun sie sich nicht zusammen? Anscheinend schwirrt der "nationale" Moskito weiter in ihren Köpfen herum, selbst nachdem er sie ausgesaugt hat. Nach wie vor besteht ein offenkundiger Unterschied zwischen denen, die glauben, durch eine starke Armee und einen vorteilhaften legalen Status vom Staat geschützt zu werden, und den anderen, die das Gefühl haben, in allen Punkten übergangen zu werden.
Der arabische Arbeiter identifiziert sich mit den Unterdrückten der Welt und spürt ihr Leiden. Er verschmäht die USA und deren imperialistische Politik. Er lehnt Zionismus ab und betrachtet die Besatzung als Ursache des fortgesetzten Konflikts. Nicht so der jüdische Arbeiter. Er zieht es vor, die Starken zu unterstützen, auch wenn deren Ziel seinen Interessen widerspricht. Deshalb gelingt es der Schicht der erwerbslosen jüdischen Arbeiter nicht, das herrschende kapitalistische Establishment herauszufordern.
Aus diesem Grund sollte jeder Linke den einzigartigen Versuch arabischer Arbeiter, ihre Partei aufzubauen - und das nicht auf Grundlage nationalistischer Bindungen sondern auf Grundlage der sozialen Klasse - als Durchbruch in Richtung Wiederaufbau der Friedensbewegung betrachten. Eine Arbeiterpartei ist ihrem Wesen nach internationalistisch. Sie verbindet sich nicht mit einem nationalistischen Lager, sondern streckt ihre Hand jedem Aktivisten, jedem Menschen entgegen, der gegen die Besatzung kämpft. Jeder Arbeiter, der Klasseninteressen über nationalistische Interessen stellt, ist ein Verbündeter im Kampf für soziale Veränderung.
Der jüdische Arbeiter hat einen langen Weg vor sich bis zu einem internationalistischen Bewusstsein, das ihn befähigt, im Araber einen Verbündeten zu sehen. Der Staat Israel kehrt sich heute von den Rechten des palästinensischen Volkes ab und ebenso von den Rechten seiner eigenen von Armut geschlagenen Bürger. Dergestalt bewegt sich Israel weiter auf den Zusammenbruch zu. Unsere Hand ist jedem entgegengestreckt, der eine andere Zukunft schaffen möchte, die auf dem Ende der Besatzung und dem Ende der Herrschaft des Kapitals beruht.
Yacov Ben Efrat ist Redakteur der israelischen Zeitschrift "Challenge" und seit langem in der nicht-zionistischen israelischen Linken aktiv. Mehr unter: www.hanitzotz.com/challenge
Übersetzung: Endy Hagen
Online-Flyer Nr. 37 vom 28.03.2006