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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Globales
"Casseurs" aus den Pariser Vororten nutzen die Demonstrationen
Studentinnen überfallen und ausgeraubt
Uwe Karsten Petersen 

Mutige französische Abgeordnete konnten am Donnerstagabend in Paris aus nächster Nähe zuschauen, wie als "casseurs" bekannte und gefürchtete gewalttätige junge Leute im Verlauf der Protestdemonstration bevorzugt Schülerinnen und Studentinnen überfielen, verprügelten und schließlich ausraubten.

"Tatort" war der Invalides-Platz, der sich neben dem Gebäude der Nationalversammlung befindet. Dort war die Auflösung der Protestkundgebung gegen den Beschäftigungsvertrag (CPE) vorgesehen gewesen, der Berufsanfängern nach dem Willen der Regierung für zwei Jahre jeden Kündigungsschutz nehmen soll. Die Opfer der "casseurs" hatten an der gewaltfreien Demonstration teilgenommen.

Zu den mutigen Abgeordneten von der Präsidentenpartei UMP zählt der ehemalige Untersuchungsrichter, Alain Marsaud. Auf frischer Tat erwischte er zwei  Handy-Diebe, die er der Polizei übergab. Niedergebrannte Autos, eingeschlagene Fensterscheiben, geplünderte Geschäfte, zerstörte Telephonzellen und dergleichen mehr bezeugen den Eifer der "casseurs", deren Zahl von der Polizei auf gut 2.000 geschätzt wurde. 420 von ihnen wurden landesweit  verhaftet.

Bei ihrer Vernehmung fiel den Polizisten auf, dass nicht wenige der jugendlichen Täter aus den berühmt-berüchtigten "banlieues" (Vororten) stammen. Diese haben bekanntlich im vergangenen November nicht nur in Frankreich sondern auch im Ausland für Schlagzeilen gesorgt. In Banden organisiert hätten sie wie schon am Samstag zuvor auch am Donnerstag die Gelegenheit zum "Zuschlagen" genutzt. Dem Inlandsgeheimdienst (RG) und der Polizei zufolge können in den Vororten jederzeit wieder Unruhen ausbrechen. Die Lage sei mehr als kritisch, warnen sie mit Hinweis auf einschlägige "Vorfälle", die in dieser Woche der Angst vor verhängnisvollen "Explosionen" neuen Auftrieb gaben. Fachleute erklären dies mit den weiterhin vorhandenen schier unlösbaren Problemen der Bewohner der "banlieues".

Auch am Donnerstag wurde der Polizei wieder vorgeworfen, dass sie viel zu spät und nicht energisch genug gegen die "casseurs" vorgegangen sei. Sie begründet ihr vorsichtiges Handeln mit dem Bestreben, eine Panik in den Reihen der friedlichen Demonstranten zu verhindern. Erschwert werde ihr Einsatz auch durch die Tatsache, dass die "casseurs" in kleinen Gruppen auftreten, blitzschnell ihre Opfer ausrauben, niederschlagen und dann rasch in der Menge untertauchen. In Paris seien deshalb "nur" 141 "casseurs" verhaftet worden. 

Die Täter sind laut Polizei zusehends jünger und auffallend häufig betrunken. Mit zuvor geleerten Bier-, Wein- und Whiskyflaschen wurden die Ordnungskräfte von den "casseurs" unter Beschuss genommen, wie der Boden des Invalides-Platzes danach auf eindrucksvolle Weise bezeugte. 27 Polizisten und Gendarmen wurden mehr oder weniger schwer verletzt. Ein Demonstrant wurde mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert. Ob er Opfer der "casseurs" oder der Ordnungshüter wurde, soll die Polizei klären. 

Von der Polizei und letztlich vom Innenministerium sei die Pariser Hochschule für Sozialwissenschaften im Stich gelassen worden, klagte deren Leiterin, Danièle Hervieu-Léger. Am Montag wurde diese Universitätsstätte von "unkontrollierten Elementen" besetzt. Drei Anrufe bei der Polizei und im Innenministerium waren erforderlich, bevor die unerwünschten Gäste am Freitagmorgen von Polizisten festgenommen wurden. Unter ihnen befand sich kein einziger Student. Aus ihrer Gesinnung machten die Besetzer kein Geheimnis. Sie tobten ihre Zerstörungswut gründlich aus, wie man nach der Räumung am Freitag sehen konnte.

Trotz der am gleichen Tag erfolgten ersten ohne Ergebnis abgebrochenen Unterredung zwischen Premierminister Dominique de Villepin und den Chefs von fünf Gewerkschaften muss sich Frankreich auf den für Dienstag angesetzten "nationalen Streiktag" und auf die mit ihm verbundenen öffentlichen landesweiten Protestkundgebungen gefasst machen. Mit ihm soll der Regierungschef  zum von der Mehrheit der Bevölkerung gewollten Verzicht auf den CPE bewegt werden. Auf diesen Tag freuen sich insbesonders die "casseurs", die das Risiko ihrer Verhaftung erfahrungsgemäss bei solchen Ereignissen als ziemlich niedrig einschätzen.  



Online-Flyer Nr. 37  vom 28.03.2006



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