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Kultur und Wissen
Die Kinder- und Jugendliteratur-Szene in Deutschland
Neuere Tendenzen
Von Wolfgang Bittner
Nicht wenige Verlagsleiter, Lektoren und Redakteure treiben denen, die kontinuierlich professionell schreiben, nach und nach das Vergnügen an der literarischen Arbeit aus; das Fernsehen will sowieso fast immer etwas haben, was jemand, der auf sich hält, nicht oder nicht so zu liefern bereit ist. Allerdings gibt es genügend Schreiber, die sich gern darauf einlassen, und der Publikumsgeschmack ist bekanntlich recht unterschiedlich.
Nichts gegen Marktanalysen, hohe Auflagen oder ein vernünftiges Lektorat. Aber die Achtung vor Qualität und vor kreativer Leistung hat in den letzten Jahren rapide abgenommen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Verwerter, Organisatoren und Verwalter lediglich spektakuläre Verkaufserfolge im Auge haben und zudem der Meinung sind, sie seien die eigentlich Kreativen, Autorinnen und Autoren lediglich ihre Zuarbeiter und Rohstofflieferanten. Übersehen wird dabei, dass Autoren gepflegt werden müssen und dass ohne ein gutes Manuskript überhaupt nichts geht, weder in den Verlagen noch im Hörfunk oder Fernsehen.
Kein Zweifel, Manuskripte sind verbesserungsfähig; nicht selten erreichen sie erst durch ein kompetentes Lektorat optimale Qualität. Zunächst aber muss es Ideen geben, die mit schöpferischer Intensität materialisiert werden: Da, wo vorher nichts war, ist etwas. Das ist der Geburtsakt, zu dem eben mehr als Verwertung, Organisation und Verwaltung gehören, geschweige denn nebulöse inhaltliche Vorstellungen. Es ist zuzugeben, dass sich unter den so genannten Kreativen viele Scharlatane und Hochstapler befinden, die Lektoren und Redakteuren das Leben schwer machen. Andererseits gibt es immer mehr Belege für die Inkompetenz, auch für Borniertheit und Willkür, in Verlagen und Redaktionen; ich will einige Beispiele aus der eigenen Praxis nennen.
Vor einigen Jahren hatte ich mit einem großen Verlag mehrere Verträge abgeschlossen, unter anderem für einen in Arbeit befindlichen Roman und für die Taschenbuchausgabe eines anderen Romans. Nach einem Lektoratswechsel sah sich dann der neue Cheflektor, der einige Autoren »mitbrachte«, nicht mehr an vorherige Verträge und Absprachen gebunden. Nach einer Auseinandersetzung nahm er in kurzer Zeit mehrere meiner Titel aus dem Programm, obwohl die Verkaufszahlen nicht schlecht waren; der mittlerweile abgeschlossene Roman musste in einem anderen Verlag erscheinen (er wurde übrigens verfilmt). Um nicht einen vollkommenen Bruch herbeizuführen, verzichtete ich darauf, meine Rechte einzuklagen.
Das ist kein Einzelfall, keine Ausnahme, wie immer wieder bestätigt wird. Allenthalben fehlt es an Kontinuität und Autorenpflege. Die für Programme Verantwortlichen wollen rasch etwas Neues, Fetziges, Modisches. Ihre Unsicherheit kompensieren sie mit Betriebsamkeit und durch die Einbeziehung fachlich nicht qualifizierter Mitarbeiter, die dann über literarische Qualität und Ästhetik mitentscheiden. Ein Verlagsvertreter will noch einen Bären auf der Titelseite des Abenteuerromans, die Vertriebsleiterin einen Raben, die Pressechefin ist gegen das Gewehr, eine Praktikantin möchte mehr Action. Die Meinung des Autors ist irrelevant. Er liefert das Manuskript, sagen wir einmal: ein Gesamtkunstwerk, und zwar als Grundlage dessen, worauf alles andere aufbaut. Aber alle möglichen Leute zerren daran herum und der Autor scheint nach Abgabe des Manuskripts überflüssig zu sein - wenn sein Buch nicht ein Bestseller wird.
Allerdings hat der Autor für alle Fehler, die im Verlag vorkommen, mit einzustehen. Beispielsweise kamen drei Taschenbuchausgaben meiner Romane durch Lektoratswechsel - und das Karussell dreht sich ständig - erst verspätet, sechs bis acht Jahre nach Erscheinen der recht erfolgreichen Hardcover-Ausgaben, in den Buchhandel. Vermuteter Grund: Dem neuen Cheflektor missfiel mein gesellschaftspolitischer Ansatz. (Ein vierter Roman, der eher als Taschenbuch erschien, erreichte binnen weniger Jahre sechs Auflagen.) Ein anderes Buch war trotz vorheriger Absprachen auf einmal vergriffen, obwohl eine Lesereise bevorstand und in einer Fachzeitschrift eine wirkungsvolle Empfehlung für Schulen und Büchereien erschien. Bei einer Neuauflage unterblieben versehentlich die Änderungen und Korrekturen. In einem weiteren Fall wurden mehrere Romane, die sich an Jugendliche ab 12 Jahren wenden, in einem auflagenstarken Weihnachtsprospekt irrtümlich für Kinder ab acht Jahren empfohlen. Die beabsichtigte Werbung verpuffte. Ebenso, als auf dem Titelbild eines Romans für Jugendliche ab 12 Jahren achtjährige Kinder abgebildet waren, wie es mir vor Jahren passierte. Es wundert mich immer noch, dass es den für solche Fehlleistungen Verantwortlichen im Laufe der Zeit doch nicht gelungen ist, mich zu ruinieren oder zu einem Berufswechsel zu veranlassen.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Reklamiert man solche Fehler, vertreten Autoren nachdrücklich ihre Interessen, gelten sie als schwierig und arrogant; beschweren sie sich, sind sie aufmüpfig, renitent, unkooperativ. Die »Macher« wollen demütige Zulieferer, die sich anpassen, gern auch im Auftrag schreiben und vorgegebene Themen entsprechend dem gerade vorherrschenden Trend gängig abhandeln. Überhaupt sind seit einigen Jahren Ausflüge in die Fantasywelt gefragt; man geht dadurch der Realität, die sich nicht so leicht und simpel packen lässt, aus dem Wege. Gibt es Probleme, macht sich der Protagonist einfach unsichtbar, oder er kann fliegen, zaubern, ist unsterblich. So etwas kann sich doch - so ist manchmal zu vorgerückter Stunde zu hören - eigentlich jeder intelligente Mensch ausdenken.
Alles ist easy. Man macht seine Karriere, verdient gutes Geld, setzt seine Ideen und Strategien durch, wenn etwas nicht läuft, macht man schnell etwas anderes. Und die Autoren sitzen - bis auf wenige Ausnahmen - am Katzentisch. Die Rundfunkredakteurin möchte, dass sich die Kinder nicht an der Straßenecke beim Friedhof treffen (»das mögen die Leute nicht«), sondern im Kaufhaus, worauf die ganze Geschichte umgeschrieben werden muss - wozu gibt es Computer. Der Zeitungsredakteur streicht zwei Absätze, weil der Artikel angeblich zu lang ist, ihm oder seinem Herausgeber aber in Wahrheit die politische Aussage nicht passt. Ein großer renommierter Verlag schreibt einer Autorin: »Ihr Romanmanuskript gefällt uns gut, aber wir suchen für unser Programm zur Zeit etwas schrägere Stoffe.« Eine junge Jugendbuchlektorin möchte für die von ihr betreute neue Reihe einen Roman zu einem vorgegebenen Thema auf 140 Seiten zu 30 Zeilen à 60 Zeichen bis zum Soundsovielten. Ein Lektor hätte gern eine nette Bärchengeschichte, und er weiß auch schon, was darin vorkommen soll (wahrscheinlich stammt die Idee aus einem abgelehnten Manuskript).
Dass so keine guten Geschichten entstehen, dass sich Kreativität so nicht lenken lässt und Literatur, die den Namen verdient, fast immer antizipatorisch ist, häufig gegen den Trend geschrieben, ist offenbar vergessen. Abgesehen davon herrscht die Meinung vor, Kinder- und Jugendliteratur lasse sich leichter schreiben als Literatur für erwachsene Leser - ein Trugschluss, der zu Lasten der Qualität geht, wie schon ein flüchtiger Blick in die Buchhandlungen beweist. Was da die Regale verstopft und hinterher die Köpfe unserer Kinder und Jugendlichen, ist schnell geschrieben, schnell verlegt und schnell abgehakt. Hauptsache, die Auflagenzahlen stimmen. Dabei hat sich schon oft erwiesen, dass sich Qualität und Verkaufserfolg nicht auszuschließen brauchen.
Die Liste der Fehlleistungen ließe sich beliebig verlängern. Die Konsequenzen tragen nicht zuletzt Autorinnen und Autoren, die sich nach wie vor um Qualität bemühen. Aber selbst viel und positiv besprochene Bücher haben nur noch eine kurze Laufzeit (»schreiben Sie doch etwas Neues«), und die Programme werden immer austauschbarer, immer trivialer. Ich weiß, dass ich mir mit solchen Äußerungen nur wenige Freunde mache, aber die genügen mir inzwischen. Wenn man ein Leben lang schreibt, sich um Niveau und Ästhetik bemüht, wird man bescheiden - und anspruchsvoll.
Erfreulich, dass es auch wahre Lichtblicke gibt. Eine Lektorin lobt: »Das wird ein ungewöhnliches Buch. Ich werde alles tun, damit es Erfolg hat.« Eine Redakteurin sagt: »Ich konnte mich in diesem Fall leider nicht durchsetzen, freue mich aber auf eine weitere Zusammenarbeit.« Ein Lektor schreibt: »... schicke ich Ihnen das Manuskript mit meinen Anmerkungen, und natürlich haben Sie das letzte Wort.« Die Arbeit würde erheblich befriedigender sein, wenn dieser Ton und diese Haltung selbstverständlich wären.
*Der Beitrag erscheint im April in einer Sammlung mit Essays und Vorträgen des Autors unter dem Titel "Schreiben, Lesen, Reisen" im Athena-Verlag in Oberhausen.
Wolfgang Bittner, 1941 in Gleiwitz/Oberschlesien geboren, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er studierte Jura, Philosophie und Soziologie und promovierte 1972 zum Dr. jur. Bittner erhielt mehrere Literaturpreise, ist Mitglied im PEN und hat etwa 50 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder veröffentlicht, u.a. die Romane "Niemandsland", "Narrengold" und "Weg vom Fenster" sowie das Rowohlt-Sachbuch "Beruf: Schriftsteller". Zuletzt erschienen (zweisprachig: deutsch-polnisch) die Bücher "Gleiwitz heißt heute Gliwice" und "Überschreiten die Grenze".
Weitere Informationen unter www.wolfgangbittner.de.
Online-Flyer Nr. 37 vom 28.03.2006
Die Kinder- und Jugendliteratur-Szene in Deutschland
Neuere Tendenzen
Von Wolfgang Bittner
Nicht wenige Verlagsleiter, Lektoren und Redakteure treiben denen, die kontinuierlich professionell schreiben, nach und nach das Vergnügen an der literarischen Arbeit aus; das Fernsehen will sowieso fast immer etwas haben, was jemand, der auf sich hält, nicht oder nicht so zu liefern bereit ist. Allerdings gibt es genügend Schreiber, die sich gern darauf einlassen, und der Publikumsgeschmack ist bekanntlich recht unterschiedlich.

Kein Zweifel, Manuskripte sind verbesserungsfähig; nicht selten erreichen sie erst durch ein kompetentes Lektorat optimale Qualität. Zunächst aber muss es Ideen geben, die mit schöpferischer Intensität materialisiert werden: Da, wo vorher nichts war, ist etwas. Das ist der Geburtsakt, zu dem eben mehr als Verwertung, Organisation und Verwaltung gehören, geschweige denn nebulöse inhaltliche Vorstellungen. Es ist zuzugeben, dass sich unter den so genannten Kreativen viele Scharlatane und Hochstapler befinden, die Lektoren und Redakteuren das Leben schwer machen. Andererseits gibt es immer mehr Belege für die Inkompetenz, auch für Borniertheit und Willkür, in Verlagen und Redaktionen; ich will einige Beispiele aus der eigenen Praxis nennen.
Vor einigen Jahren hatte ich mit einem großen Verlag mehrere Verträge abgeschlossen, unter anderem für einen in Arbeit befindlichen Roman und für die Taschenbuchausgabe eines anderen Romans. Nach einem Lektoratswechsel sah sich dann der neue Cheflektor, der einige Autoren »mitbrachte«, nicht mehr an vorherige Verträge und Absprachen gebunden. Nach einer Auseinandersetzung nahm er in kurzer Zeit mehrere meiner Titel aus dem Programm, obwohl die Verkaufszahlen nicht schlecht waren; der mittlerweile abgeschlossene Roman musste in einem anderen Verlag erscheinen (er wurde übrigens verfilmt). Um nicht einen vollkommenen Bruch herbeizuführen, verzichtete ich darauf, meine Rechte einzuklagen.
Das ist kein Einzelfall, keine Ausnahme, wie immer wieder bestätigt wird. Allenthalben fehlt es an Kontinuität und Autorenpflege. Die für Programme Verantwortlichen wollen rasch etwas Neues, Fetziges, Modisches. Ihre Unsicherheit kompensieren sie mit Betriebsamkeit und durch die Einbeziehung fachlich nicht qualifizierter Mitarbeiter, die dann über literarische Qualität und Ästhetik mitentscheiden. Ein Verlagsvertreter will noch einen Bären auf der Titelseite des Abenteuerromans, die Vertriebsleiterin einen Raben, die Pressechefin ist gegen das Gewehr, eine Praktikantin möchte mehr Action. Die Meinung des Autors ist irrelevant. Er liefert das Manuskript, sagen wir einmal: ein Gesamtkunstwerk, und zwar als Grundlage dessen, worauf alles andere aufbaut. Aber alle möglichen Leute zerren daran herum und der Autor scheint nach Abgabe des Manuskripts überflüssig zu sein - wenn sein Buch nicht ein Bestseller wird.
Allerdings hat der Autor für alle Fehler, die im Verlag vorkommen, mit einzustehen. Beispielsweise kamen drei Taschenbuchausgaben meiner Romane durch Lektoratswechsel - und das Karussell dreht sich ständig - erst verspätet, sechs bis acht Jahre nach Erscheinen der recht erfolgreichen Hardcover-Ausgaben, in den Buchhandel. Vermuteter Grund: Dem neuen Cheflektor missfiel mein gesellschaftspolitischer Ansatz. (Ein vierter Roman, der eher als Taschenbuch erschien, erreichte binnen weniger Jahre sechs Auflagen.) Ein anderes Buch war trotz vorheriger Absprachen auf einmal vergriffen, obwohl eine Lesereise bevorstand und in einer Fachzeitschrift eine wirkungsvolle Empfehlung für Schulen und Büchereien erschien. Bei einer Neuauflage unterblieben versehentlich die Änderungen und Korrekturen. In einem weiteren Fall wurden mehrere Romane, die sich an Jugendliche ab 12 Jahren wenden, in einem auflagenstarken Weihnachtsprospekt irrtümlich für Kinder ab acht Jahren empfohlen. Die beabsichtigte Werbung verpuffte. Ebenso, als auf dem Titelbild eines Romans für Jugendliche ab 12 Jahren achtjährige Kinder abgebildet waren, wie es mir vor Jahren passierte. Es wundert mich immer noch, dass es den für solche Fehlleistungen Verantwortlichen im Laufe der Zeit doch nicht gelungen ist, mich zu ruinieren oder zu einem Berufswechsel zu veranlassen.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Reklamiert man solche Fehler, vertreten Autoren nachdrücklich ihre Interessen, gelten sie als schwierig und arrogant; beschweren sie sich, sind sie aufmüpfig, renitent, unkooperativ. Die »Macher« wollen demütige Zulieferer, die sich anpassen, gern auch im Auftrag schreiben und vorgegebene Themen entsprechend dem gerade vorherrschenden Trend gängig abhandeln. Überhaupt sind seit einigen Jahren Ausflüge in die Fantasywelt gefragt; man geht dadurch der Realität, die sich nicht so leicht und simpel packen lässt, aus dem Wege. Gibt es Probleme, macht sich der Protagonist einfach unsichtbar, oder er kann fliegen, zaubern, ist unsterblich. So etwas kann sich doch - so ist manchmal zu vorgerückter Stunde zu hören - eigentlich jeder intelligente Mensch ausdenken.
Alles ist easy. Man macht seine Karriere, verdient gutes Geld, setzt seine Ideen und Strategien durch, wenn etwas nicht läuft, macht man schnell etwas anderes. Und die Autoren sitzen - bis auf wenige Ausnahmen - am Katzentisch. Die Rundfunkredakteurin möchte, dass sich die Kinder nicht an der Straßenecke beim Friedhof treffen (»das mögen die Leute nicht«), sondern im Kaufhaus, worauf die ganze Geschichte umgeschrieben werden muss - wozu gibt es Computer. Der Zeitungsredakteur streicht zwei Absätze, weil der Artikel angeblich zu lang ist, ihm oder seinem Herausgeber aber in Wahrheit die politische Aussage nicht passt. Ein großer renommierter Verlag schreibt einer Autorin: »Ihr Romanmanuskript gefällt uns gut, aber wir suchen für unser Programm zur Zeit etwas schrägere Stoffe.« Eine junge Jugendbuchlektorin möchte für die von ihr betreute neue Reihe einen Roman zu einem vorgegebenen Thema auf 140 Seiten zu 30 Zeilen à 60 Zeichen bis zum Soundsovielten. Ein Lektor hätte gern eine nette Bärchengeschichte, und er weiß auch schon, was darin vorkommen soll (wahrscheinlich stammt die Idee aus einem abgelehnten Manuskript).
Dass so keine guten Geschichten entstehen, dass sich Kreativität so nicht lenken lässt und Literatur, die den Namen verdient, fast immer antizipatorisch ist, häufig gegen den Trend geschrieben, ist offenbar vergessen. Abgesehen davon herrscht die Meinung vor, Kinder- und Jugendliteratur lasse sich leichter schreiben als Literatur für erwachsene Leser - ein Trugschluss, der zu Lasten der Qualität geht, wie schon ein flüchtiger Blick in die Buchhandlungen beweist. Was da die Regale verstopft und hinterher die Köpfe unserer Kinder und Jugendlichen, ist schnell geschrieben, schnell verlegt und schnell abgehakt. Hauptsache, die Auflagenzahlen stimmen. Dabei hat sich schon oft erwiesen, dass sich Qualität und Verkaufserfolg nicht auszuschließen brauchen.
Die Liste der Fehlleistungen ließe sich beliebig verlängern. Die Konsequenzen tragen nicht zuletzt Autorinnen und Autoren, die sich nach wie vor um Qualität bemühen. Aber selbst viel und positiv besprochene Bücher haben nur noch eine kurze Laufzeit (»schreiben Sie doch etwas Neues«), und die Programme werden immer austauschbarer, immer trivialer. Ich weiß, dass ich mir mit solchen Äußerungen nur wenige Freunde mache, aber die genügen mir inzwischen. Wenn man ein Leben lang schreibt, sich um Niveau und Ästhetik bemüht, wird man bescheiden - und anspruchsvoll.
Erfreulich, dass es auch wahre Lichtblicke gibt. Eine Lektorin lobt: »Das wird ein ungewöhnliches Buch. Ich werde alles tun, damit es Erfolg hat.« Eine Redakteurin sagt: »Ich konnte mich in diesem Fall leider nicht durchsetzen, freue mich aber auf eine weitere Zusammenarbeit.« Ein Lektor schreibt: »... schicke ich Ihnen das Manuskript mit meinen Anmerkungen, und natürlich haben Sie das letzte Wort.« Die Arbeit würde erheblich befriedigender sein, wenn dieser Ton und diese Haltung selbstverständlich wären.
*Der Beitrag erscheint im April in einer Sammlung mit Essays und Vorträgen des Autors unter dem Titel "Schreiben, Lesen, Reisen" im Athena-Verlag in Oberhausen.
Wolfgang Bittner, 1941 in Gleiwitz/Oberschlesien geboren, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er studierte Jura, Philosophie und Soziologie und promovierte 1972 zum Dr. jur. Bittner erhielt mehrere Literaturpreise, ist Mitglied im PEN und hat etwa 50 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder veröffentlicht, u.a. die Romane "Niemandsland", "Narrengold" und "Weg vom Fenster" sowie das Rowohlt-Sachbuch "Beruf: Schriftsteller". Zuletzt erschienen (zweisprachig: deutsch-polnisch) die Bücher "Gleiwitz heißt heute Gliwice" und "Überschreiten die Grenze".
Weitere Informationen unter www.wolfgangbittner.de.
Online-Flyer Nr. 37 vom 28.03.2006