NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

Fenster schließen

Kultur und Wissen
"Sie sagen ja jetzt..." - Teil 7
Sie wollen einen wohl auf Trab halten
Von Ulla Lessmann

Ich finde, man muß das auch unterscheiden. Ob man nun ein paar Gewohnheiten hat oder einfach nur so in seinem Trott festsitzt.

Gewohnheiten sollen ja gut sein, weil man dann eine "Struktur in einen immer mehr von Reizen überfluteten Alltag zieht". Das habe ich mir gemerkt, damit kommt man immer gut an, wenn man so was mal fallen läßt.

Ich habe das so verstanden, dass, wenn man gleichzeitig Fernsehen guckt und das Radio anhat und mit seiner Schwägerin telefoniert und Chips isst, dass das einfach zu viel wird und keine Struktur hat und dass es deshalb besser ist, wenn man es sich zur Gewohnheit macht, eine Reihenfolge einzuhalten, also, erst zuende Fernsehen zu gucken und die Chips dabei aufzuessen, weil das in dem Sinne zusammen gehört und dann das Radio anzustellen und die Schwägerin anzurufen, damit sich nicht alles gegenseitig überflutet und man davon ständig gereizt ist. Ich finde allerdings, wenn man das gewohnt ist, dass das Fernsehen auf stumm steht bei der Werbung und man dann in der Zeit ein bißchen Radiomusik hört und was Interessantes von der Schwägerin am Telefon, während man die letzten Chips isst, ist man ja nicht überflutet, weil man dann viel auf einmal erledigt kriegt.

Ulla Lessmann
Ulla Lessmann
Foto: www.nrw-autoren-im-netz.de



Ich halte mich sonst immer ziemlich damit auf, meine Gewohnheiten auch einzuhalten, weil diese Reizüberflutungen einen so nervös machen sollen. Sie machen es einem aber schwer, das muß ich sagen. Die Chips zum Beispiel, die hatten sie beim Supermarkt immer hinten rechts gegenüber von den Küchenrollen und das war ich so gewohnt, dass ich in einer bestimmten Reihenfolge durch den Supermarkt gehe und am Ende hinten rechts bei den Chips ankomme und nun haben sie umgebaut, wahrscheinlich, damit die Leute mal was anderes kaufen als gewohnt und jetzt habe ich sie zweimal vergessen, haben die selber Schuld.

Und diese eine nette Musiksendung im Radio, die gut zu meinem Telefongespräch mit meiner Schwägerin passt, die haben sie irgendwo hingeschoben, wo sie partout nicht wiederfinde und das kann ich nun gar nicht verstehen, denn ich habe diese Geschichte, dass man Gewohnheiten braucht, um diese Reizüberflutung in Schach zu halten doch aus dem Radio! Und nun machen sie selber dabei mit! Aber wahrscheinlich wollen sie einen doch irgendwie auf Trab halten, weil viele doch so in ihrem alten Trott sind, anstatt sich mal ein paar Gewohnheiten zuzulegen, mit denen sie diese Alltagsstruktur kriegen, machen die immer nur dasselbe und wenn sich mal was ändert, sind sie völlig daneben.

Ich bin da nicht so, ich kann da auch mal was weglassen von meinen Gewohnheiten und jetzt esse ich Salzstangen statt Chips, während meine Schwägerin redet und ich diese verdammte Radiosendung suche und die Fernsehwerbung schon wieder vorbei ist.

Ulla Lessman wurde 1952 in Bremerhaven geboren, lebt seit 1964 in Köln, ist Journalistin, Diplom-Volkswirtin und Schriftstellerin. Sie war langjährige Chefredakteurin des "Sozialdemokrat Magazin" und des "Vorwärts" in Bonn, ist seit 1995 freie Autorin für Zeitschriften und Hörfunk und hat mehr als 100 literarische Veröffentlichungen in Printmedien, Hörfunk und Internet ("Hier schreit nur einer", Gerichtsreportagen, www.internet-editionen.de) geschrieben. Zahlreiche Preise, unter anderem den Sonderpreis des "Emma"-Journalistinnenpreises für Glossen und den Förderpreis für satirische Literatur der Stadt Herne. Ulla Lessmann ist Mitglied im VS.


Online-Flyer Nr. 35  vom 14.03.2006



Startseite           nach oben