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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 14
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Die Studenten-Wohngemeinschaft in Düsseldorf-Reisholz tagt am Küchentisch und bereitet sich auf die Solidaritäts-Demonstration für den Erhalt des Mannesmann-Röhrenwerks im Stadtteil vor.
Er blieb dann doch in der Küche hängen und beteiligte sich am großen Rätseln, wie viele Arbeiter von SRW am Morgen vor dem Tor stehn würden, ob die Bevölkerung, die Hausfrauen mitgingen. Halbe Informationen, Gerüchte, jede und jeder hatte was aufgeschnappt.
Die haben in Umlauf gesetzt, ganz gezielt, dass jeder von den Meistern aufgeschrieben wird, der morgen um zehn die Bude verlässt.
Werden die ne Sekretärin brauchen, wettich.
Der Betriebsratvorsitzende soll gesagt haben, die Belegschaft soll nicht Unrecht mit Unrecht vergelten, der Oberlaumann. Wenn der Manfred noch BRV wär, würd das laufen wie Honig vom Löffel.
Hater gesagt Peter, aber hat auch Zunder gekriegt, haben sie erzählt Sonntag, am Unterschriftstand der VKL.
Nee Musch, sowas setzt sich fest in den Köpfen. Ist Nervengift. Die haben doch nie richtig gestreikt in dem Betrieb! Spring du mal ins Wasser und weißt nicht, ob du schwimmen kannst.
Also jedenfalls malen die Azubis seit heut früh Transparente. Die marschiern. Das sind hundert Mann. Dazu diese revolutionäre WG, sechs Mann, pardon Frau. Und die von der DKP Betriebsgruppe. Zusammen ne gefechtsstarke Kompanie.
Der Musch tönt mal wieder, meckerte Peter. Wenn da bloß hundertfünfzig Pipels ausrücken, kannste den Betrieb vergessen. Hänge ne Null dran, dann steht die Front. Aber solche Nullen sind kostbar. Kommen in der Natur nur beim rheinischen Karneval vor.
Optimismus ist der Senf bei der Bockwurst Peter, sagte Irmgard. Und lass mir den Musch in Ruh, der tut mehr als du und ich und wir alle zusammen.
Musch grinste geschmeichelt und stieß gleich in die Bresche: Hat jemand Stoff für ein Transparent gekauft?
Keine hatte. Typisch. Küchentischstrategen. Aber Irmgard hatte an Farbe gedacht. Musch opferte einen alten Bettbezug, zeigte die eingestickten Initialen seiner Großmutter väterlicherseits herum, Isolde Muschner wird mitmarschiern. Aufgetrennt ergab das Stück vier Meter oder acht Mann Breite. Darauf malten sie in Blau und Rot
Für das Recht auf BILDUNG und ARBEIT
Und weil so viel Platz war noch:
Studenten der Buchenstraße 12
SOLIDARISCH MIT DEN MANNESMANN-KOLLEGEN
Zwei Stunden malerische Nachtschicht, mit wechselndem Pinsel. Schwierig Platz zu finden für vier Meter Stoff mit feuchter Farbe. Musch machte gern was zusammen mit Irmi. Sie hörten eine Weile die Schlagerparade. Als sie die nicht mehr aushielten, holte Musch seine Kassette mit Ernst Busch Liedern, das war die bessere Einstimmung für einen Kampftag. Die andern schmückten inzwischen die Bäume in der Henkelstraße mit den Schildern der Jusos, die sie im Caravan der WG gestapelt hatten. Als sie zurückkamen, konnten sie im Treppenhaus das Transparent bewundern. Da war es zwei. Ria und Gussie verzogen sich in ihr Zimmer, Peter und Gerda in ihrs, Irmgard hatte die Kammer neben der Küche und Musch stieg in seine Mansarde, bisschen traurig oder einfach nur hundemüde, fiel in einen traumlosen Schlaf, eh er den Schalter der Bettlampe fand.
Als der Wecker ihn hochriss, dachte er, er hätte vergessen ihn richtig zu stellen. Aber es war tatsächlich acht Uhr, Sonnenstrahlen malten einen hellen Fleck an die Tür.
Die Henkelstraße sah schon von weitem recht gut aus. Jeder dritte Baum war eingerahmt von dem nächtlich in Erinnerung gebrachten Verfassungsparagrafen:
JEDERMANN HAT DAS RECHT AUF ARBEIT
Landesverfassung von NRW
Das war das uneingelöste Versprechen, das andre Leute als die heute Machthabenden dem Volk neunzehnhundert sechsundvierzig gegeben hatten. Denen steckte der NaziKrieg noch unverdrängt in den Knochen. Einen stillen Gruß, ein unmerkliches Kopfnicken schickte Musch zu jedem Schaufenster, in dem er das Plakat wiedersah, das sie den Geschäftsleuten ans Herz gelegt hatten:
REISHOLZ MUSS ERHALTEN BLEIBEN
Das großmütterliche Leinen, zwischen zwei Latten aufgerollt, trug Musch wie ein Gewehr auf der Schulter, bereit, es zu entsichern und seine friedliche Botschaft auf die Bevölkerung zu verschießen, sobald er selbst mit der Bürgerwehr vereinigt und stark war. Die Studentengruppe stieß schon weit vor dem SRWTor auf andre Teile der Reisholzer Eidgenossenschaft. Musch hatte sich noch beim schnellen Frühstück die SüverkrüpPlatte mit den achtundvierziger Freiheitsliedern angehört und war jetzt in der starken Stimmung, mit der man an Fürstentronen und vielleicht auch an Konzernsitzen rüttelt. Von Reisholz bis zum MannesmannHochhaus am Rheinufer war es jedenfalls nicht weit, und wenn die Studenten achtundsechzig den SpringerKonzern nicht aus der Macht demonstriert hatten - ein paar Zacken waren ihm schon aus der Krone gebrochen worden.
Es waren die zwei Mannschaftswagen der Grünen, die er am Ende der Walzwerkstraße unscheinbar vor der Fabrikmauer parken sah, die ihn in die Gegenwart zurückbrachten. Vor dem Haupttor hatten sich schon hundert zweihundert Menschen gesammelt, wenige Minuten vor zehn, einige Polizeioffiziere strolchten dazwischen herum, da parkte auch Armins gelber Lada. Aha, der IGM Ortsbevollmächtigte, der Kollege Eupers, im Gespräch mit Kurt Kemperdiek, na immerhin, einige arbeitsfreie Genossen auch, die DGBJugendsekretäre, türkische und deutsche Frauen, alle ernst und fast alle schweigend. Sie schienen von der Spannung angerührt, die in der Atmosfäre vibrierte wie vor einem Gewitter, obwohl die Luft frisch und kühl war. Die noch lautstark vorbeifahrenden Laster und Stadtbusse gehörten zu einer anderen Wirklichkeit.
Plötzlich haute ihm jemand von hinten eine Hand herzlich auf die Schulter - es war Armin. Sie umarmten sich, feierlicher als sonst. Tag Musch, alte Kanone! Tach großer Häuptling! Pünktlich wie die Sonne, wat? gab dem Peter eine Latte des Transparents zu halten, entrollte es auf seine stattliche Breite - Na? Is dat ne Wucht? Bis zwei Uhr morgens ham wir dran geschrieben! Die neue Notgemeinschaft von Intelligenz und Arbeiterklasse.
Kolenda lachte ganz unpassend. Zeigts mal dem Kemperdiek - vielleicht dürft ihr an die Spitze. Falls die Klasse uns im Stich lässt.
Alte Unke, sagte Musch.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 33 vom 28.02.2006
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 14
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Die Studenten-Wohngemeinschaft in Düsseldorf-Reisholz tagt am Küchentisch und bereitet sich auf die Solidaritäts-Demonstration für den Erhalt des Mannesmann-Röhrenwerks im Stadtteil vor.
Er blieb dann doch in der Küche hängen und beteiligte sich am großen Rätseln, wie viele Arbeiter von SRW am Morgen vor dem Tor stehn würden, ob die Bevölkerung, die Hausfrauen mitgingen. Halbe Informationen, Gerüchte, jede und jeder hatte was aufgeschnappt.
Die haben in Umlauf gesetzt, ganz gezielt, dass jeder von den Meistern aufgeschrieben wird, der morgen um zehn die Bude verlässt.
Werden die ne Sekretärin brauchen, wettich.
Der Betriebsratvorsitzende soll gesagt haben, die Belegschaft soll nicht Unrecht mit Unrecht vergelten, der Oberlaumann. Wenn der Manfred noch BRV wär, würd das laufen wie Honig vom Löffel.
Hater gesagt Peter, aber hat auch Zunder gekriegt, haben sie erzählt Sonntag, am Unterschriftstand der VKL.
Nee Musch, sowas setzt sich fest in den Köpfen. Ist Nervengift. Die haben doch nie richtig gestreikt in dem Betrieb! Spring du mal ins Wasser und weißt nicht, ob du schwimmen kannst.
Also jedenfalls malen die Azubis seit heut früh Transparente. Die marschiern. Das sind hundert Mann. Dazu diese revolutionäre WG, sechs Mann, pardon Frau. Und die von der DKP Betriebsgruppe. Zusammen ne gefechtsstarke Kompanie.
Der Musch tönt mal wieder, meckerte Peter. Wenn da bloß hundertfünfzig Pipels ausrücken, kannste den Betrieb vergessen. Hänge ne Null dran, dann steht die Front. Aber solche Nullen sind kostbar. Kommen in der Natur nur beim rheinischen Karneval vor.
Optimismus ist der Senf bei der Bockwurst Peter, sagte Irmgard. Und lass mir den Musch in Ruh, der tut mehr als du und ich und wir alle zusammen.
Musch grinste geschmeichelt und stieß gleich in die Bresche: Hat jemand Stoff für ein Transparent gekauft?
Keine hatte. Typisch. Küchentischstrategen. Aber Irmgard hatte an Farbe gedacht. Musch opferte einen alten Bettbezug, zeigte die eingestickten Initialen seiner Großmutter väterlicherseits herum, Isolde Muschner wird mitmarschiern. Aufgetrennt ergab das Stück vier Meter oder acht Mann Breite. Darauf malten sie in Blau und Rot
Für das Recht auf BILDUNG und ARBEIT
Und weil so viel Platz war noch:
Studenten der Buchenstraße 12
SOLIDARISCH MIT DEN MANNESMANN-KOLLEGEN
Zwei Stunden malerische Nachtschicht, mit wechselndem Pinsel. Schwierig Platz zu finden für vier Meter Stoff mit feuchter Farbe. Musch machte gern was zusammen mit Irmi. Sie hörten eine Weile die Schlagerparade. Als sie die nicht mehr aushielten, holte Musch seine Kassette mit Ernst Busch Liedern, das war die bessere Einstimmung für einen Kampftag. Die andern schmückten inzwischen die Bäume in der Henkelstraße mit den Schildern der Jusos, die sie im Caravan der WG gestapelt hatten. Als sie zurückkamen, konnten sie im Treppenhaus das Transparent bewundern. Da war es zwei. Ria und Gussie verzogen sich in ihr Zimmer, Peter und Gerda in ihrs, Irmgard hatte die Kammer neben der Küche und Musch stieg in seine Mansarde, bisschen traurig oder einfach nur hundemüde, fiel in einen traumlosen Schlaf, eh er den Schalter der Bettlampe fand.
Als der Wecker ihn hochriss, dachte er, er hätte vergessen ihn richtig zu stellen. Aber es war tatsächlich acht Uhr, Sonnenstrahlen malten einen hellen Fleck an die Tür.
Die Henkelstraße sah schon von weitem recht gut aus. Jeder dritte Baum war eingerahmt von dem nächtlich in Erinnerung gebrachten Verfassungsparagrafen:
JEDERMANN HAT DAS RECHT AUF ARBEIT
Landesverfassung von NRW
Das war das uneingelöste Versprechen, das andre Leute als die heute Machthabenden dem Volk neunzehnhundert sechsundvierzig gegeben hatten. Denen steckte der NaziKrieg noch unverdrängt in den Knochen. Einen stillen Gruß, ein unmerkliches Kopfnicken schickte Musch zu jedem Schaufenster, in dem er das Plakat wiedersah, das sie den Geschäftsleuten ans Herz gelegt hatten:
REISHOLZ MUSS ERHALTEN BLEIBEN

Es waren die zwei Mannschaftswagen der Grünen, die er am Ende der Walzwerkstraße unscheinbar vor der Fabrikmauer parken sah, die ihn in die Gegenwart zurückbrachten. Vor dem Haupttor hatten sich schon hundert zweihundert Menschen gesammelt, wenige Minuten vor zehn, einige Polizeioffiziere strolchten dazwischen herum, da parkte auch Armins gelber Lada. Aha, der IGM Ortsbevollmächtigte, der Kollege Eupers, im Gespräch mit Kurt Kemperdiek, na immerhin, einige arbeitsfreie Genossen auch, die DGBJugendsekretäre, türkische und deutsche Frauen, alle ernst und fast alle schweigend. Sie schienen von der Spannung angerührt, die in der Atmosfäre vibrierte wie vor einem Gewitter, obwohl die Luft frisch und kühl war. Die noch lautstark vorbeifahrenden Laster und Stadtbusse gehörten zu einer anderen Wirklichkeit.
Plötzlich haute ihm jemand von hinten eine Hand herzlich auf die Schulter - es war Armin. Sie umarmten sich, feierlicher als sonst. Tag Musch, alte Kanone! Tach großer Häuptling! Pünktlich wie die Sonne, wat? gab dem Peter eine Latte des Transparents zu halten, entrollte es auf seine stattliche Breite - Na? Is dat ne Wucht? Bis zwei Uhr morgens ham wir dran geschrieben! Die neue Notgemeinschaft von Intelligenz und Arbeiterklasse.
Kolenda lachte ganz unpassend. Zeigts mal dem Kemperdiek - vielleicht dürft ihr an die Spitze. Falls die Klasse uns im Stich lässt.
Alte Unke, sagte Musch.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 33 vom 28.02.2006