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"Europa erlesen: Köln" - Text 4
Vom Frieden - oder die Fans vom FC
NAVID KERMANI
Ich war nicht dabei, aber Guido sagte, Klaus habe Freibier ausgeschenkt, Hermann die Wand geputzt und Paulo von gegenüber, wo er bedient, Pizza für alle geholt, während sich Christian und Henning über sechs Barhocker hinweg die üblichen Witze zugespielt hätten, und überhaupt sei es so lustig gewesen wie schon lange nicht mehr nach einem Spiel, weil sich die Spannung aufgelöst habe, die in den vergangenen Wochen neben den verzweifelt Hoffenden auch die Schwarzseher und Besserwisser wie Christian und Henning ergriffen hatte, denen der FC nach der objektiv unglücklichen Niederlage gegen Bayern, spätestens aber nach dem tragischen Ausgang gegen Dortmund bloß noch leid getan hatte, als ein grotesker Fehler des Schiedsrichters einen Elfmeter zur Folge hatte, der den Abstieg des FC wie den unserer Samstagsgemeinde, die wegen der variablen Spieltage der Zweiten Liga kein fester Termin mehr vereinen würde, schon besiegelt hatte, ohne daß wir Verzweifelten zu hoffen aufhörten, versteht sich.
Allerdings hätten wir unseren Starrsinn an den restlichen Samstagen kaum so ungeniert bekundet, wenn nicht die Schwarzseher und Besserwisser überraschend still geworden wären, windelweich, um es in der ortsüblichen Diktion zu sagen, weil selbst sie es nicht länger ertrugen, wie der FC gleich dem Ertrinkenden mit nie dagewesener Kraft um sich schlug, obwohl alle wußten, daß er am Ende dennoch untergehen würde. Das war es ja, anders als beim ersten Abstieg vor drei Jahren hatte sich der FC wirklich bemüht, hatte sich so tapfer gegen das längst Unvermeidliche gestemmt, daß es sogar den Schwarzsehern und Besserwissern vor Mitleid das Herz zerriß und wir Verzweifelten paradox triumphierten, weil, niemand mehr unsere Passion verspottete, weil niemand mehr übriggeblieben war, der sie nicht durchlitt.
Es waren schreckliche Wochen, in denen die Hoffnung regelmäßig am Horizont der Tabelle erschien, um sich am darauffolgenden Samstag als eine Fata Morgana herauszustellen, ohne daß die Enttäuschung uns davon abgehalten hätte, die Hoffnung einen weiteren Samstag später schon wieder hervorlugen zu sehen, absolut schreckliche Wochen, und daß sie uns zusammengeschweißt haben, das war zwar schön, aber ich hätte gern auf die Eintracht mit den Schwarzsehern und Besserwissern verzichtet, wenn der FC dafür nicht um den Klassenerhalt hätte ringen müssen. Als dann nach dem vorletzten Spiel, obwohl es gegen Freiburg gewonnen wurde, der Abstieg auch rechnerisch feststand, weil Nürnberg überraschend Leverkusen besiegt hatte, habe sich beinah etwas wie Erleichterung breitgemacht, berichtete Guido, der die seltsame Reaktion darauf zurückführte, daß das albtraumhafte Bangen endlich ein Ende oder die Scheiße, um es in Guidos eigenen, zwar nicht schönen, aber für eine authentische Vorstellung wenigstens gelegentlich zu zitierenden Worten zu sagen, echt lang genug gestunken habe.
Selbst Matze und Paulo hätten keine Lust mehr auf die verkorksten Wochenenden gehabt, Christian habe schon vor dem Spiel, wenn auch leise, wieder zu frotzeln angefangen, und da sich alle im stillen ohnehin eingestanden hätten, daß es vorbei war, und bloß noch darauf warteten, den Abstieg in die Tabelle gemeißelt zu sehen, deren untere Hälfte Hermann mit Kreide bunt an die Wand zu kritzeln sich angewöhnt hatte, seit Ewald Lienen entlassen worden war, um auch jene auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen, die samstags nicht bereits am Nachmittag in die Kneipe pilgerten, eine Maßnahme, die unsere Gemeinde der Bangenden immerhin vergrößerte, weil auch die weniger eingefleischten Anhänger des FC sich zu sorgen begannen, wenngleich das bestimmt nicht Hermanns Motiv war -, da also nun wirklich alle, selbst Heiko und Manuel in ihren rot/weißen Trikots, den Glauben nur noch mit ähnlich großer, vergeblicher Kraft aufrechtzuerhalten vermochten wie der FC, müssen sie beinah dankbar gewesen sein, sich endlich in die Niederlage fügen zu dürfen.
Ich denke mir das so, schließlich war es unter allen möglichen Varianten des Unausweichlichen eine Variante, die verhältnismäßig wenig schlimm war - das hört sich bescheiden an, aber wenn man über Wochen hinweg jeden Samstag sein Golgatha erlebt, wird man empfänglich noch für die Schatten des Glücks, wie es einem Anhänger von Bayern München niemals möglich wäre. Fürwahr, man hätte nicht gelungener untergehen können, der FC hatte sich mit einem Sieg verabschiedet, Leverkusen verloren - natürlich sei das nicht gut, aber wenn man schon absteige, dann doch am liebsten mit einem Sieg und deshalb, weil Leverkusen nicht Meister würde, bemerkte Guido, der den Schwarzsehern und Besserwissern angehörte, aber nun zu mir aus der Verzweiflungsfraktion so milde vom FC sprach, als habe er die Kreide gefressen, mit der Hermann die Tabelle nicht mehr schrieb.
Daß der FC die längste Zeit der Saison grauenhafte Vorstellungen geliefert hatte - kein Vorwurf kam von Guidos Lippen, nur die simple Feststellung der Tatsache, die er zudem noch mit dem Hinweis auf die Tapferkeit der letzten Auftritte gegen Dortmund oder Bayern sofort verdrängte. Es schien, als hätten er und, wenn seine Schilderung stimmt, auch alle anderen sich zu ihrer eigenen Verblüffung mit der Zweiten Liga abgefunden, Frieden geschlossen mit Wacker Burghausen, Frieden damit, in den überregionalen Sportteilen montags nur noch in der Statistik aufgeführt zu werden, Frieden mit variablen Spieltagen, an denen einen das Deutsche Sportfernsehen hin- und herschiebt wie einen leeren Güterwaggon, Frieden mit unserer eigenen Zweitklassigkeit, der Zweitklassigkeit unseres Lebens, das für die Bundesliga des Glücklichseins einfach nicht mehr reicht. Das war mehr als nur Resignation, es war, als hätte der Schwung des gemeinsam erlebten, anständigen Abstiegs sie dazu beflügelt, sich in die Vergeblichkeit, in die eigene Nichtigkeit, in das Dasein, das nicht gut, aber nun einmal ist, wie es ist, zu ergeben.
An einem traurigen Samstag Nachmittag, dem vorletzten Spieltag der vorerst letzten Erstligasaison des FC, hatte unsere kleine Gemeinde eine große Lektion abgeschlossen: Die Verzweifelten und die Trikotfraktion hatten das Lachen entdeckt, das neben dem Leid besteht, ohne ihm etwas zu nehmen, die Schwarzseher und Besserwisser hatten das unverstellte Leiden mit dem FC gelernt; er muß großartig gewesen sein, dieser Samstag Nachmittag, der noch lange nicht vorbei gewesen sein soll, als gegen halb neun die ersten Unbeteiligten in die Kneipe kamen, in die der Frieden (ja, ich schrecke vor dem Wort und seiner Wiederholung nicht zurück), in die nach den Wochen des Entsetzens der Frieden eingekehrt gewesen sein muß, wenn einer wie Guido lammfromm geworden ist. Ich denke mir es jedenfalls so, denn ich war schließlich nicht dabei und habe es nicht erlebt und bin, sofern Guidos Schilderung nicht trügt, allein in unserer Verzweiflungsfraktion zurückgelassen worden, die aber in der nächsten Saison wieder Zulauf haben dürfte, wie ich befürchte, ohne deswegen zu den Schwarzsehern zu gehören.
Fotos: © Ekko von Schwichow
Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. Er hat Islamwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn studiert und ist promovierter Islamwissenschaftler. Navid Kermani war als Dramaturg am Theater an der Ruhr und am Schauspielhaus Frankfurt tätig sowie als Autor für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (1995-2000). Zuletzt war er Long Term Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Heute lebt Navid Kermani als freier Schriftsteller in Köln. Für sein Buch Gott ist schön - Das ästhetische Erleben des Koran erhielt er den Ernst-Bloch-Förderpreis. Er ist deutscher und iranischer Staatsbürger.


In seiner im Wieser-Verlag erschienenen Anthologie "Europa erlesen: Köln" hat der Autor und Regisseur Joachim Dennhardt bekannte und unbekannte historische Texte über Köln zusammengestellt - u. a. von Petrarca, Casanova, Goethe, Bettina von Arnim, Heine, Hugo, Jakob Burckhardt, Bebel, Apollinaire, Celan - sowie neue Texte von Beikircher, Böll, Heidenreich, Kermani, Neukirchen, Nowottny, Pachl, Pleitgen, Wallraff und vielen anderen.
Am Dienstag, 21.Februar, ab 20 Uhr wird das Buch im Literaturhaus im Kölner Mediapark vorgestellt. Kölner AutorInnen werden ihre eigenen und historische Texte über die Stadt vorlesen, in der einst Rolf Dieter Brinkmann ein Gedicht mit den Versen schloss: "Ich / schrieb das schnell auf, bevor / der Moment in der verfluchten / dunstigen Abgestorbenheit Kölns / wieder erlosch."
Wir bringen heute den dritten Teil einer sechsteiligen Serie aus diesem Köln-Buch - mit je drei Texten von "alten" und lebenden AutorInnen. Sie begann mit Petrarca in NRhZ 28.



"Europa erlesen: Köln",
Hg. Joachim Dennhardt,
ISBN 3 85129 572 2,
Wieser-Verlag , Klagenfurt
Online-Flyer Nr. 31 vom 14.02.2006
"Europa erlesen: Köln" - Text 4
Vom Frieden - oder die Fans vom FC
NAVID KERMANI
Ich war nicht dabei, aber Guido sagte, Klaus habe Freibier ausgeschenkt, Hermann die Wand geputzt und Paulo von gegenüber, wo er bedient, Pizza für alle geholt, während sich Christian und Henning über sechs Barhocker hinweg die üblichen Witze zugespielt hätten, und überhaupt sei es so lustig gewesen wie schon lange nicht mehr nach einem Spiel, weil sich die Spannung aufgelöst habe, die in den vergangenen Wochen neben den verzweifelt Hoffenden auch die Schwarzseher und Besserwisser wie Christian und Henning ergriffen hatte, denen der FC nach der objektiv unglücklichen Niederlage gegen Bayern, spätestens aber nach dem tragischen Ausgang gegen Dortmund bloß noch leid getan hatte, als ein grotesker Fehler des Schiedsrichters einen Elfmeter zur Folge hatte, der den Abstieg des FC wie den unserer Samstagsgemeinde, die wegen der variablen Spieltage der Zweiten Liga kein fester Termin mehr vereinen würde, schon besiegelt hatte, ohne daß wir Verzweifelten zu hoffen aufhörten, versteht sich.
Allerdings hätten wir unseren Starrsinn an den restlichen Samstagen kaum so ungeniert bekundet, wenn nicht die Schwarzseher und Besserwisser überraschend still geworden wären, windelweich, um es in der ortsüblichen Diktion zu sagen, weil selbst sie es nicht länger ertrugen, wie der FC gleich dem Ertrinkenden mit nie dagewesener Kraft um sich schlug, obwohl alle wußten, daß er am Ende dennoch untergehen würde. Das war es ja, anders als beim ersten Abstieg vor drei Jahren hatte sich der FC wirklich bemüht, hatte sich so tapfer gegen das längst Unvermeidliche gestemmt, daß es sogar den Schwarzsehern und Besserwissern vor Mitleid das Herz zerriß und wir Verzweifelten paradox triumphierten, weil, niemand mehr unsere Passion verspottete, weil niemand mehr übriggeblieben war, der sie nicht durchlitt.

Selbst Matze und Paulo hätten keine Lust mehr auf die verkorksten Wochenenden gehabt, Christian habe schon vor dem Spiel, wenn auch leise, wieder zu frotzeln angefangen, und da sich alle im stillen ohnehin eingestanden hätten, daß es vorbei war, und bloß noch darauf warteten, den Abstieg in die Tabelle gemeißelt zu sehen, deren untere Hälfte Hermann mit Kreide bunt an die Wand zu kritzeln sich angewöhnt hatte, seit Ewald Lienen entlassen worden war, um auch jene auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen, die samstags nicht bereits am Nachmittag in die Kneipe pilgerten, eine Maßnahme, die unsere Gemeinde der Bangenden immerhin vergrößerte, weil auch die weniger eingefleischten Anhänger des FC sich zu sorgen begannen, wenngleich das bestimmt nicht Hermanns Motiv war -, da also nun wirklich alle, selbst Heiko und Manuel in ihren rot/weißen Trikots, den Glauben nur noch mit ähnlich großer, vergeblicher Kraft aufrechtzuerhalten vermochten wie der FC, müssen sie beinah dankbar gewesen sein, sich endlich in die Niederlage fügen zu dürfen.

Daß der FC die längste Zeit der Saison grauenhafte Vorstellungen geliefert hatte - kein Vorwurf kam von Guidos Lippen, nur die simple Feststellung der Tatsache, die er zudem noch mit dem Hinweis auf die Tapferkeit der letzten Auftritte gegen Dortmund oder Bayern sofort verdrängte. Es schien, als hätten er und, wenn seine Schilderung stimmt, auch alle anderen sich zu ihrer eigenen Verblüffung mit der Zweiten Liga abgefunden, Frieden geschlossen mit Wacker Burghausen, Frieden damit, in den überregionalen Sportteilen montags nur noch in der Statistik aufgeführt zu werden, Frieden mit variablen Spieltagen, an denen einen das Deutsche Sportfernsehen hin- und herschiebt wie einen leeren Güterwaggon, Frieden mit unserer eigenen Zweitklassigkeit, der Zweitklassigkeit unseres Lebens, das für die Bundesliga des Glücklichseins einfach nicht mehr reicht. Das war mehr als nur Resignation, es war, als hätte der Schwung des gemeinsam erlebten, anständigen Abstiegs sie dazu beflügelt, sich in die Vergeblichkeit, in die eigene Nichtigkeit, in das Dasein, das nicht gut, aber nun einmal ist, wie es ist, zu ergeben.
An einem traurigen Samstag Nachmittag, dem vorletzten Spieltag der vorerst letzten Erstligasaison des FC, hatte unsere kleine Gemeinde eine große Lektion abgeschlossen: Die Verzweifelten und die Trikotfraktion hatten das Lachen entdeckt, das neben dem Leid besteht, ohne ihm etwas zu nehmen, die Schwarzseher und Besserwisser hatten das unverstellte Leiden mit dem FC gelernt; er muß großartig gewesen sein, dieser Samstag Nachmittag, der noch lange nicht vorbei gewesen sein soll, als gegen halb neun die ersten Unbeteiligten in die Kneipe kamen, in die der Frieden (ja, ich schrecke vor dem Wort und seiner Wiederholung nicht zurück), in die nach den Wochen des Entsetzens der Frieden eingekehrt gewesen sein muß, wenn einer wie Guido lammfromm geworden ist. Ich denke mir es jedenfalls so, denn ich war schließlich nicht dabei und habe es nicht erlebt und bin, sofern Guidos Schilderung nicht trügt, allein in unserer Verzweiflungsfraktion zurückgelassen worden, die aber in der nächsten Saison wieder Zulauf haben dürfte, wie ich befürchte, ohne deswegen zu den Schwarzsehern zu gehören.
Fotos: © Ekko von Schwichow
Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. Er hat Islamwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn studiert und ist promovierter Islamwissenschaftler. Navid Kermani war als Dramaturg am Theater an der Ruhr und am Schauspielhaus Frankfurt tätig sowie als Autor für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (1995-2000). Zuletzt war er Long Term Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Heute lebt Navid Kermani als freier Schriftsteller in Köln. Für sein Buch Gott ist schön - Das ästhetische Erleben des Koran erhielt er den Ernst-Bloch-Förderpreis. Er ist deutscher und iranischer Staatsbürger.


In seiner im Wieser-Verlag erschienenen Anthologie "Europa erlesen: Köln" hat der Autor und Regisseur Joachim Dennhardt bekannte und unbekannte historische Texte über Köln zusammengestellt - u. a. von Petrarca, Casanova, Goethe, Bettina von Arnim, Heine, Hugo, Jakob Burckhardt, Bebel, Apollinaire, Celan - sowie neue Texte von Beikircher, Böll, Heidenreich, Kermani, Neukirchen, Nowottny, Pachl, Pleitgen, Wallraff und vielen anderen.
Am Dienstag, 21.Februar, ab 20 Uhr wird das Buch im Literaturhaus im Kölner Mediapark vorgestellt. Kölner AutorInnen werden ihre eigenen und historische Texte über die Stadt vorlesen, in der einst Rolf Dieter Brinkmann ein Gedicht mit den Versen schloss: "Ich / schrieb das schnell auf, bevor / der Moment in der verfluchten / dunstigen Abgestorbenheit Kölns / wieder erlosch."
Wir bringen heute den dritten Teil einer sechsteiligen Serie aus diesem Köln-Buch - mit je drei Texten von "alten" und lebenden AutorInnen. Sie begann mit Petrarca in NRhZ 28.



"Europa erlesen: Köln",
Hg. Joachim Dennhardt,
ISBN 3 85129 572 2,
Wieser-Verlag , Klagenfurt
Online-Flyer Nr. 31 vom 14.02.2006