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Allerweltshaus: Trotz 15 Jahren „Versöhnung“ in Südafrika:
Apartheid noch nicht überwunden
Von Hanna Schmidt

Auch ihre Familie wurde Opfer der Apartheid – Ruth Kadalie, zusammen mit Adnan Keskin vom Allerweltshaus | Foto: Simone Hirt
Passend zum Thema war das zunächst aus der Raphael-Lemkin-Bibliothek präsentierte Buch „Das Erbe der Apartheid – Trauma, Erinnerung, Versöhnung“ von Pumla Gobodo-Madikizela mit einem Vorwort von Nelson Mandela. Es handelt von einer schwarzen Psychologin in Südafrika, die einen hohen Verantwortlichen aus dem Polizeiapparat des Apartheidregimes, der für seine Verbrechen zu 212 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, über Jahre im Gefängnis besuchte, um seine Persönlichkeit darstellen zu können. Aus ihrem Interview mit diesem Folterer geht hervor, dass sie den Mann als einen normalen Menschen wahrnimmt und nicht nur „den Teufel“ in ihm sehen kann. Die Autorin geht sogar so weit, sich teilweise in dem Täter wieder zu finden. Dieser sagt aus, nur das ausgeführt zu haben, was man von ihm erwartet habe, ohne sein Gewissen einzuschalten.

Das Erbe der Apartheid – erschien
2006 bei Budrich
Ralf Berger stellte im Anschluss die Referentin vor. Er selbst kennt die 79-jährige Soziologin seit mehr als 10 Jahren und kann aus eigener Erfahrung sagen, dass sich Ruth Kadalie sich immer mit Herz und Verstand für die Probleme anderer einsetzt und es auch versteht, andere Leute für ihre Projekte zu gewinnen und sie auch direkt zu beteiligen. Bevor sie ihren Vortrag mit besonderem Augenmerk auf der Wahrheits- und Versöhnungskommission und ihre persönlichen Erfahrungen zu dieser Zeit begann, wurde der Kurzfilm „Die Farbe der Wahrheit“ gezeigt. Er bot dem Publikum die Möglichkeit, in das Südafrika zur Zeit des Regimes einzutauchen und über die Bilder eine Vorstellung der Geschichte zu gewinnen.
„Die Farbe der Wahrheit“
„Die Farbe der Wahrheit“ zeigt eine schwarze Familie, die ihren Sohn, bzw. Bruder verloren hat, und wie die sogenannte Wahrheits- und Versöhnungskommission in den Jahren 1994 bis 2000 arbeitete. Ihre Aufgabe war, einen Täter-Opfer-Ausgleich zu schaffen, um so die Vergangenheit zu bewältigen und eine Möglichkeit zur Versöhnung zu bieten. Alle Gewalttaten und Morde sollten vor der Kommission, die in den 6 Jahren fast täglich tagte, öffentlich gemacht werden. Bei sichtbarer Reue und vollständiger Darlegung des Tatherganges wurde den Tätern Amnestie versprochen, wenn sie aus politischen Motiven heraus gehandelt hatten. Doch die Familien der Opfer leiden trotz dieser Geständnisse oft immer noch an den Folgen der Apartheid, wie der unveränderten sozialen Ungleichheit, unangetasteten Besitzverhältnissen und natürlich der großen Trauer um ihre Angehörigen.
Ruth Kadalie erlebte ähnliche Schicksale in ihrer eigenen Familie und beschrieb die Realität in Südafrika als noch sehr viel schlimmer als im Film dargestellt. Ende der 80er-Jahre sei das rassistische Regime bereits abgewirtschaftet gewesen und unter den ausgebeuteten Arbeitern nahmen Aufstände zu. Auch junge Leute begannen sich in Demonstrationen gegen die Diskriminierung der Schwarzen zu wehren. Wirtschaftsfunktionäre begannen wegen ihrer schwindenden Profite Druck auf die Regierung auszuüben. Südafrika wurde zudem international von immer mehr Ländern boykottiert. Da das Apartheidregime gleichzeitig in Befreiungskriege in Angola und Mosambik verwickelt war, wurde es durch die hohen finanziellen Rüstungsausgaben zusätzlich geschwächt und durch das Eingreifen kubanischer Truppen in diese Kämpfe zu Zugeständnissen gezwungen.
Bereits 1990 kam es zu ersten geheimen Sondierungsgesprächen zwischen der Regierung und Nelson Mandela sowie Walter Sisulu. Als Kompromiss wurde ausgehandelt, dass Mandela mit seinen Unterstützern die Regierung nach freien Wahlen übernehmen sollte, allerdings ohne Wirtschaftsreformen, so dass die weiße Elite in Wirtschaft, Militär, Justiz und Medien weiterhin bestehen blieb. Als Präsident bemühte sich Mandela aber um eine Entwicklung, die vor allem der schwarzen Bevölkerungsmehrheit zugute kommen sollte. Immerhin hatte der ANC (African National Congress) in der „Freiheitscharta“ schon 1955 seine Visionen dargelegt, für die seine Mitglieder bereit waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen – vor allem für ein würdiges Leben für alle Südafrikaner/innen durch Bildung und gleiche Chancen bezüglich Gesundheitsversorgung, Arbeit und Wohnen.
Ab 1994 verringerte Mandela durch öffentliche Ausgaben die Armut. So ließ er beispielsweise in die Townships Wasser und Strom verlegen und Toiletten bauen. Dies ließ die schwarze Bevölkerung Hoffnung schöpfen, doch der Erfolg währte nur zwei Jahre, weil sich 1996 die G8-Staaten und die Welthandelsorganisation einzumischen begannen. Anstelle des Entwicklungsprogrammes (RDP) trat im Rahmen der neuen neoliberalen Politik ein Wachstumsprogramm (GEAR). Dieses Programm, das ohne Diskussion in der Bevölkerung etabliert wurde, sollte die Wirtschaft ankurbeln, konnte aber kaum ausländische Investoren anlocken, so dass die Kluft zwischen Armen und Reichen wieder größer wurde und wieder Klassenauseinandersetzungen begannen.
Nachbarländer als „Hinterhof“
Ab Mitte der 90er-Jahre entwickelten sich südafrikanische Konzerne zu multinationalen Konzernen, die sogar an der Börse notiert sind. Die Nachbarländer wurden als „Hinterhof“ zu Beschaffung billiger Arbeitskräfte genutzt, dort die Entwicklung ebenfalls beeinträchtigt und Südafrika so zunehmend unbeliebter wurde. Hinzu kam dass südafrikanische Arbeiter immer häufiger zugunsten der ausländischen, billigeren Arbeitskräfte entlassen wurden. Selbst heute noch, so die Referentin, behandeln die seit der Apartheid paramilitärisch aufgerüsteten Farmer ihre Arbeiter immer noch wie damals.
Nach den demokratischen Wahlen 1994 wurde die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) geschaffen. Das Verhandlungsziel des Apartheidregimes, für Polizei-, Armee- und Geheimdienstangehörige Straffreiheit zu erreichen, wurde weitgehend erreicht. Von mehr als 7.000.Amnestieanträgen auf Straferlass wurden etwa 1.200 genehmigt. Vor dem Gericht der Kommission mussten sich ohnehin überwiegend nur Täter relativ niedrigen Ranges verantworten. gestellt. Die obere Riege des Regimes stellte sich der Kommission nie. Und kein einziger der Täter, so Ruth Kadalies, habe im Laufe der Anhörungen Reue gezeigt, was hohe Anforderungen an die Angehörigen der Opfer stellt, die den Tätern verzeihen sollen. Auch Wiedergutmachung in Form von gemeinnütziger Arbeit oder Therapie für Täter, die grausame Morde begingen gebe es nicht. Bis 2006 wurden die Opfer auch durch die Regierung nicht finanziell entschädigt, wobei Ruth Kadalie die Meinung vertritt, die weißen Täter sollten an möglichen Zahlungen beteiligt
werden, da die ungleiche Verteilung von Eigentum schmerzt die Opfer zusätzlich schmerze. Als weiteren Mangel der TRC bezeichnete es Ruth Kadalie, dass die Kommission immer nur über Einzeltäter verhandelte, es aber nie zu einer Kritik am ganzen System gekommen sei. Viele Frauen wurden unter dem Apartheidregime vergewaltigt, trauen sich aber bis heute nicht darüber auszusagen, weil sie Angst vor einer Stigmatisierung in der Öffentlichkeit haben. So kann ihr Leiden nicht angemessen gewürdigt werden.
Zusammenleben weiter schwierig
Wie schwierig es ist, dass nicht entschädigte Opfer und nicht bestrafte Täter in einem Land nebeneinander leben müssen, belegte Ruth Kadalie mit einer Geschichte aus ihrer Familie. Ihr eigener Sohn wurde 1976 verhaftet und gefoltert. Nach längerem Auslandsaufenthalt kehrte er 1992 wieder nach Südafrika zurück und traf zufällig in einem Café auf einen seiner Folterer. Sein erster Reflex war ein Rachegedanke, den er aber unterdrückte, um seinen Kindern nicht zu schaden. Hinzu kommt, dass auch heute noch Diskriminierung von Schwarzen im Alltag, beispielsweise bei Busfahrten, immer noch präsent ist. Allmählich bilde sich zwar ein neues Selbstbewusstsein vor allem bei der schwarzen Jugend heraus, doch, so die Referentin, der Masse der Bevölkerung gehe es wirtschaftlich immer schlechter, sogar schlechter als zu Zeiten der Apartheid.
Wachsende Armut – wachsende Kriminalität
Ein Thema der anschließenden Diskussion war die wachsende Kriminalität in Südafrika. Die Frage, ob sich die Gewalt nur gegen Weiße richte, konnte Ruth Kadalie nicht bestätigen. Ihr Mann, ein Schwarzer, wurde selbst schon überfallen. Da die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren stark zugenommen hat, sehen sich viele Schwarze aus der Not heraus zum Stehlen gezwungen, um ihre Kinder zu ernähren. Da die Weißen insgesamt reicher sind als die Schwarzen, schotten sie sich hinter hohen Mauern und hinter Alarmanlagen ab.
Auch Aids ist ein großes Problem in Südafrika. Durch die vielen Todesfälle stirbt eine ganze Generation weg. Die zurückbleibenden Waisenkinder bekommen keine Ausbildung und haben somit auch keine Zukunftschancen. Die Armut wächst dadurch noch mehr. Befragt zur Rolle der Kirche während der Apartheid, berichtete Ruth Kadalie, es habe auch Kirchen gegeben, die Rassentrennung praktizierten. So habe man sogar gepredigt, dass „die Schwarzen keine Seele hätten“.
Ein weiteres Problem in Südafrika bestehe darin, dass das Apartheidregime versuchte, jede Eigeninitiative zu unterbinden und zu verbieten. Die Menschen sollten nur im Rahmen der für sie vorgesehenen Rollen funktionieren. Auf Grund dieses angelernten passiven Verhaltens komme es heute dazu, dass sich Migranten aus anderen afrikanischen Ländern häufig als geschickter und flexibler im Handel erweisen, wodurch sich die Südafrikaner, besonders die Ärmsten, die mit kleinen Marktständen um ihr Überleben kämpfen, gegenüber den Einwanderern benachteiligt. Dies sei einer der Gründe für Gewaltausbrüche gegen Migranten in den vergangenen Monaten gewesen. (PK)
Online-Flyer Nr. 167 vom 08.10.2008
Allerweltshaus: Trotz 15 Jahren „Versöhnung“ in Südafrika:
Apartheid noch nicht überwunden
Von Hanna Schmidt

Auch ihre Familie wurde Opfer der Apartheid – Ruth Kadalie, zusammen mit Adnan Keskin vom Allerweltshaus | Foto: Simone Hirt
Passend zum Thema war das zunächst aus der Raphael-Lemkin-Bibliothek präsentierte Buch „Das Erbe der Apartheid – Trauma, Erinnerung, Versöhnung“ von Pumla Gobodo-Madikizela mit einem Vorwort von Nelson Mandela. Es handelt von einer schwarzen Psychologin in Südafrika, die einen hohen Verantwortlichen aus dem Polizeiapparat des Apartheidregimes, der für seine Verbrechen zu 212 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, über Jahre im Gefängnis besuchte, um seine Persönlichkeit darstellen zu können. Aus ihrem Interview mit diesem Folterer geht hervor, dass sie den Mann als einen normalen Menschen wahrnimmt und nicht nur „den Teufel“ in ihm sehen kann. Die Autorin geht sogar so weit, sich teilweise in dem Täter wieder zu finden. Dieser sagt aus, nur das ausgeführt zu haben, was man von ihm erwartet habe, ohne sein Gewissen einzuschalten.

Das Erbe der Apartheid – erschien
2006 bei Budrich
„Die Farbe der Wahrheit“
„Die Farbe der Wahrheit“ zeigt eine schwarze Familie, die ihren Sohn, bzw. Bruder verloren hat, und wie die sogenannte Wahrheits- und Versöhnungskommission in den Jahren 1994 bis 2000 arbeitete. Ihre Aufgabe war, einen Täter-Opfer-Ausgleich zu schaffen, um so die Vergangenheit zu bewältigen und eine Möglichkeit zur Versöhnung zu bieten. Alle Gewalttaten und Morde sollten vor der Kommission, die in den 6 Jahren fast täglich tagte, öffentlich gemacht werden. Bei sichtbarer Reue und vollständiger Darlegung des Tatherganges wurde den Tätern Amnestie versprochen, wenn sie aus politischen Motiven heraus gehandelt hatten. Doch die Familien der Opfer leiden trotz dieser Geständnisse oft immer noch an den Folgen der Apartheid, wie der unveränderten sozialen Ungleichheit, unangetasteten Besitzverhältnissen und natürlich der großen Trauer um ihre Angehörigen.
Ruth Kadalie erlebte ähnliche Schicksale in ihrer eigenen Familie und beschrieb die Realität in Südafrika als noch sehr viel schlimmer als im Film dargestellt. Ende der 80er-Jahre sei das rassistische Regime bereits abgewirtschaftet gewesen und unter den ausgebeuteten Arbeitern nahmen Aufstände zu. Auch junge Leute begannen sich in Demonstrationen gegen die Diskriminierung der Schwarzen zu wehren. Wirtschaftsfunktionäre begannen wegen ihrer schwindenden Profite Druck auf die Regierung auszuüben. Südafrika wurde zudem international von immer mehr Ländern boykottiert. Da das Apartheidregime gleichzeitig in Befreiungskriege in Angola und Mosambik verwickelt war, wurde es durch die hohen finanziellen Rüstungsausgaben zusätzlich geschwächt und durch das Eingreifen kubanischer Truppen in diese Kämpfe zu Zugeständnissen gezwungen.
Bereits 1990 kam es zu ersten geheimen Sondierungsgesprächen zwischen der Regierung und Nelson Mandela sowie Walter Sisulu. Als Kompromiss wurde ausgehandelt, dass Mandela mit seinen Unterstützern die Regierung nach freien Wahlen übernehmen sollte, allerdings ohne Wirtschaftsreformen, so dass die weiße Elite in Wirtschaft, Militär, Justiz und Medien weiterhin bestehen blieb. Als Präsident bemühte sich Mandela aber um eine Entwicklung, die vor allem der schwarzen Bevölkerungsmehrheit zugute kommen sollte. Immerhin hatte der ANC (African National Congress) in der „Freiheitscharta“ schon 1955 seine Visionen dargelegt, für die seine Mitglieder bereit waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen – vor allem für ein würdiges Leben für alle Südafrikaner/innen durch Bildung und gleiche Chancen bezüglich Gesundheitsversorgung, Arbeit und Wohnen.
Ab 1994 verringerte Mandela durch öffentliche Ausgaben die Armut. So ließ er beispielsweise in die Townships Wasser und Strom verlegen und Toiletten bauen. Dies ließ die schwarze Bevölkerung Hoffnung schöpfen, doch der Erfolg währte nur zwei Jahre, weil sich 1996 die G8-Staaten und die Welthandelsorganisation einzumischen begannen. Anstelle des Entwicklungsprogrammes (RDP) trat im Rahmen der neuen neoliberalen Politik ein Wachstumsprogramm (GEAR). Dieses Programm, das ohne Diskussion in der Bevölkerung etabliert wurde, sollte die Wirtschaft ankurbeln, konnte aber kaum ausländische Investoren anlocken, so dass die Kluft zwischen Armen und Reichen wieder größer wurde und wieder Klassenauseinandersetzungen begannen.
Nachbarländer als „Hinterhof“
Ab Mitte der 90er-Jahre entwickelten sich südafrikanische Konzerne zu multinationalen Konzernen, die sogar an der Börse notiert sind. Die Nachbarländer wurden als „Hinterhof“ zu Beschaffung billiger Arbeitskräfte genutzt, dort die Entwicklung ebenfalls beeinträchtigt und Südafrika so zunehmend unbeliebter wurde. Hinzu kam dass südafrikanische Arbeiter immer häufiger zugunsten der ausländischen, billigeren Arbeitskräfte entlassen wurden. Selbst heute noch, so die Referentin, behandeln die seit der Apartheid paramilitärisch aufgerüsteten Farmer ihre Arbeiter immer noch wie damals.
Nach den demokratischen Wahlen 1994 wurde die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) geschaffen. Das Verhandlungsziel des Apartheidregimes, für Polizei-, Armee- und Geheimdienstangehörige Straffreiheit zu erreichen, wurde weitgehend erreicht. Von mehr als 7.000.Amnestieanträgen auf Straferlass wurden etwa 1.200 genehmigt. Vor dem Gericht der Kommission mussten sich ohnehin überwiegend nur Täter relativ niedrigen Ranges verantworten. gestellt. Die obere Riege des Regimes stellte sich der Kommission nie. Und kein einziger der Täter, so Ruth Kadalies, habe im Laufe der Anhörungen Reue gezeigt, was hohe Anforderungen an die Angehörigen der Opfer stellt, die den Tätern verzeihen sollen. Auch Wiedergutmachung in Form von gemeinnütziger Arbeit oder Therapie für Täter, die grausame Morde begingen gebe es nicht. Bis 2006 wurden die Opfer auch durch die Regierung nicht finanziell entschädigt, wobei Ruth Kadalie die Meinung vertritt, die weißen Täter sollten an möglichen Zahlungen beteiligt
werden, da die ungleiche Verteilung von Eigentum schmerzt die Opfer zusätzlich schmerze. Als weiteren Mangel der TRC bezeichnete es Ruth Kadalie, dass die Kommission immer nur über Einzeltäter verhandelte, es aber nie zu einer Kritik am ganzen System gekommen sei. Viele Frauen wurden unter dem Apartheidregime vergewaltigt, trauen sich aber bis heute nicht darüber auszusagen, weil sie Angst vor einer Stigmatisierung in der Öffentlichkeit haben. So kann ihr Leiden nicht angemessen gewürdigt werden.
Zusammenleben weiter schwierig
Wie schwierig es ist, dass nicht entschädigte Opfer und nicht bestrafte Täter in einem Land nebeneinander leben müssen, belegte Ruth Kadalie mit einer Geschichte aus ihrer Familie. Ihr eigener Sohn wurde 1976 verhaftet und gefoltert. Nach längerem Auslandsaufenthalt kehrte er 1992 wieder nach Südafrika zurück und traf zufällig in einem Café auf einen seiner Folterer. Sein erster Reflex war ein Rachegedanke, den er aber unterdrückte, um seinen Kindern nicht zu schaden. Hinzu kommt, dass auch heute noch Diskriminierung von Schwarzen im Alltag, beispielsweise bei Busfahrten, immer noch präsent ist. Allmählich bilde sich zwar ein neues Selbstbewusstsein vor allem bei der schwarzen Jugend heraus, doch, so die Referentin, der Masse der Bevölkerung gehe es wirtschaftlich immer schlechter, sogar schlechter als zu Zeiten der Apartheid.
Wachsende Armut – wachsende Kriminalität
Ein Thema der anschließenden Diskussion war die wachsende Kriminalität in Südafrika. Die Frage, ob sich die Gewalt nur gegen Weiße richte, konnte Ruth Kadalie nicht bestätigen. Ihr Mann, ein Schwarzer, wurde selbst schon überfallen. Da die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren stark zugenommen hat, sehen sich viele Schwarze aus der Not heraus zum Stehlen gezwungen, um ihre Kinder zu ernähren. Da die Weißen insgesamt reicher sind als die Schwarzen, schotten sie sich hinter hohen Mauern und hinter Alarmanlagen ab.
Auch Aids ist ein großes Problem in Südafrika. Durch die vielen Todesfälle stirbt eine ganze Generation weg. Die zurückbleibenden Waisenkinder bekommen keine Ausbildung und haben somit auch keine Zukunftschancen. Die Armut wächst dadurch noch mehr. Befragt zur Rolle der Kirche während der Apartheid, berichtete Ruth Kadalie, es habe auch Kirchen gegeben, die Rassentrennung praktizierten. So habe man sogar gepredigt, dass „die Schwarzen keine Seele hätten“.
Ein weiteres Problem in Südafrika bestehe darin, dass das Apartheidregime versuchte, jede Eigeninitiative zu unterbinden und zu verbieten. Die Menschen sollten nur im Rahmen der für sie vorgesehenen Rollen funktionieren. Auf Grund dieses angelernten passiven Verhaltens komme es heute dazu, dass sich Migranten aus anderen afrikanischen Ländern häufig als geschickter und flexibler im Handel erweisen, wodurch sich die Südafrikaner, besonders die Ärmsten, die mit kleinen Marktständen um ihr Überleben kämpfen, gegenüber den Einwanderern benachteiligt. Dies sei einer der Gründe für Gewaltausbrüche gegen Migranten in den vergangenen Monaten gewesen. (PK)
Online-Flyer Nr. 167 vom 08.10.2008