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Gipfeltreffen der besonderen Art oder Warum Blasmusik so schön sein kann
Die Schweiz bläst zum Angriff
Von Christine Schmidt

Plakat von Kwaggawerk
Zunächst einmal ein paar Informationen zum besseren Verständnis, bevor ich dann weiter hemmungslos drauflos schwärmen kann. Das Entlebuch ist nichts anderes als die Bezeichnung für eine Bergregion im Kanton Luzern. Dort spielt man zu Karneval, wie fast überall in der Schweiz, gerne Blasmusik und da alle Arten von Blasinstrumenten in der Schweiz auch „Gugge“ heißen, spielt man dort halt „Guggenmusik“. So einfach ist das. Ab und zu landet dann mal ein Schweizer Musiker, in diesem Fall heißt er Reto Stadelmann, der früher zu Hause auch mal Guggenmusik gemacht hat, in Köln und gründet dort ein Kunstorchester Namens „Kwaggawerk“. Und da man auch in Köln zu Karneval gerne Blasmusik spielt, was liegt da näher, als mal ein paar erfahrene Guggenmusik-Gruppen aus der alten Heimat nach Köln einzuladen, zwecks Kulturaustausch und so? Gesagt, getan und schon trifft „Entlebuch“ ein halbes Zebra – denn Kwagga ist in Afrikaans die Bezeichnung für Zebra. Alles klar? Dann kann ich ja, wie angekündigt, weiter schwärmen.
Los ging’s für mich und viele andere am Samstag um 18 Uhr am Fuß der Deutzer Brücke am Rande der Kölner Altstadt. Ich hätte aber auch an der Bastei, am Schokoladenmuseum, mitten im Einkaufsrummel in der Kölner Innenstadt oder am Lufthansahaus auf der anderen Rheinseite sein können. Denn das war eine der Besonderheiten dieser Aktion, dass sie an fünf Orten gleichzeitig begann und so viele verschiedene Menschen an ganz unterschiedlichen Orten der Stadt gleichzeitig ansprach. Die meisten davon ohne Vorwissen oder gar Vorwarnung, denn es hatte im öffentlichen Raum so gut wie keine Werbung gegeben, und so wussten nur wenige Eingeweihte durch Mund zu Mund Propaganda, was sie gleich erwarten würde.
Schon bevor es endlich losging bei uns in der Altstadt, wehte der Wind geheimnisvoll einige Blasmusikfetzen aus Deutz herüber. Keineswegs geheimnisvoll, sondern eher stürmisch, fegte dann urplötzlich die Musik der „Schonbachgusler“, der Gruppe, der ich mich im Köln-Schweizer Kulturaustausch angeschlossen hatte, über die Zuhörer hinweg. Herrlich schräg, immer haarscharf an der Melodie vorbei, rhythmisch vorantreibend, was durchaus zum Konzept der schweizerischen Anarcho-Pop-Musik gehört.

Die Schonbachgusler: Schweizer Guggenmusik in der Kölner Altstadt vor dänisch-irisch-türkischer Geschäftskulisse
Wer konnte da widerstehen und einfach still stehen bleiben? Niemand. Nicht die Touristen aus dem fernen oder dem Nahen Osten, nicht Menschen mit oder ohne Kopftuch, nicht Alt, nicht Jung, nicht die Bedienung aus der Altstadtkneipe, nicht die vielen „Junggesellenabschied“ Feiernden und schon gar nicht die Kinder, meist auf den Schultern ihrer Väter wippend, zwecks besserer Übersicht.
Und das war eine weitere Besonderheit dieses Ereignisses, dass es niemanden kalt ließ, egal, welche Musik man sonst hört, ob Punk oder Klassik oder aus welchem Kulturkreis man kommt: Ständig fragte man sich „Das kenn ich doch, das Stück, was ist das bloß?“, bis man jemanden neben sich sagen hörte „Aber das ist doch von Abba... Klar, Super Trouper!“ – „Und das von Madonna... Logisch, Like a little Prayer!“ Knapp daneben ist auch daneben, aber dieses gemeinsame Musikraten hatte auch etwas Verbindendes und macht tierisch Spaß.

Schonbachgusler in kleidsamem Regencape als Kulturbotschafter
Spaß machte den Schonbachguslern offensichtlich auch das Versteckspielen. Denn immer wieder verschwanden sie auf ihrem Weg über den Heumarkt, den Alter Markt und die Altstattgassen einfach in der Menge, um dann auf ein Zeichen ihres Dirigenten hin aus allen Ecken spielend wieder in die Platzmitte zu strömen, dort ein, zwei Titel zu spielen und wieder in der Menge abzutauchen. Ein faszinierendes Spiel. So faszinierend, dass ihnen viele Menschen, die eigentlich eher shoppen, den Dom anschauen oder im Café sitzen wollten, bis hin zu den Rheintreppen an der Philharmonie folgten.
Gleiches gelang auch den anderen Guggenmusikern, nicht zuletzt den Ratteschwänz aus dem Escholzmatt, denen die Menschen wie einst dem Rattenfänger den ganzen Weg von der Schäl Sick, über die Hohenzollernbrücke bis zum Dom gefolgt waren.

Ziemlich schräg: Ratteschwänz ziehen über die Hohenzollernbrücke
Grandios dann das mehr als einstündige Finale: zusammen, nacheinander, nebeneinander, auch mal durcheinander intonierten alle noch einmal ihre Hits, enthusiastisch beklatscht vom zahlreichen Publikum aus aller Welt. Besonders schön anzuschauen vor der Kulisse des Doms und der „Berggipfel“ des Museum Ludwig waren die Berge und Tannenwipfel aus Pappe, die die Kwaggawerker aus Köln als Zeichen ihres Fernwehs auf dem Rücken trugen. Wie gesagt, ein Gipfeltreffen der besonderen Art.

Kurze Kunstpause beim Gipfeltreffen (im Anzug der „Tamburinmajor")

Viel Harmonie: Die Äntegugger auf der Rheintreppe
Und plötzlich, ein paar bengalische Feuer und einige Standortwechsel später, war alles vorbei. Vier große, grüne Reisebusse aus dem Entlebuch verschluckten Instrumente und Musiker in ihren Bäuchen, noch ein paar Stücke herzhafter Schweizer Käse wurden verteilt, und vorbei war es mit dem Bergzauber. Plötzlich hörte man wieder die unsägliche Discomusik aus den einschlägigen Kneipen schallen, das Lärmen der ebenso unsäglichen JungesellInnenabschiede, Verkehrsgeräusche, die Partitur einer Großstadt an einem Samstagabend im August.
Wer nun das Gefühl hat, wirklich etwas verpasst zu haben, hat nicht nur recht, sondern auch noch eine Gelegenheit einiges nachzuholen, so beispielsweise auf der MySpace-Seite von Kwaggawerk oder live und in Farbe auf dem Kölner Karneval der Kulturen „Karneval Global“, der am 6. September vom Neptunplatz aus durch Köln-Ehrenfeld zieht. (CH)

Das muss man erstmal alles auf die Reihe kriegen

Vor den Rheintreppen: Den Tamburinmajoren...

...kommt eine Schlüsselrolle zu!

Supermarkttüten und Quietsche-Ente als Schutz gegen widerspenstiges Wetter...

...Man kann aber auch versuchen, dagegen anzublasen...
Alle Fotos: Christine Schmidt
Online-Flyer Nr. 158 vom 06.08.2008
Gipfeltreffen der besonderen Art oder Warum Blasmusik so schön sein kann
Die Schweiz bläst zum Angriff
Von Christine Schmidt

Plakat von Kwaggawerk
Los ging’s für mich und viele andere am Samstag um 18 Uhr am Fuß der Deutzer Brücke am Rande der Kölner Altstadt. Ich hätte aber auch an der Bastei, am Schokoladenmuseum, mitten im Einkaufsrummel in der Kölner Innenstadt oder am Lufthansahaus auf der anderen Rheinseite sein können. Denn das war eine der Besonderheiten dieser Aktion, dass sie an fünf Orten gleichzeitig begann und so viele verschiedene Menschen an ganz unterschiedlichen Orten der Stadt gleichzeitig ansprach. Die meisten davon ohne Vorwissen oder gar Vorwarnung, denn es hatte im öffentlichen Raum so gut wie keine Werbung gegeben, und so wussten nur wenige Eingeweihte durch Mund zu Mund Propaganda, was sie gleich erwarten würde.
Schon bevor es endlich losging bei uns in der Altstadt, wehte der Wind geheimnisvoll einige Blasmusikfetzen aus Deutz herüber. Keineswegs geheimnisvoll, sondern eher stürmisch, fegte dann urplötzlich die Musik der „Schonbachgusler“, der Gruppe, der ich mich im Köln-Schweizer Kulturaustausch angeschlossen hatte, über die Zuhörer hinweg. Herrlich schräg, immer haarscharf an der Melodie vorbei, rhythmisch vorantreibend, was durchaus zum Konzept der schweizerischen Anarcho-Pop-Musik gehört.

Die Schonbachgusler: Schweizer Guggenmusik in der Kölner Altstadt vor dänisch-irisch-türkischer Geschäftskulisse
Wer konnte da widerstehen und einfach still stehen bleiben? Niemand. Nicht die Touristen aus dem fernen oder dem Nahen Osten, nicht Menschen mit oder ohne Kopftuch, nicht Alt, nicht Jung, nicht die Bedienung aus der Altstadtkneipe, nicht die vielen „Junggesellenabschied“ Feiernden und schon gar nicht die Kinder, meist auf den Schultern ihrer Väter wippend, zwecks besserer Übersicht.
Und das war eine weitere Besonderheit dieses Ereignisses, dass es niemanden kalt ließ, egal, welche Musik man sonst hört, ob Punk oder Klassik oder aus welchem Kulturkreis man kommt: Ständig fragte man sich „Das kenn ich doch, das Stück, was ist das bloß?“, bis man jemanden neben sich sagen hörte „Aber das ist doch von Abba... Klar, Super Trouper!“ – „Und das von Madonna... Logisch, Like a little Prayer!“ Knapp daneben ist auch daneben, aber dieses gemeinsame Musikraten hatte auch etwas Verbindendes und macht tierisch Spaß.

Schonbachgusler in kleidsamem Regencape als Kulturbotschafter
Spaß machte den Schonbachguslern offensichtlich auch das Versteckspielen. Denn immer wieder verschwanden sie auf ihrem Weg über den Heumarkt, den Alter Markt und die Altstattgassen einfach in der Menge, um dann auf ein Zeichen ihres Dirigenten hin aus allen Ecken spielend wieder in die Platzmitte zu strömen, dort ein, zwei Titel zu spielen und wieder in der Menge abzutauchen. Ein faszinierendes Spiel. So faszinierend, dass ihnen viele Menschen, die eigentlich eher shoppen, den Dom anschauen oder im Café sitzen wollten, bis hin zu den Rheintreppen an der Philharmonie folgten.
Gleiches gelang auch den anderen Guggenmusikern, nicht zuletzt den Ratteschwänz aus dem Escholzmatt, denen die Menschen wie einst dem Rattenfänger den ganzen Weg von der Schäl Sick, über die Hohenzollernbrücke bis zum Dom gefolgt waren.

Ziemlich schräg: Ratteschwänz ziehen über die Hohenzollernbrücke
Grandios dann das mehr als einstündige Finale: zusammen, nacheinander, nebeneinander, auch mal durcheinander intonierten alle noch einmal ihre Hits, enthusiastisch beklatscht vom zahlreichen Publikum aus aller Welt. Besonders schön anzuschauen vor der Kulisse des Doms und der „Berggipfel“ des Museum Ludwig waren die Berge und Tannenwipfel aus Pappe, die die Kwaggawerker aus Köln als Zeichen ihres Fernwehs auf dem Rücken trugen. Wie gesagt, ein Gipfeltreffen der besonderen Art.

Kurze Kunstpause beim Gipfeltreffen (im Anzug der „Tamburinmajor")

Viel Harmonie: Die Äntegugger auf der Rheintreppe
Und plötzlich, ein paar bengalische Feuer und einige Standortwechsel später, war alles vorbei. Vier große, grüne Reisebusse aus dem Entlebuch verschluckten Instrumente und Musiker in ihren Bäuchen, noch ein paar Stücke herzhafter Schweizer Käse wurden verteilt, und vorbei war es mit dem Bergzauber. Plötzlich hörte man wieder die unsägliche Discomusik aus den einschlägigen Kneipen schallen, das Lärmen der ebenso unsäglichen JungesellInnenabschiede, Verkehrsgeräusche, die Partitur einer Großstadt an einem Samstagabend im August.
Wer nun das Gefühl hat, wirklich etwas verpasst zu haben, hat nicht nur recht, sondern auch noch eine Gelegenheit einiges nachzuholen, so beispielsweise auf der MySpace-Seite von Kwaggawerk oder live und in Farbe auf dem Kölner Karneval der Kulturen „Karneval Global“, der am 6. September vom Neptunplatz aus durch Köln-Ehrenfeld zieht. (CH)

Das muss man erstmal alles auf die Reihe kriegen

Vor den Rheintreppen: Den Tamburinmajoren...

...kommt eine Schlüsselrolle zu!

Supermarkttüten und Quietsche-Ente als Schutz gegen widerspenstiges Wetter...

...Man kann aber auch versuchen, dagegen anzublasen...
Alle Fotos: Christine Schmidt
Online-Flyer Nr. 158 vom 06.08.2008