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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 10
"Zwielicht"
Von Erasmus Schöfer

Mannesmann-Betriebsrat Manfred Anklam organisiert einen Info-Abend bei der örtlichen Bürgerinitiative, um breiten Widerstand gegen die vom Konzernvorstand beschlossene Betriebsstillegung im Düsseldorfer Stadtteil Reisholz auf die Beine zu bringen. Der sympathisierende Journalist der Demokratischen Zeitung Armin Kolenda und schreibende Kollegen aus dem "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" sollen Öffentlichkeitsarbeit leisten. Anklams Gipsbein verdankt sich einem Fahrradunfall. Wenn er von IGM spricht, meint er die Industriegewerkschaft Metall, und die VKL ist die Vertrauenskörperleitung, ein gewähltes Gremium von Arbeitervertretern.

Schon wieder das Telefon. Die Sekretärin nahm ab. Die Demokratische Zeitung, ein Herr Kolenda! Ja, gib her. Hallo Kollege Kolenda! Manfred Anklam hier. Wolltest du mich sprechen oder unsern Vorsitzenden? Ich hab die Bude voller Kollegen, schwerer Sturm bei uns, was willst du wissen? Ja alles wollte der wissen was nicht in der Zeitung stand, ein Hintergrundgespräch, mit Kurt Kemperdiek und mit ihm, am liebsten einzeln. Schwierig zur Zeit, unser Schiff ist in Seenot, vielleicht morgen nach der Betriebsversammlung. Oder wart mal - heut abend trifft sich die MIG in der Reisholzer Bahnhofswirtschaft, kennst du ja. Da müsste was Zeit sein. Kolenda versprach dort aufzukreuzen.

Die fünf Freigestellten vom Betriebsausschuss berichteten, dass die Geschäftsleitung umgefallen war, ihren Widerstand gegen die Betriebsversammlung aufgegeben hatte. Einziges Zugeständnis der Betriebsräte: statt mittags zum Schichtwechsel erst am Nachmittag, zwei Stunden der Spätschicht. Na wenn schon. Wie die Stimmung war, würden auch die Frühschichtler teilnehmen. Kemperdiek informierte die Verwaltungsstelle in Düsseldorf, Schorsch Eupers. Diktierte die Einladung, fürs Schwarze Brett. Einziger Tagesordnungspunkt: Die Stillegung, a) Bericht des SRW Vorstands, b) Bericht des Betriebsrates, c) Aussprache. Fünf Durchschläge, rief Manfred rüber, für alle Abteilungen! Klar Manfred, fünf Durchschläge. Und Anklam schlug vor, alle Betriebsräte und erreichbaren Vertrauensleute außerdem im Werk rumzuschicken mit der Nachricht, bei der kurzen Frist. Wieder stimmte Kemperdiek zu. Die sollten aber zugleich die illegalen Arbeitsniederlegungen und Störungen abstellen, jetzt, wo die Leitung kooperiert.

Keine Einwände von Manfred Anklam dagegen, dass die Betriebsräte einmal Beweise liefern, wie sie ihrer gesetzlich auferlegten Friedenspflicht genügen. Obwohl für ihn glasklar war: der Frieden dieses Betriebs war von Overbeck mit seinem Konzernvorstand gebrochen worden, in kalter Logik der Flurbereinigungen zwischen Mannesmann und Thyssen. Das war längst ausgekungelt, und jetzt hatten sie den Zeitpunkt für günstig befunden. Das Management hatte der Belegschaft den Betriebskrieg erklärt. Nur nannten sie das nicht so und erwarteten auch keinen Widerstand gegen diese Notwendigkeit der ökonomischen Vernunft, schon gar nicht bei den gewählten Offizieren der Angegriffnen, die im Gegenteil mögliche Widersetzlichkeiten zu besänftigen, zu unterbinden hatten. Also verbeugen wir uns doch mal ein bisschen vor dem Gesetz unsrer Herren.

Der Trubel riss nicht ab bis zum Abend, ein Schinkenbrötchen, zwei Tafeln Milka und ne Flasche Milch hatte ihm Ellie aus der Kantine beschafft, die bediente Anklam mit der Linken, brauchte die Rechte weiter zum Telefonieren, Schreiben, Gestikulieren. Henner Draeger schoffierte ihn die paar hundert Meter zur Bahnhofswirtschaft, half ihm fast fürsorglich aus dem Wagen. Plötzliche Nächstenliebe? Aus der Angst?

erasmus schoeferStuhlmangel im Vereinszimmer. Eine Rauch und Lautstärke wie lange nicht mehr auf einer Versammlung der MIG. Manfred Anklam wurde vielstimmig begrüßt, mehrere boten ihm ihre Stühle an, wilde Vermutungen über die Ursache des Gipsbeins, ob er damit dem MannesmannVorstand in den Arsch? Fußsprung ins leere Schwimmbad? Der alte Wandel wedelte mit seinem Krückstock - hallo Herr Anklam, jetzt haben wir was gemeinsam! aber es gab kaum Gelächter und selbst Volker Götz, der fast immer lachbereite und optimistische Anwalt, brachte zur Begrüßung nur ein paar angestrengte Lächelfalten an die Mundwinkel. Manfred erkannte Wiedemann und einige andre Kollegen, die in den SchmidtHäusern wohnten, an einem Ecktisch Armin Kolenda mit dem schnauzbärtigen Studenten aus dem Werkkreis. Nicht dass alle Stimmen nach Anklams Ankunft verstummten, aber der Lärm verebbte allmählich in der Erwartung, die Götz aussprach: Manfred, hier lauern alle auf dich, auf Nachrichten aus euerm Betrieb - was wird aus Reisholz?

Anklam schob sich hoch mit den Krücken auf das beschuhte Bein, blickte einmal in die Runde: Nabend Leute. Gut dass ihr so viele seid. Bei uns im Betriebsrat und im Werk sind die Puppen am Tanzen. Ich denke, ihr wisst warum. Stand ja inner Zeitung. Ich habe den ganzen Tag keinen warmen Happen zwischen die Zähne gekriegt. Gleich kommen meine Frikadellen. Meine Meinung ist: Die StahlundRöhrenWerke gehören zu Reisholz, auch wenn sie manchmal stinken und rußen. Den Ruß und den Gestank werdet ihr vermutlich immer noch erträglicher finden als fünfzehnhundert arbeitslose Familien. Die Belegschaft wird den Beschluss des Vorstands nicht als göttliches Schicksal hinnehmen. Ihr hier müsst aber nicht fragen: was machen DIE, sondern was machen WIR! Als friedenspflichtiges Betriebsratmitglied bin ich hier, um die Stimmung der Bevölkerung kennenzulernen, nicht um sie aufzustacheln, so notwendig das wäre. Das müsst ihr selber tun. Mhm! Da erscheinen meine Frikadellen! Also Leute, mehr kann und will ich nicht sagen - ihr habt das Wort.

Auch wenn die andern Werkkreis Kollegen eine tätliche Mitarbeit in der MIG, über die Recherchen für ihren Roman hinaus, notgedrungen abgelehnt hatten - Musch war klar, dass für ihn als altgedienten Flugblattverteiler vor dem Werkstor, als Anwohner und Anzetteler der Verbindung zwischen MIG und Werkkreis, andre Pflichten entstanden. Er war voll bereit für die an diesem Abend beschlossnen Aktivitäten der Reisholzer zur Erregung eines öffentlichen Ärgernisses im Düsseldorfer Süden und zur Unterstützung der um ihr Überleben bangenden Belegschaft.

Als sie nach der Sitzung noch zusammensaßen, Götz, Anklam, Kolenda und Muschner, waren sie irgendwie zufrieden, mit dem Tag, mit sich, mit der Entwicklung der Dinge. Kolenda sprach das Gefühl aus, verwundert, die andern bestätigten seinen Eindruck - vielleicht die gefassten Beschlüsse im Betrieb, in der MIG, vielleicht die Aussicht auf die Betriebsversammlung, wo der Vorstand vor den Arbeitern Farbe bekennen sollte, vielleicht nur die durch Biere weich gespülte Erschöpfung - nichts war bisher wirklich gewonnen, sagte der kritische Verstand, außer ein paar Funken Hoffnung.

Anklam berichtete dem DZReporter Kolenda von den spontanen Arbeitsniederlegungen im Betrieb und dem Entschluss der VKL, eine Demonstration durch Reisholz am Wochenende, mit Flugblättern und Infoständen, aber das hat der Kollege Wiedemann ja vorhin schon, vielleicht eine Delegation zum IGM Vorstand in Frankfurt, um vom Kollegen Loderer persönlich zu erfahren, was im Konzernvorstand unter seiner Mitwirkung gelaufen war, oder zur Landesregierung, je nachdem was sich morgen aus der Betriebsversammlung ergeben würde. Kolenda fragte, ob die presseöffentlich sei, nein: nur Betriebsangehörige. Ob er ihn dort nicht einschleusen könne, unauffällig? Da wusste Götz, mit juristisch gefurchter Stirn, dass so etwas die fristlose Entlassung des Verantwortlichen zur Folge hätte, wenn das aufflöge. Hinterher kann der Betriebsrat eine Pressekonferenz einberufen.

Am Montag, 6. Februar liest Erasmus Schöfer in der Buchhandlung Klinger, Rochusstraße 93, 50827 Köln-Bickendorf aus "Sonnenflucht", dem dritten Teil seiner Tetratologie "Die Kinder des Sisyfos", Dittrich-Verlag, Köln, deren zweiten Teil wir hier veröffentlichen. Beginn, 20 Uhr, Einlass 19.30 Uhr, UKB 7,50 Euro.


Online-Flyer Nr. 29  vom 31.01.2006



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