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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Kultur und Wissen
"Seit damals weiß ich was ein Verbrechen ist."
DER GROSSE COUP
Von Karl C. Fischer

Auf dem Heimweg von der Arbeit wurde ich beinahe von einem Ziegelstein erschlagen. Als er herabstürzte, sah ich zufällig nach oben und sprang noch rasch in den Eingang einer jener renovierungsbedürftigen Altbauten im Berliner Osten, bevor er mit Getöse aufs Pflaster knallte. Das geschah am 5. Oktober 1990. Da glaubte ich noch, der Vorfall habe mit der Schadhaftigkeit der Häuser zu tun und setzte meinen Weg zu meiner Wohnung in der Plattenbausiedlung Marzahn fort.

Schon unter dem Küchenfenster hörte ich, wie jene Vertreter mit meiner Frau über eine Lebensversicherung verhandelten, die ich tags zuvor raus geworfen hatte, als sie unseren Hausrat versichern wollten. Im Flur vernahm ich, dass sich einer der Leute für die Unterschrift bedankte. "Wird ihr Mann heute getötet, sind sie ab jetzt abgesichert", sagte er, als ich die Küche betrat.

Natürlich habe ich den Vertrag zerrissen, die Vertreter an die Luft gesetzt und meiner Frau erzählt, was mir unterwegs beinahe passiert wäre.

"Gewiss", meinte sie, "die haben mich geradezu gezwungen, den Vertrag zu unterschreiben. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die was mit dem herab fallenden Stein zu tun haben".

"Wer weiß?" antwortete ich nur und begann, darüber nachzudenken.

Zwei Tage später stürzte sich mein Kollege Franz vom siebten Stock. Knapp vierzig Jahre lang hatte er gehofft, dass die Mauer fallen würde und er eine Weltreise machen könne. Seine Frau, die keine Arbeit mehr hatte, schloss gleich vier Versicherungen ab und zahlte sie bar an. An dem Tag erfuhr der Mann, dem noch fast zehn Jahre bis zur Rente fehlten, dass sein Arbeitsplatz wegrationalisiert wird. Kurz bevor Franz zur Bank unterwegs war, sagte er mir, dass er noch Ersparnisse habe. Bei der Beerdigung gestand mir seine Frau, sie habe einen Kredit aufnehmen müssen, um den Sarg bezahlen zu können.

Karl C. Fischer
Karl C. Fischer
Foto: NRhZ-Archiv


Nach der Trauerfeier, an der fast nur Kollegen des VEB Einheit teilnahmen, fragte ich, ob denn die anderen auch Vertreterbesuche erhalten und Verträge abgeschlossen hätten. Es kam heraus, dass man etwa jeden zweiten überredet hatte, wenigstens einen Vertrag abzuschließen und ihn bar anzuzahlen. Einige hatten beobachtet, wie die Vertreter vor dem Abschluss in eine Liste schauten. Eine Frau, die sich weigerte, eine Hausratversicherung zu unterschreiben, wusste sogar, was in der Liste stand: die persönlichen Daten der Kollegen, ihre Krankheitsgeschichte und ihr Einkommen beim VEB.

"Dann müssen die Versicherungsfritzen doch Hintermänner im Betrieb haben", schimpfte Werner, einer unserer Schlosser.

"Richtig", meinte meine Frau. "Doch warum haben die bei uns nicht auf Baranzahlung bestanden und Euch eingeredet, dass das nötig sei?"

"Das kriegen wir noch raus", sagte Felix aus der Elektrowerkstatt. "Ich glaube, das hat mit dem Vertragsbeginn zu tun".

"Das ist eine Sache", warf ich ein. "Viel wichtiger ist die Ursache des Selbstmordes von Fritz. Er muss bei der Bank erfahren haben, dass die Vertreter wussten, wie viel er gespart hatte, bevor sie seiner Frau vier teure Verträge und die entsprechende Baranzahlung aufschwatzten".

"Sie haben also auch Hintermänner bei den neu gegründeten Banken", stellte Werner wütend fest.

"Sicher werden sie auch von den Ämtern und Parteien unterstützt", erregte sich meine Frau.

"Dahinter steckt eine riesige Sauerei", betonte sogar die Witwe von Franz, als wir uns von ihr verabschiedeten.

In der Wohnung stellten wir fest, dass die Tür aufgebrochen, die Schränke durchwühlt und unsere wenigen Wertsachen gestohlen waren. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel mit dem Satz: Warum habt Ihr noch keine Diebstahlversicherung?

Die Polizei schickte zwei Beamte, die sich nur kurz umsahen. Sie machten sich Notizen, nahmen den Zettel an sich und erklärten, dass der Einbruch nach Schutzgeldeintreibung aussähe.

"Das nimmt derart zu, dass wir nicht mehr nachkommen", sagte ein Beamter und schien sich verabschieden zu wollen.

Da zeigte ihm meine Frau, die während des Gesprächs im Papierkorb gewühlt hatte, den zerrissenen Vertrag: "Das sind nicht irgendwelche Leute, sondern die Vertreter einer Weltfirma, die uns zwingen wollen, einen Vertrag abzuschließen".

"Wir können nur vermuten, wer hinter dem Delikt steht", lächelte der Beamte. "Doch beweisen können wir nichts, obwohl sogar schon zwei Vertreter in Haft sind".

"Und was ist mit den Hintermännern in den Banken und Betrieben?" fragte ich.

"Da laufen die Ermittlungen noch", antwortete der Polizist. "Wir sind nicht untätig. Wir wissen längst, dass die Daten von über fünfzehn Millionen ehemaligen Bürgern der DDR und die Kopien der dreißig Millionen Verträge im Umlauf sind, die die frühere Staatsversicherung für die Zahlung der Renten und bei Erkrankung verwahrte".

"Dort haben die sogar eingebrochen?" entrüstete sich meine Frau.

"Bestimmt nicht", erklärte der Beamte. "Es wurde nämlich ermittelt, dass nur die Leute zur Baranzahlung ihrer Verträge überredet wurden, die sich ihre Ostmark in der Hoffnung auf eine Wiedervereinigung und die Währungsumstellung sparten. Sie glaubten, dass es sich nicht lohnen würde, Produkte aus dem Osten zu kaufen, wenn es um teure Anschaffungen ging. Nur Bankangestellte wissen das, wenn sie die Konten ihrer Kunden und deren Gewohnheiten seit Jahren kennen".

Mir platzte der Kragen: "Das alles wissen sie und warum ist noch keiner von denen verhaftet worden?"

"Ich sagte doch, dass die Ermittlungen laufen", wich der Polizist aus und verabschiedete sich.

Warum berichtete das Fernsehen nicht darüber? Meine Frau kam darauf, ihren früheren Studienkollegen Egon zu fragen, der zwei Block weiter wohnte und seit der Wende freier Journalist war. Als ich die Tür notdürftig repariert hatte, suchten wir ihn auf. Er hatte eine Sammlung von Zeitungsausschnitten über die Liaison-Versicherung, die er in drei überquellenden Ordnern nach Stichworten und Datum sortiert hatte. Das legte er uns vor und ließ uns blättern. Da war immer wieder von der früheren Monopolversicherung der DDR und der Treuhand die Rede oder von der Bestechlichkeit und Bestechung kleiner Angestellter, dass ich den Überblick verlor. Warum aber fand ich keinen Artikel, der erklärte, warum den Hintermännern nicht der Prozess gemacht wird.

"Die Summe, um die es hier geht, ist zu gewaltig", betonte Egon. "Die Medien berichten nur spärlich über die ganze Tragweite des Skandals. Um das deutlich zu machen, muss ich euch was vorrechnen: Von siebzehn Millionen früheren DDR-Bürgern haben mindestens eine Million je hunderttausend Ostmark in dreißig Jahren angespart. Diese Guthaben wurden im Juli 1990 im Verhältnis eins zu zwei in Westgeld umgetauscht. Jeder Sparer besaß dann durchschnittlich fünfzigtausend D-Mark. Die Summe sind fünfzig Milliarden. Das entspricht dem Börsenwert der Liaison-Versicherung. Und da sollten die nicht versuchen, an diese Summe heranzukommen - egal mit welchen Mitteln".

Jetzt verstand ich wenigstens, warum die Drahtzieher ihre Verantwortung den kleinen Angestellten in die Schuhe schoben. Ich konnte aber nicht glauben, dass die Mehrzahl der eine Million Sparer bereit war, ihre Verträge bar anzuzahlen, selbst wenn sie noch so viel Geld auf dem Konto hatten.

Egon lachte: "Ihr könnt es euch nicht vorstellen. Ihr habt nur ein kleines Guthaben und andere Träume wie jene, die sich Jahrzehnte lang ihre Ostmark sparten. Die sind im Augenblick doch stolz darauf, endlich international anerkanntes Geld zu haben, wenn sie noch vor Jahren in Budapest oder Prag erleben mussten, wie zuvorkommend die Westdeutschen mit ihrer Mark und wie mies sie selbst bedient wurden. Sind es sogar fünfzigtausend, mit denen sie auf die Malediven fliegen oder einen Mercedes fahren können, glauben sie, Herren zu sein. Da überlegen sie lange, für welchen Luxus sie ihr Erspartes ausgeben wollen. Kommt dann der Vertreter und erklärt: Jeder Westdeutsche, der auf sich hält, sichert sich erst einmal mit vier Versicherungen ab, least einen Oberklassewagen und nimmt für seine Auslandsreise einen Kredit auf, ist das Geschäft schon fast gelaufen".

"So einfach kann es nicht sein, Egon", warf meine Frau ein. "Die Sparer, die bar anzahlen, gehen vorher zur Bank und müssen dort beraten werden, nicht soviel Geld abzuheben".

"Die Bankangestellten finden schnell heraus, für was die Sparer das Geld benötigen. Sind sie Helfershelfer, drängen sie den Kunden sogar, den Vertrag bar anzuzahlen. Die Sachbearbeiter kommen meistens aus dem Westen, sind geschult und beraten nur im Interesse der Liason. Zudem existiert noch kein Bankennetz wie im Westen. Es gibt nur wenige funktionierende Telefonverbindungen, Telex oder Geldautomaten. Nicht mal mit dem Druck von Auszahlungsformularen und Überweisungen kommt man nach. Das alles ließ jene DDR-Bürger, die eisern auf den Tag X sparten und kaum was über Banken und Versicherungen wussten, so irre handeln, dass sogar der Selbstmord von Franz logisch erscheint. In etwa einem Jahr soll es genügend Telefonleitungen und Computer von Brandenburg bis Thüringen geben. Dann hat die Liaison die Milliarden längst unter Dach und Fach und kann sich wieder seriös geben".

Berliner Mauer - Überbleibsel...
Berliner Mauer - Überbleibsel...
Foto: NRhZ-Archiv


"Das muss doch vor langer Zeit geplant worden sein?" warf ich ein. "Hast du Genaueres oder gar Daten darüber, Egon?"

"Die kannst du in jedem Käseblatt finden. Vor sieben Monaten kaufte die Liaison die halbe ehemalige Staatsversicherung, die zuvor in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden musste".

"Das war doch unter Modrow", stellte meine Frau fest.

Egon nickte und fuhr fort: "Die andere Hälfte blieb im Besitz des Staates und wurde der eben erst gegründeten Treuhand, die die Wirtschaft der DDR privatisieren soll, in die Wiege gelegt. Es wird nur noch Wochen dauern, bis die Liaison-Versicherung auch den Teil übernimmt. Man redet davon, dass sie dann für beide Teile, die mit Immobilien etwa sieben Milliarden wert sind, nur siebenhundert Millionen bezahlt hat".

"Das sind zusammen über sechsundfünfzig Milliarden in einem Jahr", rechnete meine Frau vor.

"Das aber schreibt keiner", betonte Egon. "Genauso wenig wie die Tatsache, dass das Bundeskartellamt schon 1989, als Honecker noch an der Macht war, der Liaison untersagte, die staatliche Versicherung der DDR zu übernehmen".

"Damals also wurde die Sache mit den Versicherungsverträgen schon geplant", unterbrach ich.

"Viel früher", lachte Egon. "Der Plan muss einen Vorlauf von etwa fünf Jahren gehabt haben, da man alle Wirtschaftsdaten der DDR haben musste, um die Guthaben von einer Million Sparer in Verträge ummünzen zu können. Ihr wisst inzwischen, was das heißt. Die im Westen aber können das nur verstehen, wenn sie sich vorstellen, alle Krankenkassen und Rentenversicherungen der ehemaligen Bundesrepublik zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit wären von einem amerikanischen Konzern gekauft und innerhalb eines Jahres zu Lasten der Versicherten privatisiert worden".

Egon brachte eine Obstschale mit zwei Messern und ließ uns zugreifen. Während er einen Apfel schälte, dozierte er weiter: "Die DDR gehörte in den siebziger Jahren zu den zehn wichtigsten Industriestaaten. Heute würde sie hinter Portugal rangieren, gäbe es sie noch. Das sind geschichtliche Daten. Es sind aber historisch einmalige Daten, wenn man bedenkt, dass sich die Wirtschaft und die Armee eines Staates auflösten, um sich mit einem anderen zu vereinigen. Auch die Ausgaben der staatlichen Monopolversicherung für Renten und Krankenversorgung sind Daten. Nehmen wir an, die Liaison wusste 1985, dass es mit der Wirtschaft der DDR abwärts ging, aber der Sozialhaushalt auf Jahre gesichert war. Da musste sie doch, schon aus Konkurrenzgründen, Pläne schmieden, um diesen Kuchen zu besitzen, bevor die DDR aufhörte zu existieren".

"Dann hatte der Multi schon zu Honeckers Zeiten zur Staatsversicherung einen guten Draht", trumpfte meine Frau auf.

"Mit Sicherheit", meinte Egon, "zumal sie im Gebäude des Wirtschaftsministeriums untergebracht war, das wahrscheinlich auch mit der Liaison in Verbindung stand".

Langsam begriff ich, dass das nur durch eine raffinierte und systematische Planung hunderter von Mitwissern möglich war und nicht die Tat von ein paar kriminellen Hintermännern, die sich mal eben 50 Milliarden aus der Kasse klauten. Die Planer des Coups mussten nämlich die Summe nach Vertragsende mit Zinsen wieder an die Sparer ausschütten. Doch die Gewinne der Hintermänner würden bedeutend höher ausfallen, als jene, die die kleinen Vertragspartner verbuchten, wenn sie oder ihre Erben das Ende der Verträge überhaupt noch erlebten.

Beim Abschied von Egon spürten wir, dass wir nicht weiter in dieses Wespennest stechen durften, wenn wir überleben wollten. Um unsere eigene Sache aber mussten wir uns umso mehr kümmern. Zu Hause lag noch der zerrissene Vertrag auf dem Küchentisch. Ich wollte die Fetzen wegwerfen, als mir auffiel, dass auf einem, neben der Unterschrift meiner Frau, das Datum 6. Oktober 1990 stand und der Stein am 5. Oktober heruntergefallen war. Ich erinnerte mich, dass Felix nach der Trauerfeier von dem Vertragsbeginn gesprochen hatte, als meine Frau fragte, warum die Vertreter von ihr keine Baranzahlung verlangten. Meine Frau kam sofort darauf.

"Die hatten wirklich vor, dich umzubringen".

"Wieso?"

"Wenn die wussten, dass wir nichts gespart haben, mussten sie auf andere Weise an Geld kommen. Ich hätte den Vertrag nämlich von meiner Rente in monatlichen Raten erfüllen müssen, ohne eine Entschädigung für deinen Tod zu erhalten. Dieses würden die Vertreter von der Versicherung bestimmt honoriert bekommen, zumal sie einen aus dem Wege geräumt hätten, der sich mit ihnen anlegte".

"Dann haben sie ja neben den 56 Milliarden weitere illegale Einkünfte", stöhnte ich und ließ mich auf einen Küchenstuhl fallen.

Als meine Frau Kaffee aufgegossen und eingeschenkt hatte, meinte sie trotzig: "Ich gebe nicht auf. Vielleicht können wir den Mordversuch ja beweisen, wenn wir den finden, der den Stein geworfen hat."

"Dazu brauchen wir Tante Frieda, die wohnt doch in der Gegend", gab ich zurück.

Am nächsten Tag suchte ich die Tante nach der Arbeit auf. Meine Frau war schon dort, da sie der alten Dame gelegentlich im Haushalt half. Schon im Flur überfielen mich die beiden mit der Neuigkeit, dass der Täter schon gefasst sei. Es war ein arbeitsloser Jugendlicher, dessen Eltern sich nach der Währungsumstellung in den Westen abgesetzt hatten, ohne ihm Bescheid zu sagen. Tante Frieda war auf den Jungen aufmerksam geworden, als er Ziegelsteine ins Haus gegenüber schleppte. Später beobachtete sie hinter der Gardine, wie er die Last zum Dachboden trug, während meine Frau zur Wache lief. Als der Bursche wenig später, einen Stein in der Faust, an einer Dachluke erschien und nach unten spähte, griff die Polizei zu, noch bevor er werfen konnte.

"Ich war noch auf der Straße, als sie ihn abführten", berichtete meine Frau. "Da hörte ich, wie er zugab, schon mal einen Stein geworfen zu haben. Der Beamte, der kürzlich bei uns war, erklärte mir, dass der Bursche dem Mann gegenübergestellt wird, der ihm beim letzten Mal hundert Mark versprach. Und das soll der Vertreter sein, den du an die Luft gesetzt hast".

"Dann hat der Kerl für den Mordversuch an mir nicht einmal Geld von dem Anstifter bekommen?" fragte ich.

"Na klar, der saß doch schon", antwortete meine Frau.

"Dennoch wollte der Junge noch einmal jemanden töten?" stieß ich hervor.

"Gewiss", sagte meine Frau, "denn die hundert Mark würde er nur erhalten haben, wenn seine Ziegelsteine wenigstens einen erschlagen hätten. Da aber die Hintermänner der Anschläge in Haft sind und ihre Mordaufträge natürlich leugnen, wird der Junge das Geld nie bekommen und froh sein, wenn man ihn nur gering bestraft. So sieht es jedenfalls die Polizei".

"Und was wird aus dem Burschen, wenn er wieder rauskommt?" fragte Tante Frieda.

"Weiß ich nicht", sagte ich. "Aber er selbst ist ein Opfer des Liaison-Coups, ebenso wie die Vertreter, die uns über den Tisch ziehen wollten und viele andere. Ich aber habe wahrscheinlich nur Glück gehabt".

Zwei Tage später erfuhr ich bei einer Betriebsversammlung, dass die Treuhand die VEB-Einheit übernimmt und nur hundertfünfzig der über zweitausend Kollegen zur so genannten Abwicklung des Unternehmens benötigt. Ein Betriebsrat ging ans Mikrophon und erklärte: "Wir haben noch Arbeit für mehr als ein Jahr. Der VEB verfügt im Augenblick noch über Aufträge von fünfzig Millionen. Mit hundertfünfzig Leuten geht das nicht. Sie müssen noch erheblich beim Personal draufsatteln".

Als der neue Vorstandsvorsitzende nicht darauf einging und nur davon sprach, dass der Betrieb für eine halbe Million an einen pakistanischen Geschäftsmann verkauft wurde, brüllte ein Kollege: "Ein Obsthändler ist das, der steckbrieflich gesucht wird".

Die meisten meiner Kollegen hielt es nicht mehr auf den Sitzen: "Treuhand, Verbrecher, Maffia", skandierten sie.

Da schrie ich: " Liaison-Gangster!"

Auf dem Heimweg raste ein Auto auf mich zu, ich brüllte noch und stürzte aufs Pflaster. Mehr weiß ich nicht, außer, dass mir der Arzt nach der vierten Operation sagte, der Täter, der Fahrerflucht begangen habe, sei immer noch nicht ermittelt. Ich überlebte, bin querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt.

Seit damals weiß ich, was ein Verbrechen ist. Jetzt ist mir auch klar, dass Bert Brecht recht hatte. Sinngemäß schrieb er nämlich: 'Bankräuber sind im Vergleich zu Bankbesitzern nur blutige Anfänger'.



Online-Flyer Nr. 24  vom 27.12.2005



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