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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Kultur und Wissen
Jens Hagen:
"Heute bin ich wieder Störer"
Von Hans Georg

Die Kunsthistorikerin Sabine Müller überschrieb ihren Beitrag zur Jens Hagen-Ausstellung im Historischen Archiv der Stadt Köln "Heute bin ich wieder Störer". Dass diese Ausstellung, die eigentlich nur vom 11.3. bis 14.4. dauern sollte, jetzt im August zwar "rückgebaut" aber immer noch weiter geführt werden soll, spricht für die im Archiv Verantwortlichen, für die KölnerInnen, die diesen "Störer" lieben und natürlich für den allzu früh verstorbenen Journalisten, Fotografen, Hörspielautor, Schriftsteller, Dichter, bildenden Künstler und politischen Aktivisten selbst.

Geboren 1944, aufgewachsen in Dinslaken, lebte Jens Hagen seit 1964 in Köln, begann mit 16 für Zeitungen zu schreiben und zu fotografieren, studierte « nebenher » Theaterwissenschaft, Philosophie und Germanistik, arbeitete seit 1969 auch für Funk und Fernsehen. War ein Kenner der Rock-, Blues- und Song-Szene, gehörte - wie seine Lebensgefährtin, die Künstlerin Dorothee Joachim - zum Kollektiv der ersten alternativen Kölner Stadt-Zeitung ANA&BELA und der legendären WDR-Jugendsendung "Panoptikum", schrieb für "konkret", "Spontan", "underground", "DVZ", war Dozent, Regisseur, Mitbegründer von "Künstler für den Frieden" und aktiver Gewerkschafter.

Arbeitete seit 1980 als freier Schriftsteller und schrieb vor allem Hörspiele, Gedichte, Poeme, Satiren, Erzählungen, Drehbücher, erotische Kurzgeschichten und Romane. Veröffentlichte über zwanzig Hörspiele, vor allem Krimis, außerdem etliche Bücher, z.B.: "Was wollt ihr denn, ihr lebt ja noch" (gemeinsam mit Günter Wallraff), "Der Tag, an dem Oma wegen Beleidigung der Nationalmannschaft verhaftet wurde" (Satiren), "Mach mal bitte Platz, wir müssen hier stürmen. - Als der Beat nach Deutschland kam - Fotografien von J.H.", "Punkt Punkt Komma Strich" (Haiku 3, edition fundamental, 2005).

Erhielt 1977 den Literatur-Förderpreis des Landes NRW, 1980 das Förderstipendium der Stadt Köln für Literatur, 1990 die Auszeichnung Hörspiel des Monats (für "Total real"), 1993 und 1996 Arbeitsstipendien (Hörspielförderung) der Filmstiftung NRW.

Jens Hagen
Jens Hagen - Foto: Dorothee Joachim


Jens Hagen starb am 11.6.2004 in Mechernich bei Köln. Wenn er noch lebte, dessen sind sich seine Freunde im NRZ-Team sicher, würde er bei diesem unabhängigen Online-Projekt mitmachen. Deshalb jetzt im fünften Flyer eins seiner noch unveröffentlichten politischen Poeme und - die übrigen werden Stück für Stück regelmäßig folgen - einer seiner ca. 250 Krimis in drei Zeilen aus dem Band « Haiku Kriminale », erschienen 1997 im Verlag Landpresse. Krimis und Gedichte hatte Jens Hagen schon lange geschrieben. Was lag da näher, als beides miteinander zu verbinden?


Notizen zu einem Loblied
über den Wandel
Nebst einigen Refrainversuchen
Von Jens Hagen Aber: doch, doch, es geht uns gut.
Und vieles ist noch in Bewegung.

Man wechselte
Vom Werkkreis zur Heimatkunde
Vom Widerspruch zur Wünschelrute
Von Tito zum Tirolerhut
Von der Welt zur Scholle

Man wechselte
Vom Nein zum Ja, aber
Von der Basisgruppe ins Beamtenrecht
Vom Anarchozirkel zur ABM-Stelle
Vom Politaktiv ins Parlament

Man wechselte
Von der Bürger- zur Spießbürgerinitiative
Vom Feminismus ins Frauenmuseum
Vom Geschlechterkampf ans Partnertelefon
Vom Bafög zum Bauchtanz
Vom Kreml ins Weiße Haus
Vom ZK in den Knast
Vom ZK auf den Markt
Von Ossendorf in die Annostraße
Vom Heim auf die Platte

Man wechselte
Von Demo zu Disco
Von Disco zu Osho
Von Sozis zu Sufis
Von der KP zum Kirchentag
Vom Lustprinzip ins Aufgebot
Von Al Fatah zum Muttertag
Von Mao zu Madonna

Man wechselte
Vom großen Aufbruch ins Kleine Schwarze
Vom Pantoffel in die Männergruppe
Von Heimatlos ins Einig Vaterland
Vom Staatsverdruß zur Gauck-Behörde
Vom heiligen Heldenmut zum vorbeugenden Kotau

Oh Baby, Baby
Du bist so gut drauf
Du bist so schön schmierig
So preußischblau brävlich
So schön treudeutsch doof

Doch weiter:

Man stieg um
Von Currywurst auf Tofuburger
Von Punk auf Oberstudienrat
Von Theorie auf Therapie
Von Ché auf Mutter Beimer
Von Dritte Welt auf Regenwald
Von Wut auf Lichterkette
Von Vorspeisen auf Nachtisch
Von Kuba auf Salsa
Von angekratzt auf digital
Von Stricken auf CD

Man stieg um
Von Ökonomie auf Erdstrahlen (und umgekehrt)
Von Altkommunist auf Jungunternehmer
Von Klassenkampf auf Mastercard
Von Mieterschutz auf Makler
Von International auf Regional
Von Regional auf National
Von Pils auf Pikkolo
Von Dobermann auf Schäferhund
Von BRD auf Deutschland

Hey Baby, ey du
Du bist so schön mies
So herrlich verbogen
So wundervoll neu parfümiert
Ich könnte dich knutschen, du
Wenn du nicht so matschig wärst

Doch weiter:

Man stieg um
Von Gauloises auf Bioquark
Von Zuckerguß auf Schokolade
Von Autosprit auf Flugzeugsprit
Von Trampen auf Last-Minute-Flights
Von Latsch-die-Heide-blüht auf Trekking
Von Hollandrad auf Mountainbike
Von Perlwein auf Champagner
Von Golden Shower auf Doping-Kontrolle
Von PorNo auf Mann-o-Mann
Von Ringelreihen auf Tango
Vom Friesennerz ins feine Tuch
Vom Blaufstrumpf ins Body
Vom Schwarzen Block ins Blumenkästchen
Vom DiaMat aufs Fahrrad

Hey, ey
Du bist so furchtbar mutig
So kompromißlos rabiat!
Du fährst auf deinem Citybike
Gegen die Einbahnstraße
Neben dem Fahrradweg
Und abends sogar ohne Licht!
So jung und schon so antiautoritär:
Was soll aus dir noch werden?!

Online-Flyer Nr. 05  vom 29.08.2005



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