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Lokales
Ursachen und Folgen der Privatisierung öffentlicher Wohnungen
Ist meine Wohnung eine Ware?
Vorwort: Peter Kleinert / Rede: Werner Rügemer
Ende November fand im großen Saal der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main die öffentliche Verleihung des BCC-Preises für Zivilcourage an den Sprecher des Frankfurter Mieterbündnisses, Ralf Harth statt. Harth kämpfte entschlossen um die Verteidigung der Mieterrechte gegen die Frankfurter ABG-Holding, die mit nicht gerade feinen Methoden einen regelrechten Häuserkampf provozierte. Vor den rund hundert Gästen hielt der Kölner Journalist und Publizist Dr. Werner Rügemer eine Festrede zu der von Investoren massiv vorangetriebenen Privatisierung des öffentlichen Wohnraums, die wenige Tage später in Köln offenbar erste Folgen hatte.
Im Anschluss an die mit großem Beifall bedachte Rede des stellvertretenden BCC-Vorsitzenden trug der BCC-Vorsitzende Professor Hans See die Laudatio vor und überreichte Ralf Harth eine Urkunde. Der Preis ist mit 3000,- Euro dotiert und soll, wie Prof. See betonte, dazu beitragen, dem Versuch des Wohnungsbaukonzerns ABG entgegenzuwirken, den Mietersprecher Harth mit juristischen Mitteln zu ruinieren und mundtot zu machen.

Prof. Hans See überreicht den Preis an Ralf Harth
Foto: BCC
Die von Rügemer im Folgenden kritisierte Privatisierung öffentlichen Wohnraums fand in den vergangenen Jahren auch in Köln statt. Glaubt man dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Martin Börschel, will die Köln-SPD nun dafür sorgen, dass in der Stadt künftig jedes Jahr wieder 1.000 Wohnungen mit öffentlicher Förderung gebaut werden. "Die Differenzen in der Wohnungsbaupolitik waren einer der Gründe, warum die Koalition mit der CDU nicht erfolgreich war", erklärte Börschel. Durchsetzbar im Kölner Stadtrat wäre dieser Plan, wenn SPD, Grüne und Linkspartei erstmals in einer wichtigen kommunalpolitischen Frage gemeinsam handeln würden. (nrhz)
Werner Rügemers Rede zur Verleihung des BCC-Menschenrechtspreises 2005
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Sie wissen: Die "Heuschrecken" sind los. Dieses Bild der "Heuschrecken" hat einer Akteursgruppe der gegenwärtig aufblühenden Wirtschaftsordnung bzw. -Unordnung kurzfristig große Aufmerksamkeit beschert. Doch wie Sie auch wissen, diese Aufmerksamkeit dauerte nur sehr kurze Zeit, und dieses vorher scheinbar unbekannte, biblische Phänomen scheint sich wieder auf den Mond verflüchtigt zu haben, also dorthin, woher zum Beispiel damals, in demokratischer Vorzeit, die braunen Männchen gekommen sind, die uns Deutschen so weh getan haben.
Die heftige Aufmerksamkeit hat keineswegs dazu beigetragen, das "Phänomen" der aggressivsten Form gegenwärtiger Gewinngenerierung zu klären. Im Gegenteil. Mit der Moralkeule des "Antisemitismus"-Vorwurfs wurde die Sachdiskussion durch die großen Medien und die Kapitallobby abgewürgt. Der politische Initiator der Diskussion, ein gewisser Herr Müntefering von einer damaligen und auch jetzigen Regierungspartei, war selbst erschrocken über die Resonanz, die er ausgelöst hatte. So ernst hatte er es wiederum nicht gemeint. Ich weiß das deshalb, weil er sich bei mir zunächst durch einen Referenten bedanken ließ, er habe aus meiner Veröffentlichung über die Private Equity-Investoren von Anfang 2005 wertvolle Anregungen erhalten. Der Referent fragte noch, ob ich weitere Unterlagen zur Verfügung stellen könne, man bereite eine Konferenz vor. Doch die Konferenz fand nie statt. Die "Heuschrecken" sind auf den medial-politischen Mond entfleucht. Und so können sie wie zuvor in aller Ruhe ungestört arbeiten. Und das tun sie. Arbeiten - diesen Begriff verwende ich hier zunächst ganz wertneutral. Sie können am Ende selbst beurteilen, was Sie von dieser "Arbeit" halten.
I.
Etwa fünf Millionen Wohnungen sind in Deutschland (noch) nicht direkt dem "freien" Markt unterworfen. Kommunale Genossenschaften haben mit 2,7 Millionen Wohnungen den größten Anteil. Auch der Bund und Bundesländer verfügen (noch) über Wohnungsbestände; so besitzt die NRW-Landesentwicklungs-Gesellschaft mbH (LEG) 106.000 Wohnungen. Die christlichen Großkirchen haben ebenfalls (noch) eigene Wohnungsgesellschaften. Schließlich gibt es (noch) 600.000 Werkswohnungen, in denen vergleichsweise niedrige Mieten verlangt werden. Es sind also etwa 10 Millionen Bürger, die gegenwärtig (noch) in solchen Wohnungen wohnen.
Ich sage überall "noch", weil dieser nicht ganz dem freien Markt unterworfene Wohnungsbestand vor wenigen Jahren noch um viele hunderttausend Wohnungen größer war. Diese Wohnungen waren und sind aber nicht nur für diejenigen von Bedeutung, die selbst darin wohnen. Zusammen mit dem öffentlich subventionierten Wohnungsbau bedeuteten sie über Jahrzehnte auch eine gewisse Bremse bei der Entwicklung der Mieten überhaupt, jedenfalls in den Qualitäts- und Preisklassen, die für die weniger vermögenden sozialen Gruppen infrage kommen.
Ein solcher vergleichsweise sozialer Zustand darf in unserer schönen neuen Welt natürlich nicht dauern. Er ist eine öffentlich sichtbare Dauer-Sünde gegen den neoliberalen Zeitgeist, ein stinkendes Geschwür im sauberen Körper der freien Marktwirtschaft. Die neuen Propheten erheben ihre Stimme. Deutsche Bank und McKinsey haben den öffentlichen Wohnungsbestand in Deutschland durchforstet. So kommt McKinsey zu dem Ergebnis, dass es sich um ein bisher unterschätztes Marktvolumen von 135 Milliarden Euro handelt. Die Wohnungen würden "schlecht bewirtschaftet", denn im Vergleich zu privaten Wohnungsunternehmen bestehe eine "Renditelücke". "Schlecht bewirtschaftet" heißt hier ganz unverblümt: Mieten und Rendite zu niedrig.
McKinsey und die Deutsche Bank sind aber nur Trittbrettfahrer. Andere waren schneller, die "Heuschrecken" nämlich. Blackstone, KKR, Cerberus, Whitehall, Terra Firma/Deutsche Annington und Fortress, wie sie mit ihrem bürgerlichen bzw. unbürgerlichen Namen heißen, also die Finanzinvestoren mit Sitz in London, New York und auf den Bahamas, mit deutschen Niederlassungen vor allem in der weltoffenen Stadt Frankfurt am Main, sie also haben den deutschen Immobilienmarkt schon vorher entdeckt.
Zuerst hatten sie seit dem Jahre 2000 mithilfe der von dem schon genannten Herrn Müntefering mitorganisierten Bundesregierung den deutschen Markt überhaupt entdeckt. Mithilfe der von dieser Regierung gewährten gesetzlichen Steuergeschenke und mithilfe der Abwertung von Lohnarbeit kauften die Finanzinvestoren zunächst profitable Mittelstandsfirmen des gehobenen Sektors, Siemens Nixdorf, den Armaturenhersteller Grohe, den Triebwerkshersteller MTU, das Chemieunternehmen Celanese und hunderte andere. Die Finanzinvestoren kaufen nicht, um ein Unternehmen zu kaufen, im Gegenteil. Mit dem Kauf wird bereits der Verkauf geplant. Sie unterwerfen das gekaufte Unternehmen einem kurzfristigen "Verwertungszyklus", der möglichst drei oder fünf Jahre nicht überschreiten soll. In dieser Zeit wird Personal freigesetzt, Eigenkapital entzogen, Forschung und Entwicklung eingefroren. Dann wird verkauft oder an die Börse gebracht. Am Ende muß eine Jahresrendite von mindestens 20 Prozent stehen.
II.
Nach den Industrieunternehmen entdeckten die Finanzinvestoren den kontinentaleuropäischen Immobilienmarkt. Nachdem sie den von ihnen selbst überhitzten Immobilienmarkt in den USA und England abgegrast haben. Ich beschränke mich auf Deutschland. Die Miet- und Immobilienpreise im vereinigten Deutschland sind, so fanden die Finanzinvestoren im Vergleich zu ihren Vorbild- und Heimatländern USA und Großbritannien heraus, auf dem Niveau von 1993 stehen geblieben. Dieser "Entwicklungsrückstand" müsse und könne nun aufgeholt werden. Man achte auf den hier zugrunde liegenden Begriff der "Entwicklung": soziale Mieten, niedrige Wohnungs- und Eigenheimpreise bedeuten hier einen "Rückstand". Deutschland ist also ein "Entwicklungsland".

Werner Rügemer, stellvertretender BCC-Vorsitzender
Foto: BCC
Beim Kauf und Verkauf von mittelständischen Industrieunternehmen in dem kurzen und heftigen Verwertungszyklus haben die Finanzinvestoren gezeigt, wie sie ihre durchschnittliche Jahresrendite von mindestens 20 Prozent "erwirtschaften". Das wollen sie nun auch im Wohnungsmarkt durchexerzieren. Er steht für die Investoren vor einem "Wendepunkt": Schluß mit der öffentlichen Förderung, "hin zu einer professionell geführten Anlageklasse und wettbewerbsfähigen Renditen. Wer diese Transformation beherrscht, kann auch mit langweiligen Wohnblöcken viel Geld verdienen", so referieren die Gefälligkeitsschreiberlinge der "Wirtschaftswoche". Aber wie, so fragt die noch leicht erstaunte, aber bereits mitjubelnde deutsche Wirtschaftspresse, "aber wie kommt man mit deutschen Mietskasernen auf 20 Prozent jährliche Verzinsung und mehr, so wie es die Finanzinvestoren planen?"
Man konzentriert sich auf Ballungsgebiete. Man kauft nicht einzelne Wohnungen, sondern mit einem Schlag zehn- und hunderttausende. So kann man eine Hebelwirkung erreichen. So erreicht man eine Wertsteigerung. Mit `Wertsteigerung´ ist nicht, wie Sie naiverweise oder in Ihrer sozialen Voreingenommenheit vielleicht vermuten, die Steigerung des Wohnwerts für die Mieter gemeint. Gemeint ist die 20-Prozent-Jahresrendite für die Aufkäufer im möglichst kurzen Verwertungszyklus.
Um diese Art Wertsteigerung zu erreichen, muß man an verschiedenen "Stellschrauben" drehen, wie die Wirtschaftswoche rapportiert. Die erste Stellschraube ist die Verschuldung der öffentlichen Hände. Die Investoren sprechen vom "Charme der Staatsverschuldung". Das ist ein Verführungs- und Erpressungspotential. Für "hoch defizitäre Kommunen", so locken die Investoren, kann der Verkauf kompletter Wohnungsbestände "die beste Lösung" sein. "Wir leben faktisch von der Hand in den Mund, wir brauchen das Geld jetzt", sagt zum Beispiel der Dresdner Stadtkämmerer, der die städtische Wohnungsgesellschaft Woba verkaufen will. Er hat sich und den Stadtrat unter Zugzwang gesetzt, denn den erhofften Verkaufspreis für die 50.000 Wohnungen hat er schon in den Haushalt eingestellt. Kämmerer und Finanzminister kommen sich clever vor, weil sie auf solche "innovative Finanzierungsmöglichkeiten" eingehen. Deshalb gibt es die Wohnungen zu "Schleuderpreisen", heißt es bewundernd in der "Wirtschaftswoche". Wie gesagt, das ist der "Charme der Staatsverschuldung".
Die zweite Stellschraube kann folgendermaßen gedreht werden: Die sogenannten Investoren können mit wenig Eigenkapital viel kaufen. Die Konditionen für Großkredite waren noch nie so günstig wie heute - eine 80 bis 90prozentige Kreditfinanzierung ist die Regel. Da kommt dann beispielsweise die Deutsche Bank ins Geschäft. So können die Finanzinvestoren für 200 Millionen Euro Eigenkapital so mal 100.000 Wohnungen kaufen, die das Zehnfache kosten, nämlich zwei Milliarden Euro. Und mit den Krediten wird die aufgekaufte Wohnungsgesellschaft belastet, die deshalb für ihre Gewinne keine Steuern zu zahlen braucht. Und Zinsen für die Kredite solcher Investitionen belohnt der Staat damit, dass sie steuermindernd angesetzt werden können. Obwohl bei diesen sogenannten Investitionen keine einzige Wohnung entsteht, die nicht schon vorher da gewesen wäre.
Danach wird an weiteren "Stellschrauben" gedreht. In der Wirtschaftwoche werden sie unverblümt auch als "operative Daumenschrauben" bezeichnet. Jetzt sind nämlich die Mieter und die Beschäftigten der Wohnungsgesellschaften dran. So wollte zum Beispiel die Stadt Köln 42.000 Wohnungen verkaufen. Die Bank Oppenheim wurde beauftragt, den Verkauf vorzubereiten. In ihrem Gutachten für die möglichen Investoren warnten die Banker, deren Honorar drei Millionen Euro betrug, vor den "sehr negativen Auswirkungen auf den Kaufpreis", wenn den gegenwärtigen Beschäftigten der kommunalen Wohnungsgesellschaft der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen garantiert werde. So wurde zart aber deutlich nahegelegt, dass der Investor die Freiheit haben müsse, Beschäftigte freizusetzen. Dafür würde er sich beim Kaufpreis erkenntlich zeigen.
Weiter gutachtete Oppenheim, "dass Sozialklauseln für den Erwerber grundsätzlich Beschränkungen der Vermarktungsmöglichkeiten bzw. der operativen und gesellschaftsrechtlichen Handlungsfreiheiten" darstellen. So wurde wieder sehr zart, aber wieder sehr deutlich nahegelegt, die Rechte der Mieter möglichst auf niedrigem Niveau zu halten.
Der Verkauf in Köln kam glücklicherweise nicht zustande. Aber die Bank Oppenheim wurde auch in anderen Städten als Berater und Gutachter herangezogen, so in Münster, Offenbach und Bonn. Der Senat von Berlin engagierte Oppenheim für den Verkauf der Wohnungsgesellschaft GSW. In ihrem Gutachten priesen die Berater den Kaufinteressenten die Gewinnaussichten einer privatisierten GSW an, die keine Rücksicht mehr auf soziale Belange und extensive Mieterrechte nehmen müsse. Der Mieterhöhungsspielraum sei enorm. Das GSW-Personal könne um ein Fünftel abgebaut werden.
So kommen wir also zur "operativen Daumenschraube" mit dem Namen Mieterhöhung. In der Studie der Deutschen Bank Research wird unter der Frage "Wie sinnvoll ist ein Engagement auf dem deutschen Wohnungsmarkt?" das Pro und Contra abgewogen. Das Pro, also das hohe Gewinnpotential, habe ich schon genannt. Die Investoren sehen aber auch ein Contra, nämlich "Deutscher Wohnungsmarkt ist stark reguliert, z.B. das Mietrecht", heißt es. Andere Regulierungen werden nicht genannt. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Lobby der Investoren, also z.B. die Deutsche Bank, das Mietrecht ändern wollen.
Aber man kann vorher ja auch schon was tun. Der Investor Cerberus, der in Berlin mit dem Oppenheim-Gutachten in der Hand die 65.000 GSW-Wohnungen gekauft hat, hat diese "operative Daumenschraube" bereits angesetzt. Er hat einige Monate nach dem Kauf angekündigt, dass die Mieten in der Wohnanlage "Grüne Stadt" nach einer Modernisierung um 2,60 Euro steigen werden. Die Miete bisher beträgt 2,91 Euro pro Quadratmeter kalt. Die Mieten würden also fast verdoppelt werden. Natürlich weiß der Investor, der eine genaue Analyse der Sozial- und Einkommensstruktur der Mieter hat anfertigen lassen, dass die meisten bisherigen Mieter diese verdoppelten Mieten nicht werden zahlen können. Er kalkuliert also neben der Mieterhöhung mit dem Auszug eines Teils der Mieter.
Da kann er dann die nächste "operative Daumenschraube" ansetzen: den Wohnungsverkauf. Da lässt sich ein schon größerer und schnellerer Gewinn realisieren. Denn wegen der bereits geschilderten Komplizenschaft vieler "Verantwortlicher" in Staat und Kommunen können die Investoren die Wohnungen schon zu den schönen Schleuderpreisen ab 400 Euro pro Quadratmeter kaufen. Die Bundesregierung verkaufte die 82.000 Wohnungen der GAGFAH, die der Bundesanstalt für Angestellte gehörten, für 700 Euro pro Quadratmeter. Mit ein wenig Modernisierung können die Investoren solche Einfach-Wohnungen für etwa 1.200 Euro pro Quadratmeter weiterverkaufen.
Die nächste Stellschraube bzw. operative Daumenschraube wird bei den Beschäftigten der Wohnungsverwaltungen angesetzt. Beim Verkauf der Preussag-Werkswohnungen etwa an den australischen Finanzinvestor Babcock & Brown wurden sogar alle Beschäftigten entlassen, die Verwaltung wurde einem Rechtsanwaltsbüro übergeben. Sowas können sich Konzerne leisten. Staat und Kommunen würden durchaus auch so handeln, müssen aber Rücksichten nehmen, noch. So hat der Investor Cerberus bei der Berliner GSW mit dem Oppenheim-Gutachten in der Hand erst mal nur 200 Beschäftigte "freigesetzt". Wenige Monate nach dem Kauf der Eon/Viterra-Wohnungen hat der neue Eigentümer, die Terra Firma / Deutsche Annington angekündigt, dass 500 oder möglicherweise auch 660 Arbeitsplätze der Wohnungsverwaltung gestrichen werden sollen, als erster Schritt.
Wir kommen zur letzten Stellschraube. Der Finanzinvestor hat also im geplanten kurzen Verwertungszyklus die Wohnungen billig gekauft, hat Mieten erhöht, hat einen Teil der Wohnungen verkauft, hat Beschäftigte entlassen, hat keine Steuern bezahlt. Dann kommt erst der eigentliche Gewinnsprung, um die geplante 20-Prozent-Jahresrendite zu kommen: Die gekaufte Wohnungsgesellschaft wird weiterverkauft. Zum Beispiel an den nächsten Finanzinvestor. Da hilft wieder die Bundesregierung, denn der Erlös ist steuerfrei. Auch die neue Bundesregierung hat bekanntlich daran nichts geändert.
Die letzte Stellschraube kann auch etwas anders gedreht werden. Die Investoren-Lobby hat sich dafür eingesetzt, dass nach US-Vorbild auch in Europa aus den aufgekauften Wohnungskomplexen "Real Estate Investment Trusts" (REITS) gebildet werden, also Immobilienfirmen, die an die Börse gebracht werden. Beim Börsengang fließt den Investoren das ganz große Geld zu, so war es jedenfalls bisher. REITS sind in den USA steuerfrei gestellt, in Frankreich und Italien haben die Gesetzgeber dies bereits nachvollzogen, in Deutschland "wünscht" sich die Branche das ebenfalls.
III.
Nicht nur die US-amerikanischen Finanzinvestoren müssen im Kampf um die zahlungskräftige Kundschaft, deren Gelder sie verwalten, die 20-Prozent-Rendite hereinholen. Längst arbeiten deutsche Zauberlehrlinge allzu gerne nach demselben Rezept. Etwa die Bank Oppenheim, die größte Privatbank Europas, die in Köln und Berlin und europaweit an den Gutachten für die Privatisierung öffentlicher Wohnungen verdient. Sie ist nicht nur Gutachter, sondern auch selbst Organisator kommunaler Immobilienprojekte. Wie die angelsächsischen Finanzinvestoren besorgt sie sich ihr Eigenkapital bei vermögenden Anlegern, die für ein Projekt zwischen fünf und fünfzig Millionen einzahlen. "Unsere Zielgruppe sind die 10.000 vermögendsten Deutschen, die über 50 Prozent des Landesvermögens verfügen", so der Oppenheim-Vorstandssprecher Graf von Krockow. Um mit den Heuschrecken konkurrieren zu können, müssen die immer zahlreicher werdenden deutschen Nachahmer ebenfalls die jährliche Standardrendite um 20 Prozent bieten.
Auch deutsche Finanzminister, Stadtkämmerer und kommunale Wohnungsmanager können sich als clevere Finanzleute aufspielen. Sie gestalten die Verwertungsbedingungen extrem investorenfreundlich, wie wir gesehen haben. Das lässt sich aber immer noch steigern. So hat etwa die hessische Landesregierung das Verbot der Zweckentfremdung von Sozialwohnungen aufgehoben. "Bürokratische Hemmnisse abbauen, damit die Investoren kommen", heißt das dann.
Auch öffentliche Wohnungsgesellschaften orientieren sich vielfach an den Praktiken der Finanzinvestoren. Die öffentliche Eigentümerschaft gewährleistet inzwischen keineswegs eine verantwortliche und soziale Unternehmensführung. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die öffentlichen Eigentümer die Wohnungen auf die geschilderte Weise zu Schleuderpreisen verkaufen, sondern auch daran, dass sie schon vor dem Verkauf nach ähnlichen Prinzipien vorgehen. Durch "In-sich-Geschäfte" schröpfte etwa der Berliner Senat seine Wohnungsgesellschaften, indem sie sich gegenseitig aufkaufen und den Kaufpreis in den Landeshaushalt abführen mussten. Allein auf diese Weise waren die Berliner Wohnungsgesellschaften zwischen 1995 und 2000 um rund 1,5 Milliarden Euro in die Verschuldung getrieben worden, die dann als zusätzliches Argument für den Verkauf dienen musste. Die kommunale Wohnungsgesellschaft von Frankfurt am Main, die ABG Holding Wohnungsbau- und Beteiligungsgesellschaft mbH, die nach ihrer Satzung "preiswerten Wohnraum" bereitstellen soll, wandelt die ehemalige Arbeitersiedlung Bockenheim in die Luxussiedlung City West um und vertreibt alte Mieter.
IV.
Kommen wir nun zu den Folgen für die gesamte Gesellschaft. Die von den Finanzinvestoren angesetzten Stell- und Daumenschrauben betreffen nicht nur die Mieter und die Beschäftigten der gekauften Wohnungen. Man muss sich die volkswirtschaftlichen Größen klarmachen. Der Finanzinvestor Terra Firma, der japanischen und US-amerikanischen Finanzgruppen gehört, hat über sein Tochterunternehmen Deutsche Annington zunächst 64.000 Wohnungen der Deutschen Bahn gekauft, dann die 138.000 Wohnungen von Eon/Viterra. Mit insgesamt 230.000 Wohnungen wurde Terra Firma / Deutsche Annington damit innerhalb von vier Jahren zum größten Wohnungseigentümer in Deutschland.
Der US-Finanzinvestor Fortress kaufte für 2,1 Mrd. Euro die schon genannten 82.000 Wohnungen der 1918 gegründeten "Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten" (GAGFAH), die der Bundesanstalt für Angestellte (BfA) gehörte. Auch kleinere Bestände werden zum Einstieg nicht verschmäht: Cerberus kaufte in Berlin auch die Degewo mit 2.650 Wohnungen, der texanische Finanzinvestor Lone Star kaufte ebenfalls in Berlin 5.500 Plattenbauten. Hier entsteht eine Marktmacht mit nationalen und tiefgreifenden sozialen Wirkungen.
Das Endergebnis für die Gemeinschaft und für die öffentliche Seite ist negativ. In den öffentlichen Haushalten verpuffen die unterwertigen Einmalerlöse - so reichen etwa die 2,1 Milliarden Euro für die 82.000 GAGFAH-Wohnungen der Bundesanstalt für Angestellte gerade einmal, um die Renten für dreieinhalb Tage auszuzahlen. Der Staat verzichtet auf Steuern, und zwar zugunsten von "Investitionen", durch die keine einzige neue Wohnung geschaffen wird. Die ohnehin schon schwache Gestaltungskraft des Staates und der Kommunen schwindet weiter.
Das Angebot an billigem Wohnraum sinkt. Das Mietpreisniveau steigt, für die unmittelbar Betroffenen heftig, für die anderen scheinbar "unmerklich", aber stetig, und auf breiter Front. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die möglichst billige Wohnungen brauchen. Der Staat verliert nicht nur Steuern. Er muss auch für die Empfänger von Arbeitslosengeld II die Wohnungskosten übernehmen, allerdings nur "in angemessener Höhe". Was aber tun die Kommunen, etwa in Köln und Berlin und Frankfurt, wenn erstens nun nicht mehr genügend Wohnungen mit Mieten "in angemessener Höhe" zur Verfügung stehen und wenn zweitens die Kommunen absehbar noch weiter verschuldet sind?
V.
Mit der neoliberalen Enthemmung und mit der Privatisierung großen Stils blühen bekanntlich die Unternehmenskriminalität und die Korruption in neuen Dimensionen auf. Es geht ja bei Immobilien um große Summen und darum, welcher Investor den Zuschlag bekommt und zu welchem Preis, welche Baufirma die Modernisierungen ausführt undsoweiter. Gegenwärtig ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 80 Verdächtige der Frankfurter Immobilienwirtschaft, die etwa 15 Millionen Euro an Schmiergeld kassiert haben sollen. Schmiergelder haben heute meist vornehme Formen angenommen, etwa als "Beraterverträge" und "Provisionen". Die besten Adressen sind beteiligt, die Deutsche Bank-Tochter DB Real Estate und der Deka Immobilienfonds der Sparkassen.
Das hat die Immobilienunternehmen tief beunruhigt. Nicht die Korruption als solche, sondern die "Schlagzeilen" wegen der staatsanwaltlichen Ermittlungen, und der "Imageschaden". So sagt es der Arbeitskreis "Initiative Corporate Governance der Deutschen Immobilienwirtschaft". Er hat sich aufgrund der schlimmen Schlagzeilen 2004 gegründet. Er hat einen Leitfaden "Wertemanagement" entwickelt. Werte kann man nämlich managen, wenn Sie das noch nicht gewusst haben sollten. Die Immobilienunternehmen sollen eine Grundwerte-Erklärung unterschreiben. Die Einhaltung soll durch einen Compliance Officer sowie durch interne und externe Audits und Reportings gewährleistet werden.
Wie sehen nun in der Grundwerte-Erklärung die Werte aus, die so gemanagt werden sollen? Der oberste Wert heißt "Wertschöpfung", und zwar für das Unternehmen. Beziehungsweise eigentlich nicht für das Unternehmen, sondern vor allem für das Topmanagement. Im einzelnen heißt es nämlich: "Die Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder soll fixe und variable Bestandteile umfassen." Aha. Weiter heißt es: "Die Grundzüge des Vergütungssystems sowie die konkrete Ausgestaltung eines Aktienoptionsplans oder vergleichbarer Gestaltungen für Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter sollen auf der Internetseite der Gesellschaft in allgemeinverständlicher Form bekannt gemacht werden." Man will sogar noch weiter gehen: "Der Vorsitzende des Aufsichtsrats soll die Hauptversammlung über die Grundzüge des Vergütungssystems und deren Veränderung informieren."
Jetzt haben Sie eine Ahnung davon, wie hier Korruption mit großem rhetorischem Aufwand bekämpft wird. Und welche Werte, pardon "Grundwerte", hier gemanagt werden. Zu ihnen gehört also, es ist so banal zu sagen, nicht einmal eine auch nur angedeutete soziale Verantwortung. Es geht einzig und allein um die Regularien der legalisierten Selbstbereicherung des Topmanagements. Dabei soll der Anschein, das Image von Korruption vermieden werden. Übrigens: Die Finanzinvestoren sind diesem anspruchsvollen Arbeitskreis der Deutschen Immobilienwirtschaft nicht beigetreten. Auch nicht, so weit ich weiß, die Frankfurter kommunale Immobiliengesellschaft ABG Holding.

Preisträger Ralf Harth - verteidigt Mieterrechte
Foto: BCC
Wie auch immer, es wäre so unwichtig wie nur irgendetwas. Solche Wert, pardon "Grundwerte", sind so oder so eine Perversion. Die Werte, auf die wir uns besinnen müssen, sind anders. Dafür brauchen wir keinen großen rhetorischen Aufwand. Sie sind eigentlich einfach. Es sind die Werte der Demokratie. Sie sind ja angeblich in unserer Gesellschaft selbstverständlich. Aber die Praxis sieht hinter dünner Fassade ganz anders aus. Die Immobilienwirtschaft, hier genauer der Umgang von Investoren, Staat und Kommunen mit öffentlichen Wohnungen, mit Mietern und Beschäftigten, ist dafür ein Beispiel.
Wir wissen aus der Geschichte, dass Werte nicht durch feierliche Erklärung leben, sondern dadurch, dass sie praktiziert werden. Dadurch, dass sie in Seele und Geist und Verhalten der Individuen und ihrer Zusammenschlüsse verankert sind. Und damit das möglich wird, muss für die Werte erst gekämpft werden. Damit sind wir in Deutschland offensichtlich wieder einmal am Anfang. Umso wichtiger sind Anfänge, Initiativen, auch wenn sie den Beteiligten und vielleicht auch der Gegenseite so klein und ohnmächtig erscheinen, noch.
Aber damit käme ich schon zu einem Aspekt, der erst der nächste Punkt unserer Veranstaltung sein wird.
Die Mietpreise werden, so die Hoffnung der Investoren, mit der Privatisierung steigen, auf breiter Front. Wenn in den Wohnungsverwaltungen Personal freigesetzt wird, ein Teil der Wohnungen verkauft und im anderen Teil die Miete erhöht wird, können hier "Vermögen verdient" werden. So schwärmen die Investoren in den Propagandamedien des Kapitals, hier in der Wirtschaftswoche. Durch den Verkauf einzelner Wohnungen, durch Mieterhöhung und durch Verschlankung der Verwaltung könne die Rendite gesteigert werden. "Ankauf privatisierungsfähiger Wohnungsbestände, deren wertsteigernde Bewirtschaftung, dann profitabler Verkauf." Bei der GAGFAH liegt die Differenz zwischen 700 und 1.100 Euro. "Die Investoren erzielen vor allem durch den Weiterverkauf vorher renovierter Wohnungen hohe Renditen."
Weiteres über business crime controll e.V. unter:
www.wirtschaftsverbrechen.de
Online-Flyer Nr. 21 vom 07.12.2005
Ursachen und Folgen der Privatisierung öffentlicher Wohnungen
Ist meine Wohnung eine Ware?
Vorwort: Peter Kleinert / Rede: Werner Rügemer
Ende November fand im großen Saal der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main die öffentliche Verleihung des BCC-Preises für Zivilcourage an den Sprecher des Frankfurter Mieterbündnisses, Ralf Harth statt. Harth kämpfte entschlossen um die Verteidigung der Mieterrechte gegen die Frankfurter ABG-Holding, die mit nicht gerade feinen Methoden einen regelrechten Häuserkampf provozierte. Vor den rund hundert Gästen hielt der Kölner Journalist und Publizist Dr. Werner Rügemer eine Festrede zu der von Investoren massiv vorangetriebenen Privatisierung des öffentlichen Wohnraums, die wenige Tage später in Köln offenbar erste Folgen hatte.
Im Anschluss an die mit großem Beifall bedachte Rede des stellvertretenden BCC-Vorsitzenden trug der BCC-Vorsitzende Professor Hans See die Laudatio vor und überreichte Ralf Harth eine Urkunde. Der Preis ist mit 3000,- Euro dotiert und soll, wie Prof. See betonte, dazu beitragen, dem Versuch des Wohnungsbaukonzerns ABG entgegenzuwirken, den Mietersprecher Harth mit juristischen Mitteln zu ruinieren und mundtot zu machen.

Prof. Hans See überreicht den Preis an Ralf Harth
Foto: BCC
Die von Rügemer im Folgenden kritisierte Privatisierung öffentlichen Wohnraums fand in den vergangenen Jahren auch in Köln statt. Glaubt man dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Martin Börschel, will die Köln-SPD nun dafür sorgen, dass in der Stadt künftig jedes Jahr wieder 1.000 Wohnungen mit öffentlicher Förderung gebaut werden. "Die Differenzen in der Wohnungsbaupolitik waren einer der Gründe, warum die Koalition mit der CDU nicht erfolgreich war", erklärte Börschel. Durchsetzbar im Kölner Stadtrat wäre dieser Plan, wenn SPD, Grüne und Linkspartei erstmals in einer wichtigen kommunalpolitischen Frage gemeinsam handeln würden. (nrhz)
Werner Rügemers Rede zur Verleihung des BCC-Menschenrechtspreises 2005
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Sie wissen: Die "Heuschrecken" sind los. Dieses Bild der "Heuschrecken" hat einer Akteursgruppe der gegenwärtig aufblühenden Wirtschaftsordnung bzw. -Unordnung kurzfristig große Aufmerksamkeit beschert. Doch wie Sie auch wissen, diese Aufmerksamkeit dauerte nur sehr kurze Zeit, und dieses vorher scheinbar unbekannte, biblische Phänomen scheint sich wieder auf den Mond verflüchtigt zu haben, also dorthin, woher zum Beispiel damals, in demokratischer Vorzeit, die braunen Männchen gekommen sind, die uns Deutschen so weh getan haben.
Die heftige Aufmerksamkeit hat keineswegs dazu beigetragen, das "Phänomen" der aggressivsten Form gegenwärtiger Gewinngenerierung zu klären. Im Gegenteil. Mit der Moralkeule des "Antisemitismus"-Vorwurfs wurde die Sachdiskussion durch die großen Medien und die Kapitallobby abgewürgt. Der politische Initiator der Diskussion, ein gewisser Herr Müntefering von einer damaligen und auch jetzigen Regierungspartei, war selbst erschrocken über die Resonanz, die er ausgelöst hatte. So ernst hatte er es wiederum nicht gemeint. Ich weiß das deshalb, weil er sich bei mir zunächst durch einen Referenten bedanken ließ, er habe aus meiner Veröffentlichung über die Private Equity-Investoren von Anfang 2005 wertvolle Anregungen erhalten. Der Referent fragte noch, ob ich weitere Unterlagen zur Verfügung stellen könne, man bereite eine Konferenz vor. Doch die Konferenz fand nie statt. Die "Heuschrecken" sind auf den medial-politischen Mond entfleucht. Und so können sie wie zuvor in aller Ruhe ungestört arbeiten. Und das tun sie. Arbeiten - diesen Begriff verwende ich hier zunächst ganz wertneutral. Sie können am Ende selbst beurteilen, was Sie von dieser "Arbeit" halten.
I.
Etwa fünf Millionen Wohnungen sind in Deutschland (noch) nicht direkt dem "freien" Markt unterworfen. Kommunale Genossenschaften haben mit 2,7 Millionen Wohnungen den größten Anteil. Auch der Bund und Bundesländer verfügen (noch) über Wohnungsbestände; so besitzt die NRW-Landesentwicklungs-Gesellschaft mbH (LEG) 106.000 Wohnungen. Die christlichen Großkirchen haben ebenfalls (noch) eigene Wohnungsgesellschaften. Schließlich gibt es (noch) 600.000 Werkswohnungen, in denen vergleichsweise niedrige Mieten verlangt werden. Es sind also etwa 10 Millionen Bürger, die gegenwärtig (noch) in solchen Wohnungen wohnen.
Ich sage überall "noch", weil dieser nicht ganz dem freien Markt unterworfene Wohnungsbestand vor wenigen Jahren noch um viele hunderttausend Wohnungen größer war. Diese Wohnungen waren und sind aber nicht nur für diejenigen von Bedeutung, die selbst darin wohnen. Zusammen mit dem öffentlich subventionierten Wohnungsbau bedeuteten sie über Jahrzehnte auch eine gewisse Bremse bei der Entwicklung der Mieten überhaupt, jedenfalls in den Qualitäts- und Preisklassen, die für die weniger vermögenden sozialen Gruppen infrage kommen.
Ein solcher vergleichsweise sozialer Zustand darf in unserer schönen neuen Welt natürlich nicht dauern. Er ist eine öffentlich sichtbare Dauer-Sünde gegen den neoliberalen Zeitgeist, ein stinkendes Geschwür im sauberen Körper der freien Marktwirtschaft. Die neuen Propheten erheben ihre Stimme. Deutsche Bank und McKinsey haben den öffentlichen Wohnungsbestand in Deutschland durchforstet. So kommt McKinsey zu dem Ergebnis, dass es sich um ein bisher unterschätztes Marktvolumen von 135 Milliarden Euro handelt. Die Wohnungen würden "schlecht bewirtschaftet", denn im Vergleich zu privaten Wohnungsunternehmen bestehe eine "Renditelücke". "Schlecht bewirtschaftet" heißt hier ganz unverblümt: Mieten und Rendite zu niedrig.
McKinsey und die Deutsche Bank sind aber nur Trittbrettfahrer. Andere waren schneller, die "Heuschrecken" nämlich. Blackstone, KKR, Cerberus, Whitehall, Terra Firma/Deutsche Annington und Fortress, wie sie mit ihrem bürgerlichen bzw. unbürgerlichen Namen heißen, also die Finanzinvestoren mit Sitz in London, New York und auf den Bahamas, mit deutschen Niederlassungen vor allem in der weltoffenen Stadt Frankfurt am Main, sie also haben den deutschen Immobilienmarkt schon vorher entdeckt.
Zuerst hatten sie seit dem Jahre 2000 mithilfe der von dem schon genannten Herrn Müntefering mitorganisierten Bundesregierung den deutschen Markt überhaupt entdeckt. Mithilfe der von dieser Regierung gewährten gesetzlichen Steuergeschenke und mithilfe der Abwertung von Lohnarbeit kauften die Finanzinvestoren zunächst profitable Mittelstandsfirmen des gehobenen Sektors, Siemens Nixdorf, den Armaturenhersteller Grohe, den Triebwerkshersteller MTU, das Chemieunternehmen Celanese und hunderte andere. Die Finanzinvestoren kaufen nicht, um ein Unternehmen zu kaufen, im Gegenteil. Mit dem Kauf wird bereits der Verkauf geplant. Sie unterwerfen das gekaufte Unternehmen einem kurzfristigen "Verwertungszyklus", der möglichst drei oder fünf Jahre nicht überschreiten soll. In dieser Zeit wird Personal freigesetzt, Eigenkapital entzogen, Forschung und Entwicklung eingefroren. Dann wird verkauft oder an die Börse gebracht. Am Ende muß eine Jahresrendite von mindestens 20 Prozent stehen.
II.
Nach den Industrieunternehmen entdeckten die Finanzinvestoren den kontinentaleuropäischen Immobilienmarkt. Nachdem sie den von ihnen selbst überhitzten Immobilienmarkt in den USA und England abgegrast haben. Ich beschränke mich auf Deutschland. Die Miet- und Immobilienpreise im vereinigten Deutschland sind, so fanden die Finanzinvestoren im Vergleich zu ihren Vorbild- und Heimatländern USA und Großbritannien heraus, auf dem Niveau von 1993 stehen geblieben. Dieser "Entwicklungsrückstand" müsse und könne nun aufgeholt werden. Man achte auf den hier zugrunde liegenden Begriff der "Entwicklung": soziale Mieten, niedrige Wohnungs- und Eigenheimpreise bedeuten hier einen "Rückstand". Deutschland ist also ein "Entwicklungsland".

Werner Rügemer, stellvertretender BCC-Vorsitzender
Foto: BCC
Beim Kauf und Verkauf von mittelständischen Industrieunternehmen in dem kurzen und heftigen Verwertungszyklus haben die Finanzinvestoren gezeigt, wie sie ihre durchschnittliche Jahresrendite von mindestens 20 Prozent "erwirtschaften". Das wollen sie nun auch im Wohnungsmarkt durchexerzieren. Er steht für die Investoren vor einem "Wendepunkt": Schluß mit der öffentlichen Förderung, "hin zu einer professionell geführten Anlageklasse und wettbewerbsfähigen Renditen. Wer diese Transformation beherrscht, kann auch mit langweiligen Wohnblöcken viel Geld verdienen", so referieren die Gefälligkeitsschreiberlinge der "Wirtschaftswoche". Aber wie, so fragt die noch leicht erstaunte, aber bereits mitjubelnde deutsche Wirtschaftspresse, "aber wie kommt man mit deutschen Mietskasernen auf 20 Prozent jährliche Verzinsung und mehr, so wie es die Finanzinvestoren planen?"
Man konzentriert sich auf Ballungsgebiete. Man kauft nicht einzelne Wohnungen, sondern mit einem Schlag zehn- und hunderttausende. So kann man eine Hebelwirkung erreichen. So erreicht man eine Wertsteigerung. Mit `Wertsteigerung´ ist nicht, wie Sie naiverweise oder in Ihrer sozialen Voreingenommenheit vielleicht vermuten, die Steigerung des Wohnwerts für die Mieter gemeint. Gemeint ist die 20-Prozent-Jahresrendite für die Aufkäufer im möglichst kurzen Verwertungszyklus.
Um diese Art Wertsteigerung zu erreichen, muß man an verschiedenen "Stellschrauben" drehen, wie die Wirtschaftswoche rapportiert. Die erste Stellschraube ist die Verschuldung der öffentlichen Hände. Die Investoren sprechen vom "Charme der Staatsverschuldung". Das ist ein Verführungs- und Erpressungspotential. Für "hoch defizitäre Kommunen", so locken die Investoren, kann der Verkauf kompletter Wohnungsbestände "die beste Lösung" sein. "Wir leben faktisch von der Hand in den Mund, wir brauchen das Geld jetzt", sagt zum Beispiel der Dresdner Stadtkämmerer, der die städtische Wohnungsgesellschaft Woba verkaufen will. Er hat sich und den Stadtrat unter Zugzwang gesetzt, denn den erhofften Verkaufspreis für die 50.000 Wohnungen hat er schon in den Haushalt eingestellt. Kämmerer und Finanzminister kommen sich clever vor, weil sie auf solche "innovative Finanzierungsmöglichkeiten" eingehen. Deshalb gibt es die Wohnungen zu "Schleuderpreisen", heißt es bewundernd in der "Wirtschaftswoche". Wie gesagt, das ist der "Charme der Staatsverschuldung".
Die zweite Stellschraube kann folgendermaßen gedreht werden: Die sogenannten Investoren können mit wenig Eigenkapital viel kaufen. Die Konditionen für Großkredite waren noch nie so günstig wie heute - eine 80 bis 90prozentige Kreditfinanzierung ist die Regel. Da kommt dann beispielsweise die Deutsche Bank ins Geschäft. So können die Finanzinvestoren für 200 Millionen Euro Eigenkapital so mal 100.000 Wohnungen kaufen, die das Zehnfache kosten, nämlich zwei Milliarden Euro. Und mit den Krediten wird die aufgekaufte Wohnungsgesellschaft belastet, die deshalb für ihre Gewinne keine Steuern zu zahlen braucht. Und Zinsen für die Kredite solcher Investitionen belohnt der Staat damit, dass sie steuermindernd angesetzt werden können. Obwohl bei diesen sogenannten Investitionen keine einzige Wohnung entsteht, die nicht schon vorher da gewesen wäre.
Danach wird an weiteren "Stellschrauben" gedreht. In der Wirtschaftwoche werden sie unverblümt auch als "operative Daumenschrauben" bezeichnet. Jetzt sind nämlich die Mieter und die Beschäftigten der Wohnungsgesellschaften dran. So wollte zum Beispiel die Stadt Köln 42.000 Wohnungen verkaufen. Die Bank Oppenheim wurde beauftragt, den Verkauf vorzubereiten. In ihrem Gutachten für die möglichen Investoren warnten die Banker, deren Honorar drei Millionen Euro betrug, vor den "sehr negativen Auswirkungen auf den Kaufpreis", wenn den gegenwärtigen Beschäftigten der kommunalen Wohnungsgesellschaft der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen garantiert werde. So wurde zart aber deutlich nahegelegt, dass der Investor die Freiheit haben müsse, Beschäftigte freizusetzen. Dafür würde er sich beim Kaufpreis erkenntlich zeigen.
Weiter gutachtete Oppenheim, "dass Sozialklauseln für den Erwerber grundsätzlich Beschränkungen der Vermarktungsmöglichkeiten bzw. der operativen und gesellschaftsrechtlichen Handlungsfreiheiten" darstellen. So wurde wieder sehr zart, aber wieder sehr deutlich nahegelegt, die Rechte der Mieter möglichst auf niedrigem Niveau zu halten.
Der Verkauf in Köln kam glücklicherweise nicht zustande. Aber die Bank Oppenheim wurde auch in anderen Städten als Berater und Gutachter herangezogen, so in Münster, Offenbach und Bonn. Der Senat von Berlin engagierte Oppenheim für den Verkauf der Wohnungsgesellschaft GSW. In ihrem Gutachten priesen die Berater den Kaufinteressenten die Gewinnaussichten einer privatisierten GSW an, die keine Rücksicht mehr auf soziale Belange und extensive Mieterrechte nehmen müsse. Der Mieterhöhungsspielraum sei enorm. Das GSW-Personal könne um ein Fünftel abgebaut werden.
So kommen wir also zur "operativen Daumenschraube" mit dem Namen Mieterhöhung. In der Studie der Deutschen Bank Research wird unter der Frage "Wie sinnvoll ist ein Engagement auf dem deutschen Wohnungsmarkt?" das Pro und Contra abgewogen. Das Pro, also das hohe Gewinnpotential, habe ich schon genannt. Die Investoren sehen aber auch ein Contra, nämlich "Deutscher Wohnungsmarkt ist stark reguliert, z.B. das Mietrecht", heißt es. Andere Regulierungen werden nicht genannt. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Lobby der Investoren, also z.B. die Deutsche Bank, das Mietrecht ändern wollen.
Aber man kann vorher ja auch schon was tun. Der Investor Cerberus, der in Berlin mit dem Oppenheim-Gutachten in der Hand die 65.000 GSW-Wohnungen gekauft hat, hat diese "operative Daumenschraube" bereits angesetzt. Er hat einige Monate nach dem Kauf angekündigt, dass die Mieten in der Wohnanlage "Grüne Stadt" nach einer Modernisierung um 2,60 Euro steigen werden. Die Miete bisher beträgt 2,91 Euro pro Quadratmeter kalt. Die Mieten würden also fast verdoppelt werden. Natürlich weiß der Investor, der eine genaue Analyse der Sozial- und Einkommensstruktur der Mieter hat anfertigen lassen, dass die meisten bisherigen Mieter diese verdoppelten Mieten nicht werden zahlen können. Er kalkuliert also neben der Mieterhöhung mit dem Auszug eines Teils der Mieter.
Da kann er dann die nächste "operative Daumenschraube" ansetzen: den Wohnungsverkauf. Da lässt sich ein schon größerer und schnellerer Gewinn realisieren. Denn wegen der bereits geschilderten Komplizenschaft vieler "Verantwortlicher" in Staat und Kommunen können die Investoren die Wohnungen schon zu den schönen Schleuderpreisen ab 400 Euro pro Quadratmeter kaufen. Die Bundesregierung verkaufte die 82.000 Wohnungen der GAGFAH, die der Bundesanstalt für Angestellte gehörten, für 700 Euro pro Quadratmeter. Mit ein wenig Modernisierung können die Investoren solche Einfach-Wohnungen für etwa 1.200 Euro pro Quadratmeter weiterverkaufen.
Die nächste Stellschraube bzw. operative Daumenschraube wird bei den Beschäftigten der Wohnungsverwaltungen angesetzt. Beim Verkauf der Preussag-Werkswohnungen etwa an den australischen Finanzinvestor Babcock & Brown wurden sogar alle Beschäftigten entlassen, die Verwaltung wurde einem Rechtsanwaltsbüro übergeben. Sowas können sich Konzerne leisten. Staat und Kommunen würden durchaus auch so handeln, müssen aber Rücksichten nehmen, noch. So hat der Investor Cerberus bei der Berliner GSW mit dem Oppenheim-Gutachten in der Hand erst mal nur 200 Beschäftigte "freigesetzt". Wenige Monate nach dem Kauf der Eon/Viterra-Wohnungen hat der neue Eigentümer, die Terra Firma / Deutsche Annington angekündigt, dass 500 oder möglicherweise auch 660 Arbeitsplätze der Wohnungsverwaltung gestrichen werden sollen, als erster Schritt.
Wir kommen zur letzten Stellschraube. Der Finanzinvestor hat also im geplanten kurzen Verwertungszyklus die Wohnungen billig gekauft, hat Mieten erhöht, hat einen Teil der Wohnungen verkauft, hat Beschäftigte entlassen, hat keine Steuern bezahlt. Dann kommt erst der eigentliche Gewinnsprung, um die geplante 20-Prozent-Jahresrendite zu kommen: Die gekaufte Wohnungsgesellschaft wird weiterverkauft. Zum Beispiel an den nächsten Finanzinvestor. Da hilft wieder die Bundesregierung, denn der Erlös ist steuerfrei. Auch die neue Bundesregierung hat bekanntlich daran nichts geändert.
Die letzte Stellschraube kann auch etwas anders gedreht werden. Die Investoren-Lobby hat sich dafür eingesetzt, dass nach US-Vorbild auch in Europa aus den aufgekauften Wohnungskomplexen "Real Estate Investment Trusts" (REITS) gebildet werden, also Immobilienfirmen, die an die Börse gebracht werden. Beim Börsengang fließt den Investoren das ganz große Geld zu, so war es jedenfalls bisher. REITS sind in den USA steuerfrei gestellt, in Frankreich und Italien haben die Gesetzgeber dies bereits nachvollzogen, in Deutschland "wünscht" sich die Branche das ebenfalls.
III.
Nicht nur die US-amerikanischen Finanzinvestoren müssen im Kampf um die zahlungskräftige Kundschaft, deren Gelder sie verwalten, die 20-Prozent-Rendite hereinholen. Längst arbeiten deutsche Zauberlehrlinge allzu gerne nach demselben Rezept. Etwa die Bank Oppenheim, die größte Privatbank Europas, die in Köln und Berlin und europaweit an den Gutachten für die Privatisierung öffentlicher Wohnungen verdient. Sie ist nicht nur Gutachter, sondern auch selbst Organisator kommunaler Immobilienprojekte. Wie die angelsächsischen Finanzinvestoren besorgt sie sich ihr Eigenkapital bei vermögenden Anlegern, die für ein Projekt zwischen fünf und fünfzig Millionen einzahlen. "Unsere Zielgruppe sind die 10.000 vermögendsten Deutschen, die über 50 Prozent des Landesvermögens verfügen", so der Oppenheim-Vorstandssprecher Graf von Krockow. Um mit den Heuschrecken konkurrieren zu können, müssen die immer zahlreicher werdenden deutschen Nachahmer ebenfalls die jährliche Standardrendite um 20 Prozent bieten.
Auch deutsche Finanzminister, Stadtkämmerer und kommunale Wohnungsmanager können sich als clevere Finanzleute aufspielen. Sie gestalten die Verwertungsbedingungen extrem investorenfreundlich, wie wir gesehen haben. Das lässt sich aber immer noch steigern. So hat etwa die hessische Landesregierung das Verbot der Zweckentfremdung von Sozialwohnungen aufgehoben. "Bürokratische Hemmnisse abbauen, damit die Investoren kommen", heißt das dann.
Auch öffentliche Wohnungsgesellschaften orientieren sich vielfach an den Praktiken der Finanzinvestoren. Die öffentliche Eigentümerschaft gewährleistet inzwischen keineswegs eine verantwortliche und soziale Unternehmensführung. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die öffentlichen Eigentümer die Wohnungen auf die geschilderte Weise zu Schleuderpreisen verkaufen, sondern auch daran, dass sie schon vor dem Verkauf nach ähnlichen Prinzipien vorgehen. Durch "In-sich-Geschäfte" schröpfte etwa der Berliner Senat seine Wohnungsgesellschaften, indem sie sich gegenseitig aufkaufen und den Kaufpreis in den Landeshaushalt abführen mussten. Allein auf diese Weise waren die Berliner Wohnungsgesellschaften zwischen 1995 und 2000 um rund 1,5 Milliarden Euro in die Verschuldung getrieben worden, die dann als zusätzliches Argument für den Verkauf dienen musste. Die kommunale Wohnungsgesellschaft von Frankfurt am Main, die ABG Holding Wohnungsbau- und Beteiligungsgesellschaft mbH, die nach ihrer Satzung "preiswerten Wohnraum" bereitstellen soll, wandelt die ehemalige Arbeitersiedlung Bockenheim in die Luxussiedlung City West um und vertreibt alte Mieter.
IV.
Kommen wir nun zu den Folgen für die gesamte Gesellschaft. Die von den Finanzinvestoren angesetzten Stell- und Daumenschrauben betreffen nicht nur die Mieter und die Beschäftigten der gekauften Wohnungen. Man muss sich die volkswirtschaftlichen Größen klarmachen. Der Finanzinvestor Terra Firma, der japanischen und US-amerikanischen Finanzgruppen gehört, hat über sein Tochterunternehmen Deutsche Annington zunächst 64.000 Wohnungen der Deutschen Bahn gekauft, dann die 138.000 Wohnungen von Eon/Viterra. Mit insgesamt 230.000 Wohnungen wurde Terra Firma / Deutsche Annington damit innerhalb von vier Jahren zum größten Wohnungseigentümer in Deutschland.
Der US-Finanzinvestor Fortress kaufte für 2,1 Mrd. Euro die schon genannten 82.000 Wohnungen der 1918 gegründeten "Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten" (GAGFAH), die der Bundesanstalt für Angestellte (BfA) gehörte. Auch kleinere Bestände werden zum Einstieg nicht verschmäht: Cerberus kaufte in Berlin auch die Degewo mit 2.650 Wohnungen, der texanische Finanzinvestor Lone Star kaufte ebenfalls in Berlin 5.500 Plattenbauten. Hier entsteht eine Marktmacht mit nationalen und tiefgreifenden sozialen Wirkungen.
Das Endergebnis für die Gemeinschaft und für die öffentliche Seite ist negativ. In den öffentlichen Haushalten verpuffen die unterwertigen Einmalerlöse - so reichen etwa die 2,1 Milliarden Euro für die 82.000 GAGFAH-Wohnungen der Bundesanstalt für Angestellte gerade einmal, um die Renten für dreieinhalb Tage auszuzahlen. Der Staat verzichtet auf Steuern, und zwar zugunsten von "Investitionen", durch die keine einzige neue Wohnung geschaffen wird. Die ohnehin schon schwache Gestaltungskraft des Staates und der Kommunen schwindet weiter.
Das Angebot an billigem Wohnraum sinkt. Das Mietpreisniveau steigt, für die unmittelbar Betroffenen heftig, für die anderen scheinbar "unmerklich", aber stetig, und auf breiter Front. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die möglichst billige Wohnungen brauchen. Der Staat verliert nicht nur Steuern. Er muss auch für die Empfänger von Arbeitslosengeld II die Wohnungskosten übernehmen, allerdings nur "in angemessener Höhe". Was aber tun die Kommunen, etwa in Köln und Berlin und Frankfurt, wenn erstens nun nicht mehr genügend Wohnungen mit Mieten "in angemessener Höhe" zur Verfügung stehen und wenn zweitens die Kommunen absehbar noch weiter verschuldet sind?
V.
Mit der neoliberalen Enthemmung und mit der Privatisierung großen Stils blühen bekanntlich die Unternehmenskriminalität und die Korruption in neuen Dimensionen auf. Es geht ja bei Immobilien um große Summen und darum, welcher Investor den Zuschlag bekommt und zu welchem Preis, welche Baufirma die Modernisierungen ausführt undsoweiter. Gegenwärtig ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 80 Verdächtige der Frankfurter Immobilienwirtschaft, die etwa 15 Millionen Euro an Schmiergeld kassiert haben sollen. Schmiergelder haben heute meist vornehme Formen angenommen, etwa als "Beraterverträge" und "Provisionen". Die besten Adressen sind beteiligt, die Deutsche Bank-Tochter DB Real Estate und der Deka Immobilienfonds der Sparkassen.
Das hat die Immobilienunternehmen tief beunruhigt. Nicht die Korruption als solche, sondern die "Schlagzeilen" wegen der staatsanwaltlichen Ermittlungen, und der "Imageschaden". So sagt es der Arbeitskreis "Initiative Corporate Governance der Deutschen Immobilienwirtschaft". Er hat sich aufgrund der schlimmen Schlagzeilen 2004 gegründet. Er hat einen Leitfaden "Wertemanagement" entwickelt. Werte kann man nämlich managen, wenn Sie das noch nicht gewusst haben sollten. Die Immobilienunternehmen sollen eine Grundwerte-Erklärung unterschreiben. Die Einhaltung soll durch einen Compliance Officer sowie durch interne und externe Audits und Reportings gewährleistet werden.
Wie sehen nun in der Grundwerte-Erklärung die Werte aus, die so gemanagt werden sollen? Der oberste Wert heißt "Wertschöpfung", und zwar für das Unternehmen. Beziehungsweise eigentlich nicht für das Unternehmen, sondern vor allem für das Topmanagement. Im einzelnen heißt es nämlich: "Die Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder soll fixe und variable Bestandteile umfassen." Aha. Weiter heißt es: "Die Grundzüge des Vergütungssystems sowie die konkrete Ausgestaltung eines Aktienoptionsplans oder vergleichbarer Gestaltungen für Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter sollen auf der Internetseite der Gesellschaft in allgemeinverständlicher Form bekannt gemacht werden." Man will sogar noch weiter gehen: "Der Vorsitzende des Aufsichtsrats soll die Hauptversammlung über die Grundzüge des Vergütungssystems und deren Veränderung informieren."
Jetzt haben Sie eine Ahnung davon, wie hier Korruption mit großem rhetorischem Aufwand bekämpft wird. Und welche Werte, pardon "Grundwerte", hier gemanagt werden. Zu ihnen gehört also, es ist so banal zu sagen, nicht einmal eine auch nur angedeutete soziale Verantwortung. Es geht einzig und allein um die Regularien der legalisierten Selbstbereicherung des Topmanagements. Dabei soll der Anschein, das Image von Korruption vermieden werden. Übrigens: Die Finanzinvestoren sind diesem anspruchsvollen Arbeitskreis der Deutschen Immobilienwirtschaft nicht beigetreten. Auch nicht, so weit ich weiß, die Frankfurter kommunale Immobiliengesellschaft ABG Holding.

Preisträger Ralf Harth - verteidigt Mieterrechte
Foto: BCC
Wie auch immer, es wäre so unwichtig wie nur irgendetwas. Solche Wert, pardon "Grundwerte", sind so oder so eine Perversion. Die Werte, auf die wir uns besinnen müssen, sind anders. Dafür brauchen wir keinen großen rhetorischen Aufwand. Sie sind eigentlich einfach. Es sind die Werte der Demokratie. Sie sind ja angeblich in unserer Gesellschaft selbstverständlich. Aber die Praxis sieht hinter dünner Fassade ganz anders aus. Die Immobilienwirtschaft, hier genauer der Umgang von Investoren, Staat und Kommunen mit öffentlichen Wohnungen, mit Mietern und Beschäftigten, ist dafür ein Beispiel.
Wir wissen aus der Geschichte, dass Werte nicht durch feierliche Erklärung leben, sondern dadurch, dass sie praktiziert werden. Dadurch, dass sie in Seele und Geist und Verhalten der Individuen und ihrer Zusammenschlüsse verankert sind. Und damit das möglich wird, muss für die Werte erst gekämpft werden. Damit sind wir in Deutschland offensichtlich wieder einmal am Anfang. Umso wichtiger sind Anfänge, Initiativen, auch wenn sie den Beteiligten und vielleicht auch der Gegenseite so klein und ohnmächtig erscheinen, noch.
Aber damit käme ich schon zu einem Aspekt, der erst der nächste Punkt unserer Veranstaltung sein wird.
Die Mietpreise werden, so die Hoffnung der Investoren, mit der Privatisierung steigen, auf breiter Front. Wenn in den Wohnungsverwaltungen Personal freigesetzt wird, ein Teil der Wohnungen verkauft und im anderen Teil die Miete erhöht wird, können hier "Vermögen verdient" werden. So schwärmen die Investoren in den Propagandamedien des Kapitals, hier in der Wirtschaftswoche. Durch den Verkauf einzelner Wohnungen, durch Mieterhöhung und durch Verschlankung der Verwaltung könne die Rendite gesteigert werden. "Ankauf privatisierungsfähiger Wohnungsbestände, deren wertsteigernde Bewirtschaftung, dann profitabler Verkauf." Bei der GAGFAH liegt die Differenz zwischen 700 und 1.100 Euro. "Die Investoren erzielen vor allem durch den Weiterverkauf vorher renovierter Wohnungen hohe Renditen."
Weiteres über business crime controll e.V. unter:
www.wirtschaftsverbrechen.de
Online-Flyer Nr. 21 vom 07.12.2005