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Globales
Chronik eines vorsätzlichen Massakers
Die Zukunft Israels steht auf dem Spiel
Von Michael Warschawski
"Wir müssen die Dörfer im Süden pulverisieren .... Ich verstehe nicht, warum es da immer noch Strom gibt..." (Ha´aretz, 28.07.2006) Mit diesen Worten fasste der israelische Justizminister und ehemalige Parteichef der Arbeitspartei, Haim Ramon, seine Empfehlungen für die Fortsetzung der Militäroffensive im Libanon nach dem Scheitern der Invasion von Bint Jbeil zusammen. Für den Generalstab der Armee, aus der Regierung unterstützt von Arbeitsminister Benjamin Ben Eliezer, läge die Lösung in der Besetzung eines Teils des Südlibanons, nachdem zunächst alle Dörfer in diesem Gebiet zerstört würden. Die einheimische Bevölkerung würde vor der Zerstörung der Dörfer mit einigen Dutzend SMS gewarnt und jene, die sich entscheiden würden zu bleiben oder einfach keinen menschenfreundlichen Warnruf bekommen hätten, würden als Terroristen behandelt werden.
Schrecklich? In der Tat, aber nicht unerwartet. Der israelische Krieg im Libanon ist der Archetyp der Kriegsführung im 21. Jahrhundert, die auf die Kolonisierung der Welt und die Unterjochung der Völker der Erde unter das Empire zielt. In diesen Kriegen ist der Wert des Lebens von Zivilisten nicht, wie in anderen Kriegen, nur von begrenztem Wert, sondern sie gelten als legitimes Ziel, schuldig den Terrorismus aktiv oder passiv unterstützt zu haben. Terrorismus wird als inhärenter Bestandteil ihrer Kultur betrachtet.
In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, wie sich der herrschende Diskurs allmählich von terroristischen Gruppierungen über terroristische Staaten hin zu terroristischen Völkern entwickelt hat. Die ultimative Logik des globalen Krieges ist die vollständige Ethnisierung von Konflikten, in denen nicht mehr gegen eine Politik, eine Regierung oder bestimmte Ziele gekämpft wird, sondern gegen eine angenommene Bedrohung einer bestimmten Gesellschaft. Angst ist der Ausgangspunkt der neuen Ära und Hass macht ihre Entschlossenheit aus. Aufgrund dieser Angst sprechen die Neocons in der US-Regierung von einem endlosen Krieg.
Unter dem Vorwand der Entführung von zwei Kriegsgefangenen hat die israelische Regierung beschlossen, in dem endlosen globalen Präventivkrieg zur Rekolonialisierung eine weitere Front zu eröffnen. Israel ist bereit, seine eigene Bevölkerung in dieser neuen Variante des Volkskriegs als Kollateralschäden zu opfern und seine Soldaten loszuschicken, um der "neuen Demokratie im Nahen Osten" den Weg zu bahnen.
Diese Bereitschaft kommt in einer kostspieligen Anzeige israelischer Neocons auf der Titelseite der Ha´aretz vom 30. Juli 2006 klar zum Ausdruck:
"Israel steht in einem Krieg gegen die Welt des Jihad an vorderster Front. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder stärken wir die Fanatiker durch Rückzug und Trennung, durch unilateralen Rückzug, der Israel zum Austragungsort des Hauptkampfes zwischen fanatischem Islam und aufgeklärter Welt machen wird, oder wir unterstützen die Gemäßigten (...) und verwandeln Israel in ein globales Zentrum der Gerechtigkeit und der interreligiösen Verständigung. Im Nahen Osten gibt es keine Abkürzungen." Am Ende der Anzeige findet sich eine kurze Abschlussnotiz: "Denk dran: Unangebrachtes philosophisches Zartgefühl gegenüber Menschenleben wird dazu führen, dass wir den wahren Preis der Leben Vieler und des Blutes unserer Söhne zahlen müssen."
Während in der israelischen Öffentlichkeit mehr und mehr Stimmen laut werden, die, wenn nicht die Legitimität, so doch die Reichweite der gegenwärtigen Militäroperation in Frage stellen, fordert die US-Regierung, Israel solle dem Druck jener, die sich für einen Waffenstillstand einsetzen, nicht nachgeben. Der erfahrene Politik- und Militäranalytiker Ze´ev Schiff fasst die Natur des Besuchs von US-Außenministerin Condoleezza Rice in Jerusalem an diesem Wochenende in der Ha´aretz vom 27. Juli 2006 zusammen:
"Nicht (Israels - d.Ü.) Premierminister Olmert oder Verteidigungsminister Peretz, sondern US-Außenministerin Condoleezza Rice ist für die Strategie, die auf eine Veränderung der Lage im Libanon abzielt, federführend. Sie ist diejenige, der es bislang gelungen ist, sich gegen den internationalen Druck nach einem Waffenstillstand durchzusetzen. (...) Um Erfolg zu haben, braucht sie militärische Erfolge, die Israel unglücklicherweise bislang nicht liefern konnte. Außer der Bestrafung der Hizb´ollah und des Libanon durch Bombardierungen beschränken sich die militärischen Erfolge Israels bis heute auf die Eroberung zweier Dörfer nahe der Grenze. Wenn Israel seine militärischen Karten im Kampf nicht verbessert, werden wir das bei der politischen Lösung merken."
Früher oder später wird die US-Regierung jedoch eine politische Lösung akzeptieren müssen, die mehr oder weniger auf dem in Rom skizzierten Entwurf beruhen wird. Bis zur nächsten Runde dieses unendlichen Krieges wird Israel weiter seine Rolle als bewaffnete Vorhut der so genannten zivilisierten Welt spielen.
Was die israelische Öffentlichkeit nicht begreift, sind die dramatischen Auswirkungen der Politik Israels auf dessen Existenz als Staat im Herzen der arabischen und muslimischen Welten. Durch seine grenzenlose Brutalität und seine Rhetorik und Strategie vom "Zusammenprall der Kulturen" zeigt der israelische Staat den Völkern in der Region, dass er ein im Nahen Osten fremdes und feindseliges Gemeinwesen ist und bleiben will - nichts weiter als ein bewaffneter Ausläufer des anti-muslimischen Kreuzzugs der Vereinigteen Staaten im 21. Jahrhundert. Was vor zehn Jahrhunderten mit den Kreuzfahrern passiert ist, ist bekannt.
Der Hass, den die Bombardierung Beiruts, die Zerstörung der libanesischen Infrastruktur, die Hunderte ziviler Toter, die hunderttausende Flüchtlinge und die Strategie der verbrannten Erde im Süden des Landes hervorrufen, ist enorm und erfasst die gesamte muslimische Welt. Er könnte schnell sogar auf die muslimischen Gemeinden in den Ländern des Nordens übergreifen. Im Gegensatz zu früheren Krisen wie dem Libanonfeldzug von 1982, ist dieser Hass zudem aus dem behaupteten globalen "Zusammenprall der Kulturen" und der Ethnisierung des Konflikts entstanden, was es extrem schwierig machen wird, ihn wieder auszurotten, wenn sich der Rauch über dem Schlachtfeld verzogen hat und alle Toten beerdigt sind.
Olmert, Peretz und Halutz sind die gefährlichsten und verantwortungslosesten Führer, die Israel jemals hatte; sie spielen mit dem Feuer, dass unsere Existenz als Nation im Nahen Osten zu Asche machen kann. Auf den schwachen Schultern der kleinen israelischen Antikriegsbewegung ruht nicht nur das Schicksal der gegenwärtigen israelischen Bürgerschaft und der moralische Anstand unserer Gesellschaft, sondern auch die gesamte Zukunft unserer Kinder in diesem Teil der Welt.
"Wir weigern uns, Feinde zu sein!", verkündet eine der Parolen auf unseren Demonstrationen. Nie zuvor war eine Parole so wichtig, so dringend, so unverzichtbar.
Wir danken Endy Hagen für die Übersetzung
Michael Warschawski wurde 1949 in Straßburg geboren. Ging 1965 nach Jerusalem an eine Talmudschule. 1967-71 studierte er Philosophie an der Jerusalemer Hebräischen Universität. 1971-1984 gab er die monatlich erscheinende Zeitschrift Mazpen heraus. 1982: Mitbegründer des Reserve Soldiers Movement Yesh Gvul. 1984: Gründer des Alternative Information Center (AIC), bis 1999 dessen Direktor, seit 2000 Co-Vorsitzender des AIC-Vorstands. 1985-87: Mit Feisal Husseini Co-Sprecher des Committee Against the Iron Fist. Seit 1992: Mitglied des Friedensblocks Gush Shalom. 1987 wegen »Unterstützung illegaler palästinensischer Organisationen« verhaftet und 1989 zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt; die Strafe wurde 1990 auf 8 Monate gemildert. Seit 2001 vertritt er das AIC im International Council of the World Social Forum. Warschawski ist mit der Anwältin Lea Tsemel verheiratet und Vater zweier Söhne und einer Tochter. Zuletzt erschien von ihm in der Edition Nautilus "MIT HÖLLENTEMPO - Die Krise der israelischen Gesellschaft"
Online-Flyer Nr. 57 vom 15.08.2006
Chronik eines vorsätzlichen Massakers
Die Zukunft Israels steht auf dem Spiel
Von Michael Warschawski
"Wir müssen die Dörfer im Süden pulverisieren .... Ich verstehe nicht, warum es da immer noch Strom gibt..." (Ha´aretz, 28.07.2006) Mit diesen Worten fasste der israelische Justizminister und ehemalige Parteichef der Arbeitspartei, Haim Ramon, seine Empfehlungen für die Fortsetzung der Militäroffensive im Libanon nach dem Scheitern der Invasion von Bint Jbeil zusammen. Für den Generalstab der Armee, aus der Regierung unterstützt von Arbeitsminister Benjamin Ben Eliezer, läge die Lösung in der Besetzung eines Teils des Südlibanons, nachdem zunächst alle Dörfer in diesem Gebiet zerstört würden. Die einheimische Bevölkerung würde vor der Zerstörung der Dörfer mit einigen Dutzend SMS gewarnt und jene, die sich entscheiden würden zu bleiben oder einfach keinen menschenfreundlichen Warnruf bekommen hätten, würden als Terroristen behandelt werden.
Schrecklich? In der Tat, aber nicht unerwartet. Der israelische Krieg im Libanon ist der Archetyp der Kriegsführung im 21. Jahrhundert, die auf die Kolonisierung der Welt und die Unterjochung der Völker der Erde unter das Empire zielt. In diesen Kriegen ist der Wert des Lebens von Zivilisten nicht, wie in anderen Kriegen, nur von begrenztem Wert, sondern sie gelten als legitimes Ziel, schuldig den Terrorismus aktiv oder passiv unterstützt zu haben. Terrorismus wird als inhärenter Bestandteil ihrer Kultur betrachtet.
In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, wie sich der herrschende Diskurs allmählich von terroristischen Gruppierungen über terroristische Staaten hin zu terroristischen Völkern entwickelt hat. Die ultimative Logik des globalen Krieges ist die vollständige Ethnisierung von Konflikten, in denen nicht mehr gegen eine Politik, eine Regierung oder bestimmte Ziele gekämpft wird, sondern gegen eine angenommene Bedrohung einer bestimmten Gesellschaft. Angst ist der Ausgangspunkt der neuen Ära und Hass macht ihre Entschlossenheit aus. Aufgrund dieser Angst sprechen die Neocons in der US-Regierung von einem endlosen Krieg.
Unter dem Vorwand der Entführung von zwei Kriegsgefangenen hat die israelische Regierung beschlossen, in dem endlosen globalen Präventivkrieg zur Rekolonialisierung eine weitere Front zu eröffnen. Israel ist bereit, seine eigene Bevölkerung in dieser neuen Variante des Volkskriegs als Kollateralschäden zu opfern und seine Soldaten loszuschicken, um der "neuen Demokratie im Nahen Osten" den Weg zu bahnen.
Diese Bereitschaft kommt in einer kostspieligen Anzeige israelischer Neocons auf der Titelseite der Ha´aretz vom 30. Juli 2006 klar zum Ausdruck:
"Israel steht in einem Krieg gegen die Welt des Jihad an vorderster Front. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder stärken wir die Fanatiker durch Rückzug und Trennung, durch unilateralen Rückzug, der Israel zum Austragungsort des Hauptkampfes zwischen fanatischem Islam und aufgeklärter Welt machen wird, oder wir unterstützen die Gemäßigten (...) und verwandeln Israel in ein globales Zentrum der Gerechtigkeit und der interreligiösen Verständigung. Im Nahen Osten gibt es keine Abkürzungen." Am Ende der Anzeige findet sich eine kurze Abschlussnotiz: "Denk dran: Unangebrachtes philosophisches Zartgefühl gegenüber Menschenleben wird dazu führen, dass wir den wahren Preis der Leben Vieler und des Blutes unserer Söhne zahlen müssen."
Während in der israelischen Öffentlichkeit mehr und mehr Stimmen laut werden, die, wenn nicht die Legitimität, so doch die Reichweite der gegenwärtigen Militäroperation in Frage stellen, fordert die US-Regierung, Israel solle dem Druck jener, die sich für einen Waffenstillstand einsetzen, nicht nachgeben. Der erfahrene Politik- und Militäranalytiker Ze´ev Schiff fasst die Natur des Besuchs von US-Außenministerin Condoleezza Rice in Jerusalem an diesem Wochenende in der Ha´aretz vom 27. Juli 2006 zusammen:
"Nicht (Israels - d.Ü.) Premierminister Olmert oder Verteidigungsminister Peretz, sondern US-Außenministerin Condoleezza Rice ist für die Strategie, die auf eine Veränderung der Lage im Libanon abzielt, federführend. Sie ist diejenige, der es bislang gelungen ist, sich gegen den internationalen Druck nach einem Waffenstillstand durchzusetzen. (...) Um Erfolg zu haben, braucht sie militärische Erfolge, die Israel unglücklicherweise bislang nicht liefern konnte. Außer der Bestrafung der Hizb´ollah und des Libanon durch Bombardierungen beschränken sich die militärischen Erfolge Israels bis heute auf die Eroberung zweier Dörfer nahe der Grenze. Wenn Israel seine militärischen Karten im Kampf nicht verbessert, werden wir das bei der politischen Lösung merken."
Früher oder später wird die US-Regierung jedoch eine politische Lösung akzeptieren müssen, die mehr oder weniger auf dem in Rom skizzierten Entwurf beruhen wird. Bis zur nächsten Runde dieses unendlichen Krieges wird Israel weiter seine Rolle als bewaffnete Vorhut der so genannten zivilisierten Welt spielen.
Was die israelische Öffentlichkeit nicht begreift, sind die dramatischen Auswirkungen der Politik Israels auf dessen Existenz als Staat im Herzen der arabischen und muslimischen Welten. Durch seine grenzenlose Brutalität und seine Rhetorik und Strategie vom "Zusammenprall der Kulturen" zeigt der israelische Staat den Völkern in der Region, dass er ein im Nahen Osten fremdes und feindseliges Gemeinwesen ist und bleiben will - nichts weiter als ein bewaffneter Ausläufer des anti-muslimischen Kreuzzugs der Vereinigteen Staaten im 21. Jahrhundert. Was vor zehn Jahrhunderten mit den Kreuzfahrern passiert ist, ist bekannt.
Der Hass, den die Bombardierung Beiruts, die Zerstörung der libanesischen Infrastruktur, die Hunderte ziviler Toter, die hunderttausende Flüchtlinge und die Strategie der verbrannten Erde im Süden des Landes hervorrufen, ist enorm und erfasst die gesamte muslimische Welt. Er könnte schnell sogar auf die muslimischen Gemeinden in den Ländern des Nordens übergreifen. Im Gegensatz zu früheren Krisen wie dem Libanonfeldzug von 1982, ist dieser Hass zudem aus dem behaupteten globalen "Zusammenprall der Kulturen" und der Ethnisierung des Konflikts entstanden, was es extrem schwierig machen wird, ihn wieder auszurotten, wenn sich der Rauch über dem Schlachtfeld verzogen hat und alle Toten beerdigt sind.
Olmert, Peretz und Halutz sind die gefährlichsten und verantwortungslosesten Führer, die Israel jemals hatte; sie spielen mit dem Feuer, dass unsere Existenz als Nation im Nahen Osten zu Asche machen kann. Auf den schwachen Schultern der kleinen israelischen Antikriegsbewegung ruht nicht nur das Schicksal der gegenwärtigen israelischen Bürgerschaft und der moralische Anstand unserer Gesellschaft, sondern auch die gesamte Zukunft unserer Kinder in diesem Teil der Welt.
"Wir weigern uns, Feinde zu sein!", verkündet eine der Parolen auf unseren Demonstrationen. Nie zuvor war eine Parole so wichtig, so dringend, so unverzichtbar.
Wir danken Endy Hagen für die Übersetzung
Michael Warschawski wurde 1949 in Straßburg geboren. Ging 1965 nach Jerusalem an eine Talmudschule. 1967-71 studierte er Philosophie an der Jerusalemer Hebräischen Universität. 1971-1984 gab er die monatlich erscheinende Zeitschrift Mazpen heraus. 1982: Mitbegründer des Reserve Soldiers Movement Yesh Gvul. 1984: Gründer des Alternative Information Center (AIC), bis 1999 dessen Direktor, seit 2000 Co-Vorsitzender des AIC-Vorstands. 1985-87: Mit Feisal Husseini Co-Sprecher des Committee Against the Iron Fist. Seit 1992: Mitglied des Friedensblocks Gush Shalom. 1987 wegen »Unterstützung illegaler palästinensischer Organisationen« verhaftet und 1989 zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt; die Strafe wurde 1990 auf 8 Monate gemildert. Seit 2001 vertritt er das AIC im International Council of the World Social Forum. Warschawski ist mit der Anwältin Lea Tsemel verheiratet und Vater zweier Söhne und einer Tochter. Zuletzt erschien von ihm in der Edition Nautilus "MIT HÖLLENTEMPO - Die Krise der israelischen Gesellschaft"
Online-Flyer Nr. 57 vom 15.08.2006