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Lokales
Interview mit dem Berliner Reggae-Musiker Nosliw in Köln
"Ihr steht nur dabei..."
Von Carl H. Ewald

"Ihr steht nur dabei und fühlt euch völlig unbeteiligt..."So heißt es in einem Song des deutschen Reggae-Musikers Nosliw, und so ging es eben gerade NICHT den rund tausend Zuschauern während seines Konzerts im Rahmen des Kölner S.O.M.A.-Festivals am 5. August. Bei Nosliws Musik fällt es jedem schwer, sich einfach unbeteiligt zu fühlen.
"Den kannte ich ja gar nicht...!", sagte mein Nachbarzuschauer: "Aber der ist gut...!" Natürlich hätte man Nosliw längst kennen können. Anfang der 90er Jahre war der gebürtige Bonner mit verschiedenen HipHop-Projekten im RheiMland unterwegs. Nach und nach wechselte Nosliw dann zur Reggae-Fraktion und veröffentlichte schon vor zwei Jahren bei dem kleinen Musikverlag "Rootdown-Records" aus Hürth seine CD "Mittendrin", und die hat es in sich:

Nicht nur erfrischend klingende deutsche Reggaemusik - dass es so etwas überhaupt gibt! - sondern auch anspruchsvolle und kritische Texte:

"Sind die Gedanken denn noch frei
Und seid ihr sicher, dass nicht etwa Axel Springer eure Meinung bildet
Denn es ist traurige Wahrheit
Dass man euer Wissen heut' in der Schule nicht mehr fordert, sondern mildert
Sie ziehen euch ran zu Vollidioten
Damit ihr nix bemerkt, während sie euch immerzu manipulieren
Es geht nur um Bilanz und Quoten
Ein Leben ist nichts wert
Eures zählt nur dann wenn sie davon profitieren

Revolution verbindet ihr mit der Entwicklung der X-box
Und wahre Liebe kennt ihr nur aus Märchen und von Vox"

(aus "Nur dabei")

oder

"Du hast keine Kohle auf dem Konto
Und bist ab Montag wieder joblos
Weil der Penner von nem Boss
Aus wirtschaftlichem Grund beschloss
Die Aktien wieder anzuziehen
Und du musst gehen (Sau!)
Du fühlst dich richtig mies behandelt
Und drohst mit Klagen übern Anwalt
Doch deine Firma hat Dutzende davon
Plus ner Liste von dir gestohlener Stifte
Ja, das war´s dann...
Manchmal serviert das Leben dir nur Scheiß..."
(aus "Manchmal")

Gut, zugegeben: Nosliws Texte hören sich mit Musikuntermalung noch besser an. Deswegen kann ich nur jedem empfehlen, bevor im Frühjahr 2007 die neue CD erscheint, sich vorher noch das Debütalbum "Mittendrin" zu besorgen, am besten auf www.nosliw.de oder beim Plattenladen Ihres Vertrauens - und nicht zu vergessen, das Interview. Doch, das gibt es auch bei uns:

Völlig beteiligt - das Publikum bei Nosliws Auftritt
Völlig beteiligt - das Publikum bei Nosliws Auftritt

Nosliw, hat dir dein Konzert selbst gefallen?

Ja, es hat mir natürlich gefallen, auf jeden Fall. Natürlich bin ich auch ein bisschen verwöhnt, von meinen ganzen Hardcore-Fans, die dann noch mehr abgehen, aber dafür, dass mich hier viele Leute gar nicht kannten und vielleicht auch auf eine ganz andere Musikrichtung stehen, war es wunderbar.

Wir haben während des Konzerts eine Menge neuer Songs gehört. Da kommt natürlich die Frage auf, wann denn deine Fans ein neues Album erwarten dürfen?

Die dürfen es im Februar nächsten Jahres in den Händen halten. Eigentlich sollte es ja jetzt schon im September herauskommen... das Album war auch schon fertig, wir hatten über zwanzig Songs, haben dann aber über die Hälfte weggeschmissen - also nicht wirklich weggeschmissen, aber wir haben einfach ausgesiebt und einen roten Faden in das ganze gebracht. Denn im Laufe der Zeit habe ich alle möglichen musikalischen Einflüsse da mit einfließen lassen, und dadurch wurde es wirklich ein bisschen zu wischi-waschi, muss ich zugeben. Am Anfang fand ich es schon supergeil, aber jetzt mit Abstand gesehen, ist es halt schon so, dass, wenn man ein erfolgreiches Album machen will, man nur das Beste dazu nehmen sollte, und das, was man am besten kann. Und dabei bin ich gerade: Wieder auch ein paar Schritte zurückzugehen und den alten Faden wieder aufzunehmen, um das Album richtig fett zu machen.

Den alten Faden wieder aufzunehmen, das heißt Reggae?

Ja, klar, Reggae ist natürlich die Überschrift. Aussagetechnisch habe ich versucht, Politik etwas stärker zu meiden. Mit Stücken wie "Nur dabei" hatte ich das Gefühl, schon alles gesagt zu haben; außerdem hatte sich ja auch nichts verändert in der Zeit, die Welt ist halt immer noch so grau und schwarz und... und scheiße, wie ich sie dargestellt habe... (lacht) Nein, das ist natürlich nicht so, aber dieser Song ist eben immer noch zeitlos - leider - ich hätte mir gewünscht, dass sich die Welt ein wenig verbessert. Aber ich habe trotzdem wieder solche Lieder geschrieben, in denen mich alles ankotzt, sozusagen.

Hast du...?! Das freut mich zu hören, als ein Fan deiner politischen Aussagen. Woher beziehst du die Inspiration für deine Texte?

Ein kleiner Beitrag, die Welt zu verändern...
"Ein kleiner Beitrag, die Welt zu verändern..."
Fotos: Carl H. Ewald


Ja, aus dem Leben an sich...Also, im Ernst, manche Themen müssen einfach raus, politische Themen, die sich anstauen und mich einfach ankotzen. Meistens ist es aber so, wenn ich mit Teka, mit dem ich die meisten Stücke produziere, dasitze, und wenn er mir einen neuen Beat oder Rhythm vorspielt, dann habe ich auch schon eine Kategorie im Kopf, dann weiß ich: Das wird ein Liebeslied, das wird ein politisches Lied, das wird ein Partylied... das wird irgendetwas trauriges, das wird was lustiges, und so habe ich dann schon meine Felder, auf denen ich gucke. Und wenn mir das ganze dann zusagt, dann schreibe ich halt.
Manchmal flutscht es eben so, dass ich einen kompletten Text innerhalb einer halben Stunde habe, manchmal aber brauche ich auch zum Beispiel drei Monate, dass ich immer weiter an einem Text herumfeile oder mir sogar überhaupt nichts einfällt, dass ich dann irgendwelche alten Textideen in neuem Gewand ganz anders interpretiere und so etwas neues schreibe. Also, es gibt da ganz verschiedene Herangehensweisen.

Nosliw, deine Texte sind ja sehr kritisch. Wie siehst du denn die momentane gesellschaftliche Entwicklung?

Ich kann halt nur das beurteilen, was ich aus Nachrichtenschnipseln mitbekomme... und ich sehe nach wie vor das Problem der Gleichgültigkeit oder der Verantwortungslosigkeit...

Gleichgültigkeit, wem gegenüber...?

Gegenüber gesellschaftlichen Phänomenen im Kleinen... Ich nenne jetzt mal ganz grob: Rassismus... Alltagsrassismus, der findet immer noch statt, es ist nicht zu einem wirklichen Umdenken gekommen. Es gibt immer noch Eisdielen, die "Eisneger" verkaufen, es gibt immer noch Leute, die mir sagen: `Sie sprechen aber gut Deutsch...!´ Oder selbst auf Konzerten kommen manchmal Leute und sagen zu mir auf Englisch: `Oh, what a nice show! You did it very well...!´ Und ich kann dann nur entgegnen: `Ihr habt doch das ganze Konzert gehört, ich habe Deutsch gesungen...´ - Ich antworte auf Deutsch, und die antworten mir wieder auf Englisch... Es herrscht anscheinend immer noch in den Köpfen ganz komisch das Bewusstsein, dass wir irgendwie ein "Einwandererland" seien...Dass hier ganz viele Nationen auf einem Haufen leben, die auch Intelligenz besitzen und auch in diesem Land etwas bewegt haben... dazu fehlt meiner Meinung nach vielen Leuten noch ein bisschen das Bewusstsein.
Genauso herrscht auch immer noch eine große Gleichgültigkeit gegenüber rassistischen Übergriffen, zum Beispiel dass rassistisch motivierte Gewalttaten einfach weiter von der Polizei heruntergespielt werden, dass auch in der Politik nicht genug getan wird. Ebenso diese dämliche Debatte, ob Schwule und Lesben heiraten dürfen. Womit man sich aufhält!! Das Bewusstsein fehlt anscheinend, dass Menschen vielfältig sind, und so werden lebensbejahende Aspekte in den Kulturen unterdrückt... aufgrund irgendwelcher Zensuren...
Also, ich könnte eine Stunde darüber reden... es gibt in unserer Gesellschaft anscheinend einen festgefahrenen Mechanismus, der ganz schwer aufzulösen ist. Auch diese "Erblast" aus dem Nationalsozialismus und irgendwelche israelkritischen Äußerungen, die sofort als antisemitisch ausgelegt werden... diese Zensur, die aus den USA herüberschwappt, bloß nichts falsches zu sagen, weil das halt sofort rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte, das finde ich grauenhaft!
Ebenso Diskussionen, ob man in der U-Bahn rauchen darf... Es ist für mich überhaupt keine Diskussion, ob es in öffentlichen Räumen erlaubt ist, zu rauchen oder nicht - es geht halt vielmehr darum, dass jeder sein Leben so leben soll, dass er den anderen nicht einschränkt. Irgendwie geht das nicht... es ist anscheinend nicht möglich in dieser Zivilisation...

Deine Texte und deine Musik sind vielleicht doch ein ganz guter Beitrag dazu, dass es vielleicht doch möglich wäre...

Ich sage auch nicht, dass es nichts bewirkt hat, was ich in die Welt getragen habe. Ich bekomme ja auch manchmal das Feedback, dass Leute sich durch mich bewegt fühlen, ihr Studium wieder aufzunehmen, irgendeinen Job zu wechseln, ihre Freundin zu heiraten, was weiß ich... (lacht) oder, dass sie auf einmal schön geworden sind.
Es ist auf jeden Fall so, dass ich durch meine Musik einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, die Welt zu verändern. Und ich hoffe, dass das einen Anstoß gibt, Menschen ebenso dazu zu motivieren, mit dem, was sie können: Es muss ja nicht immer singen oder schauspielern sein, du kannst halt auch ein guter Bäcker sein oder eine gute Putzfrau...
Außerdem sind die Deutschen immer unzufrieden. Aber sonst wären wir nicht so viele Ingenieure, und Dichter und Denker. Das ist natürlich auch so eine Sache. Aber sonst bin ich eigentlich mit der Welt zufrieden, eigentlich gibt es nicht so viel zu meckern, außer diesen alten Zöpfen, die mal abgeschnitten werden müssen.

Nosliw, ich danke dir für dieses Interview und schließe mit einem Nosliw-Wort: "Es ist an der Zeit, dass ihr alle endlich handelt!"

Wer das ganze Interview im Wortlaut hören möchte, schalte sein Radiogerät ein: Am Mittwoch, 6. September 2006, um 20 Uhr im Kölner Raum auf 107,1 FM - in der Sendung  "Vox Populi" - für Außerirdische auch über Livestream zu hören: Internet-Radio einschalten

Weiter Informationen:
www.nosliw.de www.soma-festival.de

Online-Flyer Nr. 56  vom 08.08.2006



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