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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Ein Reisebericht aus Kuba, Anfang 2023
No mas bloqueo - Blockade Kubas beenden
Von Kaspar Trümpy

Nach mehr als zwei Jahren rigoroser Covid-19-Restriktionen und mehrerer Havarien, z.B. dem desaströsen Brand im Rohöllager in Matanzas, scheint es in Kuba momentan eher wieder etwas besser zu gehen. Die Leute sind, so wie immer, freundlich und liebenswert untereinander (mi Amor, mi Vida), und fluchen hört man sie eigentlich nie. Der Alltag der Kubaner ist jedoch sehr schwierig, viele sagen, es sei aktuell schlimmer als 1993 zu Beginn des Periodo-Especial, als Kuba nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union von einem Tag auf den anderen von seinen Märkten abgeschnitten wurde und seine Wirtschaft differenzieren musste.

Öfters wird die Regierung und die Bürokratie als inkompetent bezeichnet. Wenn ich daran denke, wie vor eineinhalb Jahren bei Ausbruch der Proteste in Kuba der Innenminister auf Cubavision-Internacional eine Viertelstunde lang darüber referierte, dass nun Flugreisende anstelle von nur zwei Koffern beliebig viel Gepäck mitbringen können, sehe ich auch eine gewisse Hilflosigkeit der Regierung. Kuba mit dem Gepäck von Flugreisenden retten? Auch die Finanzreform mit der Abschaffung des CUC (konvertibler Peso) fand zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt statt. Die Inflation ist horrend, ein Liter Speiseöl kostet, sofern vorhanden, bis zu einem Wochenlohn eines Kubaners. Auch eine auffällige Zunahme von (CIA gesteuerten?) Raubüberfällen z.B. in Gamagüei ist zu verzeichnen. Medikamente gibt es nur sehr wenige, das hochgehaltene Gesundheitssystem ist in Frage gestellt. Die Zahnmedizin ist schon seit Jahren in schlechtem Zustand (wir haben eine Ladung Amalgam mitgenommen). Sogar Zucker ist momentan eine ziemlich teure Mangelware!

Die Kommunisten Kubas scheinen wieder Tritt gefasst zu haben. Angesichts hoher Staatsschulden organisierte Präsident Diaz Canel auf seiner jüngsten Reise nach Algerien, Russland, Türkei und China dringend benötigte Hilfe. So stellte die Türkei kürzlich ein zusätzliches Schiffskraftwerk von soliden 250 MW zur Verfügung. Aufgrund des schlechten Zustands vieler Elektrizitätswerke kam es seit Monaten zu massiven Stromausfällen, was die Bevölkerung zusätzlich stark demoralisierte. Wegen der schärfer denn je anhaltenden US-Blockade können Ersatzteile für die Kraftwerke nur schwer organisiert werden. Mindestens hunderttausend junge Kubaner haben das Land im letzten Jahr verlassen.

So wie in China sind neuerdings Import/Export-Geschäfte auf privater Basis möglich. Raritäten wie Isolierband oder Schraubenzieher müssen bei Besuchen nicht mehr mitgebracht werden. Auch im produzierenden Sektor treten neu vermehr private Akteure in Erscheinung.

Bei unserem Besuch kam es nur noch vereinzelt zu maximal zwei Stunden dauernden Stromabschaltungen, den berüchtigten Apagones. In Havanna gibt es wieder vermehrt Touristen, die Hotels werden auch von zahlungskräftigen Kubanern besucht. Die vermehrten Misiones kubanischer Ärzte in Lateinamerika usw. haben einen sehr guten Ruf und bringen zusätzlich Geld ins Land.

Meine Frau Yasmin und ich verbrachten fast die ganzen Ferien in der Stadt Las Tunas im schönen Haus meiner verstorbenen Schwiegermutter. Dort ließen wir uns verwöhnen (mit Westgeld ist vieles zu haben) und pflegten einen regen Kontakt mit den uns vertrauten Bewohnern des Quartiers und der Umgebung. Die Kubaner sind sehr kommunikativ, oft erhielten wir Besuch, auch von sehr interessanten Leuten. Politische Diskussionen sind selten, eher wird über die hohen Preise resp. die geringen Löhne gesprochen resp. geschimpft. Parteimitglieder sind natürlich richtig über die Vorgänge in der Ukraine informiert.

Im Folgenden soll nun in einer kleinen Fotoreportage ein Einblick in unsere ereignisreichen Ferien und den Alltag der Kubaner gegeben werden.


Schon am dritten Tag organisiert Yasmin, so wie immer, eine Party für Kinder aus dem Quartier. Mineralwasser (Refresco) war schwierig zu organisieren.


Den Clown muss Yasmin auch noch spielen. Kleine Geschenke und eine feine Torte gibt es später, die Kinder sind sehr zufrieden.


Yasmins Cousin Righi bei der Arbeit an der Schumacher Nähmaschine, die wir vor Jahren mitgeschleppt haben. Zerschlissene Schuhe und Taschen gibt es massenweise, die er mit viel Geschick günstig repariert. Eine weitere 40kg Nähmaschine haben wir, in zwei Teile zerlegt, diesmal unbeschädigt, mitgenommen. Righi plant mit dieser elektrisch betriebenen Maschine Sattlerarbeiten durchzuführen.


Eines Tages sind zu meiner Freude sechs Musiker zu Besuch gekommen. Trotz meines etwas angestrengten Gesichtsausdrucks auf dem Foto tönt es gut, die Latino-Synkope kenne ich aus dem FF. Ein paar Tage später findet die ganze Vorführung nochmals statt, auch die angebotene Verpflegung hat die professionellen Musiker überzeugt. Osmar am Piano spricht Deutsch, er war mit einer Deutschen Frau verheiratet.

Yasmins Studienkollege Leo besuchte uns mehrmals und erzählte von seiner Ärztemission (2011 – 2013) im Amazonas Regenwald in Venezuela. Hier in der Klinik C.D.I La Esmeralda.

Vor der Zeit mit Hugo Chavez betrug die Bevölkerungszahl des Stammes der Yanomami nur noch wenige Hundert, heute sind es wieder mehrere Tausend. Nur Kubanische Ärzte wagen sich in solch entlegene Winkel vor. Diese Misiones-Médicas verdienen hohe Anerkennung.


Der Chef der Elektronikabteilung des Spitals Las Tunas nimmt eine Tasche mit 6 kg erstklassigen Elektronikbauteilen offiziell in Empfang. Es handelt sich um Industrieabfall aus meiner Zeit in der Uhrenindustrie.


Mit der Pferdekutsche geht es zurück in die Stadt. Die Kutscher leiden, der Unterhalt eines Pferdes kostet bis zu 500 Pesos am Tag.

Die Rückreise in das 650 km entfernte La Habana rückt näher. Righis Freundin konnte die Bahn Billete für 70 Pesos pro Person organisieren (eine Büchse Bier kostet 130 Pesos). Yasmin wollte eigentlich lieber mit dem Bus (40 € pro Person) fahren, ich habe sie aber mit dem Argument der grossen Zuverlässigkeit der Eisenbahn zu diesem kleine Abenteuer überredet. Zweimal pro Woche fährt ein Zug nach Havanna.


Auf dem Bahnperron erblicke ich dann in 400 m Entfernung einen, merkwürdig halb auf dem Hauptgeleis stehenden, Güterwagen. Bei einer näheren Inspektion bietet sich mir dann folgendes Bild (der erste der beiden entgleisten Güterwagen steht schon aufgegleist auf dem Nebengeleise links).


Mit Pickel, Schaufel und zwei Böcken aus Stahl wird versucht, die Räder wieder auf das Gleis zu bringen, indem eine starke Lokomotive die Räder des Fahrgestells über beidseitig angebrachte Böcke zieht. Der zweite Versuch ist gerade krachend gescheitert.


Wegen unseres nahenden Zuges aus Holguin hat man mich zurückgerufen, und ich kann die erfolgreiche Aufgleisung des zweiten Güterwagons nicht mitverfolgen. Alles tranquilo, mit einer halben Stunde Verspätung fahren wir an den beiden aufgegleisten Güterwagen vorbei. Das kubanische Improvisationstalent hat sich wieder bewährt.


Die Aussicht vom 18. Stock des Hotels Havana-Libre auf die Metropole La Habana. Beim Hochhaus in der Mitte handelt es sich um das Hospital-Hermanos-Ameijeiras, weit hinten sieht man im Zentrum der Stadt das Capitolio mit seiner, von Russland gespendeten, vergoldeten Kuppel.


Eine luftige Skulptur nahe der Plaza-Vieja. Der ganze Stadtteil Habana-Vieja wurde aufwändig restauriert und ist, neben vielen anderen Quartieren, unglaublich lebendig und sehenswert.

Am  Primer Foro de Negocios Editorial in unserem Hotel habe ich uneingeladen teilgenommen. Neben der Goldenen Milliarde (der Westen, Putin) organisiert sich der grosse Rest der Welt zusehends auf eigene Faust.


Auch wenn es um Geschäfte, hier der Druck-Industrie Kubas geht, darf die poetische Komponente nicht fehlen. In einer leidenschaftlichen Hymne an das Buch bezeichnet ein Teilnehmer das gedruckte Wort, im Sinne von Kubas Nationalheld José Martí (auch Apostol genannt), als eine permanente Einladung, sich mit dessen Inhalt auseinanderzusetzen.

Für mich sind das immer sehr schöne Ferien. Ich werde bedient, muss nicht Schlange stehen, Yasmin kennt sehr viele Leute und alle Trucos um Sachen zu organisieren, ich kann mich auf der Hängematte im Garten ausruhen. In der Provinzhauptstadt Las Tunas mit 150‘000 Einwohnern lässt sich sehr angenehm leben.

Meine Frau hat sich an den Komfort in der Schweiz gewöhnt, arbeitet hier in der Pflege, auch um ihren Leuten in Kuba zu helfen. Wenn die Nazi-Versteher hier weiterhin verrückt spielen, müssen wir möglicherweise eines Tages doch noch nach Kuba auswandern.

Nach über 60 Jahren US-Blockade wird es endlich Zeit, dass den Kubanern eine faire Chance zur wirtschaftlichen Entwicklung gegeben wird. Seit 1992 wird die völkerrechtswidrige und illegale Blockade einhellig von der Völkergemeinschaft jedes Jahr in der UN-Generalversammlung verurteilt. Lediglich zwei Staaten stimmten letztes Jahr dagegen: USA und Israel. Und zwei enthielten sich der Stimme: Brasilien und die Ukraine.

Online-Flyer Nr. 807  vom 01.03.2023



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