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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Politische Parabel aus der Zeit der Illegalität
Bertold Brecht: "Maßnahmen gegen die Gewalt"
Von Rudolf Hänsel

Das Krisenjahr 1930 war der Anfang vom Ende der Weimarer Republik, der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland: Drei Millionen Arbeitslose, Notverordnungen und Hitlers Triumph. Es war der Beginn einer finsteren Zeit. In der Parabel „Maßnahmen gegen die Gewalt“ machte Brecht schon frühzeitig auf die Gefahr von Willkür und Gewalt im Nationalsozialismus aufmerksam. Parallelen zur weltpolitischen Situation der Gegenwart springen jedem wachen Bürger sofort ins Auge. Ein Nachdenken über Brechts Gleichnis zum Umgang mit staatlicher Gewalt aus dem Jahr 1930 kann deshalb hilfreich sein.

Staatliche Gewaltmaßnahmen zur Behebung der COVID-19- und Klima-Krise

Gewalt wird uns auch heute angetan – und ein Ende ist nicht in Sicht. Auf die COVID-19-Krise wird die Klima-Krise folgen. Und wir Bürger weichen vor der Gewalt der verordneten illegalen und brutalen Maßnahmen der Regierungen, die unser aller Gesundheit schützen soll, zurück und sagen nicht „Nein“. Wir beginnen bereits, uns mit der heraufziehenden Tyrannei zu arrangieren.

Werden wir uns weiterhin der staatlichen Gewalt unterziehen, weil wir wie Herr Keuner in Brechts Gleichnis „kein Rückgrat zum Zerschlagen“ haben? Werden wir den Agenten einer fremden Macht deshalb jahrelang gehorchen und dienen, weil wir auf den richtigen Zeitpunkt warten, um „Nein“ zu sagen wie Herr Egge?

Anhand der Brecht‘schen Parabel sollte sich jeder erwachsene Bürger mit der Thematik auseinandersetzen und durch selbständiges Denken zur Erkenntnis sinnvollen und überlegten Handelns kommen.

Brechts Parabel aus dem Jahr 1930

Brecht beschreibt in seiner lehrhaften, auf einem Vergleich beruhenden Kurzgeschichte, wie die beiden Hauptfiguren, Herr Keuner und Herr Egge, auf ihre Weise auf staatliche Gewalt reagieren: Herr Keuner – der Denkende – rechtfertigt seine unterwürfige Reaktion gegenüber der Gewalt gegenüber seinen Schülern mit den Worten: „Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muss länger leben als die Gewalt.“ (1)

Anschließend belehrt Herr Keuner seine Schüler mittels einer brutalen Geschichte aus der Zeit der Illegalität: Eines Tages tritt ein Agent der neuen Herrscher der Stadt ungefragt in das Haus und in das Leben von Herr Egge. Diesem fremden Agenten gehorcht und dient Herr Egge, „der gelernt hatte, nein zu sagen“, sieben Jahre lang – spricht aber kein einziges Wort mit ihm. Erst nach dessen Tod atmet er auf und antwortet auf die vor sieben Jahren gestellte Frage des Agenten „Wirst du mir dienen?“ mit einem „Nein“.

Möglichweise ist es das kleinere Übel, sich dem Schicksal zu fügen, keinen offenen Widerstand zu leisten und auch seine Meinung nicht offen zu sagen, wenn man erkannt hat, dass man im Moment nicht die Macht hat, etwas gegen die Gewalt zu tun. Vielleicht ist es klüger, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, um „nein“ zu sagen.

Doch, lieber Leser, bilden Sie sich Ihre eigene Meinung. Ich zitiere:
    Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach, merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen. Er blickte sich um und sah hinter sich stehen – die Gewalt. "Was sagtest du?" fragte ihn die Gewalt. "Ich sprach mich für die Gewalt aus", antwortete Herr Keuner. Als Herr Keuner weggegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. Herr Keuner antwortete: "Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muss länger leben als die Gewalt."

    Und Herr Keuner erzählte folgende Geschichte:

    In der Wohnung des Herrn Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen, kam eines Tages in der Zeit der Illegalität ein Agent, der zeigte einen Schein vor, welcher ausgestellt war im Namen derer, die die Stadt beherrschten, und auf dem stand, dass ihm gehören sollte jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzt; ebenso sollte ihm auch jedes Essen gehören, das er verlange; ebenso sollte ihm auch jeder Mann dienen, den er sähe. Der Agent setzte sich in einen Stuhl, verlangte Essen, wusch sich, legte sich nieder und fragte mit dem Gesicht zur Wand vor dem Einschlafen: "Wirst du mir dienen?"

    Herr Egge deckte ihn mit einer Decke zu, vertrieb die Fliegen, bewachte seinen Schlaf, und wie an diesem Tage gehorchte er ihm sieben Jahre lang. Aber was immer er für ihn tat, eines zu tun hütete er sich wohl: das war, ein Wort zu sagen.

    Als nun die sieben Jahre herum waren und der Agent dick geworden war vom vielen Essen, Schlafen und Befehlen, starb der Agent. Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene Decke, schleifte ihn aus dem Haus, wusch das Lager, tünchte die Wände, atmete auf und antwortete: "Nein." (2)

Fussnoten:

(1) https://www.kripahle-online.de/unterricht/wp-content/uploads/2010/12/Maßnahmen-gegen-die-Gewalt.pdf
(2) A. a. O.



English version:
Political parable from the time of illegality
Bertold Brecht: "Measures Against Violence"

By Dr. Rudolf Hänsel

The crisis year 1930 was the beginning of the end of the Weimar Republic, the first parliamentary democracy in Germany: three million unemployed, emergency decrees and Hitler's triumph. It was the beginning of a dark period. In the parable "Measures against Violence", Brecht drew attention early on to the danger of arbitrariness and violence under National Socialism. Parallels to the world political situation of the present immediately leap to the eye of every alert citizen. Reflecting on Brecht's parable on dealing with state violence from 1930 can therefore be helpful.

State violence measures to remedy the COVID 19 and climate crisis

Violence is still being done to us today – and there is no end in sight. The COVID-19 crisis will be followed by the climate crisis. And we citizens are backing away from the violence of the governments' imposed illegal and brutal measures to protect all of our health, not saying "no". We are already beginning to come to terms with the tyranny that is coming.

Will we continue to submit to state violence because, like Mr Keuner in Brecht's parable, we have "no backbone to break"? Will we obey and serve the agents of a foreign power for years because we are waiting for the right time to say "no" like Mr Egge?

On the basis of Brecht's parable, every adult citizen should deal with the topic and come to the realisation of sensible and considered action through independent thinking.

Brecht's parable from 1930

In his instructive short story based on a comparison, Brecht describes how the two main characters, Mr Keuner and Mr Egge, react in their own way to state violence: Mr Keuner – the thinking man – justifies his submissive reaction to violence towards his students by saying, "I have no backbone to smash. I of all people must live longer than violence." (1)

Mr Keuner then lectures his pupils by means of a brutal story from the time of illegality: one day an agent of the new rulers of the city enters Mr Egge's house and life without being asked. This foreign agent obeys and serves Mr Egge, "who had learned to say no", for seven years – but does not speak a single word to him. Only after his death does he breathe a sigh of relief and answer the agent's question of seven years ago, "Will you serve me?" with a "No".

Perhaps it is the lesser evil to resign oneself to fate, not to offer open resistance and also not to speak one's mind openly when one has realised that at the moment one does not have the power to do anything about the violence. Perhaps it is wiser to wait for the right time to say "no".

But, dear reader, form your own opinion. I quote:
    When Mr Keuner, the thinker, spoke out against violence in front of many in a hall, he noticed how people backed away from him and walked away. He looked around and saw standing behind him – violence. 'What did you say?' the violence asked him. 'I spoke in favour of the violence,' Mr Keuner replied. When Mr Keuner had walked away, his pupils asked him about his backbone. Mr Keuner replied, 'I have no backbone to smash. I of all people must live longer than violence.'

    And Mr Keuner told the following story:

    In the flat of Mr Egge, who had learned to say no, an agent came one day in the time of illegality, who produced a note which was issued in the name of those who ruled the city, and on which it was written that every flat in which he set foot should belong to him; likewise also every meal he demanded should belong to him; likewise also every man he saw should serve him. The agent sat down in a chair, demanded food, washed himself, lay down, and, facing the wall before falling asleep, asked, 'Will you serve me?'

    Mr Egge covered him with a blanket, drove away the flies, guarded his sleep, and as on that day, he obeyed him for seven years. But whatever he did for him, there was one thing he was careful not to do: that was to say a word.

    When the seven years were up and the agent had grown fat from eating, sleeping and giving orders, the agent died. Then Mr Egge wrapped him in the rotten blanket, dragged him out of the house, washed the camp, whitewashed the walls, breathed a sigh of relief and answered: 'No.' (2)

Footnotes:

(1) https://www.kripahle-online.de/unterricht/wp-content/uploads/2010/12/Maßnahmen-gegen-die-Gewalt.pdf
(2) op. cit.



Dr. Rudolf Hänsel ist Rektor a.D., Erziehungswissenschaftler und Diplom-Psychologe.
Dr Rudolf Hänsel is a retired rector, educationalist and qualified psychologist.




Online-Flyer Nr. 780  vom 10.11.2021



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