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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 19: CABLEGATE, in der Herzkammer unserer Welt (November 2010)
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 19:


Am 18. November 2010 erlässt die schwedische Staatsanwaltschaft einen europäischen Haftbefehl gegen Julian Assange zum Zwecke der Befragung - entgegen den in den europäischen Vorschriften festgelegten Bedingungen.

Die Schlinge zieht sich zu um Julian. Es ist nicht, erneut im Rahmen der schwedischen Voruntersuchung gehört zu werden, was er fürchtet. Selbst wenn er wegen "Sex by Surprise - Überraschungssex " angeklagt würde - die Anklage wird niemals stattfinden, der schwedische Fall wird nie über das Stadium der Voruntersuchung hinausgehen -, riskiert er höchstens eine Geldstrafe von 546 Euro. Aber sehr beunruhigende Informationen haben ihn erreicht: Gegen ihn wird unter größter Geheimhaltung in den Vereinigten Staaten ein Anklageverfahren vorbereitet ... Er schließt daraus, dass es eher darum geht, ihn an die Vereinigten Staaten auszuliefern, wo eine Klage auf der Grundlage des Spionagegesetzes auf ihn warten würde.

Julian bereitet nun mit umso größerer Entschlossenheit "Cablegate" vor, die nächste Welle von Chelsea Mannings Leaks. Es handelt sich um Berichte oder Depeschen ("cables") der amerikanischen Diplomatie, die Botschaften auf der ganzen Welt an das Außenministerium in Washington senden und die vor Informationen strotzen. Sie bieten einen Überblick über die amerikanische Außenpolitik gegenüber fast allen Nationen der Welt. Die Depeschen zeigen nicht nur den manipulativen Charakter der US-Außenpolitik, sondern auch den Grad der Kompromittierung, der Korruption und der Unterwürfigkeit mancher Länder. Der Pool ist unerschöpflich und reicht zurück bis in die 70er Jahre. Es reicht aus, um Generationen von Historikern und Journalisten damit zu füttern! Die Berichte sind so vernichtend, dass John Perry Barlow, Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation, bei ihrer Veröffentlichung twittert: "Der erste schwere Herzinfarkt ist jetzt im Gange. Das Schlachtfeld ist WikiLeaks. Ihr seid die Truppen" ... Julian umgibt sich mit Vorsichtsmaßnahmen und beschließt, mehrere verschlüsselte Kopien der 250.000 Dokumente anzufertigen. Eine Kopie wird an einen Kontakt in Kambodscha, eine andere nach Osteuropa und die letzte an Daniel Ellsberg übergeben.

Die Durchführung dieser Publikation erfordert viel Arbeit und Zeit. Aus Tausenden von Berichten müssen die Namen von Personen gelöscht werden, die durch die Verbreitung gefährdet sein könnten. Das WikiLeaks-Team arbeitet unermüdlich daran. Neben dieser Arbeit muss auch die ganze Zeit die Zusammenarbeit mit den traditionellen Medien weiter aufgebaut werden, um die Wirkung der Veröffentlichung optimal zu steigern.

Dieses Mal plant Julian nicht, seine Zusammenarbeit mit der New York Times zu wiederholen. Er ist immer noch wütend, seit das Blatt am 23. Oktober 2010 einen sehr verleumderischen Artikel über ihn veröffentlicht hat. Die Zeitung, die doch bei der Veröffentlichung der War Logs vorbehaltlos mit ihm zusammengearbeitet hatte, übernahm die offizielle amerikanische Sprachregelung und veröffentlichte einen Artikel, in dem Julian beschuldigt wurde, „Blut an den Händen“ zu haben! Für Julian ist es schlicht und ergreifend Verrat… Wie kann man eine solche Kehrtwende erklären? Die New York Times ist eine US-amerikanische Zeitung und befürchtet zunehmend strafrechtliche Verfolgung. "Sie waren sehr feige", kommentierte Julian.

Julian beschließt, einen Exklusivvertrag mit The Guardian zu unterzeichnen… aber er stellt fest, dass der Guardian ohne sein Wissen eine Zusammenarbeit mit der New York Times unterhält und dass die beiden Zeitungen versuchen, vor den vereinbarten Terminen zu veröffentlichen. Und sehr zu Julians Leidwesen respektiert deren überhastete Publizierung nicht die Zeit, die WikiLeaks benötigt, um aus den Dokumenten die Namen von Personen zu löschen, die gefährdet werden könnten. Der einzig positive Aspekt in diesem explosiven Kontext: Die Zusammenarbeit mit Le Monde und El Pais wird verstärkt.

Ab dem 28. November 2010 beginnt die Veröffentlichung von Cablegate. Hier ist eine kurze Übersicht ... (absolut nicht erschöpfend und unsystematisch):

Die Vereinigten Staaten haben mit den Gefangenen von Guantánamo Tauschgeschäfte gemacht: Amerikanische Diplomaten haben durchblicken lassen, dass die „Aufnahme von Gefangenen eine kostengünstige Möglichkeit für Belgien wäre, einen wichtigen Platz in Europa zu erreichen"; Slowenien wurde informiert, dass es einen Besuch von Präsident Barack Obama erhalten könnte, wenn es Häftlinge aufnehmen würde, und dem Inselstaat Kiribati (pazifischer Archipel) wurden Millionen von Dollar angeboten, um chinesische muslimische Gefangene aufzunehmen.

Saudi-Arabien, Israel, Jordanien und Bahrain haben die USA bedrängt, den Iran anzugreifen.

Die USA vermuten, dass der Iran 19 nordkoreanische BM-25-Raketen besitzt, was ihnen die 'Bausteine' gibt, um selbst viel leistungsstärkere Langstreckenraketen zu bauen.

Die Vereinigten Staaten haben mit Pakistan eine nukleare Pattsituation erreicht. Seit drei Jahren versuchen sie, hochangereichertes Uran aus einem pakistanischen Forschungsreaktor zu entfernen, aus Angst, es könnte in einem nuklearen Bauteil verwendet werden. Pakistan weigerte sich, ihnen Zugang zu gewähren.

Die Vereinigten Staaten haben den Jemen heimlich unter dem Deckmantel des jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh bombardiert, der sagte:" Wir werden weiterhin sagen, dass die Bomben von uns sind, nicht von Ihnen."

China hat Google im Internet angegriffen. Der Angriff veranlasste Google, sich im März 2010 aus dem Land zurückzuziehen. Chinesische Hacker sind auch bei der US-Regierung und mehreren Unternehmen eingedrungen.

Hillary Clinton lässt die Vereinten Nationen "ausspionieren": Sie gab eine geheime Richtlinie heraus, in der die amerikanische Diplomaten angewiesen wurden, Informationen über die Führung der Vereinten Nationen zu sammeln, darunter Kreditkartennummern, DNA, Fingerabdrücke und Iris-Scans.

Silvio Berlusconi und Wladimir Putin stehen sich sehr nahe. Depeschen beschreiben den Austausch von" protzigen Geschenken", Geschäfte mit lukrativen Energieverträgen und Berlusconis Einsatz eines "nebulösen" russischsprachigen italienischen Mittelsmanns.

Die Depeschen zeigen auch, dass die USA in Bolivien Abspaltungsversuche wohlhabender Regionen nach der Machtübernahme von Morales befördern sowie viele andere Interventionen in Südamerika.

Und es gibt noch mehr: Sie enthüllen die Einmischung der amerikanischen Politik in Haiti; offenbaren, dass ein peruanischer Kandidat Geld aus dem Drogenhandel erhalten hat; lehren uns, dass Politiker in Litauen Journalisten für positive Berichterstattung bezahlen; und die Ausspionierung ihrer Kollegen bei den Vereinten Nationen durch amerikanische Diplomaten; sowie viele Informationen über Italien während der „anni di piombi“ – der „Bleiernen Jahre“ und der Intervention der CIA dort und viele andere Dossiers ... Einschließlich der „Ehrerbietung“, mit der die Vereinigten Staaten die Führer der Welt in ihrer privaten Korrespondenz betiteln: Kim Jong Il, der nordkoreanische Diktator, wird als "old slack", Berlusconi, "unfähig, eitel und ineffektiv" beschrieben, der simbabwische Führer Robert Mugabe zeigt "tiefe Ignoranz in wirtschaftlichen Fragen" ...

Dieses Jahr ist auch das Jahr, in dem Julian im Time Magazine als "Persönlichkeit des Jahres" ausgezeichnet wird. Ab diesem Jahr wird er jedes Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert.

Das war's, hier sind wir! Wir befinden uns in der Herzkammer unserer Welt und es ist die journalistische Arbeit von Julian & WikiLeaks, die uns hierher geführt hat. Morgen werden wir sehen, wie die Vereinigten Staaten, die Wiege des Ersten Verfassungszusatzes, reagieren werden.


Quelle und für weitere Informationen:

Internet, une utopie déchue, Felix Treguer.
WikiLeaks Files, The World according to US Empire » éditions VERSO, 2016
The most dangerous man in the world, Andrew Fowler, Skyhorse Publishing, 2011
The unauthorized autobiography, Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2011.
Regeln für die Ausstellung eines europäischen Haftbefehls:
https://www.legrandsoir.info/l-etape-manquante.html
New York Times vom 23. Oktober 2010:
http://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/2010/10/24/world/24assange.html
WikiLeaks Links
www.wikileaks.org/cablegate
www.wikileaks.org/gitmo
WikiLeaks Suchmaschine über CableGate
https://search.wikileaks.org/plusd/
Europäischer Haftbefehl
http://droit-public.ulb.ac.be/lart-de-la-fuite-les-coulisses-de-laffaire-assange/
Geheime Grand Jury:
http://edition.cnn.com/2010/CRIME/12/13/wikileaks.investigation/index.html
Text Julian Assange: 1979, Das Jahr Null der Gegenwart:
https://search.wikileaks.org/plusd/pressrelease/
Enthüllungen zur Geschichte Italiens: Stefania Maurizi: “Dossier Wikileaks, Segreti Italiani” Bur, September 2011


Link zu Folge 18: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27681
Link zu Folge 20: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27683


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 10.10.2021



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