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Globales
Über nicht aufgearbeitete Schicksale und vom Imperium begangene Verbrechen
Der Fall Irak – im Fadenkreuz imperialistischer Machtgelüste
Von Markus Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)

Wir erinnern uns: Der Irak, ein einst blühendes Land, wurde 1990 unter dem Vorwand, "Kuweit zu befreien", angegriffen. Ein weiterer Krieg unter dem Vorwand, "Menschenrechte" zu verteidigen, wurde losgetreten. Es folgte eine 13jährige Hungerblockade gegen das Land und schließlich der völkerrechtswidrige Angriff der "Koalition der Willigen" unter Führung der USA im Jahr 2003. Der Irak wurde buchstäblich am Boden zerstört. Diese Verbrechen und die damit zusammen hängenden individuellen Schicksale sind nicht aufgearbeitet. Eines dieser individuellen Schicksale, jenes von Hameed al-Obaidi, wird weiter unten in einem Interview mit ihm vorgestellt.

Geschichte

Die alte Geschichte des Iraks ist die Geschichte von Hochkulturen. Auf dem Gebiet des heutigen Mesopotamien gelegen, ist der Irak in der Tat eine der Wiegen der menschlichen Zivilisation. Im Jahr 762 machte al Mansur Bagdad zur Hauptstadt des Abbasiden-Reiches. Unter den Kalifen erblühten die Wissenschaften, die Kultur, allgemein die Gelehrsamkeit. Aber: (Zitat)
    "1258, als die arabische Zivilisation noch auf dem Höhepunkt war, stand Hülagi Khan an der Spitze einer grossen Armee aus Mittelasien gegen den Irak vor. Ein tobender menschlicher Sandsturm, feindlich gegenüber der Zivilisation, fegte über sie hinweg und vernichtete die erhabensten und nobelsten Werke, welche je von Menschen geschaffen wurden. Die Wüste, welche ihr Angesicht hinter reichen Kornfeldern und Blumengärten der Abbassiden versteckt hatte, kehrte zurück und bedeckte schamhaft die Haufen der Leichen. Der Tigris, welchen die Abbassiden zur Bewässerung der Wüste umgeleitet hatten, war rot vom Blut und schwarz von Tinte. Die Geschichte der Menschheit, welche aufgeschrieben und in den Bibliotheken von Bagdad aufbewahrt wurde, warfen sie in den Fluss. Aus diesem Grund färbte sich das Wasser des Tigris braun. So beschrieben es die zeitgenössischen Historiker." (1)
Die geostrategische Position des Irak an den Schnittrouten zwischen Europa, dem unter Kolonialherrschaft stehenden Britisch-Indien, Zentralasien, dem Kaukasus und Südarabien machten das Land schon lange vor dem ersten Weltkrieg zum Gegenstand imperialistischer Machtgelüste. Gemäß dem Sykes-Abkommen fiel der Irak unter die Herrschaft Großbritanniens.

Sykes-Picot

Es muss in Erinnerung gerufen werden: Das Sykes-Picot Abkommen war ein Abkommen, welches im Jahr 1916 zwischen Großbritannien (Sykes) und Frankreich (Picot) geschlossen wurde. Gemäß diesem Abkommen wurde die Arabische Welt zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Dazu brauchten die beiden Akteure nicht mehr als eine Landkarte, ein Lineal, Farbstifte und jede Menge kriminelle Energie.

1920 löste Großbritannien aus dem ehemaligen Osmanischen Reich die Provinzen Bagdad, Mossul und Basra heraus und verschmolz sie zum heutigen Irak. Ein Aufstand gegen die de-facto-Kolonialherrschaft wurde im selben Jahr, 1920, blutig niedergeschlagen. Der Völkerbund übertrug 1922 Großbritannien rückwirkend das Mandat über den Irak. So wurde das Britische Mandat Mesopotamien eingerichtet. In der Folge wurde am 23. August 1921 Faisal, Sohn des Scherifen (2) Hussein von Mekka, zum König proklamiert. Die Aufnahme des Königreichs Irak in den Völkerbund erfolgte am 3. Oktober 1932. Die wesentlichen Ölaktivitäten im Land waren in der 1929 aus der Turkish Petroleum Company hervorgegangenen Iraq Petroleum Company zusammengefasst, die nur geringe Konzessionsgebühren an König Faisal zahlte und vollständig ausländischen Unternehmen gehörte. Kulturraub, und der Raub der irakischen Ressourcen, namentlich Erdöl, waren die Folge. 1958 schlossen sich unter General Abdel Karim Qasim die so genannten Freien Offiziere zusammen, um die britische Kontrolle abzuschütteln. Sie stürzten am 14. Juli 1958 die pro-britische Marionette, den Monarchen Faisal II.. Am 15. Juli wurde die Föderation mit Jordanien aufgelöst und die Republik Irak proklamiert. Hunderttausende Iraker gingen auf die Strassen, um ath-Thawra (die Revolution) zu feiern. Mit der Ausrufung der Republik wurden neue politische Verhältnisse geschaffen. Die Monarchie wurde abgeschafft, und der Irak trat aus dem mit der Türkei, Pakistan und dem Iran geschlossenen CENTO (Bagdad)-Pakt aus. (3) Die letzten britischen Soldaten verliessen das Land am 24. März 1959.

Der Irak unter der Baath-Partei

Die irakische Baath-Partei putschte am 8. Februar 1963 gegen Qasim. Durch interne Flügelkämpfe geschwächt wurde die Baath-Partei wenige Monate später mit dem Militärputsch vom 18. November 1963 durch den Präsidenten Abd as-Sallam Arif gestürzt. Unter seinem Bruder Abd al-Rahman brach der Irak 1967 die diplomatischen Beziehungen zu den USA ab. Nach einem zweiten Putsch am 17. Juli 1968 eroberte die Baath-Partei wieder die Macht, Ahmad Hasan al-Bakr wurde Staatspräsident und Vorsitzender des Revolutionären Kommandorates, Saddam Hussein Vizepräsident und stellvertretender Vorsitzender des Revolutionären Kommandorates.

Im Frühjahr 1969 brachen Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und den seit 1961 gegen die Zentralregierung kämpfenden Kurden im Norden des Landes aus. Saddam Hussein und der Kurdenführer Mustafa Barzani unterzeichneten im März 1970 einen Friedensvertrag, der den Kurden weitgehende politische Autonomie gewährleistete. Vereinzelt dauerten die Kämpfe allerdings bis April 1975 an. Barzani verlangte zusätzlich zu der von der irakischen Regierung verbrieften Autonomie die Rechte über die Ölquellen von Kirkuk und Mossul, sowie die kurdische Hoheit über die Sicherheitskräfte der Region. Die dokumentierte Antwort des damaligen Vizepräsidenten und Verhandlungsführers Saddam Hussein lautete: „Bisher haben wir über Autonomie gesprochen. Wenn ihr auch noch die Ölquellen, die Armee und die Polizei in eurer Kontrolle haben wollt, sprechen wir nicht mehr über Autonomie, sondern über Separation. Und das kommt nicht in Frage“. (4)

Der Iran-Irak-Krieg (1980-1988)

1979 übernahm der Vizepräsident Saddam Hussein von Präsident Ahmad Hasan al-Bakr, der zurückgetreten war, die Macht. Ebenfalls im Jahr 1979 wurde im benachbarten Iran der Schah gestürzt. Diese Revolution gegen den Schah – einer imperialistischen Marionette – war ein Volksaufstand, bei welchem die iranische Linke eine führende Rolle spielte. Indes ließ diese Linke nach dem Sturz des Schahs ein Machtvakuum entstehen, welches es Ruhollah Chomeini ermöglichte, in einer Maschine der Air France aus dem französischen Exil zurück zu kehren und die Macht zur übernehmen.

Der irakische Außenminister Tarik Aziz reiste nach der Machtübernahme der Mullahs nach Teheran, um die Verträge, welche der Irak mit dem Iran geschlossen hatte, von der neuen Regierung bestätigen zu lassen. Namentlich ging es dabei um das Abkommen von Algier. In diesem Abkommen, welches Saddam Hussein, damals noch Vizepräsident, mit dem Schah geschlossen hatte, wurden vor allem die Grenzstreitigkeiten der beiden Länder beigelegt. Die neue iranische Regierung erklärte sämtliche Abkommen, die der Schah unterzeichnet hatte, für null und nichtig. Vor allem die Querbohrungen am Schatt al Arab (5) durch die iranische Seite führten zu dem Krieg, der als «erster Golfkrieg» bekannt wurde. Im Nachhinein muss konstatiert werden: Sowohl der Iran als auch der Irak gingen geschwächt aus diesem 8 Jahre dauernden Krieg hervor. Friedensangebote kamen vor allem seitens des Iraks, gleichwohl hätte dieses Morden gar nicht erst entstehen und schon gar nicht solange andauern müssen. Profiteure des Krieges waren einzig und allein die imperialistischen Mächte, die einerseits von beiden Kriegsparteien Öl bezogen, aber auch beiden Kriegsparteien Waffen lieferten.

Die «Annektion» von Kuweit

Kuweit, eine ehemalige Provinz des Irak, die von den Briten besetzt und 1961 als «unabhängig» erklärt wurde, wird von der Dynastie der Al Sabbahs wie ein Familienunternehmen geführt. Sicherlich hat der Einmarsch der irakischen Armee nach Kuweit im August 1990 mit dem Fiasko des iranisch irakischen Krieges zu tun, der Irak brauchte schlicht und ergreifend Geld, und die Ölquellen Kuweits wären eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle gewesen, vor allem da das Land ja in der Tat eine ehemalige Provinz des Irak war. Kommt dazu, dass sich die Regierung von Bagdad zuvor bei den USA versicherte und den Bescheid bekam, dies werde als eine innerarabische Angelegenheit betrachtet: «We have no opinion on your Arab-Arab conflicts, such as your dispute with Kuwait. Secretary Baker has directed me to emphasize the instruction, first given to Iraq in the 1960s, that the Kuwait issue is not associated with America» (6) (Die damalige US-Botschafterin im Irak, April Glaspie, in einem Gespräch mit Präsident Saddam Hussein).

Der Irak tappte in die gestellte Falle. Was folgte, ist weitgehend bekannt: Die «internationale Gemeinschaft» empörte sich unter Führung der USA, der Irak zog sich aus Kuweit zurück, die Truppen auf dem Rückzug wurden gnadenlos aus der Luft bombardiert, und das Land selbst wurde nicht nur mit Krieg, sondern auch mit einer 13-jährigen Hungerblockade überzogen, die in ihrer Brutalität wohl beispiellos ist. Konservativ geschätzt wurden allein durch die Blockade eine halbe Million Kinder ermordet. Berühmt und berüchtigt wurde der Ausspruch der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, als sie nach diesen toten Kindern gefragt wurde: «Es war eine schwere Entscheidung. Aber ja, wir denken, dass es den Preis wert war.»

Die Zerschlagung des Iraks ab 2003

13 Jahre Hungerblockade und Destabilisierung eines einstmals blühenden Landes genügten den US-Imperialisten nicht. Nach einer beispiellosen Lügenkampagne leiteten sie die endgültige Zerstörung des Zweistromlandes ein. Sämtliche Gründe, welche die Angriffe, die im März des Jahres 2003 begannen, «rechtfertigen» sollten, entpuppten sich als Lügen: Die Massenvernichtungswaffen des Iraks: Eine Lüge. Die Verbindungen des Irak zur Al Qaida: Eine Lüge. Die Beteiligung des Irak an den Anschlägen des 11. September 2001 in New York: Eine Lüge. Lügen, ebenso wie die berühmt gewordene «Brutkasten-Lüge» aus dem Jahr 1990, die u.a. auch von Amnesty International mit verbreitet wurde. (7) Das gesammelte Lügenkonstrukt verfehlte seine Wirkung nicht. Zwar kam es 2003 nicht zu der von den USA gewünschten breiten Allianz gegen den Irak, aber die «Koalition der Willigen» tat es schließlich auch. Mit allen Mitteln, mit allen zur Verfügung stehenden Waffen, auch mit international geächteten Waffen, wurde der Irak angegriffen und schließlich von den USA besetzt. Es folgte die bekannte Schmiereinkomödie, die angebliche Verhaftung von Präsident Saddam Hussein, die Hollywood nicht übler hätte inszenieren können. Sein Gerichtsverfahren spricht wie andere imperialistische Gerichtsverfahren auch, jeder Gerechtigkeit Hohn. Es darf nicht von einer «Hinrichtung» es muss von einem Mord gesprochen werden. Ermordet wurde auch der damalige Außenminister des Irak, Tarik Aziz. Tarik Aziz war wohl einer der integersten Politiker unserer Tage. Er wurde von den US-Besatzern verhaftet und ebenso wie Präsident Saddam Hussein den irakischen «Gerichten» übergeben, die im Auftrag der Besatzer zusammengestellt worden waren. Im Gefängnis wurden ihm die lebensnotwendigen Medikamente verweigert, Tarik Aziz verstarb an einem «Herzversagen». Unweigerlich fällt uns dazu das Schicksal von Präsident Slobodan Miloševic ein: Auch bei ihm führte eine fehlende oder falsche Medikamentierung zum Tod.

Krieg zu Ende?

Am 30. Juni 2009 verließen die amerikanischen Kampftruppen die irakischen Städte und übergaben ihre Stützpunkte und andere Einrichtungen an die irakischen Streitkräfte. Im August 2010 verließen die letzten US-Kampfeinheiten das Land, danach befanden sich noch ca. 50.000 «Ausbilder» und «Militärberater» im Land. Deren Abzug wurde am 18. Dezember 2011 abgeschlossen. Im Land verblieben sind diverse so genannte «Sicherheitsfirmen», Söldnerbanden, deren Geschäft das Töten ist.

Seither ist der Irak alles andere als stabil. Eine Marionettenregierung löst die andere ab, Unruhen und Terroranschläge sind der Alltag. Der Terrorismus ist vor allem der Zerstörungswut der US-Besatzer geschuldet. Der so genannte «Islamische Staat» ist ein direktes Produkt der US-geführten Angriffe gegen den Irak und gegen andere Länder. Mir dem so genannten «Abzug» der US-Truppen kam der Irak also keineswegs zur Ruhe. Das Land ist nach wie vor im Fadenkreuz der imperialistischen Machtgelüste, namentlich die USA und Großbritannien meinen noch immer, ihre «vitalen Interessen» mit Waffengewalt durchsetzen zu müssen. Krieg zu Ende? Keineswegs! Es fällt auf: Die laufenden Kriege ziehen sich entlang der kolonialen Interessen von einst. Der Krieg im Irak und anderswo wird dann zu Ende sein, wenn die kolonialen und neo-kolonialen Ambitionen der Westmächte endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgt werden.

Ein Einzelschicksal

Die menschlichen Tragödien, welche die Aggressionen zur Folge haben, wurden bis zum heutigen Tag nicht dokumentiert. Die Zerstörung der irakischen Zivilisation geht einher mit Völkermord und Folter. Das Lügengespinst, welches zur «Rechtfertigung» des Krieges gewoben wurde, ist zwar längst zerrissen, Folgen hat es gleichwohl keine gegeben. Die politisch Verantwortlichen, genannt seien stellvertretend für viele, Bush, Powell, Rumsfeld oder Blair werden für ihre Verbrechen am irakischen Volk nicht belangt, im Gegenteil, sie geniessen als «elder statesman» ein Renommee, welches ihnen nicht zusteht. Auch außerhalb des Irak finden wir Einzelschicksale, die sich nicht von der jüngeren Geschichte des Landes trennen lassen. Als Flüchtlinge im «Freien Westen» sind sie noch immer entweder gezwungen, ihre einstmalige Regierung unter der Baath Partei und dem Präsidenten Saddam Hussein zu verraten, oder sie bekommen die geballte Härte des Systems zu spüren. Diese Menschen leben unter uns. Wir hatten Gelegenheit mit einem von ihnen zu sprechen.
 
Hameed al Obaidi mit seinen eigenen Worten

Hameed al Obidi ist ein irakischer Staatsbürger, der 2001 erstmals nach Deutschland kam, um Ingenieurwissenschaften zu studieren. 2003 reiste er in den Irak zurück um – wie er sagt – sein Land zu unterstützen. Damit begann für ihn eine Odyssee, die bis heute nicht beendet ist. Das Interview mit ihm führte Markus Heizmann per Email.

Frage: Erzähle erst mal ein bisschen über Deinen Hintergrund, Deine Familie im Irak usw.

Antwort: Mein Name ist Hameed Al-Obaidi. Ich komme aus dem Irak, ich mag Astronomie, Mathematik und Luft- und Raumfahrttechnik. Ich habe für kurze Zeit bei Airbus gearbeitet. Beim Projekt A380 habe ich von Beginn an mitgemacht. Mein Vater ist Herr Abdul-Majeed Al-Obaidi, damaliger Diplomat beim irakischen Außenministerium. Seinen letzten Posten hatte er als Chargé d'affaires der irakischen Botschaft in Canberra-Australien (von 2002 bis 2003). Der Außenminister Australiens, damals Mr. Alexander Downer, unter den Kriegsverbrecher John Howard, verlangte das gesamte Personal der irakischen Botschaft müsste innerhalb 24 Stunden Australien verlassen. Sie versuchten meinen Vater dahingehend zu erpressen, dass er sein Land und seine Mitarbeiter verraten sollte, sie nannten das «kooperieren». Mein Vater antwortete dem Minister: «Es stimmt Herr Minister, hier sind wir Diplomaten. Wenn jedoch unser Land angegriffen wird, dann werden wir Soldaten sein, und wir werden unser Land mit allen Mitteln verteidigen». Dafür bezahlte er hart. Zurück im Irak wurde er von 2003 bis 2011 von den Besatzern unter Hausarrest gestellt. Erst im Jahr 2016 gewährten ihm die Marionetten (die von den US-Besatzern eingesetzte Regierung, mh) eine beschämend kleine Rente - und dies nach 42 Dienstjahren für sein Land. Momentan ist mein Vater nach einem Hirnschlag gesundheitlich sehr angeschlagen. Meine Mutter war ihr Leben lang Hausfrau, aber sie ist sehr belesen. Deswegen ist sie besser informiert als manche Beamte in der Regierung. Sie hat uns Kinder immer unterstützt und dies mit guten Resultaten: Mein Bruder wurde Rechtsanwalt, zwei meiner Schwestern sind Ingenieurinnen, eine Schwester ist Ökonomin im Öl-Bereich, eine andere Schwester ist Chemikerin, und ich habe Ingenieurwissenschaften studiert, aus Gründen, auf die wir vielleicht noch kommen werden, leider nicht zu Ende. Ich habe viele Artikel in arabischen Zeitungen und im Internet gegen die Besatzung veröffentlicht. Von 2003 bist 2006 eigentlich ununterbrochen. Seit 2007 nur noch sporadisch.
 
Frage: Wann und weshalb hast Du den Irak zum ersten mal verlassen und bist nach Europa beziehungsweise Deutschland gekommen?

Antwort: Im Jahr 2001 kam ich als Student nach Deutschland, um hier Flugzeugbau zu studieren. Nach Abschluss des Studiums wollte ich in den Irak zurück, dort in diesem Bereich arbeiten und so mein Land voran bringen.

Frage: Nach der erneuten Aggression gegen den Irak 2003 hast Du Dein Studium unterbrochen und bist zurück in den Irak gereist. Was war damals Dein Plan?

Antwort: Die ersten Raketen der «Freien Welt» wurden am 19. März 2003 um 03:35 Uhr mitteleuropäischer Zeit auf Bagdad und den ganzen Irak gefeuert. Schon gegen 07:30 Uhr war ich in Frankfurt am Main am Flughafen. Mit Sicherheit hat kein Iraker in dieser Nacht geschlafen! Laut weltweiten Meldungen war der Luftraum über dem Irak, Syrien, Jordanien und Kuwait wegen der Angriffe gesperrt. Man konnte also nicht mehr dorthin fliegen. Mein Ziel war, zuerst nach Syrien zu fliegen, und von dort mit dem Auto weiter in den Irak. Dann wollte ich nach Jordanien fliegen, und anschließend mit dem Auto nach Bagdad. Aber wie gesagt, der Luftraum war gesperrt. Dann bin ich ohne Visum nach Libanon geflogen, und von dort aus in den Irak durch Jordanien. Mein Ziel war es, gegen die Aggressoren zu kämpfen. Das ist eine Ehre für mich, für meine Familie und für unser Land. Auch wollte ich der Welt meine Loyalität zu unserem Präsidenten Saddam Hussein beweisen. Ich traf mich damals mit vier deutschen Journalisten und TV-Korrespondenten. Einer war für die ARD und das ZDF tätig. Auch Antonia Rados (österreichische Fernsehjournalistin) habe ich getroffen. Sie ist eine Geschichtsfälscherin.

Frage: Du wurdest im Irak von den US-Invasoren gefangen genommen und unter Folter verhört. Wir wissen von einem früheren Gespräch mit Dir, dass unter den Leuten, die Dich verhört haben, auch einer oder mehrere Deutsche waren. Kannst Du mehr darüber sagen?

Antwort: Ich wurde von einer Sicherheitsfirma, nicht Black Water, aber was ähnliches, verhaftet und an die US-Besatzer ausgeliefert. Acht Monate lang wurde ich gefoltert. Noch heute trage ich davon die psychischen und physischen Schäden. Zwei der Offiziere, die mich verhörten, waren Deutsche. Ich habe deutlich den süddeutschen Dialekt erkannt. Nebst denen gab es viele US-amerikanische Offiziere, die mich verhörten. (8) Der Deutsche Bundestag weiss über den Fall Bescheid. Als potentielle Mittäter äußert sich die Deutsche Regierung natürlich nicht. In einer Bundestagssitzung wurde mein Fall mit meinem Namen erwähnt (16/688). Bis heute gibt es keine Reaktion. Die «junge Welt» publizierte zwei Artikel zu meinem Fall, einmal schrieb Rüdiger Göbels, einmal Jürgen Elsässer dazu.

Frage: Wie bist Du schließlich frei gekommen?

Antwort: Durch Korruption. Meine Familie hat 6000 Dollar an einen gewissen Captain Matthew W. Yarbrough bezahlt. So würde ich für nur 24 Stunden entlassen. Das bedeutete, ich musste schnellstmöglich aus dem Irak raus, sonst gibt es keine Garantie, dass mich derselbe Captain Yarbrough nicht wieder verhaftet. So lief das damals.

Frage: Du bist danach zurück nach Deutschland, um dein Studium wieder aufzunehmen. Was ist geschehen? Weshalb wurde Dir das nicht ermöglicht?

Antwort: Gegen 16 Uhr hat mich Captain Matthew W. Yarbrough entlassen. Schon um 23 Uhr am selben Tag bin ich in ein Auto eingestiegen und sofort los Richtung Syrien. Dort, auf der deutschen Botschaft wurde ich nach Amman, Jordanien geschickt. Letztendlich sei die Botschaft dort für Iraker zuständig, wurde mir gesagt. Auf der deutschen Botschaft in Amman hat man mir die ganze Zeit was vorgemacht und mich belogen. Immer sagten sie mir: Warte! Warte! Warte! Dies von Oktober 2006 bis April/Mai 2007. Mir war es klar, dass sie mich nicht mehr wollten. Besonders als ich die Wahrheit sagte. Wenn die westliche Welt von jemanden hört, dass er in US-amerikanischer Gefangenschaft war, dann ist die Sache eigentlich schon gelaufen. Sie spielen Gott. Genau so wurde mir verunmöglicht, mein Studium in Deutschland fortzusetzen.

Frage: Nachdem Dir klar wurde, dass Du Dein Studium in Deutschland nicht fortsetzen kannst, hast Du nach verschiedenen Alternativen gesucht, unter anderem in der Schweiz und in Schweden. Möchtest Du dazu etwas sagen?

Antwort: Für 28 Tage war ich in der Schweiz. Zwei Schweizer Rechtsanwälte rieten mir dringend davon ab, in der Schweiz zu bleiben. Dann war ich für vier Monate in Bremen. Mit meinen Freunden dort habe ich über die Asyl-Frage diskutiert. Wir kamen zum Schluss, dass ich es lieber nicht in Deutschland versuchen sollte, denn wir wissen: Die Asyl-Politik ist eine große Lüge. Also traf ich die Entscheidung, nach Schweden zu reisen. Ins schöne, angeblich neutrale Schweden. Als ich dort ein Asylgesuch stellte, verlangten sie von mir, dass ich für die SäPö (Schwedischer Geheimdienst, mh) arbeiten soll. Ich sollte deren Augen und Ohren bei den Arabern und Muslimen sein. Ich habe das höflich abgelehnt. Dann machten sie noch einen Versuch, diesmal gegen die Russen, denn ich spreche auch russisch. Natürlich habe ich auch das abgelehnt. Dann haben sie zwei Mal versucht, mich ohne Papiere in den Irak abzuschieben. Beide Male war ich schon im Flugzeug, ich habe gekämpft und Widerstand geleistet, so konnte ich meine Abschiebung jeweils verhindern. Weihnachten 2010 bin ich dann nach Deutschland, wo ich viele echte Freunde habe, geflohen.

Frage:
Seit 2010 bist Du wieder zurück in Deutschland, und Dein legaler Status ist ungewiss. Du hast um Asyl nachgefragt und dieses Asyl wird Dir von den deutschen Behörden verweigert. Wie kam das?

Antwort: Seit dem ersten Tag, da ich in Deutschland bin, versuche ich hier auf legalem Weg zu bleiben. Ich habe daher einen Rechtsanwalt in Bremen beauftragt, mir meine Papiere aus Schweden zurück zu beschaffen. Tatsächlich hat dieser Rechtsanwalt auch ganz offiziell im Jahr 2011 die Papiere in Schweden verlangt. Aber nach mehreren Monaten hat er unsere Zusammenarbeit beendet. Das hat mich schockiert. Ohne Erfolg war ich dann noch bei drei weiteren Rechtsanwälten. Dann wurde ich von der Ausländerbehörde von Bremen nach Bielefeld verschoben, von Bielefeld kam ich nach Avenwede in Gütersloh, von dort nach Staumüle in Paderborn. Nach sieben Monaten dort wurde ich nach Düsseldorf gebracht, da bin ich nun seit 2018. Die Ausländerbehörde in Düsseldorf ist die zweit Schlimmste in ganz Deutschland, das sage nicht ich, das ist offiziell. Einen Gerichtstermin für meinen Asylfall gab es im Oktober 2019, nach einer ca. 9-jährigen Wartezeit. Der Richter beendete das Ganze in einer Verhandlung, die ungefähr 35 Minuten dauerte. Er wollte keine Diskussion. Er fragte mich, ob ich in Schweden war, und als ich dies bejahte, war der Fall für ihn erledigt. Ich habe 32 Kilo Dokumente vorgelegt, er wollte nichts davon sehen. Ich fragte ihn, ob ich nicht das Recht auf eine Aufenthaltsgenehmigung habe, um mein Studium zu beenden und meinte, das sei nicht sein Gebiet. Ich sagte ihm, dass ich in 17 Jahren noch keinen einzigen Cent vom deutschen Staat bekommen habe, da meinte er, das sei eine andere Baustelle. Ich sprach über meine Erfahrungen mit dem schwedischen Geheimdienst und genau darüber wollte er nichts hören. Die Ablehnung war von Anfang an klar und vorbereitet. Sie ist auf vier A4-Seiten begründet. Ich bin keine Behörde, aber ich habe 32 Kilo Dokumente zu meinem Fall, und sie lehnen mich auf vier A4-Seiten ab, das nennt sich Rechtsstaat.

Frage: Dein Schicksal ist sehr eng mit dem Schicksal des Irak verknüpft. Weshalb kommt für Dich eine Rückkehr – nun da die US-Besatzung weitgehend beendet ist – nicht in Frage?

Antwort: Der Irak ist mein Land und ich liebe mein Land. Ich werde auch irgendwann zurückkehren. Das ist für mich sicher. Nun aber bedeutet eine Rückkehr dorthin eine Rückkehr in ein ungewisses Schicksal. Möglich ist Gefängnis und wieder Folter. Warum? Weil ich viele kritische Artikel gegen die USA und vor allem gegen die Kollaborateure veröffentlicht habe. Seit 2005/2006 bin ich auf der „Wanted“-Liste von dem Verräter Al-Maliki. Mein Onkel sagte mir zwar: «Nach zehn Jahren wird dein Name gelöscht». Jetzt sollte es also theoretisch keine Gefahr mehr geben für mich. Aber ich kann selber nicht stumm bleiben, wenn ich tagtäglich sehe, wie mein Land ausgeplündert wird. Es ist klar zu sehen, dass es im «Neuen Irak» keine Regierung gibt. Die Lage ist schlecht, und Banditen und Milizen haben das Sagen. Trotzdem will ich zurück! Aber ohne gegen die Verbrecher in Schweden und Deutschland zu gewinnen? Das kommt nicht in Frage. Außerdem ist da noch die Folter im Irak durch die Amis. Ich kann 15 oder 16 Jahre psychischer Folter hier nicht durchgehen lassen. Schweden und Deutschland müssen dafür zahlen. Besonders wenn sie die ganze Zeit „Menschenrechte“ schreien und versuchen, sie anderen zu diktieren. Diese Lügen und Heuchelei können nicht einfach ignoriert werden, nicht von mir.

Frage: Gibt es sonst noch etwas, was Du unseren Leserinnen und Lesern mitteilen möchtest?

Antwort: Ich will schon noch etwas sagen, aber das ist Kritik, und das wollen die Europäer nicht hören oder lesen. Sie denken, sie seien Götter, fehlerfrei, dass nur sie die Welt kennen und verstehen. Sie denken, die Menschen aus dem Süden seien keine Menschen. Obwohl ich aus dem Irak komme und vieles weiss, was sie nicht wissen, bin ich für sie unglaubwürdig. Demgegenüber kann ein Journalist, der nicht einen einzigen Tag im Irak war, jeden Blödsinn erzählen, und all seine Behauptungen werden als Realität genommen. Dafür sollten sich die Europäer schämen. Aber wenn das westliche System zusammenbricht, werden sie sagen, die hätten von nichts gewusst. Genau wie unter dem NS-Regime. Alle, ohne Ausnahme, die Deutschen, die Österreicher, die Franzosen, die Polen haben davon gewusst und mitgemacht. Sie haben einfach nicht damit gerechnet, dass das NS-Regime untergehen wird. Daher kam auch ihre Unmenschlichkeit. Die USA und die NATO-Staaten tun dasselbe, mit derselben Arroganz. Die Medien von Joseph Goebbels leben weiter, noch größer als unter ihm. Aber der Untergang dieses Systems ist gewiss. Ich bin sehr traurig.
 

Fußnoten:

1 Amer Iskander: Saddam Hussein, the Fighter, The Thinker and the Man
https://advocatesforpeaceandsocialjustice.wordpress.com/iraq-the-truth/iraq-committee-info-usa/amer-iskandersaddam-hussein-the-fighter-the-thinker-and-the-man/
(Letzter Zugriff Juni 2021)
2 Scherif oder Scharif, eingedeutscht aus arabisch Scharif, ist der religiöse Titel der Nachkommen des Propheten Mohammed, die von einem seiner beiden Enkel Hasan bzw. Husain abstammen. Im alten Arabien und im frühen Islam bezeichnete der Begriff allgemein hochstehende Persönlichkeiten der arabischen Gesellschaft.
3 Die Central Treaty Organization (CENTO), ursprünglich bekannt als Bagdad Pact oder Middle East Treaty Orgaiation (METO), war ein militärisches Bündnis des Kalten Krieges. Es wurde 1955 vom Iran, Irak, Pakistan, der Türkei und dem Vereinigten Königreich gegründet und 1979 aufgelöst endgültig aufgelöst.
4 Dr. Amer Iskander: Saddam Hussein, the Fighter, The Thinker and the Man
https://advocatesforpeaceandsocialjustice.wordpress.com/iraq-the-truth/iraq-committee-info-usa/amer-iskandersaddam-hussein-the-fighter-the-thinker-and-the-man/
(Letzter Zugriff Juni 2021)
5 Der Schatt al-Arab, auch Arvandrud, ist ein Fluss im Irak und Iran, der zum Teil die Grenze dieser beiden Staaten bildet. Er ist zudem eine bedeutende Wasserstraße für die Binnenschifffahrt beider Länder.
6 «Wir haben keine Meinung zu Ihren arabisch-arabischen Konflikten, wie zum Beispiel Ihrem Streit mit Kuwait. Minister Baker hat mich angewiesen, die Anweisung zu betonen, die dem Irak erstmals in den 1960er Jahren gegeben wurde, dass die Kuwait-Frage nichts mit Amerika zu tun hat».
7 https://www.youtube.com/watch?v=EuDp5VM8QoQ
(Letzter Zugriff Juni 2021)
8 https://www.radio-utopie.de/2007/07/13/foltern-deutsche-geheimdienste-im-irak/
(Letzter Zugriff Juni 2021)

Online-Flyer Nr. 771  vom 09.06.2021



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