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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Was geschah am 16. Juli 2019 in Straßburg?
Ja! Ja! Ja! Ursula!
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Wurde Ursula von der Leyen vom EU-Parlament zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt? Was ist das für eine Frage? Fast überall ist davon die Rede, dass Ursula von der Leyen gewählt worden ist. "Von der Leyen zur Kommissionspräsidentin gewählt", lesen wir in Springers WELT. "Von der Leyen mit knapper Mehrheit gewählt", schreibt die Tageszeitung "junge Welt" in einem Online-Extra unter Berufung auf die Nachrichtenagentur dpa. "Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt", ist ein Kommentar von Arnold Schölzel im junge-Welt-Online-Extra überschrieben. "Ja! Ja! Ja! Ursula! Von der Leyen vom EU-Parlament zur neuen Kommissions-Chefin gewählt", jubelt BILD. "Von der Leyen zur EU-Kommissionschefin gewählt", heißt es bei "tagesschau.de". "Von der Leyen zur Chefin der EU-Kommission gewählt", verbreitet der Mitteldeutsche Rundfunk. Das Zitieren von Sätzen mit derartiger Begriffswahl ließe sich fortsetzen.

Doch dann begegnet uns die folgende Darstellung: "Das EU-Parlament konnte von der Leyen nur bestätigen oder ablehnen. Die eigentliche Entscheidung war unter den Regierungschefs gefallen..." Das lesen wir in der sozialistischen Wochenzeitung "Unsere Zeit". Und vom Deutschen Freidenker-Verband gibt es folgende Darstellung: "Das EU-Parlament hat kein Budgetrecht, kein Initiativrecht für Gesetze, das hat allein die EU-Kommission. Deren Mitglieder entsenden die Regierungen, den Präsidenten bestimmt der 'Europäische Rat' (der Regierungschefs), das 'Parlament' darf ihn bestätigen." Sogar Wikipedia schreibt: "Die Kommission wird grundsätzlich alle fünf Jahre nach der Europawahl neu besetzt. Dabei nominiert zunächst der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit den Kommissionspräsidenten... Anschließend benötigt der Kommissionspräsident ein Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments."

Von Wahl ist nicht die Rede. Was nun?

Wir brauchen eine zuverlässige, authentische Quelle. Was liegt näher, als uns beim EU-Parlament selber die Information zu beschaffen. Auf der website europarl.europa.eu finden wir in der Rubrik FAQ (häufig gestellte Fragen) die Frage "Wie werden der Präsident der Kommission und ihre Mitglieder ernannt?" Aha, ernannt werden der Präsident und die Kommissionsmitglieder, schließen die versierten LeserInnen aus der Fragestellung. Doch dann heißt es in der Überschrift zur Antwort: "Das Europäische Parlament wählt den Präsidenten der Kommission." Also doch nicht Ernennung? Nein! In der Antwort selbst heißt es: "Zudem muss das Parlament den neuen Präsidenten oder die neue Präsidentin der Kommission mit absoluter Mehrheit bestätigen." Also weder um Wahl noch Ernennung sondern um Bestätigung geht es.

Suchen wir eine weitere authentische Quelle. Die EU hat zwar keine Verfassung, aber sie hat den so genannten Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2010. Der ist festgehalten im Amtsblatt "2010/C 83/01" der Europäischen Union. Dieses Blatt enthält die "konsolidierten Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union". In Artikel 17 Absatz 7 finden wir folgende Passage: "Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Erhält dieser Kandidat nicht die Mehrheit, so schlägt der Europäische Rat dem Europäischen Parlament innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit einen neuen Kandidaten vor, für dessen Wahl das Europäische Parlament dasselbe Verfahren anwendet." Also doch wählen? Aber hat Wählen nicht auch etwas mit Auswählen zu tun? Wie kann bei nur einem zur "Wahl" stehenden Kandidaten oder nur einer zur "Wahl" stehenden Kandidatin ausgewählt werden – wenn denn nach Vertrag von Lissabon eine Kandidatin überhaupt zulässig ist? Handelt es sich um eine Wahl, wenn nicht ausgewählt werden kann? Aber immerhin kann der Kandidat oder die Kandidatin abgelehnt werden. Dann fängt das Spiel von vorne an – im Zweifel ohne jedes Ende.

Nun gut, wenn EU und EU-Parlament nicht in der Lage sind, Klarheit zu schaffen, versuchen wir es bei der Bundesregierung. Auf deren website finden wir in der Rubrik "Wie funktioniert Europa" endlich die gewünschte Klarheit. Wir lesen: "Nach der Europawahl schlägt der Europäische Rat einen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Amt des Kommissionspräsidenten vor, der vom Europäischen Parlament mit absoluter Mehrheit bestätigt werden muss." Also definitiv: nicht gewählt, sondern bestätigt wird der Kommissionspräsident. Und über noch etwas werden wir durch die Bundesregierung mit diesem aufschlussreichen Satz in Kenntnis gesetzt: Im Falle einer weiblichen Kandidatur vollzieht sich eine Geschlechtstransformation. Denn es ist ein "der" vom Parlament zu bestätigen. Frau von der Leyen muss also zu Herrn von der Leyen mutiert sein. Ja, wir leben in einem Patriarchat.

Ja, die EU ist eine Außenstelle der NATO

Wer nun ist diese Person, die am 16. Juli 2019 in Straßburg von 383 der 747 EU-ParlamentarierInnen "gewählt" – nein "ernannt" – nein "bestätigt" und von 327 EU-ParlamentarierInnen abgelehnt worden ist? Die website des Bundestags informiert: von 1992 bis 1996 studierte sie im US-Staat Kalifornien an der Stanford University, zeitweise (1993) als Gasthörerin an der "Graduate School of Business". Das ist laut Wikipedia eine der führenden Business Schools in den USA, an der sich die Studiengebühren auf ca. 70.000 US-Dollar pro Jahr belaufen. Damit lässt sich die Nähe zu den transatlantischen Netzwerken erahnen. Und siehe da, die als "Ministerin der Verteidigung" bezeichnete Person von der Leyen war laut Wikipedia 2015, 2016, 2018 und 2019 Teilnehmerin der Bilderberger-Konferenzen.

Und auf der website der Atlantik-Brücke finden wir in einem Artikel vom 11. November 2016 den folgenden Satz: "Von der Leyen hielt auf Einladung der Atlantik-Brücke im Hotel Adlon [in Berlin] einen Vortrag zur Zukunft der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik mit einem speziellen Fokus auf die Integration in der EU und die Verteidigungspartnerschaft mit der NATO." Wolfgang Effenberger kommt bezüglich von der Leyen zu folgender Einschätzung: "Sie steht für die Militarisierung der gesamten EU und ist eine Vertreterin des militärischen-industriellen Komplexes. Das liegt auch auf der Linie von Macron, der bei seiner Rede 2017 deutlich machte, dass er sehr an einer Militarisierung der EU interessiert sei. Die Kandidatur von Frau von der Leyen und Frau Lagarde [für den EZB-Vorsitz] wird bei den US-amerikanischen Vertretern der parteiübergreifenden Kriegskoalition bzw. des 'Tiefen Staates' auf großes Wohlwollen gestoßen sein: Die EU als Außenstelle der NATO..." Was hat von der Leyen am 11.11.2016 im Adlon am Brandenburger Tor beim Treffen der Atlantik-Brücke gesagt? "Die EU muss mehr tun im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik... Wir Europäer müssen uns dieser Aufgabe stellen, denn wir schulden den USA mehr Anstrengungen in der NATO."

Ja, sicher! Spätestens mit Gründung der FED, der privaten Notenbank in den USA, im Jahr 1913, hat ein wesentlicher Teil des Großkapitals die USA zu seinem Instrument gemacht, zu einem Machtapparat, der weltweit der Durchsetzung seiner Interessen dient – wenn es sein muss, mit militärischen Mitteln. Dazu ist die NATO geschaffen worden. John D. Rockefeller, einer der FED-Gründer von 1913, der im Sinne Darwins zu denen zählt, denen es vergönnt ist, sich durchzusetzen: „Das Wachstum eines Großunternehmens bedeutet lediglich das Überleben des Stärkeren... Das ist keine bösartige Tendenz im Geschäftleben. Es ist lediglich die Verwirklichung eines Naturgesetzes und eines Gesetzes Gottes.“ Ja, in diesem Sinne gilt es zu erkennen: "Wir Europäer müssen uns dieser Aufgabe stellen, denn wir schulden den USA mehr Anstrengungen in der NATO." Ja, und die EU ist eine Außenstelle der NATO! Der Stärkere schafft sich seine Instrumente. Das ist ein Naturgesetz, ein Gesetz Gottes, dem es sich zu unterwerfen gilt. Ja! Ja! Ja! Ursula! Gemeinsam mit Dir schaffen wir das!


Siehe auch:

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EUmania bei Campact, Attac & Co
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Online-Flyer Nr. 714  vom 31.07.2019



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