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Wirtschaft und Umwelt
Ein niederländischer Historiker liest in Davos den reichen Eliten die Steuerleviten
Das Biest zähmen
Von Harald Schauff

Ursprünglich war der 30jährige Historiker Rutger Bregmann aus Amsterdam in die Schweiz nach Davos eingeladen worden, um beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum über seinen Bestseller ‘Utopie für Realisten’ zu sprechen. Das Buch liefert Impulse für die Bewegung für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Was er in Davos erlebte, veranlasste ihn, am letzten Konferenztag Klartext zu reden. Er prangerte an, dass Teilhabe, Gerechtigkeit, Gleichheit und Transparenz zur Sprache kamen, doch sich kaum jemand zur Steuerflucht und zu den Reichen äußerte, welche nicht ihren gerechten Teil beitragen. Es habe sich angefühlt wie auf ‘einer Feuerwehrkonferenz, wo niemand berechtigt ist, über Wasser zu reden.’

Das Video von Bregmanns kurzem Auftritt wurde im Internet von Hunderttausenden angeklickt. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (9.2.2019; ‘Wir müssen das Biest Kapitalismus zähmen’ von Daniel Baumann) schildert er seine Erlebnisse in Davos.

Bregmann fühlte sich auf der Konferenz unwohl, weil er dort nicht als Netzwerker auftrat, der etwas zu verkaufen hatte. Seinem Dafürhalten nach ist Davos die weltweit größte ‘Networking-Konferenz’. Dort treten die reichsten und mächtigsten Menschen der Welt auf. Auf den ersten Blick wirkt der Gipfel wie ein progressives, linkes Treffen: Geredet wird über den Klimawandel, die Teilhabe von Minoritäten, Feminismus und andere progressive Themen.

Erst einige Tage später fällt dem Historiker auf: Über bestimmte Dinge können sie in Davos nicht reden, zum Beispiel Steuern. Und alles andere, das an den bestehenden Geschäftsmodellen rüttelt. Eben alles, was in Frage stellt, wie die Reichen ihr Geld verdienen. Dazu gehört, dass sie nicht ihren angemessenen Beitrag zur Gesellschaft leisten, weil sie Steuerflucht begehen. Stattdessen sprechen sie über andere wunderbare Dinge wie Philanthropie, die vornehmlich einem Zweck dienen: Von den wirklichen Problemen abzulenken.

In einer Diskussionsrunde am ersten Tag versucht Bregmann das Thema ‘Steuern’ anzusprechen. Sofort wechselt das Gespräch zu Venezuela. Er gewinnt den Eindruck: ‘In der Weltsicht dieser Leute hat man nur die Wahl zwischen Kapitalismus und dem Gulag.’ Noch einfacher formuliert: Wenn sie nicht noch reicher werden, geht es allen anderen schlechter. Das glauben sie und wollen es alle anderen glauben machen.

Bregmann behagt die Veranstaltung immer weniger. Er weicht vom vorgesehenen Programm ab, wonach er über sein Buch ‘Utopie für Realisten’ sprechen soll. Stattdessen bereitet er eine kurze Rede über Steuern vor. Er geht das Risiko ein, nicht wieder eingeladen zu werden und hält seine Rede einfach. Die Reaktion im Raum ist ‘ziemlich aggressiv’, doch sonst passiert nichts. Er reist nach Hause, nach Amsterdam und verlebt ein ruhiges Wochenende. Am darauf folgenden Montag wird er vom gewaltigen Echo auf das Video völlig überrascht. Er sprach in Davos etwas aus, das dort niemand hören wollte, was jedoch außerhalb solcher Konferenzen jede/r denkt. Laut eigenem Befinden war er nur ‘eine normale, durchschnittliche Person, die an einem bestimmten Ort etwas sagte, wo man das nicht erwartete.’ Für die von ihm durchgeführte Analyse ist ein Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften oder Geschichte nicht notwendig.

Das Ausmaß der Reaktion verblüfft ihn. Täglich erreichen ihn Interviewanfragen aus der ganzen Welt. Genau weiß er nicht, wie er damit umgehen soll. Seine Botschaft ist im Prinzip einfach und lautet: Wir brauchen höhere Steuern in Ländern, die immer ungleicher werden. Nötig sind Vermögenssteuern, eine Wiedereinführung von Erbschaftssteuern und höhere Spitzensteuersätze wie in den 50er und 60er Jahren. Außerdem sollte hart vorgegangen werden gegen Steuerparadiese wie in seiner Heimat, den Niederlanden.

Um seine Botschaft und Kritik zu untermauern, geht Bregmann im Interview genauer auf die 50er und 60er Jahre ein. Er nennt sie ‘das goldene Zeitalter des Kapitalismus’. Damals lagen die Spitzensteuersätze bei mehr als 90 Prozent in Großbritannien und den USA. Es gab richtige Erbschafts- und Immobiliensteuern. Die Menschen konnten nicht einfach von ihrem Wohlstand zehren, sondern mussten für ihr Geld hart arbeiten. In manchen Ländern wurden auch Vermögen besteuert. Solche Vermögenssteuern hält Bregmann auch heute für erforderlich, ‘um dieses Biest zu zähmen, was wir Kapitalismus nennen’.

Die Wachstumsraten damals waren relativ hoch, Menschen landeten auf dem Mond, es gab viel technologische Innovation. Dies widerspricht der Annahme, dass Steuern Innovation und Wachstum verhindern. Das Gegenteil stimmt: In der Geschichte der Innovation wurden fast alle Durchbrüche von Regierungen finanziert. I-Phone, Touchscreen, Batterie, Mobilfunktechnologie und Internet sind allesamt staatlicher Forschungsförderung zu verdanken.

Für Bregmann lautet die Alternative nicht Kapitalismus oder Kommunismus bzw. Markt oder Staat. Vielmehr plädiert er für den Bau eines ‘ausbalancierten Systems’. Um gegen Steuerparadiese vorzugehen, braucht es seiner Ansicht nach nicht sofort eine Weltregierung. Es würde bereits reichen, wenn die EU und die USA hier zusammenarbeiteten. Immerhin machten die USA auch nicht vor dem scheinbar unantastbaren Schweizer Bankgeheimnis Halt.

Die Eliten in Davos reagierten aus einem weiteren Grund sauer auf Bregmanns Vortrag: Er rüttelte vehement an ihrem Selbstbild. Danach sehen sie sich nicht als Egoisten, sondern glauben zutiefst, auf der Welt Gutes zu tun. Sie betrachten ihren Erfolg als ‘Win-win’-Situation: Wenn ihr Reichtum wächst, werden auch alle anderen reicher. Sie fühlen sich von Statistiken bestätigt, welche zeigen: Die extreme Armut hat abgenommen.

Sie reagieren empört, sobald sie jemand darauf hinweist, dass ihr Beitrag zum allgemeinen Wohlstand nicht ausreicht, ihre Finanzprodukte sogar Wohlstand zerstören und sie ihren Beschäftigten zu geringe Löhne zahlen.

Bregmann stößt noch ein weiterer Widersinn auf: In Davos wurde auch über dem Klimawandel debattiert. Wenig klimafreundlich war die Anreise der Gipfelteilnehmer: Sie erfolgte in rund 1500 Privatjets. Die Vorführung eines Films über den Klimawandel, gedreht von David Attenborough, einem bekannten Naturforscher, rührte in Davos einige Zuschauer zu Tränen. Bregmann staunte über diese ‘Freak-Show’. Offensichtlich dienen Gipfel-Konferenzen wie das Weltwirtschaftsforum dem Zweck, das wohlige Gefühl zu vermitteln: Die Eliten geben ihr Bestes, verändern die Welt und bewegen die Dinge in die richtige Richtung.

Dieser positiven Grundstimmung lief die Rede des niederländischen Historikers zuwider. Seinem Beispiel folgten jedoch zu wenige, wie er bemängelt. Zuviele eingeladene Kritiker, auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Klimaforscher, ließen sich von der angenehmen Atmosphäre der Tagungsstätte, dem guten Essen und den großartigen Drinks beeindrucken und schwächten ihre Kritik ab, um nicht unhöflich zu erscheinen. Auch Bregmann selbst war nicht immun dagegen. Er zog sich deshalb auf sein Hotelzimmer zurück und bereitete seine Rede vor.

Wie könnte eine bessere Welt aussehen? Gute und schwierige Frage, zu der Bregmann ein komplettes Buch verfasst hat. Er findet: ‘Wir müssen groß denken.’ Jeder Meilenstein in der Zivilisation war einst eine utopische Fantasie. Sein Buch behandelt die Eliminierung von Armut, offene Grenzen und eine 15-Stunden-Woche.

Vor langer Zeit versprach der Kapitalismus eine segensreiche Zukunft. Philosophen, Soziologen und Ökonomen glaubten in den 50er und 60er Jahren, der technologische Fortschritt würde in Zukunft dazu führen, dass die Menschen weniger arbeiten müssten. So ist es nicht gekommen.

Bregmann ist überzeugt: Die technischen Möglichkeiten wären längst da, jedoch hängen wir zu sehr an der Ideologie der Arbeit. Dabei gibt laut einer aktuellen Studie aus den Niederlanden bereits ein Viertel der Beschäftigten in den Industrieländern zu, ihre eigene Arbeit für nutzlos zu halten. Bregmann geht es nicht um Lehrer und Pflegerinnen, sondern Marketing- oder Finanzexperten.

Welche Jobs sind gesellschaftlich notwendig, von daher unverzichtbar, und welche nicht? Der amerikanische Anthropologe und Anarchist David Graeber, ein Bruder Bregmanns im Geiste, hat dazu ein Buch veröffentlicht: "Bullshit Jobs".

Gegenwärtig scheint der Willen zur Veränderung weder bei Politikern noch in der Bevölkerungsmehrheit vorhanden. Bregmann ist überzeugt: Echte Veränderung kommt nicht von Politikern, sondern immer von den gesellschaftlichen Rändern. Bevor sich neue Ideen verbreiten, werden sie zuerst einmal als lächerlich und irrelevant abgetan. Vor zehn Jahren hätte keiner gedacht, dass ein Historiker mit einer Rede über Steuern das Internet aufmischt. Vor fünf Jahren wurde über die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens weltweit noch kaum geredet, doch genau diese Idee brachte Bregmann nach Davos.

Heute fordern Politiker in den USA einen Spitzensteuersatz von 70 Prozent. Mit einem Mal öffnet sich ein politisches Fenster, etwas zu verändern. Davos ist jedoch für den Historiker nicht der Ort, wo Innovation und Veränderung sichtbar werden. Ob der Veranstalter ihn nochmals einlädt? Wenn ja, will er die gleiche Rede erneut halten. Wenn nein, würde das wiederum zeigen, dass er richtig liegt.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe April 2019, erschienen.

Online-Flyer Nr. 702  vom 24.04.2019



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