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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Was Staatssendern und (Ex-)Ministern zum Grundeinkommen einfällt
Nichts Gescheites
Von Harald Schauff

Soviel dürfte klar sein: Ganz ohne Gleichheit wird es schwer mit der Gerechtigkeit, insbesondere der sozialen. Das bedingungslose Grundeinkommen würde zumindest für ein Stück Gleichheit sorgen, weil es alle bekommen. Deshalb kommt es bei Fragen der Gerechtigkeit automatisch ins Spiel. Auch die ARD-Themenwoche ‘Gerechtigkeit’ im November 2018 griff das BGE kurz auf, widmete ihm im ARD-Videotext eine Tafel. Dort wurde zunächst das Konzept in wenigen Sätzen erklärt. Es folgte ein Absatz zum Stirnerunzeln: ‘Menschen, die einer gering vergüteten und unregelmäßigen Arbeit nachgehen, würden laut einer Studie der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung mit der Einführung eines Grundeinkommens ihre Arbeitszeit reduzieren oder die Arbeit ganz einstellen.’

Bei jemandem, der sich noch nicht näher mit der Idee beschäftigt hat, bleibt vor allem der zweite Teil des Satzes hängen: Mit der Einführung eines Grundeinkommens würde die Arbeitszeit reduziert oder die Arbeit ganz eingestellt. Heißt also soviel wie: Das Grundeinkommen untergräbt die Arbeitsmoral. Schon sieht sich das bekannte Vorurteil bestätigt: Mit einem Grundeinkommen will niemand mehr arbeiten.

Der erste Teil des Satzes wird dagegen leicht überlesen. Dabei enthält er die entscheidende Einschränkung: Es geht um ‘Menschen, die einer gering vergüteten und unregelmäßigen Arbeit nachgehen.’

Demnach geht es nicht um alle Beschäftigten, nicht einmal alle Geringverdiener, sondern die Gelegenheitsjobber darunter. Eine kleine Randgruppe also, ein paar Prozent, wenn es hochkommt. In Umfragen geben 80 bis 90 % an, auch mit einem Grundeinkommen weiter arbeiten zu wollen. Versuchsprojekte zum Grundeinkommen wie in Finnland oder Namibia verzeichnen eine erhöhte Bereitschaft, Beschäftigung aufzunehmen. Anfang der 70er Jahre wäre in den USA unter Nixon beinahe eine Form von Grundeinkommen eingeführt worden: Der ‘Family Assistance Plan’. Untersuchungen im Vorfeld stellten fest, dass seine Einführung die Arbeitsmoral nicht senken, sondern, im Gegenteil, sogar fördern würde. Einige wenige, die sich mit dem Grundbetrag zufrieden geben und keine Tätigkeit suchen, wird es ohne Zweifel geben. Diese hat es zu jeder Zeit, gleich in welchem System, gegeben. Kein Grund, der gegen die Einführung eines Grundeinkommens spricht.

Der Inhalt der angeführten Aussage mag objektiv zutreffen. Nur: Wieso steht sie genau an dieser Stelle, direkt unter der allgemeinen Beschreibung des Grundeinkommen-Konzeptes? Wieso wird stattdessen z.B. nicht auf die positiven Unfragewerte verwiesen? Diesen Satz dort so zu platzieren hat etwas von perfider, gezielter Meinungsmache. Anstelle der Regel wird die Ausnahme angegeben, die jedoch nur bei genauem Lesen auch so erscheint. Und die Gesellschaft für, wie hieß sie noch gleich, Angewandte Wirtschaftspropaganda? Sie liefert die passende Steilvorlage.

Vielleicht lässt sich von der ‘Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands’ auch nichts Anderes erwarten als eine solche stiefmütterliche Behandlung.

Noch weniger überrascht, dass CDU-Minister wie jener ‘für besondere Aufgaben’, Helge Braun, ‘vehement’ gegen die Idee eintreten, wie er in einem SPIEGEL-Interview (‘Chefsache’; Nr. 30 v. 21.7.2018) äußert. Braun sieht im bedingungslosen Grundeinkommen die ‘Botschaft an die Menschen im Land’, dass ein ‘relevanter Anteil’ von ihnen in Zukunft nicht mehr gebraucht wird und alle schon irgendwie finanziell über Wasser gehalten werden. Er hält ‘dieses Gesellschaftsbild für absoluten Irrsinn’. Er möchte eine Gesellschaft, in der alle gebraucht werden. Er verweist auf den Koalitionsvertrag, der Vollbeschäftigung verspricht. ‘Jeder, der sich anstrengt, kann in diesem Land etwas erreichen. Wir brauchen alle.’

Braun betet das fromme Wunschmärchen von der Vollbeschäftigung herunter. Diese war tatsächlich einmal: In den 50ern bis Mitte der 60er. In den letzten Jahrzehnten wurde der fromme Wunsch von Millionen Erwerbslosen, Niedriglohnjobbern und Aufstockern Lügen gestraft. Braun träumt ihn dennoch süß weiter, hält ihn für erfüllbar. Wir müssten nur ‘alles richtig machen und uns als High-Tech-Land weiter behaupten.’ Jobs würden durch die Digitalisierung zwar wegfallen, jedoch auch neue entstehen.

Einen Bruder in diesem Geiste findet Braun in Julian Nida-Rümelin, Münchner Philosophieprofessor und ehemaliger Kulturstaatsminister im Kabinett Schröder von 2001- 2. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau (15.11.18) erklärt er, ‘per saldo keinen Arbeitsplatzabbau zu befürchten’, ‘solange sich die Produktivitätszuwächse in der Größenordnung des realen Wirtschaftswachstums bewegen. Damit sind alle Überlegungen in Bezug auf ein Grundeinkommen vom Tisch.’

Allerdings hält Nida-Rümelin ‘digitale Kompetenz’ für wichtig. Immerhin erkennt er: Viele Tätigkeiten werden durch die Digitalisierung ersetzt, Menschen braucht es dazu nicht mehr. Was empfiehlt er denen, die nicht mehr gebraucht werden? Sie sollen den ‘Umgang mit digitalen Technologien’ lernen, gerade dort, wo ‘es Wachstumsbereiche gibt.’Als Beispiel nennt er, kein Scherz, die Spiel-Industrie. Des Weiteren rät er zu ‘lebenslangem Lernen’. Das Urteil im Namen des Goldes lautet: Schulbankdrücken lebenslänglich, bis der Po schmerzt und der Kopf raucht.

Etwas Neues fällt Professor Schlauwort und Minister Vielschwatz nicht ein. Beiden scheint die hohe Sockelarbeitslosigkeit von mind. zwei Millionen Erwerbslosen seit den 70ern entgangen zu sein. Gleichfalls die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung auf mittlerweile knapp 40 % aller abhängig Beschäftigten. Deshalb gibt es die Rekordzahl von 45 Millionen Erwerbstätigen, während die Gesamtzahl der Arbeitsstunden in den letzten Jahrzehnten sank: Die Arbeit ist schlicht auf mehr Köpfe verteilt worden. Millionen davon sind allerdings geringfügig beschäftigt. Das alles zeigt: Neu entstandene Jobs haben die alten eben nicht 1:1 ersetzt, wie es die Herren Braun und Nida-Rümelin gern hätten. Das Grundeinkommen liefert die richtige Antwort auf die beschriebene Entwicklung, die beide verkennen. Weder ist es ‘vom Tisch’ noch ‘Irrsinn’. Wenn eines diese Bezeichnung verdient, dann der Traum von Vollbeschäftigung trotz Digitalisierung.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Januar 2019, erschienen.

Online-Flyer Nr. 689  vom 02.01.2019



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