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Arbeit und Soziales
Die überholte Arbeitsideologie schwebt jenseits von Grundrecht und Logik
Idiotie von Ideologie
Von Harald Schauff
Der Arbeitsmarkt brummt: Zuletzt fast 45 Millionen Erwerbspersonen, weniger als 2,3 Millionen gemeldete Arbeitslose, dafür 1,2 Millionen gemeldete offene Stellen. ‘Uns geht die Arbeit nicht aus’ jubelt die Mainstream-Presse allen Befürchtungen entgegen, die Digitalisierung werde für den großen Kahlschlag im Arbeitswald sorgen und Millionen von Jobs abräumen. Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) fabuliert im SPIEGEL-Interview von der ‘Vollbeschäftigung bis 2025’. Die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung (Quote: 39 %), beinahe 5 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte und inoffiziell immer noch über drei Millionen Erwerbslose (einschließlich ABMler, über 58 Jährige, Kranke und privat Vermittelte) kratzen am schönen Bild des ausgerufenen Jobwunders.
Doch mit den Kratzern können sie leben. Sie kratzen sie nicht. Solange die Konjunktur auf Hochtouren läuft und die Auftragsbücher der Firmen voll sind. Das schaut alles so gut aus von vorne, das wollen sie sich nicht durch den Blick dahinter verderben. Dafür schauen sie zurück auf die glorreiche Vergangenheit und flehen diese an, sich in Zukunft zu wiederholen. Gemeint sind die goldenen 50er und 60er des Wirtschaftswunders, wo am Ende sogar Unterbeschäftigung herrschte auf dem Arbeitsmarkt und die ersten Gastarbeiter angeworben wurden, um die Lücken zu schließen.
Dorthin wollen sie wieder und glauben sich auf dem besten Weg. Das alte Erwerbsarbeits-Modell feiert Renaissance und mit ihm die Vorstellung, dass allein oder hauptsächlich Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt zu garantieren habe. Ignoriert wird, dass andere Einkommensarten eine immer größere Rolle spielen: Transferleistungen, Kapitalzinsen, Bezüge aus Urheber- und Patentrechten, Einkünfte aus ererbtem Vermögen etc.
Die Fixierung der Politik auf Arbeit als einzig legitimem Mittel zur Existenzsicherung hält auch der emeritierte Professor für Industrialisierung und Verteilungskritiker Günther Moewes für eine ‘rückständige Ideologie’. Er sieht dadurch den Zwang entstehen, ‘immer mehr künstliche Beschäftigung zu erfinden’, wie er in einem Kurzbeitrag für die ‘Frankfurter Rundschau’ (23.7.2018) ausführt.
‘Immer weniger Menschen produzieren immer mehr’, beginnt der Artikel. Und fährt fort, dass immer weniger Bauern immer mehr Menschen ernähren, immer weniger Jüngere immer mehr Ältere. Insgesamt können immer weniger Menschen die Existenz von immer mehr anderen sichern. Dank der Produktivität, die immer noch wächst. Dennoch klammern sich Politik und Mainstream-Ökonomie an eingefahrene Denkgewohnheiten, die fast ausschließlich Arbeit als Mittel zur Existenzsicherung legitimieren. Dies führt nach Moewes fatalerweise zum Zwang, ‘immer mehr künstliche Beschäftigung zu erfinden’ und Arbeit, die eigentlich überflüssig oder sogar schädlich ist, zu erhalten.
Vorschläge wie das ‘solidarische Grundeinkommen’ des Berliner SPD-Oberbürgermeisters Michael Müller hält Moewes für ‘aberwitzig’. Er sieht darin einen den Arbeitgebern zuliebe staatlich bezuschussten Niedriglohnsektor. Dieser wird mit dem 200 Jahre alten Begriff ‘Grundeinkommen’ überklebt, um die Diskussion über ein echtes Grundeinkommen zu vermeiden. Obwohl die besagte Niedriglohn-Arbeit künstlich oder sogar schädlich ist, wird sie von SPD und Gewerkschaften beschönigend ‘gute Arbeit’ genannt.
Dies erinnert Moewes an die Notzeiten nach dem Krieg, als man immer ‘gute Butter’ sagte. Ironisch fragt er, was unter ‘guter Arbeit’ zu verstehen ist: Die Produktion von Rüstung, Agrargiften, Kunststoffmüll und Sozialbürokratie? Er mutmaßt, ob ‘eine verlogene Beschäftigungsideologie’ nicht eher dazu dient, ‘alle Schweinereien dieser Welt als Humanfürsorge schönzureden’. So nach dem Motto: Arbeitskraftverkäufer sollen froh und dankbar sein für die Wohltat, klima-killende SUV’s und Panzer zusammenschrauben zu dürfen. Hauptsache, sie werden gebraucht und bezahlt.
Moewes stoßen noch weitere ‘fatale Konsequenzen’ dieser Idiotie von Ideologie auf, welche die Existenzberechtigung an die schrumpfende Lohnarbeit koppelt. Dies führt zu deren Überangebot, Entwertung und Prekarisierung. Der Aufbau künstlicher Beschäftigung verschärft diese Fehlentwicklung weiter. Die Lohnbeschäftigung wird immer billiger, zu billig. Sie hält Unternehmen von ‘notwendigen Zukunftsinvestitionen’ ab. Statt auf moderne Technologie greifen sie lieber auf billige Arbeitskraft zurück. Moewes zufolge fördert sich die ‘rückständige Ideologie’ auf diese Weise selbst.
Der Sinn eines Grundeinkommens liegt für ihn vor allem in zweierlei: Zum einen soll es die einseitig von der Kapitalseite eingesteckten Produktivitätsgewinne über Steuern von oben nach unten zurück verteilen. Zum anderen soll es einer mündigen Bevölkerung erlauben, schädliche Arbeit ablehnen zu können, ohne die eigene Existenz zu gefährden. Für Moewes wäre das ‘die direkteste Form einer direkten Demokratie’. Und eine wirksame Waffe gegen einseitig kapitalgesteuerte Politik.
Man könnte auch sagen: Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die auseinander klaffende soziale Schere zumindest ein Stück weit schließen. Außerdem ist es ein Gebot demokratischer Prinzipien: Grundrechte wie jene auf Freiheit, Unversehrtheit und Menschenwürde kommen dadurch erst richtig zur Geltung. Mit Zwängen wie dem zur Erwerbsarbeit sind sie dagegen nicht vereinbar. Leider hat das öffentliche Bewusstsein diese Grunderkenntnis noch nicht erlangt. Arbeit wird hier immer noch als unantastbare heilige Kuh betrachtet.
Die Diskussion um das sog. ‘solidarische Grundeinkommen’ hat ihre ideologisch überhöhte Stellung nochmals bestätigt. Arbeit soll auch in diesem Konzept Dreh- und Angelpunkt der Existenzberechtigung bleiben und dafür notfalls künstlich geschaffen werden. Es handelt sich um das genaue Gegenteil eines wirklichen, bedingungslosen Grundeinkommens.
Bedauerlicherweise hat die Debatte um Müllers künstliches Beschäftigungsprogramm heillose Verwirrung gestiftet, was den Begriff ‘Grundeinkommen’ betrifft. Unfassbar, jedoch wahr: Es melden sich Stimmen zu Wort, die einem die alte Sozialhilfe, die Vorgängerin des Arbeitslosengeldes II, allen Ernstes als bedingungsloses Grundeinkommen zu verkaufen versuchen, wobei sie alle Einschränkungen, angefangen mit der Bedürftigkeit, aufzählen. Logik? Getoppt wird dies von der Behauptung des SPIEGEL-Kolumnisten Jan Fleischhauer, mit Hartz IV hätten wir bereits ein bedingungsloses Grundeinkommen. Offensichtlich wurde das Attribut ‘bedingungslos’ in beiden Fällen nicht verstanden. Was nur eines belegt: Wo die überholte Arbeitsreligion die Köpfe beherrscht, setzt sogar das logische Denken aus. Unbeirrt wird fortgeschritten auf Ab-, Irr- und Rückwegen. Bis zum Ende der Sackgasse.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2018, erschienen.
Online-Flyer Nr. 676 vom 03.10.2018
Die überholte Arbeitsideologie schwebt jenseits von Grundrecht und Logik
Idiotie von Ideologie
Von Harald Schauff
Der Arbeitsmarkt brummt: Zuletzt fast 45 Millionen Erwerbspersonen, weniger als 2,3 Millionen gemeldete Arbeitslose, dafür 1,2 Millionen gemeldete offene Stellen. ‘Uns geht die Arbeit nicht aus’ jubelt die Mainstream-Presse allen Befürchtungen entgegen, die Digitalisierung werde für den großen Kahlschlag im Arbeitswald sorgen und Millionen von Jobs abräumen. Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) fabuliert im SPIEGEL-Interview von der ‘Vollbeschäftigung bis 2025’. Die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung (Quote: 39 %), beinahe 5 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte und inoffiziell immer noch über drei Millionen Erwerbslose (einschließlich ABMler, über 58 Jährige, Kranke und privat Vermittelte) kratzen am schönen Bild des ausgerufenen Jobwunders.
Doch mit den Kratzern können sie leben. Sie kratzen sie nicht. Solange die Konjunktur auf Hochtouren läuft und die Auftragsbücher der Firmen voll sind. Das schaut alles so gut aus von vorne, das wollen sie sich nicht durch den Blick dahinter verderben. Dafür schauen sie zurück auf die glorreiche Vergangenheit und flehen diese an, sich in Zukunft zu wiederholen. Gemeint sind die goldenen 50er und 60er des Wirtschaftswunders, wo am Ende sogar Unterbeschäftigung herrschte auf dem Arbeitsmarkt und die ersten Gastarbeiter angeworben wurden, um die Lücken zu schließen.
Dorthin wollen sie wieder und glauben sich auf dem besten Weg. Das alte Erwerbsarbeits-Modell feiert Renaissance und mit ihm die Vorstellung, dass allein oder hauptsächlich Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt zu garantieren habe. Ignoriert wird, dass andere Einkommensarten eine immer größere Rolle spielen: Transferleistungen, Kapitalzinsen, Bezüge aus Urheber- und Patentrechten, Einkünfte aus ererbtem Vermögen etc.
Die Fixierung der Politik auf Arbeit als einzig legitimem Mittel zur Existenzsicherung hält auch der emeritierte Professor für Industrialisierung und Verteilungskritiker Günther Moewes für eine ‘rückständige Ideologie’. Er sieht dadurch den Zwang entstehen, ‘immer mehr künstliche Beschäftigung zu erfinden’, wie er in einem Kurzbeitrag für die ‘Frankfurter Rundschau’ (23.7.2018) ausführt.
‘Immer weniger Menschen produzieren immer mehr’, beginnt der Artikel. Und fährt fort, dass immer weniger Bauern immer mehr Menschen ernähren, immer weniger Jüngere immer mehr Ältere. Insgesamt können immer weniger Menschen die Existenz von immer mehr anderen sichern. Dank der Produktivität, die immer noch wächst. Dennoch klammern sich Politik und Mainstream-Ökonomie an eingefahrene Denkgewohnheiten, die fast ausschließlich Arbeit als Mittel zur Existenzsicherung legitimieren. Dies führt nach Moewes fatalerweise zum Zwang, ‘immer mehr künstliche Beschäftigung zu erfinden’ und Arbeit, die eigentlich überflüssig oder sogar schädlich ist, zu erhalten.
Vorschläge wie das ‘solidarische Grundeinkommen’ des Berliner SPD-Oberbürgermeisters Michael Müller hält Moewes für ‘aberwitzig’. Er sieht darin einen den Arbeitgebern zuliebe staatlich bezuschussten Niedriglohnsektor. Dieser wird mit dem 200 Jahre alten Begriff ‘Grundeinkommen’ überklebt, um die Diskussion über ein echtes Grundeinkommen zu vermeiden. Obwohl die besagte Niedriglohn-Arbeit künstlich oder sogar schädlich ist, wird sie von SPD und Gewerkschaften beschönigend ‘gute Arbeit’ genannt.
Dies erinnert Moewes an die Notzeiten nach dem Krieg, als man immer ‘gute Butter’ sagte. Ironisch fragt er, was unter ‘guter Arbeit’ zu verstehen ist: Die Produktion von Rüstung, Agrargiften, Kunststoffmüll und Sozialbürokratie? Er mutmaßt, ob ‘eine verlogene Beschäftigungsideologie’ nicht eher dazu dient, ‘alle Schweinereien dieser Welt als Humanfürsorge schönzureden’. So nach dem Motto: Arbeitskraftverkäufer sollen froh und dankbar sein für die Wohltat, klima-killende SUV’s und Panzer zusammenschrauben zu dürfen. Hauptsache, sie werden gebraucht und bezahlt.
Moewes stoßen noch weitere ‘fatale Konsequenzen’ dieser Idiotie von Ideologie auf, welche die Existenzberechtigung an die schrumpfende Lohnarbeit koppelt. Dies führt zu deren Überangebot, Entwertung und Prekarisierung. Der Aufbau künstlicher Beschäftigung verschärft diese Fehlentwicklung weiter. Die Lohnbeschäftigung wird immer billiger, zu billig. Sie hält Unternehmen von ‘notwendigen Zukunftsinvestitionen’ ab. Statt auf moderne Technologie greifen sie lieber auf billige Arbeitskraft zurück. Moewes zufolge fördert sich die ‘rückständige Ideologie’ auf diese Weise selbst.
Der Sinn eines Grundeinkommens liegt für ihn vor allem in zweierlei: Zum einen soll es die einseitig von der Kapitalseite eingesteckten Produktivitätsgewinne über Steuern von oben nach unten zurück verteilen. Zum anderen soll es einer mündigen Bevölkerung erlauben, schädliche Arbeit ablehnen zu können, ohne die eigene Existenz zu gefährden. Für Moewes wäre das ‘die direkteste Form einer direkten Demokratie’. Und eine wirksame Waffe gegen einseitig kapitalgesteuerte Politik.
Man könnte auch sagen: Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die auseinander klaffende soziale Schere zumindest ein Stück weit schließen. Außerdem ist es ein Gebot demokratischer Prinzipien: Grundrechte wie jene auf Freiheit, Unversehrtheit und Menschenwürde kommen dadurch erst richtig zur Geltung. Mit Zwängen wie dem zur Erwerbsarbeit sind sie dagegen nicht vereinbar. Leider hat das öffentliche Bewusstsein diese Grunderkenntnis noch nicht erlangt. Arbeit wird hier immer noch als unantastbare heilige Kuh betrachtet.
Die Diskussion um das sog. ‘solidarische Grundeinkommen’ hat ihre ideologisch überhöhte Stellung nochmals bestätigt. Arbeit soll auch in diesem Konzept Dreh- und Angelpunkt der Existenzberechtigung bleiben und dafür notfalls künstlich geschaffen werden. Es handelt sich um das genaue Gegenteil eines wirklichen, bedingungslosen Grundeinkommens.
Bedauerlicherweise hat die Debatte um Müllers künstliches Beschäftigungsprogramm heillose Verwirrung gestiftet, was den Begriff ‘Grundeinkommen’ betrifft. Unfassbar, jedoch wahr: Es melden sich Stimmen zu Wort, die einem die alte Sozialhilfe, die Vorgängerin des Arbeitslosengeldes II, allen Ernstes als bedingungsloses Grundeinkommen zu verkaufen versuchen, wobei sie alle Einschränkungen, angefangen mit der Bedürftigkeit, aufzählen. Logik? Getoppt wird dies von der Behauptung des SPIEGEL-Kolumnisten Jan Fleischhauer, mit Hartz IV hätten wir bereits ein bedingungsloses Grundeinkommen. Offensichtlich wurde das Attribut ‘bedingungslos’ in beiden Fällen nicht verstanden. Was nur eines belegt: Wo die überholte Arbeitsreligion die Köpfe beherrscht, setzt sogar das logische Denken aus. Unbeirrt wird fortgeschritten auf Ab-, Irr- und Rückwegen. Bis zum Ende der Sackgasse.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2018, erschienen.
Online-Flyer Nr. 676 vom 03.10.2018