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Medien
Syrien-Propaganda von BILD-Chefredakteur Julian Reichelt
Was bei BILD ausgeblendet und verschwiegen wird
Von Karin Leukefeld, Damaskus

Der Chefredakteur der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, hat auf seinem Online-Newsletter vom 23.10.2017 ein „Foto des Tages“ aus Syrien veröffentlicht. Es ist ein Propaganda-Lehrstück. Zu sehen ist eine Krankenschwester mit Kopftuch und Mundschutz, die ein abgemagertes Baby in die Kamera hält. Augen und Mund sind weit aufgerissen, Hände, Arme und Beine hat das Kind starr von sich gestreckt. Bis auf eine Windel ist das abgemagerte Wesen nackt und vermutlich tot. Im unscharfen Hintergrund ist ein modernes, in blau und weiß gestrichenes Krankenzimmer zu sehen. An den Wänden hängen Informationsblätter, Türen und Holzverkleidung sind in warmen Brauntönen gehalten. In der englischsprachigen „Gulf News“ wurde das gleiche Foto von der französischen Nachrichtenagentur AFP veröffentlicht. Im Reichelt-Newsletter fehlen die Quellenangaben. Stattdessen erklärt der Bild-Zeitungs-Chefredakteur persönlich, wer für das „unerträgliche Leid“ in dem Ort Hamouria, nahe bei Damaskus verantwortlich sei: „Machthaber Bashar al-Assad führt seinen unerbittlichen Krieg gegen das eigene Volk“.


Screenshot aus dem Newsletter von BILD-Chefredakteur Julian Reichelt

Gemäß dem humanitären Völkerrecht dürfte das Bild weder mit der einseitigen Reichelt-Botschaft noch überhaupt verbreitet werden. Wehrlose, schwache, kranke oder tote Menschen dürfen nicht zu Propagandazwecken fotografiert werden. Das gebietet das Recht auf die Würde des Menschen, die auch im Krankheits- oder Todesfall gilt. Die Bild-Zeitung hat sich noch nie daran gehalten. Propaganda und Stimmungsmache ist ihr Geschäft.

Besonders perfide ist, dass Reichelt ein Kind – das möglicherweise schon tot ist – für die Verbreitung seiner Meinung missbraucht. Es kann sich nicht dagegen wehren, dass sein zweifelsohne trauriger Zustand dazu benutzt wird, die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Es geht nicht um das Kind, es geht um die Reichelt-Botschaft. Wer das Bild sieht und den kurzen Text dazu liest soll nicht fragen, was die Krankheit des Kindes ist und wie ihm geholfen werden kann, man soll den syrischen Präsidenten für den Zustand des Kindes verantwortlich machen.

Im Duden wird diese Art von Stimmungsmache als Versuch beschrieben, „mit unlauteren Mitteln die [öffentliche] Meinung für oder gegen jemanden, etwas zu beeinflussen.“ In diesem Falle soll die öffentliche Meinung gegen den syrischen Präsidenten aufgebracht werden. Was Reichelt schreibt, soll „Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden  erzeugen“ (Duden über Propaganda).

Zu den Tatsachen gehört, dass Hamouria im östlichen Umland von Damaskus liegt und seit 2012 von wechselnden Kampfverbänden besetzt ist. Die überwiegende Mehrheit der Zivilbevölkerung floh und lebt heute im Zentrum von Damaskus oder anderen Vororten. Erst nannten die Kämpfer sich „Freie Syrische Armee“, dann „Islamische Armee“. Nach internen Kämpfen behielt die Terrororganisation „Nusra Front“ (Al Khaida) mit der Formation „Faylaq al Rahman“ die Oberhand. Im August 2017 hieß es, „Faylaq al Rahman“ habe einem von der russischen Armee vermittelten Waffenstillstand (mit der syrischen Armee) zugestimmt.

Doch kurz darauf folgte ein massiver Angriff auf die syrischen Soldaten, der blutige Machtkampf unter den Kampfgruppen begann erneut. In der Altstadt von Damaskus sterben fast täglich Menschen durch Mörsergranaten, die aus der östlichen Ghouta abgefeuert werden. Stolz präsentiert sich „Faylaq al Rahman“ in Videoclips bei ihren Angriffen auf die syrische Armee im Internet. Die syrische Armee reagiert mit immer neuen Angriffen, ohne die Kampfverbände – die offenbar über große Mengen Waffen und Munition verfügen, lasergesteuerte Boden-Luft-Raketen inklusive – niederzwingen zu können. Verhandlungen sind wiederholt gescheitert.

Waffen, Munition und Kämpfer in belagerten Gebieten werden nicht knapp. Medizin und Lebensmittel dagegen schon. Tatsache ist, dass in ganz Syrien unzählige Kinder verletzt, getötet und traumatisiert wurden und werden. In allen Landesteilen gab und gibt es Hunger. Dass vielen Menschen nicht geholfen werden kann, liegt auch an den westlichen Wirtschaftssanktionen, die u.a. von Deutschland immer wieder verschärft wurden.

Reichelt blendet die Tatsachen aus. Sein Text zum „Foto des Tages“ ist ein Lehrstück für Propaganda, wie es besser kaum zu finden ist. Im Lehrplan für angehende Journalisten sollte es nicht fehlen.


Mit Dank übernommen von sputniknews.com, dort erschienen am 23.10.2017


Online-Flyer Nr. 634  vom 25.10.2017



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