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Krieg und Frieden
KIT/IOSB-Militärverflechtung – Zivilklausel? Aufklärung Die Linke.SDS für KIT-Erstsemester
# KIT, der KA-Rüstungsblitzer
Von Dietrich Schulze

Ein guter Tag für die Bemühungen um eine Zivilklausel am KIT. Ein betagter KIT-Alumni als Naturwissenschaftler, Friedensaktivist und NRhZ-Autor freut sich über die taufrische Veröffentlichung des Aufklärungsartikels der KIT-Hochschulgruppe Die Linke.SDS Karlsruhe im KIT-AStA-Magazin Ventil #138. Darin werden die Erstsemester über die von der KIT-Presse und anderen weitgehend unterdrückten Informationen über Rüstungsforschung und über die geforderte Zivilklausel dagegen informiert. Das hat eine lange Vorgeschichte, auf die später noch eingegangen wird. Der tiefere Grund für die Freude: der Autor sieht es als seine verpflichtende Hauptaufgabe an, jungen Menschen dabei zu helfen, auf der Grundlage ihrer beruflichen Entwicklung einen eigenen humanistischen Lebensweg zu finden. Nachfolgend der komplette Originaltext mit Original-Zwischenüberschriften, beginnend mit einem Titel in Form einer Parodie.


Collage unter Verwendung einer Karikatur von Kostas Koufogiorgos (aus Dietrich Schulze: "Transparente Tötungswissenschaft", NRhZ vom 04.12.2013)

Das F in KIT steht für Frieden – Zivilklausel? Was ist das denn?

"Das KIT verfolgt nur friedliche Zwecke." – dieser Satz klingt doch gar nicht so schlecht? Schon 2009, vor der Gründung des KIT, sprachen sich die Student*innen der Universität Karlsruhe für eine Zivilklausel am KIT aus. Leider konnte diese vermeintliche Einschränkung der Forschung nicht überzeugen, stattdessen wurde der Kompromiss gefunden, das KIT-Großforschungszentrum (Campus Nord) an friedliche Zwecke zu binden, der universitäre Bereich (Campus Süd) wurde ganz bewusst davon ausgenommen. Das schafft vielfältige Möglichkeiten, Militär- und Rüstungsforschung am KIT zu betreiben.

Eine Zivilklausel bedeutet, dass Forschung zum Zwecke des Krieges unterbunden wird. Vermeintlich scheint dies also eine Einschränkung in die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre zu bedeuten, die uns das Grundgesetz zugesteht. Dennoch gibt es etliche Universitäten, die sich dieser freiwilligen Selbstverpflichtung angenommen haben. Statt Militärforschung zu betreiben wird dort für friedliche Zwecke geforscht und die Freiheit der Wissenschaft wird nicht losgelöst von der Treue zur Verfassung betrachtet, die immer noch die Würde des Menschen an oberste Stelle hebt. Nicht ohne Grund wurde unser Grundgesetz aus den Nachwirkungen des zweiten Weltkrieges aufgestellt.

Das Fraunhofer Institut: Mehr als nur eine Forschungseinrichtung

Warum also betreiben das KIT und viele andere Universitäten immer noch Rüstungsforschung? Unsere Hochschulen können sich immer seltener selbst finanzieren und durch die Idee der schwarzen Null ist es gar nicht möglich, ausreichend Steuergelder bereitzustellen. Neben der landesweiten Wiedereinführung der Studiengebühren resultiert dies auch in einer stärkeren Kooperation zwischen KIT und Drittmittelgebern. Das können Unternehmen, Forschungseinrichtungen oder eben auch die Bundeswehr sein. Eines der größten deutschen Forschungsinstitute ist das Fraunhofer Institut. An seinem Standort in Karlsruhe wird das Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) betrieben, das nach eigenen Angaben die "wehrtechnische Industrie" unterstützt.

Wie der Referent Christoph Marischka (Informationsstelle Militarisierung e.V., Tübingen) auf unserer Veranstaltung zur Zivilklausel am 14.11.2016 aus seiner Studie [1] darlegen konnte, betreiben die Fraunhofer Institute bundesweit stetig enger werdende Kooperationen mit ansässigen Universitäten. Die einheitliche Taktik scheint aufzugehen: Die Leiter*innen der Institute bilden eine Personalunion mit Inhaber*innen von Lehrstühlen. Dadurch wurden enge finanzielle sowie wissenschaftliche Verflechtungen zwischen Hochschulen und den Fraunhofer Instituten aufgebaut. So hat der Leiter des Fraunhofer IOSB in Karlsruhe, Prof. Jürgen Beyerer, gleichzeitig eine Professur an der Fakultät für Informatik inne.

Das KIT: Akteur der Rüstungsforschung

Der Forschungsschwerpunkt von Prof. Beyerer als Inhaber des Lehrstuhls für Interaktive Echtzeitsysteme bildet die Drohnenforschung. Dabei existieren Verflechtungen zwischen dem Lehrstuhl, dem Fraunhofer IOSB und dem Bundesministerium für Verteidigung (BMVg). Es wird bewusst auf Dual Use gesetzt, um Militärforschung attraktiver zu machen und an Universitäten durchzuführen. Dual Use bedeutet, die Forschungsergebnisse können nebenbei auch für zivile Zwecke eingesetzt werden. Dank dieser Strategie erhält das IOSB sowohl finanzielle Unterstützung durch den Verteidigungshaushalt des Bundes, sowie "zivile" Gelder der Hochschule.

Konsequenterweise gehen der Lehrstuhl und das Fraunhofer IOSB unter Leitung von Herr Prof. Beyerer auch personelle Verflechtungen ein. Beispielsweise befasste sich Dr. Yvonne Fischer, damals wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl und danach Angestellte am IOSB, in ihrer Forschung und Promotion mit eindeutig militärischen Problemstellungen wie z.B. die automatisierte Klassifizierung von Marineschiffen nach Vorgaben der Bundeswehr. Dr. Fischers Karriere ist nicht das einzige Beispiel, das zeigt, wie fließend sich der Übergang von ziviler zu militärischer Forschung am KIT und IOSB darstellt.

Und wie soll's weitergehen?

Gemeinsam mit dem AStA haben wir dem KIT-Präsidenten Herr Prof. Hanselka die brisanten Verstrickungen zwischen dem KIT und dem Fraunhofer Institut vorgelegt und um eine Stellungnahme gebeten. Leider konnten wir keine klaren Informationen aus der Antwort ziehen; offensichtlich hat die KIT-Leitung kein Interesse daran, Forschung für kriegstreiberische Zwecke zu unterbinden und rechtfertigt sich durch den Dual Use Charakter.

Unser Resümee lautet daher ganz klar: Auch der Campus Süd braucht dringend eine Zivilklausel. Forschung, die letztlich dazu dient, Menschen zu töten und Krieg zu fördern, muss klar unterbunden werden. Freiheit der Forschung kann es nur Hand in Hand mit einem wissenschaftlichen Ethos geben. Oder wie es in der Präambel unseres Grundgesetzes steht: Im Bewusstsein seiner Verantwortung [...] dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

Falls ihr euch weiter für das Thema interessiert oder euch an der Aufklärung beteiligen wollt, werdet bei uns aktiv! [2]

Die Linke.SDS Karlsruhe

Soweit der Ventil-Artikel

Hier kann das gesamte Ventil #138 nachgelesen werden mit Hinweis auf die Seiten 18/19 [3].

Bevor wir zur Vorgeschichte kommen, ein äußerst aktuelles Thema, das im inhaltlichen Zusammenhang im Ventil-Artikel angesprochen wurde.

Studiengebühren Nicht-EU-Ausländer

Dazu hat sich jetzt in Baden-Württemberg eine Protestbewegung mit Unterstützung der GEW gebildet, die mit vier Einzelklagen wegen Verstosses gegen den UN-Sozialpakt, gegen die Gleichbehandlung und gegen die Landesverfassung vorgehen will. Das erklärt der KIT-AStA-Vorsitzende Zacharias Heck in einem Interview mit der Lokalpresse BNN [4]. Exakt das, was in BaWü von Schwarz-Grün demonstriert wurde, läuft seit Sommer mit Schwarz-Gelb in NRW. Dort soll die 2014 von Rot-Grün eingeführte landesgesetzliche Zivilklausel gestrichen, die Hochschulen ausdrücklich für Militärforschung geöffnet und die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer eingeführt werden. Die Studierendenbewegung steht vor harten Herausforderungen: Schwarz-Grün + Schwarz-Gelb = Jamaika.

Zur Vorgeschichte

Im Ventil-Artikel wird von den Verfassern der IMI-Bericht [1] über ihre interessante Zivilklausel-Veranstaltung im November 2016 im Redtenbacher-Hörsaal im KIT herausgestellt. Zum besseren Verständnis für die damit verbundene Vor- und Nacharbeit bietet sich eine thematische Zusammenstellung an, die von Dietrich aus seiner WebDoku „Zivilklausel oder Militärforschung“ dazu erstellt hat [5]. Besonders sei auf die öffentliche Veranstaltung „Präsidium im Gespräch“ von KIT-Präsident Prof. Hanselka am 24. Juli hingewiesen. Die Erklärung von Prof. Hanselka, dass es am KIT Ethik-Leitlinien gibt, die Forschung für friedliche Zwecke vorschreiben und es deswegen am KIT keine Militärforschung gebe, kann als das glatte Gegenteil der Wahrheit erkannt werden. Umso wichtiger ist dieser analytische Ventil-Artikel für die weitere gemeinsame antimilitaristische Arbeit.

Indikatoren für den KA-Rüstungsblitzer

Die bewiesene KIT/IOSB-Militärverpflichtung ist leider nicht das Einzige. Traditionell forscht die Uni Karlsruhe (KIT Campus Süd) an Rüstungszwecken wie Prof. Jondral für die Einsatzsteuerung von Soldaten in internationalen Interventionseinsätzen und Prof. Waibel an militärisch wichtiger Spracherkennung dafür (s. NSA-Bezug im Bild). Es gibt begründete Überlegungen, dass das hochgelobte KIT-Testfeld für das autonome Fahren für zivile Zwecke weitgehend problematisch ist, jedoch extrem bedeutsam für Killer-Roboter aller Art. Die seit langem bestrittene Option für Atom(waffen)forschung wird mit der KIT-Thorium-Reaktorforschung fortgesetzt. Dagegen hat sich in Karlsruhe ein „Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren“ gebildet. Bitte um Vormerkung der ersten Veranstaltung des Bündnisses am 16. November 2017 im Karlsruher DGB-Haus mit dem geachteten Whistleblower Rainer Moormann zum Thema "Atomforschung in Deutschland: Nur für die Sicherheit oder [offen] für Atomwaffen?".

Friedenswissenschaft auf Marktplatz

Ein kurzer Rückblick in die Geschichte der Karlsruher Universität Fridericiana. Am 20. Oktober 1983 versammelten sich deren Studierende, Wissenschaftler mitsamt ihren Profs, allen voran dem Direktor des Physikalischen Instituts Werner Buckel [6a] auf dem Karlsruher Marktplatz. Ein einmaliges Ereignis vor dem Hintergrund der Proteste gegen die Atomwaffenstationierung, die zwei Tage später in der größten 108 km langen Menschenkette Stuttgart-Ulm mündete. Die Positionen der Karlsruher Wissenschaft sind in dem Friedensbuch „Nachdenken statt Nachrüsten“ niedergelegt. Das Buch ist komplett online [6b]. Bitte lesen Sie zur Einstimmung das großartige Vorwort. Die Atomkriegsdrohung war damals direkt erlebbar, weil Ost- und Westdeutschland die atomare Vernichtung drohte. Können wir nicht das wissenschaftlich begründete Bedrohungsgefühl weiter denken lernen? Können wir es in Karlsruhe nicht gemeinsam schaffen, Werner Buckel als Vordenker der Antiatom-Bewegung und als Vordenker der Zivilklausel-Bewegung ehren lernen?

Am Schluss noch Einstein
  • »Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.«
  • »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.«
Na dann mal los.


Quellen:

[1] http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2017-2-IOSB-Web.pdf
[2] info@sdskarlsruhe.de
[3] https://www.asta-kit.de/sites/www.asta-kit.de/files/umag/Ventil138_final.pdf
[4] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20171019bnn.pdf
[5] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20171020wd.pdf
[6a] https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Buckel
[6b] http://www.trueten.de/uploads/Texte/NachdenkenstattNachruesten1984.pdf


Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied von NatWiss und publizistisch tätig. Email dietrich.schulze@gmx.de

Online-Flyer Nr. 634  vom 25.10.2017



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