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Kommentar
Die „Tagesschau“ – Immer so rechts wie es geht
Es lebe Katalonien!
Von Ulrich Gellermann

Das war kein Konzert, das war eine Messe, als der Sänger Lluis Llach am 15./16. Januar 1976 sein Konzert in Barcelona gab. Man lag sich in den Armen, man weinte, man war bei sich. Denn erstmalig seit Francos Tod durfte die Sprache der Katalanen wieder öffentlich gesungen werden. Es war zugleich die Zeit, in der sich mit der „Alianza Popular“, die Nachfolgepartei der Franco-Nazis auf den Weg in die „demokratische“ Legalität machte. Jene Partei, die heute „Partido Popular“ heißt und mit Mariano Rajoy den aktuellen spanischen Ministerpräsidenten stellt. – Oliver Neuroth vom ARD-Studio Madrid, macht sich in der „Tagesschau“ zum Pressesprecher dieses Nachfolge-Franquisten: Da wird den „katalanischen Separatisten fragwürdige Argumente für ihre Unabhängigkeit“ unterstellt. Und vom katalanischen Regionalregierungschef Puigdemont wird behauptet, er sei „abgetaucht“ als wäre er ein flüchtiger Verbrecher. Das Gesprächsangebot der Katalanen gilt dem Tagesschau-Vorturner als „inhaltsleer“. Und vorgeturnt wurde erfolgreich: Die Mehrheit der deutschen Medien begreift den katalanischen Konflikt höchstens als Folklore und stellt sich, wie die „Tagesschau“, auf die Seite der Regierung Rajoy.

Die Europäische Union, wie auch die NATO konnten die nationalen Konflikte in ihren Mitgliedsländern nie gut leiden. Das ist seit dem Bexit eher vertieft worden. Denn der Separatismus lauert in Schottland, in Belgien oder auch in Irland oder Korsika: Als Reaktion auf Zentralregierungen, die mit regionalen Besonderheiten lieber kurzen Prozess machen als ihnen ordentliche Verfahren zuzugestehen. Den Höhepunkte einer primitiven schematischen Parteinahme in den deutschen Medien erreicht mal wieder die Süddeutsche Zeitung: „Selbstbestimmung lädt zur Diktatur ein“ schreibt da Gustav Seibt und leugnet die jüngere Geschichte Spaniens: Immer noch gibt es Straßen und Plätze in Spanien, die nach dem Caudillo, dem Führer Franco, benannt sind. Viel schlimmer: Es gibt keinen offiziellen Ort der Erinnerung an die Ermordeten der Diktatur. Und der spanische Staat behindert deren Nachfahren bis heute bei der Suche nach ihre Toten. Auch über die 30.000 Kinder, die zwischen 1939 und 1975 ihren politisch links stehenden Eltern gestohlen wurden, schweigt der spanische Staat ähnlich hermetisch wie die deutschen Medien, wenn über die Ursachen der katalonischen Empörung gerätselt wird. Dass es die Nachwehen der Diktatur sind, die bis heute das Gefüge des EU-Landes erschüttern, kommt Geschichts-Verdrehern wie Seibt nicht in den Sinn, da dreht er sein Spießchen lieber rum.

„Sie haben ihre institutionelle Position ausgenutzt, um eine illoyale und gefährliche Attacke auf unsere Verfassung durchzuführen, auf die spanische Einheit, ihr eigenes Autonomiestatut - und was am schlimmsten ist - auf das friedliche Zusammenleben von Bürgern“, zitierte die „Tagesschau“ untertänigst den spanischen Ministerpräsidenten gegen die katalanische Regierung. Ohne mit einem einzigen Wort zu erwähnen, dass die spanische Zentralregierung den Katalonen ein fest versprochenes Autonomiestatut durch das Verfassungsgericht wieder entreißen ließ. Das „friedliche Zusammenleben“ in Spanien wurde von der Regierung Rajoy zerstört. Und weil es in der „Tagesschau“ nun mal nicht ohne den Schein des Rechts geht, bemüht man flugs einen rechten Experten: „Der Jurist Georg Nolte, Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Humboldt-Universität Berlin, sieht keine Grundlage dafür, dass die Bewohner Kataloniens einen Anspruch darauf hätten, einen unabhängigen Staat auszurufen: ‚Einen solchen Anspruch gäbe es völkerrechtlich unter Umständen dann, wenn die Bevölkerung Kataloniens vom spanischen Staat in grob menschenrechtswidriger Weise behandelt worden wäre. Wie es etwa im Kosovo der Fall gewesen ist‘. Sagt der Mann aus dem Planungsstab des Auswärtigen Amts. So finden deutsche Medien zu gerne doppelte Standards, immer so, wie es ins Regierungs-Schema passt: Die Unabhängigkeit des Kosovo von der jugoslawischen Regierung musste mit der NATO herbei gebombt werden, die Autonomie Kataloniens kann man dem EU-Mitglied und NATO-Partner Spanien einfach nicht zumuten.

Lluis Llachs Lied "Der Pfahl" war zur Hymne des katalanischen Widerstands gegen Franco geworden: "Wenn wir alle ziehen, wird er fallen‚ lange kann er sich nicht mehr halten, er wird fallen, fallen, fallen, ganz morsch muss er schon sein." Der Pfahl im Fleisch der Katalanen war Franco. Auch weil Kataloniens Autonomie 1939 vom spanischen Diktator aufgelöst und der katalanische Ministerpräsident Lluís Companys von den Franquisten hingerichtet wurde. Er ist bis heute im vorgeblich demokratischen Spanien nicht rehabilitiert.

„Visca Catalunya - Es lebe Katalonien!“ hat man auf den Straßen Barcelonas gerufen. Die Splitter des morschen Pfahls stecken immer noch tief im Körper Kataloniens. Im fahlem Licht der supranationalen Europäischen Union, erscheinen die Nationen verächtlich. Und sind doch die Quellen auch und gerade des Inter-Nationalismus.


Erstveröffentlichung am 15. Oktober 2017 bei rationalgalerie.de – Eine Plattform für Nachdenker und Vorläufer

Top-Foto:
Ulrich Gellermann (aus Video-Interview: deutsch.rt.com)


Online-Flyer Nr. 633  vom 18.10.2017

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