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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Medien
65 Jahre Verschandelung der Zeitungsständer
(K)Ein Grund zum (F)Eiern
Von Harald Schauff

22. Juni: Die Republik wundert sich, was ihr da den Postkasten verstopft. Wo sich auf vielen doch entsprechende Aufkleber den Einwurf von Reklame verbitten. Doch fällt dieses Druck(verschwendungs)erzeugnis nicht unter die Kategorie ‘Werbematerial’, obwohl zur Hälfte bestehend aus ‘Verbrauchertipps’. Allen Ernstes wird es als Informationsmedium gehandelt. Und das seit unfassbaren 65 Jahren: Springers gedruckte Litfass-Säule, der tägliche Zeilenschlag und Stiefeltritt ins Gesicht, die Futterkrippe für Sensationslust und Klischees, der Grillanzünder für Hetze und Empörung, die bestenfalls satirisch verwertbare Papiermüllhalde der Presselandschaft: ‘Bild’.

Der Name war und ist Programm: Wozu Zeitung lesen, wenn es mit Reinschauen, Drübergucken und Überfliegen zwischendurch auch geht? Wozu das Hirn mit Informationen und Hintergründen belästigen, wenn Klatsch, Halbwahrheiten und anderes journalistisches Fastfood ihm vorübergehend ein Sättigungsgefühl verschaffen? Wozu sich stundenlang durch Bleiwüsten quälen, wenn sich das Meinungsbild in wenigen Minuten fertig entwickeln lässt? Jenes Bild ist zumeist schwarz-weiß gezeichnet. Dafür entschädigen viele bunte Fotos, der ‘gute Sportteil’ und die Aussicht auf den blanken Balkon mancher Dame auf der Titelseite, womit die Faktengenauigkeit weitestgehend erschöpft wäre.

Am besagten 22. Juno feierte die Tagesblatt-Attrappe also ihr 65jähriges Bestehen, titelte national-brimborisch ‘Lust auf Deutschland’, daneben ein leicht, in den Nationalfarben, bekleidetes Model. Die übliche Kombination aus Blickfang und Zeilenschlägerei, dieses Mal im Dienst der Vaterlandsliebe. Alle sollten wir gratis daran teilhaben, sei es durch blankes Erstaunen, freudige Zustimmung oder empörte Ablehnung bis hin zu angeekeltem Widerwillen. Letztere ging bei manchen so weit, dass sie das Sudelblatt zurück schickten. Reine Zeitvergeudung. Der Weg zur Papiertonne ist kürzer. Zuvor kann man damit seine nassen Schuhe damit ausstopfen zum besseren Trocknen.

Über sechs Jahrzehnte verschandelt das journalistische Seichtgewicht also schon die Zeitungsständer. Ein weiterer Faktor, der belegt: Es war eben nicht alles besser, in den konservativ verklärten 50ern. Einiges andere ist neben ‘Bild’ seitdem auch nicht besser geworden. Vor allem das Wirtschaftswundersymbol Nr. 1, das Sprit saufende, Schadstoff absondernde Blechmobil, welches seit den 50ern vermehrt über deutsche Asphaltpisten rollt.

Grund genug, ein Interview mit zwei Vorstandschefs der Rollblech-Industrie im Geburtstags-Käseblatt zu platzieren: Matthias Müller von Volkswagen und Dieter Zetsche von Daimler, beide abgelichtet vor Oldtimern der jeweiligen Marke aus dem ‘Bild’-Geburtsjahr 1952.

Drei Vertreter von Aushängeschildern der ‘Freiheit’, zwei der mobilen wie ein vermeintliches der Presse, finden vorübergehend zusammen zu einer Art eingeschworenen Dreierbund. Der hält dem Leser bzw. ‘Bild’-Gucker die saubere Seite der TÜV-Plakette entgegen. Von der anderen, mit Dieselruß beschmutzten, soll er verschont bleiben. Das Wort ‘Dieselskandal’ taucht ein einziges Mal auf, in einem kurzen Hinweis auf Müllers Vorgänger bei VW, Martin Winterkorn.

Dafür dürfen sich beide Manager zu brisanten Themen äußern wie dem Geräusch ihres Lieblingsgefährts, dem Inhalt ihrer Handschuhfächer neben der Betriebsanleitung und auf welche Weise ihre Nachfolger zum 100. ‘Bild’-Geburtstag im Jahre 2052 zum Interview erscheinen.

Nochmals 50 Jahre Schaumschlag- und Schmuddel-Postille? Welcher Bildschirm soll das aushalten? Das sind ja wahrhaft düstere Zukunftsaussichten. Arme, leidgeprüfte Pressefreiheit. Besser gesagt Meinungsfreiheit, Presse sollte eigentlich informativ sein.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2017, erschienen.

Online-Flyer Nr. 630  vom 27.09.2017



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