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Globales
Abschlusserklärung zur Konferenz "50 Jahre israelische Besatzung", 9./10.6.2017, Frankfurt/Main
Israelische Besatzung nicht länger tolerierbar
Von Deutscher Koordinationskreis Palästina Israel

Frankfurt, 11.6.2017 - Für ein Ende der israelischen Besatzung ist eine stärkere Unterstützung des gewaltlosen Widerstandes der Palästinenser*innen notwendig, so das Fazit des Deutschen Koordinationskreises Palästina Israel – Für ein Ende der Besatzung und einen gerechten Frieden (KoPI) nach der Konferenz „50 Jahre israelische Besatzung - Unsere Verantwortung für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts“ vom 9.-10. Juni 2017 in Frankfurt/Main. Dazu gehören beispielsweise Auseinandersetzungen vor dem Internationalen Strafgerichtshof um völkerrechtliche Positionen, Druck auf die Bundesregierung, damit diese die Einhaltung des humanitären Völkerrechts im Falle Palästinas mitdurchsetzt sowie gewaltfreie Aktionen der palästinensischen Zivilgesellschaft. Die Konferenz, an der über 200 Menschen teilgenommen hatten, wertet KoPI als politischen Erfolg für die Meinungsfreiheit in Deutschland, nachdem im Vorfeld versucht worden ist durch Einschüchterung, Verleumdungen und Drohungen, die Tagung zu verhindern. Dass die lang angekündigte Demo gegen die KoPI-Konferenz nur 150 Teilnehmende anziehen konnte, zeigt, dass es innerhalb der von Becker, Beck und Ditfurth angeführten Soli-Bewegung mit der Besatzungs- und Besiedlungspolitik Israels bröckelt. 


KOPI-Konferenz "50 Jahre israelische Besatzung" (Foto: arbeiterfotografie.com)

In ihrem Grußwort appellierte die palästinensische Botschafterin in Deutschland Dr. Khouloud Daibes an die internationale Gemeinschaft, nicht mehr mit der Besatzung zu kooperieren. Palästinenser erlebten die Besatzung als Unterdrückung. Daibes kritisierte auch die beiden Oberbürgermeister von Frankfurt und von München, die jeweils die Schirmherrschaft für Veranstaltungen für ein wiedervereinigtes Jerusalem übernommen hatten, (Ostjerusalem wurde von Israel völkerrechtswidrig annektiert) Ihre Briefe an die beiden seien bis heute unbeantwortet geblieben.

„Zu Boykott greift man, wenn die Regierungen versagen“, erklärte die Vorsitzende der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost, die Berliner Psychoanalytikerin Iris Hefets. Ihre Organisation unterstützt die Boykott, Investitionsstopp und Sanktionskampagne (BDS), gestartet von über 160 Zusammenschlüssen der palästinensischen Zivilbevölkerung, bis Israel internationales Recht einhält. Dies hatte der Jüdischen Stimme zunächst eine Kontokündigung durch die Bank für Sozialwirtschaft zur Folge, wurde aber von der Bank später wieder zurückgenommen. Israel habe die Kolonisierung durchgezogen, ohne dass es bislang sanktioniert worden sei. Hefetz plädierte für „harte Liebe“ (tough love) gegenüber Israel. Damit es dort eine Änderung gibt, müsse es ein Leid daran geben.

Der Koordinator der palästinensischen Graswurzelbewegung Stop the wall und Mitbegründer der BDS-Kampagne Jamal Juma forderte die Deutschen auf, die Menschenrechte zum Leitgedanken zu machen und die BDS-Kampagne zu unterstützen. Seit dem Bestehen der Kampagne im Jahr 2005 sei die Kampagne im Jahr 2016 am härtesten angegangen worden. Gleichzeitig hätte dies die Kampagne auch sehr bekannt gemacht. 2016 sei das bislang erfolgreichste Jahr gewesen, was den Rückzug von Firmen aus den besetzten Gebieten betrifft.

Georg Rashmawi, Vorsitzender der palästinensischen Gemeinden in Europa, verwies auf die UN-Resolution vom Dezember 2016, die die Siedlerkolonien als illegal bezeichnet hat. Er erinnerte auch an die Aufnahme Israels in die UNO (1948), die verknüpft war mit der Zustimmung Israels zur Anerkennung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge bzw. deren Kompensation.

Die ehemalige palästinensische Ministerin für soziale Angelegenheiten Majida Al Masri aus Nablus wies auf neueste Entwicklungen hin. So hätten rechte Kreise in Israel nun angefangen, israelische Siedlungen direkt zu annektieren. Sie wies auch auf die Vorstellungen von Trump und Netanjahu hin. Diese wollten erst einmal volle Normalisierung mit den arabischen Staaten und dann den Israel-Palästina Konflikt lösen. Die USA würden auf eine Konferenz Ende Sommer drängen. Eine Lösung, die die USA den Palästinensern schmackhaft machen wolle: Großisrael mit Jerusalem und die Palästinenser in Enklaven zu halten, wo sie ihre privaten Dinge selber regeln dürfen. Seit die Hamas erklärt habe, mit zwei Staaten leben zu können, sieht Al Masri auch wieder eine Chance auf Einheit unter den Palästinensern.

Der israelische Professor für Geschichte und Philosophie Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv sprach von der Besatzung als Barbarei. Das Militär fungiere als Statthalter in Polizeifunktion für die Zivilbevölkerung. Militär, das nachts Kinder aus den Betten ziehe, sei keine Zivilgesellschaft. „Die Tatsache, dass die 50jährige Besatzung eine Selbstverständlichkeit ist, zeigt, dass sich keine Zivilgesellschaft gebildet hat.“ Keiner zerbreche sich darüber den Kopf, was es heißt, dass ein Volk Besatzer sei. Es gebe keine ernstzunehmende Opposition, die eine Zweistaatenlösung verwirklichen möchte. Der Konflikt werde verwaltet. Eine binationale Struktur sei entstanden. Ohne gleiche Rechte sei sie aber nichts anderes als ein Apartheidstaat. Statt auf BDS setzt Zuckermann darauf, dass die Amerikaner den Druck auf Israel erhöhen, indem sie den Geldhahn zudrehen.

Anders als Zuckermann, der den Weg zur Konfliktlösung über eine Zweistaatenlösung sieht, vertrat Professor Ilan Pappe, Historiker an der Universität Exeter, die Auffassung Israel müsse sich erst dekolonisieren, um dann mit den Palästinensern einen gemeinsamen Staat aufzubauen. Bis zur israelischen Labourpartei hin, habe sich ein völlig falsches Bild verfestigt: Die Juden seien die indigenen Einwohner des Landes. Die anderen, die Palästinenser seien die Eindringlinge, gegenüber denen man Konzessionen mache. Auch bei den Oslo-Verhandlungen habe das norwegische Verhandlungsteam diese Sicht im Hinterkopf gehabt. Sie hätten ihre Aufgabe so verstanden zu definieren, was für die Palästinenser die beste Option sei. Doch: Was sei der Grund, weshalb Israel palästinensische Dörfer im Negev zerstört? Was der Grund, dass Palästinenser kein Land in Israel erwerben dürfen. „Wir sollten uns schämen, wenn unser Staat Proteste gegen diesen Rassismus als Antisemitismus brandmarkt.“

Mit seiner Aussage „Je brutaler die Besatzung wird, desto krimineller wird der Widerstand gegenüber der Diskussion darüber“, ging der Völkerrechtler Norman Paech noch einmal auf die Auseinandersetzung um die Konferenz ein. Für ihn sei dies ein Beweis, dass die viel gerühmte Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, gescheitert ist. In seinem Vortrag ging er der Frage nach, weshalb wir uns nach all den Jahrzehnten noch auf das Völkerrecht berufen. In einem Apartheidstaat, einem binationalen Staat, könnte die Staatengemeinschaft sagen, wir mischen uns nicht in innere Angelegenheiten ein. Berufe man sich aber auf den UN-Teilungsplan, sei die Weltgemeinschaft zur Unterstützung Palästinas verpflichtet. An anderen Stellen beruft sich Israel auf das Völkerrecht, etwa beim Gazakrieg auf das Recht auf Selbstverteidigung. In einer solchen Konstellation sei aber nicht ohne weiteres klar, wer das Recht auf Selbstverteidigung habe. Zunächst hätten die Besetzten das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht sich gegen die Besatzung zu wehren. Beides schließe jedoch Angriffe auf Zivilisten aus. BDS betrachtet Paech wie auch über 200 andere Juristen weltweit als legal und legitim und „die einzige Kraft, die wir derzeit haben, angesichts staatlicher Untätigkeit.“ Die Palästinensische Autonomiebehörde dürfe sich dem Druck Israels und der USA nicht beugen, wie beim Goldstone-Bericht zum Gazakrieg, als die PA dafür stimmte, den Bericht in UN-Gremien nicht zu behandeln. Die PA müsse nun „den Kriegsschauplatz der Gerichte und der Justiz betreten“.

Die Konferenz wurde nicht zuletzt durch die öffentliche Auseinandersetzung zu einem wegweisenden Forum der Diskussion über die israelische Besatzungs- und Kolonisierungspolitik mit wertvollen Beiträgen von Israelis, Palästinensern und Deutschen. Alle Referentinnen und Referenten hatten, wie geplant, teilgenommen. Ihnen sowie der örtlichen Palästina-Initiative, die spontan eine Demo pro Konferenz veranstaltete, dem Team des Ökohauses sowie der Polizei dankt KoPI. »Wer meint, den Antisemitismus bekämpfen zu sollen, vermeide es vor allem, Israel, Judentum und Zionismus, mithin Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik wahllos in seinen deutschen Eintopf zu werfen, um es, je nach Lage, opportunistisch zu verkochen und demagogisch einzusetzen…« Dieses Zuckermann-Zitat sandte die Künstlerin und Holocaust-Überlebende Esther Bejarano zusammen mit Rolf Becker in einer Solidaritäts-E-Mail an die KoPI-Konferenz.


Die Konferenz wurde unterstützt durch: Katholischer Fonds, IPPNW Deutschland und Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen



KoPI ist ein Zusammenschluss deutscher Friedens-, Menschenrechts- und Solidaritätsorganisationen. Mitglieder sind folgende Gruppen, Organisationen und Vereine:

Arbeitskreis Nahost Berlin; Arbeitskreis Palästina im Nürnberger Evangelischen Forum für den Frieden; AK Palästina Tübingen; Arbeiterfotografie, Bundesverband; Arbeitskreis Nahost, Bremen; Attac Arbeitsgruppe Globalisierung und Krieg; Bonner Nakba60-Gruppe; Deutsches Netzwerk EAPPI; Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V.; Deutsch-Palästinensischer Frauenverein e.V.; Deutsch-Palästinensische Medizinische Gesellschaft e.V.; Flüchtlingskinder im Libanon e.V.; FrauenNetzwerkNahost; Freunde von Sabeel Deutschland; ICAHD Deutschland; Internationaler Versöhnungsbund IVB, Deutscher Zweig; IPPNW, Deutsche Sektion der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.; Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost; Jüdisch-Palästinensische Dialog-Gruppe, München; Palästinensische Gemeinde Deutschland e.V.; pax christi, deutsche Sektion; pax christi, Diözesanverband Augsburg; Palästina Komitee München; Palästina/Nahost-Initiative Heidelberg; Palästina Forum Nahost, Frankfurt/M.; SalamShalom Arbeitskreis Israel-Palästina e.V., München; Weltfriedensdienst e.V.


Anhang:

Solidaritätserklärung von Esther Bejarano und Rolf Becker

    
Sie nennen mich
Verräter an meinem Volk
Sie nennen mich
Jüdischer Antisemit
weil ich spreche von dem
was sie tun in Israels Namen
gegen Palästinenser
gegen Araber anderer Länder
und auch gegen Juden
die totgeschwiegen werden
 
Lieber Moshe, »Zur Zeit der Verleumder« überschrieb Erich Fried vor einem halben Jahrhundert sein Gedicht – nicht ahnend, dass zu den Verleumdern heute die wissenden Ditfurths und ein offenbar unwissender Bürgermeister gehören könnten, die nicht in der Lage zu sein scheinen, zwischen der Kritik an der israelischen Regierung und der Verteidigung von menschlichen Rechten auf Leben zu unterscheiden, sich darüber hinaus anmaßen, als Deutsche darüber zu entscheiden, wer als Jude zu akzeptieren ist. Und das in der Stadt mit der Paulskirche, der »Wiege der deutschen Demokratie« (John F. Kennedy). Dich zitierend: »Wer meint, den Antisemitismus bekämpfen zu sollen, vermeide es vor allem, Israel, Judentum und Zionismus, mithin Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik wahllos in seinen deutschen Eintopf zu werfen, um es, je nach Lage, opportunistisch zu verkochen und demagogisch einzusetzen…« Dir, den mit Dir Referierenden und den Euch zustimmenden Versammelten solidarische Grüße, herzlich Esther Bejarano und Rolf Becker

Online-Flyer Nr. 618  vom 21.06.2017



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