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Globales
Nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich
Grundsätzliche Wende oder Ruin Frankreichs und der EU
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Jenseits des Erfolges für den smarten Rothschild-Banker Emmanuel Macron ist die Wahlentscheidung Frankreichs am Sonntag 7.5.2017 eine eindeutige entschlossene Entscheidung der überwältigenden Mehrheit der Franzosen gegen Rassismus, Antisemitismus, Hass und Menschen-Ausgrenzung. Rassismus oder Antisemitismus ist nicht zu tolerieren, nicht in einem christlichen Land. Das sollte auch für den Front National gelten. Wenn Marine Le Pen ihre Partei neu organisieren will, wie sie angekündigt hat, muss ihre neue Partei die Menschlichkeit betonen, ja die menschliche Solidarität, indem sie kein Platz für Rassismus und Ausgrenzung von Menschen lässt. Migranten, die für die Entwicklung Frankreichs gearbeitet haben, gehören zu Frankreich. Sie sind dort zu integrieren. Die Fluchtwelle von Menschen, die vor neokolonialen Kriegen des Westens fliehen, ist nur durch eine andere Außenpolitik zu stoppen, eine Außenpolitik, die auf dem Fundament des Friedens für Aufbau in den zerstörten Ländern sorgt und damit die Rückkehr der Flüchtlingen ermöglicht. Dem Neokolonialismus Frankreichs ist ein Ende zu setzen.

Frankreich in Aufruhr: Herrschendes System so korrupt wie nie

Das gilt auch für unmenschliche Merkmale des Front National – Rassismus und Ausgrenzung von Menschen. Allein um sich dagegen zu wenden, stimmten viele Franzosen für Macron, der aber auch von einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung profitierte. Deshalb ist seine Wahl alles andere als glänzend ausgefallen. Die Mehrheit seiner Wähler hat ihn nur gewählt, weil sie Marine Le Pen verhindern wollten. Ob seine Regierung die sozialen Probleme aufgreift und realistische Lösungen anbietet, wird sich bald zeigen. Er muss der Präsident aller Franzosen sein und der Präsident eines geeintes Landes. Ist er der „Kandidat der Wahrheit und des politischen Anstandes“, wie Stefan Kornelius ihn ausmalt? (Leitartikel in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 8.5.12: „Frankreich – Maß und Mitte“) Das muss sich erst noch zeigen. Frankreich ist in Aufruhr, das herrschende System entlang der Sarkozy-Hollande Regierungen so korrupt wie nie. Zudem hat Frankreich mit seinen gescheiterten Regierungen „den permanenten Terror“ auf sich gelenkt als unmittelbare Folge seiner Aggressionen und kostspieligen neokolonialen Kriege in Libyen und Syrien. Macron als Zäsur bekommt damit eine existentielle Bedeutung für Frankreich.

Die Beteiligung der französischen Streitkräfte an neokolonialen Kriegen im Mittleren Osten und in Afrika verordnete der falsche Sozialist Hollande gegen den Widerstand einer Mehrheit von 70 Prozehnt der Bevölkerung Frankreichs, die sechs Monate lang zu Millionen auf die Straßen gegangen war. Also nicht nur in der Innenpolitik sondern auch in der Außenpolitik braucht Frankreich eine grundsätzliche Wende von der verheerenden Linie der gescheiterten Sarkozy-Hollande Regierungen.

Erkennen, wie destruktiv das neoliberale System in der Gesellschaft wirkt

Hoffentlich gelingt dem hypernervösen Establishment und seinen Medien in Paris und hierzulande ein Moment der Besinnung, um zu erkennen, wie destruktiv das neoliberale System in der Gesellschaft wirkt, wie es den Weg solchen demagogischen Politikern ebnet, die für die Probleme einfach einen Sündenbock benennen: Die Fremden. Der Zerfall und die Orientierungslosigkeit der französischen Gesellschaft, aber vor allem ihrer Parteien, sind jetzt so stark sichtbar wie nie zuvor. „Diese Präsidentschaftswahl spiegelte die Orientierungslosigkeit der Franzosen wider“ und „Bei diesem Problembündel zeugt das Wahlergebnis geradezu von hoher demokratischer Reife“, kommentiert Kornelius zurecht.

Ohne alten ideologischen Ballast handeln

Macron erkannte früh den Zerfall der politischen Landschaft und die Abwendung der Wählerschaft von den traditionellen Parteien, der republikanischen und der sozialistischen Partei. So löste er sich selbst von den Sozialisten und gründete 2016 die unabhängige mit Bewegung En Marche, um ohne alten ideologischen Ballast handeln zu können. Er kann auf diese Weise an linke wie rechte Wählergruppen appellieren. Dominique de Villepin wäre eine exzellente Wahl als Premier oder Außenminister, um die Außenpolitik in den Rahmen der internationalen Rechtsstaatlichkeit zurückzubringen, ein Rahmen, aus dem Frankreich und Europa seit langem gefallen sind mit allen fatalen Konsequenzen.

Abkehr der Menschen von den herkömmlichen politischen Lagern

Stefan Kornelius in seinem Leitartikel (SZ, 8.5.2017): "Das Wahlergebnis und die niedrige Wahlbeteiligung zeigen aber auch, wie gering die Lust der Macron-Wähler war... Das Resultat für Le Pen ist beachtlich. Sie hat … den Front National fest im französischen System verankert... Die Macron-Präsidentschaft gibt Frankreich (und der EU) deswegen eine Art Gnadenfrist." Sie ist ihre letzte Karte. Muss Macron die Parteienlandschaft ordnen? Den Einfluss des Parlaments und mithin der Parteien zu beschneiden, wie er angekündigt hat, könnte ein Kohabitationsmodell ermöglichen, in dem er nicht nur mit einer Partei aus dem oppositionellen Lager, sondern wohl gleich mit mehreren Parteien einen Regierungskonsens finden muss. Die Abkehr der Menschen von den herkömmlichen politischen Lagern ist schon eine Wirklichkeit. Frankreichs Wähler haben ausgedrückt, dass sie sich nicht mehr von der herkömmlichen Politik repräsentiert fühlen. Das Land braucht einen Staatsmann, der eine Politik für die Menschen und nicht für die Finanzwelt betreibt. Diese notwendige Forderung der Mitte und Banlieus hat der Linke-Kandidat Jean-Luc Mélenchon begriffen. Und auch Marine Le Pen. Kornelius: "Die nächste Wahl liegt für den Front National nur fünf Jahre entfernt." Etwa elf Millionen Franzosen haben den Front National gewählt, ein Rekord. Viele haben sich enthalten, so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sofort nach der ersten Hochrechnung räumte Marine Le Pen ihre Niederlage ein und gratulierte Macron zu seinem Wahlsieg. Eine ganz normale Geste, die zur hohen Tradition Frankreichs und aller Demokratien gehört.

Damokles-Schwert über Frankreich und Europa

Mit dem neuen Präsidenten Frankreichs und seiner Bewegung En Marche sollte also ein fundamentaler Wandel beginnen, vor allem der Bruch mit dem korrupten System, der Wandel, den die Wähler, vor allem die jungen Generationen, wünschen. Macron ist es gelungen, binnen eines Jahres eine neue, parteiübergreifende Bewegung aufzubauen, die per Wählerbefragung an der Haustür oder per Internet die Demokratie von unten wiederbelebt hat. Für die Menschen, die nicht mehr wählen gehen, ist das Internet Quelle für neue politische Orientierung, denn die etablierte Politiker-Kaste und die Presse haben sich an der Seite des Establishment völlig diskreditiert. Die Medien gelten nicht mehr als Staatskontrolle, am wenigsten als Sprachrohr für den Wandel, um notwendige Veränderungen zu erreichen. Die Frage, in welche gesellschaftliche Katastrophe der Finanzkapitalismus Frankreich und Europa gestoßen hat, wird medial vermieden, verschwiegen. Sollte Macron in der Kontinuität der Regierung Hollande stehen und den weiteren sozialen Abbau betreiben, steht am Ende der Ruin des Landes und der EU. Dieses Damokles-Schwert schwebt über Frankreich und Europa.


Verfasst am 9.5.2017 unter Bezugnahme auf den Leitartikel in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 8.5.2017: „Frankreich – Maß und Mitte“ von Stefan Kornelius


Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war tätig im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit, die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen, einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland, für die deutsche Friedensbewegung, für bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen. Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin “Perfiles Liberales”, und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal. Einige ihrer Gutachten (so zum Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.


Online-Flyer Nr. 612  vom 10.05.2017



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