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Globales
Niederländisches Wahlergebnis verspricht schwierige Zeiten
Eliten jubeln verfrüht
Von Rainer Rupp

In den Niederlanden hat die marktkonforme Demokratie gesiegt. Die Regierungsparteien wurden aber massiv abgestraft, der Populist Wilders hat zugelegt. Marine Le Pen muss deshalb nicht bangen: Der Front National ist viel besser aufgestellt als die PVV. Wenn man aus dem Stegreif zehn weltberühmte Politiker nennen soll, dann wird den allermeisten Menschen niemand aus den Niederlanden in den Sinn kommen. Und doch hatten diese Woche die selbsternannten Eliten der gesamten westlichen Welt in Erwartung des Wahlausgangs am Mittwoch wie gebannt nach Den Haag gestarrt.

Als dann deutlich wurde, dass der als Demagoge beschimpfte Geert Wilders nicht genug Stimmen bekommen hatte, um als Seniorpartner über Koalitionen verhandeln zu können, fiel allen ein großer Stein vom Herzen.

Auch Kanzlerin Merkel war sichtlich erfreut über das Wahlergebnis in den Niederlanden: "Ein Sieg für die Demokratie", strahlte sie in die Kameras, als ob die Einführung einer absoluten Monarchie oder die Errichtung einer Theokratie – immerhin vielleicht eine Option für die calvinistische SGP oder die islamistische DENK – ernsthaft zur Debatte stand. Natürlich meinte sie mit dem Begriff die von ihr bevorzugte Form der marktkonformen Demokratie.

Ihre Freude wird an der Wallstreet geteilt. So meint Stephane Ekolo, Europa-Chefstratege für Market Securities: "Für die Märkte ist das Ergebnis eine große Erleichterung, und es wird amerikanische und britische Investoren inspirieren, ihre Prognosen für die französische Präsidentschaftswahl zu überprüfen. Es ist positiv für europäische Finanzvermögenswerte. […] Wir sind wieder im Geschäft."

Der gesunde Menschenverstand der Niederländer hat das populistische Schreckgespenst bezwungen, hieß es landauf und landab. Die Börsenanalysten melden Entspannung. Und natürlich würde das Ergebnis in den Niederlanden auch einen negativen Einfluss haben auf die Erfolgschancen von Marine Le Pens Front National bei den Wahlen in Frankreich im April und auf die der AfD in Deutschland im Herbst.

VVD minus 12 Sitze, Sozialdemokraten regelrecht gerupft

Beruhigt können sich die Eliten im bequemen Sessel zurücklehnen. Alles wird weitergehen wie gehabt. Merkel hatte Recht: Es gibt keine Alternative. Diese Botschaft versuchen zumindest auch die Mainstreammedien dem Volk zu vermitteln. Aber stimmt das?

Erst einmal enthält der vermeintliche großartige Sieg von Premierminister Mark Ruttes neo-liberaler, rechts-konservativer Partei für Freiheit und Demokratie (VVD) einen kräftigen Schuss bitteren Wermuts. Mit 22 Prozent der Stimmen hat die VVD von allen Parteien zwar die meisten Parlamentssitze (29) erhalten und es obliegt ihr, die Koalitionsregierung zu bilden. Dennoch hat sie aber im Vergleich zur letzten Wahl 12 Sitze verloren und damit über ein Viertel weniger Abgeordnete im Parlament als zuvor.

Noch katastrophaler hat es die PvdA (Partei der Arbeit) erwischt. Ebenfalls neoliberal gewendet ist sie in etwa mit der deutschen Sozialdemokratie zu vergleichen. Als Juniorpartner in der Regierung von Rutte hat sie mit dessen VVD nach deutschem Vorbild mit Hartz-VI-ähnlichen "Reformen" soziale Errungenschaften der Arbeiterschaft auf den Müllhaufen gekippt. Ihre Liebedienerei gegenüber den Konzernen musste die Partei der Arbeit nun teuer bezahlen. Von 38 Parlamentssitzen bei den Wahlen 2012 sind ihr jetzt nur noch neun geblieben.

Die desaströsen Wahlergebnisse für die beiden Regierungsparteien sprechen nicht gerade für eine breite Zustimmung der Massen für die bisherige Politik. Von einer Botschaft des "Weiter wie gehabt" kann daher keine Rede sein, zumal Rutte sich mindestens drei weitere Koalitionspartner in die Regierung holen muss, um eine Mehrheit von 76 Sitzen im Parlament zu haben, das 150 Sitze zählt. Das wird dadurch erschwert, dass die Partei von Wilders von zuletzt 15 Sitzen auf nunmehr 20 zugelegt hat.

Niederländische Wirtschaft stabil, Wilders-Programm eindimensional

Das Wahlergebnis zeigt also, dass die bisherige Regierungspolitik massiv abgestraft wurde und zugleich die Zustimmung zu Geert Wilders um etwa ein Drittel zugelegt hat. Nur die vom Wunschdenken verschwurbelte Logik der Politiker und Mediengurus können in einem solchen Ergebnis eine negative Signalwirkung für Le Pen und AfD erblicken. Zudem sprechen erhebliche strukturelle Unterschiede in der Ausgangsposition von Le Pen im Vergleich zu Wilders für einen weitaus größeren Erfolg des Front National.

Misst man die Niederlande am Zustand von Rest-Europa, dann stehen sie wirtschaftlich recht gut da. Sie sind eines der erfolgreichsten Euro-Mitgliedsländer mit einer Wachstumsrate, die höher ist als in Deutschland – bei einer Arbeitslosigkeit von nur sieben Prozent.

Dennoch hat Wilders mit seinem eindimensionalen Wahlkampf, der sich weitgehend auf extreme Islamophobie beschränkte, einen massiv erhöhten Anteil an Parlamentssitzen gewonnen. Womöglich hat das Ausbleiben eines größeren Erfolges damit zu tun, dass von den knapp 17 Millionen Niederländern – Stand 2016 – etwa 22 Prozent einen Migrationshintergrund haben.

Im Unterschied zu den Niederlanden steckt Frankreich in einer tiefen Wirtschaftskrise, die fast alle Bereiche der Ökonomie ergriffen hat. Die Arbeitslosigkeit, besonders die der Jugend, ist erschreckend hoch. Breite Schichten der Bevölkerung geben dem Euro und der EU die Schuld für diese Entwicklung.

Zugleich gibt es inzwischen in Frankreich eine breit gefächerte Ablehnung der Immigration und eine eigene Form von Islamophobie, gemischt mit Rassismus. Auch gegen Deutschland als Möchtegern-Führer der EU, der Frankreich diktieren will, richtet sich zunehmend der Zorn vieler Franzosen. Das Auffangbecken für all diese Wählerschichten, einschließlich der von der neo-liberalen Globalisierung Abgehängten, ist der Front National. Daher ist Le Pen mit ihrer Partei weit besser und breiter aufgestellt als der aus dem limburgischen Venlo stammende Wilders.

Herrschende vor weiterem Pyrrhussieg

Daher gehen die meisten Wahlbeobachter davon aus, dass Marine Le Pen es problemlos in den zweiten Wahlgang um die Präsidentschaft schaffen wird. Dort aber werde sie sehr wahrscheinlich den Kürzeren ziehen, wenn auch nur knapp. Das Resultat aber wird sein, dass auch in Frankreich die Gesellschaft so tief gespalten sein wird wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Folgerichtig wird das in eine Politik münden, welche die nationalen Interessen Frankreichs über die der EU und ihrer Eurokraten stellen wird. Das bedeutet für Europa, dass schon im Sommer der politische Winter einziehen wird.

Auch wenn der Populismus derzeit nicht in der Lage ist, in Europa Mehrheiten zu erlangen, so heißt das nicht, dass er dieses Ziel dauerhaft verpassen wird. Eine Welle zieht sich immer erst zurück, bevor sie wieder mit Macht ans Ufer kommt. Weder Le Pen noch Wilders sind die Ursache für die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen unserer Zeit, sondern nur deren Symptome. Die zugrundeliegenden Probleme, die die steigende Popularität solcher Bestrebungen verursacht haben, sind nicht weg, sondern sie werden nach den Wahlen lediglich aus den Schlagzeilen verschwunden sein.

Und wer auch immer auf der nächsten Welle daherkommen wird, wird womöglich noch radikaler und intoleranter sein als Le Pen und Wilders. Denn die Politik des Konsenses der Mitte der letzten Jahrzehnte ist tot. Es gibt kein stabiles Zentrum mehr, sondern nur zunehmende Polarisierung und Radikalisierung.

Mit freundlicher Genehmigung übernommen von RT Deutsch – Erstveröffentlichung am 17.03.2017

Online-Flyer Nr. 605  vom 22.03.2017



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