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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Wenn die Stunde der Führer schlägt
Von Evelyn Hecht-Galinski

Die traurige Realität meiner vielen Artikel seit Jahren scheint nun endgültige, traurige Gewissheit zu werden. Das Mantra der Zweistaatenlösung und die Phrase von „zwei Staaten für zwei Völker“ scheint sich endgültig erledigt zu haben. Nach der letzten Nahost-Rede von US-Außenminister Kerry tönt es aus dem fernen Jerusalem von Netanjahu: "Israel braucht keine Belehrungen von außen für den Frieden" und vom rechtsradikalen Erziehungsminister Bennet von der Siedler-Partei: "am 20.Januar nehmen wir Palästina von der Tagesordnung". Trump lässt grüßen, der schon sehnsüchtig von jüdischen Führern erwartet wird. So wurde Netanjahu auch persönlich gebeten, der Vereidigung von Trump zum US-Präsidenten in Washington beizuwohnen. Netanjahu könnte nach der Trump-Einsetzung die Endphase des zionistischen Landraubs vollenden, aber wird er dann Bennetts Vorschlag folgen und die Annexion des gesamten besetzten Westjordanlandes in Angriff nehmen?

Dabei ist Palästina doch schon lange von der Tagesordnung der internationalen Staatengemeinschaft, die doch so viel Wert auf die Einhaltung des Völkerrechts besteht, verschwunden! Was hat Kerry letztlich mit seiner verbitterten Rede erreicht? Die Obama-Administration steht wie alle seine Vorgänger-Regierungen vor dem Scherbenhaufen einer verfehlten Politik gegenüber seinem teuren Lieblingsverbündeten Israel.

Kerry ist in seiner Rede leidenschaftlich für die Zweistaatenlösung eingetreten und hat Israel heftig kritisiert, aber dieser letzte Appell, nach Jahren misslungener Versuche, die illegale jüdische Besatzung Palästinas zu stoppen, scheint mehr als hilflos. Weder seine Aussage, dass "Israel von extremsten Elementen angetrieben wird", noch dass diese keinen Frieden, sondern nur Land wollen, ist neu, vielmehr ist diese zionistische Staatsräson des Landraubs für ein "Groß-Israel" seit der Staatsgründung bekannt. Und wer hat das alles ermöglicht? Es waren unter anderem die Milliarden von US$ Hilfen, die den "Jüdischen Staat" zu dem gemacht haben, was er heute ist. Kerrys Vorschläge einer Grenzziehung und Teilung Jerusalems sind doch ein alter Hut, wurden aber niemals von israelischen Regierungen akzeptiert. So kam diese "Kerry Ketchup"-Rede Jahrzehnte zu spät und wird letztendlich ohne Konsequenzen bleiben.

Der "Jüdische Staat" wurde hochgepäppelt zu einem rechtsradikalen faschistischen Regime, das sich selber zur "einzigen Demokratie im Nahen Osten" fantasiert und als westliches Bollwerk gegen die muslimischen Terroristen (sprich: arabische Welt) hausieren geht, darf ungestraft weitermachen mit der gegen das Völkerrecht gerichteten illegalen Besatzung Palästinas.

Irreführung

Immer wieder haben wir es mit dieser Irreführung zu tun, nämlich dass der "Jüdische Staat" jüdisch und demokratisch sei. Ein "Jüdischer Staat", der sich auf judaistischen Thora-Gesetzen bezieht, ein "Groß-Israel" der „Auserwählten“, das in einem unverbrüchlichen Pakt mit Gott bis in alle Ewigkeit nur dem "Jüdischen Volk" gehört. Mit diesem "göttlichen" Argument wähnt man sich konkurrenzlos, gefeit gegen alle politischen Argumente. Schon schlug die berüchtigte Likud (Un-)Kulturministerin Miri Regev Kerry vor, er solle doch lieber Washington anstatt Jerusalem zu teilen und gipfelte in der Behauptung, "Jerusalem sei die Hauptstadt von Israel und das seit 3000 Jahren und das wird es für die nächsten 3000 Jahre auch bleiben". Diese Ministerin, die israelische Künstler, die sich weigerten, in illegalen Siedlungen aufzutreten, mit quasi Arbeitsverbot zur Räson zu bringen versuchte, und damit eine Kultur-Zensur betreibt, die man sonst nur aus Diktaturen kennt. Regev zeigt genau den Weg dieser unheilvollen Politik, die ins Verderben für ein freies Palästina führt. Währenddessen wollen Justizministerin Ayelet Shaked und der Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, ein neues Gesetz auf den Weg bringen, um "hetzerische" Posts bei Facebook,  youtube und Co. löschen zu können, um so unliebsame Gegner auszuschalten. Denn nicht die illegale Besatzung Palästinas, die es laut israelischer Politiker gar nicht gibt, die Hoffnungslosigkeit und Demütigung der palästinensischen Jugend, sei schuld am Widerstand leistender Palästinenser, sondern die "mörderische Aufhetzung" des Internets, so einfach ist das zionistische Besatzungs-Weltbild. Schließlich ist Shaked ja Fachfrau für hetzerische Postings auf Facebook, denn vor nicht allzu langer Zeit forderte sie dort, nicht nur palästinensische "Terroristen", sondern auch deren Mütter sollten getötet werden, damit sie keine kleinen Schlangen mehr gebären können! Unbeschadet dieser ungeheuerlichen Äußerung veranstaltete der deutsche Justizminister Maas (SPD) in trauter Einigkeit mit Shaked eine Konferenz, ausgerechnet zum Thema „Demokratie und Rechtsstaat“!

Neben vielen rassistischen Sprüchen, in die sich die Shaked-Äußerung nahtlos einfügt, bezeichneten Siedler-Rabbiner und Sprecher Kerry als "schlechtesten" US-Außenminister aller Zeiten und warfen der Obama-Regierung vor, Israel als engstem Verbündeten "ein Messer in den Rücken gerammt zu haben". Allerdings kann davon gar keine Rede sein, denn vielmehr beißt der "jüdische Hund" in die Hand des US-Herrchens, nachdem von der Obama-Regierung Rüstungsgüter und finanzielle Hilfen nochmals aufgestockt wurden!

Durch seinen ultra-religiösen Nationalismus hat sich der "Jüdische Staat" zu einem "Gottes-Staat" entwickelt, der allen „Feinden“ auf Erden trotzt, immer das Recht auf seiner Seite wähnt, Menschenrechte und die illegale Besatzung Palästinas als nicht existent bezeichnet, sich in seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit als gerechtfertigt eingerichtet hat, und im Bewusstsein als auserwähltes Volk und nach dem Holocaust glaubt, alle göttlichen und damit weltlichen Werte auf seiner Seite zu haben.

Jahrzehntelange illegale Besatzung Palästinas


Mit der jahrzehntelangen illegalen Besatzung Palästinas haben diese jüdischen Fundamentalisten Fakten geschaffen, die eine Zweistaatenlösung niemals gewollt und schon längst beerdigt haben. Der Faktor Zeit hat dem Netanjahu-Regime, wie so vielen anderen israelischen Regimes zuvor, geholfen, und die mehr als zurückhaltende Kritik von Seiten der „Wertegemeinschaft“ ließ sich gut verkraften, wussten sie doch immer, dass diese Kritik nicht mehr als ein Pfeifen im Walde ist, darüber hinaus, sich Deutschland mit seinem "besonderen" Verhältnis immer wieder mit den israelischen Regimes solidarisiert hat. Wenn also Außenminister Steinmeier in Absprache mit Kanzlerin Merkel die Kerry-Rede positiv bewertete und die Siedlungspolitik kritisierte, kann man nur den Kopf schütteln angesichts dieser Heuchelei. Wie lange noch kann sich Netanjahu trotz aller Differenzen sich brüsten, sich auf Merkel und Berlin als wichtigsten europäischen Partner verlassen zu können? Tatsächlich erleben wir in Deutschland eine philosemitische Welle, die den Antisemitismus nahtlos ablöst hat, angeführt von Merkel und Politikern nahezu aller Parteien. Vereint im Kampf gegen "islamistischen Terror", der zu einer nie geahnten rassistischen Stimmung führt, wie sich auch in der Silvester-Nacht in Köln gezeigt hat. Diese neue Art des vorsorglichen Versuchs der Verhinderung von Straftaten sollte uns alle mehr als besorgt machen. Heute sind es "Nafris", denen eine "Grundaggressivität bescheinigt wird, morgen sind es andere Missliebige der Staatsgewalt, wie z.B. Israel-Kritiker oder wer auch immer. Wenn also Merkel in ihrer Neujahrsrede von neuer Führung spricht, die Deutschland in Europa übernehmen wird, so fragt man sich, wohin soll das führen? Die immer stärker werdende mit einer rassistischen Grundaggressivität gespickte Redelust rechter Politiker von CDU/CSU bis AfD sollte uns mit großer Sorge erfüllen.

Wollen wir wirklich wieder die Führung in Kriegseinsätzen und sogenannter Anti-Terror Bekämpfung, auf Kosten der Freiheit für unsere vermeintliche Sicherheit übernehmen? Soll das unsere "christlich-jüdische Leitkultur" werden? Nein danke! Genug der deutschen Staatsräson für die Sicherheit von Israel, genug der politischen Predigten, von Gauck bis Merkel und vielen anderen. Ja, wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen, dafür lohnt es sich einzutreten 2017, sollte die Stunde der Führer schlagen.


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.

Top-Foto:
Evelyn Hecht-Galinski (sicht-vom-hochblauen.de)


Online-Flyer Nr. 595  vom 11.01.2017



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