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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Kommentar
Religion ist im Kern Herrschaftsideologie
Glaube an Macht
Von Harald Schauff

Wer in welcher Form auch immer an höhere Mächte und überirdische Welten glauben möchte, kann dies gerne tun. Dies gewährleistet das Grundrecht auf freie Ausübung der Religion. Jenes Grundrecht schließt jedoch ebenso die Möglichkeit ein, keiner Konfession anzugehören und nicht an eine höchste Macht, sprich Gott, und Sphären des Übersinnlichen zu glauben. Immer wieder hört und liest man über die Ausgrenzung und Verfolgung religiöser Minderheiten. Allenfalls am Rande erwähnt wird, dass auch Atheisten wegen ihres Unglaubens in zahlreichen Ländern verfolgt werden und nicht wenige sogar zu Tode kommen. Der Glaube an absolute Autorität und der Anspruch auf absolute Wahrheit, wie ihn die monotheistischen Religionen beinhalten, schließt von sich aus nicht unbedingt die Toleranz gegenüber Anders- und Ungläubigen ein, gerade, weil sie dessen Absolutheit in Frage stellen.

Genau an diesem Punkt sollte eine religionskritische Betrachtung ansetzen. Der herrschaftsskeptische, anarchistische Blickwinkel wirkt dabei erhellender als die oft bemühte gemäßigte, liberale Perspektive. Jene sieht die Religion an sich als harmlos, gut und nützlich an, leider würde sie immer wieder zu Machtzwecken missbraucht. Sie hebt die guten Seiten hervor: Religion sei Kulturgut, würde durch Prachtbauten wie Kirchen, Kathedralen, Moscheen, Synagogen, Tempel und Statuen zum Weltkulturerbe beitragen. Den Menschen darüber hinaus psychischen Halt und Lebenssinn geben und Gemeinschaft stiften. Jedoch: Bieten nicht auch nationalistische Denkmuster Gemeinschaftsstiftendes? In Abgrenzung zu bzw. durch Ausgrenzung von Anderen? Zugunsten politischer Macht?

Abglanz aller weltlichen Herrschaft und Autorität

Der vermeintliche Missbrauch von Religion zu politischen Zwecken würde voraussetzen, dass Religion an und in sich unpolitisch sei und rein gar nichts mit Macht und Herrschaft zu tun habe. Der genaue Blick in Glaubensschriften und auf Rituale offenbart eher das Gegenteil: Gerade der Monotheismus hat fast ausschließlich damit zu tun. Gott wird als höchste Herrschaftsinstanz, als oberster Lenker, als Wesen von Autorität überhaupt angebetet und ist hierin Abglanz aller weltlichen Herrschaft und Autorität. Macht an sich wird mitsamt den dazugehörigen Strukturen der Ober- und Unterordnung nicht nur personifiziert, sondern auch mystifiziert, d.h. ins Übersinnliche, Überirdische erhoben, um irdische Machtverhältnisse zu rechtfertigen. Weltliche Macht wird ‘im Namen Gottes’ oder ‘von Gottes Gnaden’ ausgeübt. Der Glaube an das Gute, das von Oben kommt, soll Demut vor irdischen Obrigkeiten lehren. Dazu passen Gebetsrituale, welche Unterwerfung signalisieren: Den Kopf senken, Verneigen, Hinknien, mit der Stirn den Boden berühren.

Religion, zuvorderst der Monotheismus, ist im Kern also immer Herrschaftsideologie. Also solche stützt sie selbst nicht nur bestehende Herrschaftssysteme und Hierarchien, sondern dient selbst unmittelbar zur Errichtung von Machtstrukturen. Man denke an privilegierte Priesterkasten und klerikale Obrigkeiten wie Kirchenfürsten, die es nicht nur im Monotheismus, sondern auch im Buddhismus gab und gibt. Immer wieder stößt man auf die Zweiteilung: Hier die Hirten, dort die Schäfchen. Hier die Prediger und Verkünder, dort die Gläubigen. Hier die Vorbeter, dort die Betenden. Hier die Sender, dort die Empfänger.

Nicht vom Himmel gefallen

Über die Jahrhunderte und Jahrtausende bewährten sich vor allem die monotheistischen Glaubensrichtungen mit ihrer Verehrung des einen wahren Gottes als Machtmittel. Als jene wurden sie gebraucht und nicht missbraucht. Eben, weil sie ideologisch gut brauchbar waren für die Ausübung politischer Macht. Genau dies begründet hauptsächlich ihre historische Ausbreitung. Das Christentum erhielt seinen entscheidenden Schub, als das Papsttum das römische Reich beerbte und dessen Infrastruktur, u.a. das Straßennetz und die Wasserleitungen, übernahm. Über den Glauben an Macht entstand ein neues Herrschaftssystem auf den Ruinen eines alten. Ohne diese historische Voraussetzung hätte sich das ‘Buch der Bücher’, die Bibel, nicht in dem Ausmaß weltweit verbreiten können. Viele fundamentalistisch ausgerichtete christliche Strömungen, die überzeugt sind, die einzig wahre Auslegung des ‘Wort Gottes’ zu besitzen, hätten aller Wahrscheinlichkeit niemals davon gehört. So hat alles seine geschichtlichen Wurzeln, die zeigen: Es ist nicht vom Himmel gefallen.

Das Zeitalter der Aufklärung mag die Religion vieler Orten, vornehmlich in Europa, nach und nach zurück gedrängt und von der direkten Ausübung politischer Macht ausgeschlossen haben. Gleichwohl sind ihre herrschaftsideologischen Dienste immer noch erwünscht. Da, wo auch die sich demokratisch dünkenden westlichen Gesellschaften noch autoritäre Züge aufweisen wie z.B. inder Arbeitswelt mit ihren Über- und Unterordnungs-Strukturen, bleiben ihr Hintertüren. Zu gut hat sie sich über die Jahrtausende darin bewährt, den Einzelnen von innen her gefügig zu machen durch das Antrainieren von Schuldgefühlen und vorauseilendem Gehorsam. Nicht von ungefähr ist in Glaubenstexten verdächtig oft von Schuld und Sühne die Rede. Auf der anderen Seite sollen Trost und Hoffnung gespendet werden. Strenger Blick und erhobener Zeigefinger wechseln mit väterlichem Rat und Zuspruch. Dieser autoritäre Doppelsinn soll Gläubige auf Linie halten. Ein uralter Mechanismus, der bis in die Gegenwart funktioniert. Mit demokratischen Prinzipien ist er schwerlich in Einklang zu bringen. Er fördert Unterwürfigkeit mehr als Kritikfähigkeit. Im Extremfall, bei radikaler, einseitiger Auslegung der Schriften, kann er Faschismus, Despotismus und Terrorismus begünstigen. Wo sich kritisches Denken und demokratische Verhältnisse durchsetzen, befindet er sich zwangsläufig auf dem Rückzug.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2016, erschienen.

Online-Flyer Nr. 578  vom 07.09.2016



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