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Kommentar
Ein schädliches Placebo aus dem Kanzleramt
Kapitalismus rettet Flüchtlinge
Von Ulrich Gellermann

Er wird in die Geschichte eingehen, der 14. September 2016. Denn an diesem Tag trafen die wichtigsten deutschen Konzernchefs im Kanzleramt auf Angela Merkel, um über die Flüchtlinge und darüber, wie man die denn schaffen kann, zu beraten. Um Lehrstellen ginge es, und um Jobs, vertraute uns die BILD-Zeitung an, ein Blatt der Merkel-Freundin Friede Springer. Fraglos trafen sich hier die Richtigen: Konzerne wie Siemens, Evonik, Opel, RWE und VW gehören zu denen, die überall in der Welt Rohstoffe so billig einkaufen, dass es die heimische Bevölkerung teuer zu stehen kommt und sie lieber ihren Rohstoffen hinterher flüchtet. Natürlich wollte die Merkel nicht über die brutale Vernichtung der Lebensgrundlagen der Geflohenen reden. Auch war sie geschickt genug, keinen Vertreter der Rüstungsindustrie einzuladen, aber die Deutsche Bank am Merkel-Tisch reicht schon: "Die Deutsche Bank kennt kaum Skrupel und unterhält zu fast allen großen Rüstungskonzernen (...) Geschäftsbeziehungen: Dazu zählen auch acht der zehn weltweit größten Waffenhersteller, die allesamt in die Herstellung von Atomwaffensystemen verstrickt sind und Rüstungsgüter in Krisengebiete exportieren (...) oder an Staaten liefern, die Menschenrechte missachten." Das schreibt der Verein FACING FINANCE in seiner Studie „Die Waffen meiner Bank“. Eine Analyse, die Frau Merkel nicht lesen darf: Ihre Lügen über die Fluchtursachen wären nicht mehr ganz so überzeugend.

Groß gerechnet...

Er wird in die Geschichte eingehen, der 14. September 2016. Denn der Verein „Wir zusammen“, die Integrationsintiative der deutschen Wirtschaft, erhielt im Kanzleramt seine höheren Weihen. Genauer: Die Verursacher durften den Opfern ihres Tuns öffentlich Placebos überreichen. Denn natürlich findet sich die wesentliche Flucht-Ursache in der Spaltung der Welt in Arm und Reich. Und ebenso selbstverständlich werden die Reichen eine Medienöffentlichkeit finden, die Ihre Brosamen ehrfürchtig als große Wohltaten verkaufen wird. Ralph Dommermuth zum Beispiel, Initiator der „Integrationsintiative“ und Internet-Unternehmer – er wird auf ein Vermögen von 4,2 Milliarden Dollar geschätzt – hatte aus seiner privaten Westentasche mal 20 Millionen Euro für die Teilnahme eines deutschen Bootes beim America’s Cup auf den Protz-Tisch deutscher Unternehmer gelegt. Wer jetzt rechnet, was man für 20 Millionen alles an Flüchtlingshilfe leisten könnte, der rechnet klein. Groß gerechnet sind die Löhne, die andere Wohltäter, wie die Hugo Boss AG, an potentielle Flüchtige in ihren Heimatländern spenden: In der Türkei zum Beispiel zahlt das Modeunternehmen ganz elegant kaum die Hälfte des dort vorgeschrieben monatlichen Mindestlohnes von 1002 Euro.

Der Boss-Gründer, Hugo Ferdinand Boss, kannte sich mit Fremdarbeitern aus: Der bekennende Nationalsozialist beschäftigte während der Hitlerzeit Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa. Das musste er, sonst hätte er die vielen Uniformen für SA, SS, Wehrmacht und HJ nie pünktlich liefern können. Von solcher Vergangenheit wollen auch die Manager der Evonik Industries AG, am Tisch der Merkel, nichts wissen. Heißt ihr Konzern doch inzwischen nicht mehr „Degussa“, denn der war einst mit der Produktion von Zyklon B, beschäftigt, mit dem Häftlinge in Auschwitz vergast wurden. Danach wurde dann das Zahngold der Juden umgehend an die Schmelzöfen der „Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt (Degussa)“ zur Weiterverarbeitung geliefert. Zu solch brutalen Profiteuren des Nazi-Regimes gehört auch die Familie Haniel, die als Franz Haniel & Cie. GmbH in der Flüchtlingsinitiative sitzt. Rund 4.000 Zwangsarbeiter könnten das belegen, wenn sie denn noch lebten. Einer der Konzern-Gründer, der deutschnationale Karl Haniel, war ein Sponsor Hitlers und wußte über die Nazis zusagen: „Man müsse nunmehr auch die guten Seiten des Nationalsozialismus anerkennen. Für das Ruhrgebiet bedeute der Nationalsozialismus die Erlösung von dem Kommunismus.“

Nicht über die wirklichen Fluchtursachen reden

Erlösungen aller Art wurden am 14. September 2016 im Kanzleramt eher nicht besprochen werden. Aber vielleicht statteten die Haniel-Beauftragten der Kanzlerin ihren Dank für die Endlos-Verschleppung der Erbschafts-Steuerreform ab. Immerhin zählen die Haniels zu den zehn reichsten deutschen Unternehmerfamilien. Das Vermögen der Dynastie beläuft sich auf rund 6,5 Milliarden Euro. Die Erbengemeinschaft besitzt Anteile an 800 bis 900 Unternehmen. Ihr Gesamtumsatz wird für 2014 mit 3.944 Milliarden Euro angegeben. Da wurde ordentlich was gespart, wenn man an den schönen Erbschaftsteuer-Rabatt denkt, den CDU und SPD dieser und anderen Sippen seit Jahren gewähren. Auch die Familie Voith – sie gehört heute zu den reichsten Familien Deutschlands, das Vermögen der etwa 40 Inhaber des Weltkonzerns ist laut Schätzung des „Manager Magazins“ 2012 auf 3,2 Milliarden Euro gestiegen – durfte sich bei der Merkel bedanken und sicher sein, dass im Kanzleramt nicht über die wirklichen Fluchtursachen geredet wurde.

Rund fünf Millionen Menschen leben in Deutschland von Hartz 4. Und natürlich sehen sich viele von ihnen in Konkurrenz zur den Flüchtlingen: Auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt und auf dem Markt der Almosen. Wer Flüchtlingen und Arbeitslosen Arbeit verschaffen wollte, der müsste nur die Arbeitszeit senken. Allein die mehr als eine Milliarde an jährlichen Überstunden weisen auf ein dickes Arbeitszeitpolster hin. Längst ermöglicht die Arbeitsproduktivität eine deutlich kürzere Arbeitszeit. Und eine kürzere Arbeitszeit ergäbe deutlich mehr Stellen. Aber woher sollten dann kostspieligen die Hochsee-Yachten kommen? Dann doch lieber Placebos, wie sie die Siemens-Personalchefin Janina Kugel anbietet: Der Elektrokonzern habe 100 Praktikums-Stellen geschaffen und 66 Flüchtlinge zur Vorbereitung auf eine mögliche Ausbildung in Förderklassen eingestellt. Allein die bekannt gewordenen schwarzen Kassen des Siemenskonzern waren mit 1,3 Milliarden Euro gut genug gefüllt, um viele weitere Stellen zu schaffen. Was Siemens die eifrige Lobby-Arbeit von Joschka Fischer und der ehemaligen US-Außenministerin, Madeleine Albright, kostet, ist unbekannt. Obwohl man deren Unterhalt durchaus folgerichtig für die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien verwenden sollte. Schließlich waren beide an der Zerschlagung des Landes erfolgreich beteiligt.

Illusion des Grundgesetz-Artikels 14

Der 14. September 2016 wird in die Geschichte eingehen. Als jener Tag, an dem im Berliner Kanzleramt eines der größten und schädlichsten Placebos Deutschlands hergestellt wurde. Die beschwichtigende Illusion des Grundgesetz-Artikels 14, der tatsächlich die Verpflichtung des Eigentums zum „Wohle der Allgemeinheit“ verspricht, wurde groß an die Wand der Republik gemalt. Dass im selben Artikel auch „eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit“ für zulässig erklärt wird, ist in Vergessenheit geraten. Dabei wäre genau hier jene Rezeptur zu lesen, die Heilung statt Verklärung erreichen könnte.


Erstveröffentlichung am 15. August 2016 bei rationalgalerie.de – Eine Plattform für Nachdenker und Vorläufer

Top-Foto:
Ulrich Gellermann (aus Video-Interview: deutsch.rt.com)


Online-Flyer Nr. 575  vom 17.08.2016

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