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Krieg und Frieden
Nachruf auf Walter Herrmann
Die Klagemauer gehört der ganzen Welt
Von Maria Mies

Am 26. Juni 2016 ist der Friedenspreisträger Walter Herrmann, der Initiator der Kölner Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht, die er 25 Jahre lang vor den Toren des Kölner Doms betrieben hatte, im Alter von 77 Jahren an einer bösartigen Krankheit gestorben. Am 11. Juli 2016 gab es zu Ehren von Walter Herrmann in der Kirche St. Theodor in Köln-Vingst eine Trauerfeier. Drei Tage später wurde er auf dem Südfriedhof in Köln-Zollstock beigesetzt. Zu den Rednerinnen und Rednern bei der Trauerfeier gehörte die Kölner Soziologie-Professorin Maria Mies. Ihr Nachruf auf Walter Herrmann wird hier wiedergegeben.

Wir hatten uns daran gewöhnt, dass Walter Herrmann Woche für Woche auf dem Vorplatz des Kölner Doms stand - bei seiner KLAGEMAUER - und mit den Leuten redete, die wissen wollten, was denn dieses merkwürdige, gebrechliche Gestell bedeuten sollte, das aus ein paar Latten bestand, die nur durch Seile miteinander verbunden waren und an denen Papptäfelchen hingen, auf denen vorübergehende Menschen irgendetwas geschrieben hatten. Oder lasen, was andere schon geschrieben hatten. Dieses Gestell konnte zusammengefaltet werden, und Walter transportierte es auf seinem Fahrrad von der "Alten Feuerwache" am Rande der Innenstadt zum Domplatz.


Am 8. Juni 2011 auf dem Hof der "Alten Feuerwache": Maria Mies und Farida Akhter (Bürgerrechtlerin aus Bangladesh) protestieren mit Walter Herrmann gegen Hausverbot und Polizeieinsätze

Auf diese Papptäfelchen konnten die Leute ihre Wut, ihre Empörung und ihre Trauer über die schlimmen Zustände in der Welt schreiben und an den Seilen aufhängen, so dass jeder lesen konnte, was da überall an Ungeheuerlichkeiten geschah, und wie man sich dagegen wehren könnte. Die Leute schrieben ihre Anklagen und Vorschläge in ihrer jeweiligen Landessprache nieder. Manchmal waren es Slogans oder Aufrufe, manchmal waren es auch Gedichte. Das Dauerthema der Klagemauer war, dass überall Kriege wieder „modern“ geworden sind und wie man den Frieden fördern kann.

Bis zu seinem Tod hat Walter Herrmann vor allem gegen den Krieg gekämpft, den der Staat Israel bis heute gegen die Palästinenser führt. Deshalb wurde er des Antisemitismus angeklagt, mit Prozessen überhäuft und beschimpft. Aber er machte weiter. Für die Stadt Köln und die Kirche war die Klagemauer ein Stein des Anstoßes. Die Polizei zerstörte die Klagemauer, verprügelte Walter, versuchte mit allen Mitteln, ihn von der Domplatte zu vertreiben. Das änderte sich jedoch, als das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erklärte, dass eine solche Klagemauer ein Dauerrecht habe. Schließlich gibt es in Deutschland immer noch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ihm wurde sogar der Aachener Friedenspreis verliehen.


Maria Mies und Heinrich Schulz vor Walter Herrmann (Exponat aus der Arbeiterfotografie-Ausstellung "68er-Köpfe") - bei der Trauerfeier am 11. Juli 2016 in der Kirche St. Theodor in Köln-Vingst

Jetzt ist er von uns gegangen. Der Domplatz ist verwaist. Doch die Klagemauer aus Latten und Seilen besteht weiter. Nicht nur konkret als Lattengestell mit Seilen und Papptäfelchen, sondern vor allem als Idee, die schon zu Walters Lebzeiten viel in der Welt verändert hat. Sie hat mehr bewirkt als die steinerne Klagemauer in Jerusalem. Sie wurde in verschiedenen Ländern nachgemacht. Sie zeigt, dass das Schwache stärker ist als das Starke. Sie hat viele Menschen aus allen Ländern der Welt erreicht und zum Nachdenken und zum Miteinander-Reden gebracht. Das ist schon der Anfang aller Veränderung. Krieg, Gewalt und Ungerechtigkeit sind nicht unser Schicksal.

Die Erfindung der Klagemauer war wirklich eine geniale Sache. Ich glaube, sie drückt Walters ganze Lebensphilosophie aus. Die Klagemauer kann leicht zusammengebaut werden, sie kostet sozusagen nichts. Latten, Seile und Pappe findet man überall. Sie ist beweglich, kann überall hin gebracht und an jeder Straßenecke aber auch vor jedem Dom, Hochhaus oder Konsumpalast aufgestellt werden. Sie kann auf einem Fahrrad transportiert werden und kann von jedem nachgemacht werden. Das heißt, man kann sie vervielfältigen. Sie ist an sich schon eine Demonstration. Dieses schwache Gestell zieht automatisch Menschen an, die dann miteinander reden. Wo gibt es heute noch so etwas? Walter hat kein Patent für die Klagemauer angemeldet. Sie gehört der ganzen Welt. Ist also Gemeineigentum. Sie bringt Menschen aller Länder zusammen, die dort ihre freie Meinung äußern können. Die Klagemauer ist eine urdemokratische, öffentliche Einrichtung im Sinne der griechischen Demokratie.


Maria Mies trägt ihren Nachruf auf Walter Herrmann vor - Trauerfeier am 11. Juli 2016 in der Kirche St. Theodor in Köln-Vingst

Für die Mächtigen der Welt ist sie eine Provokation. Für die einfachen Leute, die keinen Zugang zu den öffentlichen Medien haben, ist sie ein Zeichen der Hoffnung und Ermutigung. Vor allem wollte Walter Herrmann zeigen, dass jeder Mensch auch mit den geringsten Mitteln die Welt verändern kann. In diesem Sinne werden Walter Herrmann und seine KLAGEMAUER weiter leben.

Online-Flyer Nr. 571  vom 20.07.2016

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