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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Kommentar
Lehre der Geschichte
Böses Frühjahrserwachen
Von Harald Schauff

Eisekalt blies der Wind im März aus Osten. Er lieferte den passenden Kommentar zu den Ergebnissen am Superwahlsonntag den 13. Mit zweistelligen Stimmenanteilen fuhr das rechtsalternative Sammelbecken des Angst- und Wutbürgertums in die Landtage ein, am deutlichsten in Sachsen mit fast einem Viertel der abgegebenen Stimmen. Alle Erhellung durch Reportage- und Satiremagazine half nichts. Die aufklärungsresistente Vogel-Strauß-Fraktion unter der Wählerschaft liegt weit außerhalb ihrer Reichweite und zweifelt prinzipiell ihren Wahrheitsgehalt an: Alles ‘Lügenpresse’. Jene Fraktion ist weit größer als Politiker und Journalisten glauben. Und sie besteht nicht rein aus empörten Protestwählern, die den etablierten Parteien einen ‘Denkzettel’ verpassen möchten.

Gleichwohl dürfen sich auch die Denkzettel-Verabreicher fragen lassen, welcher Teufel sie geritten hat, ihr Kreuzchen ausgerechnet bei den deutschnationalen neoliberal-konservativen Stimmvieh-Treibern zu machen. Haben sie sich deren Wahlprogramm nicht richtig zur Gemüte geführt? Renaissance der Atomkraft, das Einpeitschen deutscher Tugenden bereits im Kindergarten, die Wiedereinführung der Wehrpflicht zur Verinnerlichung dieser Tugenden durch militärischen Drill, bewaffnete Grenzzäune wie zu besten Zonenzeiten, Privatisierung des Arbeitslosengeldes I, Abschaffung der Erbschaftssteuer und des Mindestlohnes, Einführung eines Bundesarbeitsdienstes, ‘Bürgerarbeit’ genannt. Gerade bei den letzten Punkten erstaunt, dass ein nicht geringer Prozentsatz von Erwerbslosen und Geringverdienern für die nationalistische Alternative stimmte. Diese will nach eigenem Bekunden die Partei der kleinen Leute sein.Um den Anschein zu wahren, soll das Programm nachgebessert werden. Heißt. Mit der diplomatischen Kreide angereichert werden, die AfD-Vertreter bei Talkshows geschluckt haben.

Viele Protestankreuzer haben sich offensichtlich mit extremem Tunnelblick die Rosinen aus dem bei den drei Landtagswahlen aktuellen Programm gepickt. Darin wurden mehr Volksentscheide und Bürgerbeteiligung gefordert. Klingt doch gut und vor allem demokratisch. Da fühlen sich auch ehemalige Grünen-Wähler/innen angesprochen. Etwa die mutige Dame, die bei ‘Hart, aber fair’ (14.3.) auftrat. Natürlich hat sie nichts gegen Ausländer und Flüchtlinge. Allerdings fürchtet sie, dass sich eines Tages ganz Afrika auf den Weg nach Europa macht, wie jemand in den 70ern prophezeite. Wieder obsiegt die Überfremdungsangst wie bei allen ‘Aber’-Sagern. Der Teufel an der Wand grinst.

Protest hin oder her, das Kreuzchen bei den Nationalisten gibt einen bedenklichen Denkzettel. Hier wird nicht weit genug oder in die falsche Richtung gedacht. Die empörte, verunsicherte Volksseele neigt im Zweifels- wie Krisenfalle nach rechts. Aus Angst vor einer ungewissen Zukunft und Mangel an Geschichtsbewusstsein klammert sie sich an nostalgische Vorstellungen von einem Gestern, wo angeblich alles besser war.

Die Wahlergebnisse im März drängen den historischen Vergleich nahezu auf: Bei den Reichstagswahlen 1928 kam die NSDAP auf geringe 2,63 % und war nicht mehr als eine bedeutungslose Splitterpartei. 1930, nur zwei Jahre später, landete sie erdrutschartig bei über 18 %. Auch damals gab es einen Anstieg der Wahlbeteiligung. Hintergrund war die zwischenzeitlich eingetretene Weltwirtschaftskrise, die Not, Elend und Verzweiflung unter der Bevölkerung verbreitete. Ähnlich erdrutschartig fielen auch die Zugewinne der Nazis in allen Länderparlamenten zu Beginn der 30er aus.

Zuletzt war es die Flüchtlingskrise, die der selbst ernannten Alternative von Rechts gehörig Auftrieb bescherte. Dieses Mal könnte es mehr sein als ein bloßes Zwischenhoch wie einstmals bei Schönhubers Republikanern und Freys DVU. Nämlich dann, wenn infolge der abkühlenden Weltkonjunktur eine tiefere Wirtschaftskrise aufträte und die soziale Ungleichheit weiter verschärfe. Dies würde vor Zerreißproben stellen, gegen welche die jetzige Flüchtlingskrise harmlos wirkte. Rechts bekäme noch mehr Zulauf.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Mai 2016, erschienen.

Online-Flyer Nr. 561  vom 11.05.2016

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