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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Krieg und Frieden
Debatte um das Thema "Feindbild Putin"
Katar-Erdgas-Pipeline und Lenin
Von Dietrich Schulze

In der Friedensbewegung und der Linken ist das Verhältnis zu Russland und seinem Präsidenten Putin eine umstrittene Frage. Klar ist, dass Putin wegen seiner eigenständigen Politik und des Zurückdrängens kolonialer Strukturen vom "Westen" und seinen Medien als Feindbild aufgebaut wird. Teile der Friedensbewegung und der Linken stimmen in diesen Kanon ein. In der NRhZ-Ausgabe der Vorwoche ist der Artikel "Putin betreibt keine imperialistische Politik" von Hartmut Barth-Engelbart, eine Replik auf einen in der Vor-Vor-Woche erschienenen Artikel von Dietrich Schulze, in dem dieser Putins Auffassung, Lenins Denken habe zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen, kritisiert hatte. Nun reagiert Dietrich Schulze auf Hartmut Barth-Engelbart und geht in seinem Artikel mit dem Titel "Katar-Erdgas-Pipeline und Lenin" dem "zentralen Grund für die Interventionen des russischen und deutschen Militärs in Syrien" nach.

Was soll denn nun ein solcher Titel bedeuten? Bitte um etwas Geduld. Zuerst über die Militär-Interventionen. Darüber ist viel geschrieben worden. Gibt es tiefere Gründe? Ja, die gibt es. Über den Zusammenhang wird in den Medien nicht (mehr) berichtet. Bitte lesen Sie den aktuellen IMI-Artikel von Mirko Petersen von der Uni Bielefeld „Der russische Krieg in Syrien und Moskaus Verhältnis zum Westen“ [1a]. Dieser Artikel bezieht sich anfangs auf den Artikel von Kai Ehlers „Der »Ukraine-Syrien-Komplex« – was will, was kann Putin?“ [1b].

Aus dem Petersen-Artikel ein paar Zitate: »Die zentrale strategische Frage, durch die das Assad-Regime für Russland Bedeutung erhält, ist die Infrastruktur der Gas-Pipelines der Region ... 1989 begannen Katar und der Iran das im Persischen Golf gelegene South-Pars/North Dome-Gasfeld auszubeuten, das mit 51 Billionen Kubikmetern Erdgas und 50 Milliarden Kubikmeter Erdgaskondensat das größte der Welt ist. Ca. zwei Drittel des Feldes liegen in Katar und ein Drittel im Iran. … Doch ein Glied in dieser Kette, Syrien unter Bashar al-Assad, weigerte sich, nicht zuletzt unter Druck seines Verbündeten Russland, dieser Pipeline zuzustimmen.«


Grafik „Strategische Ellipse und globale Gasvorkommen“ aus Artikel [1b] von Kai Ehlers

Es geht also um die Alternativen für das Milliarden-Geschäft der Energielieferung an Europa und die Bundesrepublik – aus Russland oder aus Nahost/Katar. Es wird uns alles Mögliche aufgetischt. Wieso wird dieses Milliarden-Motiv als Interventionsgrund nicht breit diskutiert? Weil es hier an das Eingemachte der kapitalistischen Weltordnung geht. Diese besteht bekanntlich im Kampf um die Verfügungsgewalt über Rohstoffe, notfalls mit militärischen Mitteln durchzusetzen, d.h. die eigenen Vorteile zu sichern und fremde zu begraben.

Ganz komisch ist, dass es im Jahre 2013 eine erhebliche öffentliche Debatte quer durch alle Strömungen gab. Hier nur zwei davon. Im Mai Rainer Rupp in AG Friedensforschung nach junge Welt „In Syrien geht’s ums Gas“ [2a]. Im August in Deutsche Wirtschafts Nachrichten „Schmutzige Deals: Worum es im Syrien-Krieg wirklich geht“ [2b]. Und bitte festhalten bei dem folgende Zitat aus DWN:

»Für die Russen ist Syrien von enormer strategischer Bedeutung, weil die Russen verhindern wollen, dass Katar für den europäischen Energie-Markt zur Alternative wird. ... Gegenwärtig ist Europa bereits vom russischen Gas-Monopol abhängig. ... Einer der wichtigsten politischen Berater von Gazprom ist der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. ... Es geht um schmutzige Deals. An diesen Deals hängt der Reichtum einiger weniger. Diese sind bereit, für ihre Interessen mit allen Mitteln zu kämpfen. Und sterben zu lassen. Das sind die Fakten einer globalen Wirtschafts-Ordnung. Syrien ist nur ein Kapitel in einer unendlichen, grausamen Geschichte.«

Und nun komme ich zu Lenin. Vor 99 Jahren erschien seine auf Marx basierende und viel gelesene - nicht nur im Osten - Analyse „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ [3].

Nur ein ganz knappes Zitat daraus: »Wir haben gesehen, dass der Imperialismus seinem ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus ist. ... Die monopolistische Beherrschung der wichtigsten Rohstoffquellen hat die Macht des Großkapitals ungeheuer gesteigert.«

Genau darum geht es hundert Jahre später immer noch. Diese Überlegungen nach dem militärisch erzwungenen Untergang des deutschen Faschismus und nach dem inneren Zerfall der siegreichen Sowjetunion sind im Wesentlichen unverändert gültig für die „westliche Welt“. Deren militärische Speerspitze NATO aus den Zeiten des Kalten Krieges besteht fort. Im Osten wird der Zerfall Russlands durch einen starken Staat mit machtvollem Militär zu kompensieren versucht. Der Sieger China über den japanischen Faschismus geht zum Glück andere Wege. Unter dem Stichwort BRICS möchte ich darauf zurück kommen.

NRhZ-Leser*innen werden ahnen, dass es einen Grund dafür gibt, warum ich auf Wladimir Lenin zu sprechen gekommen bin. Sein Vornamensvetter Putin hatte Lenin kürzlich geziehen, eine historische Atombombe unter Russland gelegt zu haben, wozu ich in NRhZ am 3. Februar Stellung bezogen habe [4a]. Über die Entgegnung in der NRhZ am 10. Februar „Putin betreibt keine imperialistische Politik“ [4b] muss nachgedacht werden. Dazu war der obige Ausflug in die Geschichte als Hilfestellung gedacht.

Dazu eine Klarstellung: Ich habe kein „Feindbild Putin“, sondern das „Feindbild Imperialismus“.

Mit der Personalisierung von Weltpolitik sollte sorgsam umgegangen werden, was nicht ausschließt Staatsoberhäupter wie Gauck, Merkel, Seehofer, Putin, Assad, Obama, Erdogan, Netanjahu, Tsipras und Hollande zu kritisieren, um nur mal diese zehn herauszugreifen.

In den USA zum Beispiel wird die Politik von einem militärisch-industriellen Komplex bestimmt. Deswegen wurde aus dem Friedensnobelpreisträger ein präsidialer Kriegsfürst. Ähnliche Komplexe bestimmen auch anderswo im Hintergrund die Politik.  

Nochmal zu Präsident Putin. Er möge doch bitte seine Lenin-Schelte überdenken und einmal Lenins zitierte Imperialismus-Analyse genauer studieren, um vielleicht einen Ausweg aus dem von ihm forcierten staatsmonopolistischen Kapitalismus mit seinem riesenhaften Atomwaffen-Arsenal zu finden. 

Dabei kann das BRICS-Bündnis und insbesondere China behilflich sein, das um ein Gegengewicht gegen die überbordende US-NATO-Kriegsstrategie bemüht ist. In meinem NRhZ-Artikel im August 2015 „Weltfrieden und Ökonomie Chinas“ [5] hatte ich als friedenspolitische Zäsur den China-Weg der ökonomischen Expansionspolitik der militärischen Expansionspolitik von USA und NATO gegenüber gestellt.

Bis jetzt war die Rede von russischem Militär in Syrien. Kurz danach folgte deutsches Militär. Ist es abwegig anzunehmen, dass auch hier der zentrale Grund das Katar-Erdgas ist. Denn die gegenüber der US-NATO-Politik gesprächsbereitere Rolle gegenüber Russland hat gewiss mit den Gazprom-Lieferungen (s. Ex-Kanzler Schröder) zu tun. Könnte es nicht sein, dass die Bundesrepublik einen neuen Kompromiss-Deal über die Aufteilung der Gaslieferungen aus Katar Iran und Russland nach Europa vor Ort in Syrien mit auskämpfen will?

Zum Abschluss fünf bedenkenswerte Überlegungen:

* Russland hat in Syrien von Beginn an eine allseits verträgliche politische Lösung angestrebt hat und ist jetzt erst zum Militärischen übergegangen.

* Im Ukraine-Krieg hat Russland ebenfalls diplomatische Lösungen wie das Minsk-Abkommen gesucht und gefunden.

* Das BRICS-Bündnis selbst hat z.B. mit der Atomwaffen-Politik Indiens [6], die sich auch gegen China wendet, eine problematische Komponente bekommen. Das gilt auch für Brasilien, das Atomwaffen-Pläne mit dem Angra-Reaktor in Anknüpfung an frühere Kooperationen mit Siemens und Forschungszentrum Karlsruhe (heute KIT) verfolgt, mit Unterstützung durch deutsche Hermes-Kredite [7].

* In der einzigen universalen Weltmacht USA beginnt es im Inneren zu knistern Bei den Vorwahlen in New Hampshire hat Bernie Sanders, der sich als demokratischer Sozialist um die Präsidentschaft bewirbt, völlig überraschend 60 Prozent der Wählerstimmen erhalten [8a].

* Bitte hören Sie dazu die SWR2 Campus-Sendung vom 13. Februar "Wie lässt sich der Kapitalismus überwinden" [8b] mit einem Statement von Prof. Wolfgang Streeck und über die Tagung „Jenseits des Kapitalismus“ an der Uni Wuppertal vom 4.-6. Februar.

„Nichts bleibt wie es ist. Wenn die Herrschenden gesprochen haben, werden die Beherrschten sprechen.“ Bert Brecht

Ein persönliches Nachwort. Meine Schwerpunkt-Aktivität ist und bleibt die Zivilklausel, wie in meinem NRhZ-Report vom 10. Februar demonstriert wurde [8]. Geschichtspolitische Betrachtungen wie diese haben seit meiner Beschäftigung mit dem doppelt von Nazis verfolgten jüdischen Nuklearphysiker L?on Gruenbaum (1934-2004) ständig zugenommen. Vielleicht ein kleines Abbild seines eigenen Weges vom Physiker zu einer geschichtswissenschaftliche Monographie über die Genese der Plutoniumgesellschaft [10].


Quellen:

[1a] http://www.imi-online.de/2016/02/02/der-russische-krieg-in-syrien-und-moskaus-verhaeltnis-zum-westen/
[1b]. http://kai-ehlers.de/2015/11/der-ukraine-syrien-komplex-was-will-was-kann-putin/
[2a] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/gas.html
[2b] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/08/31/schmutzige-deals-worum-es-im-syrien-krieg-wirklich-geht/
[3] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/imp/
[4a] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22506
[4b] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22526
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21912
[6] http://foreignpolicy.com/2015/12/16/india_nuclear_city_top_secret_china_pakistan_barc/
[7] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21003
[8a] http://www.taz.de/!5277411/
[8b] http://mp3-download.swr.de/swr2/campus/2016/02/swr2-campus-20160213-04-forschungstrend.12844s.mp3
[9] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22525
[10] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22159


Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf ). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Für das Karlsruher Vorbereitungsteam der Whistleblower-Preisverleihung 2015 zeichnet er verantwortlich. Email dietrich.schulze@gmx.de

Online-Flyer Nr. 549  vom 17.02.2016



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