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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Krieg und Frieden
Wie weiter mit MP Ramelow gegen die Militarisierung in Thüringen z.B. in Jena?
Rot-Rot-Grüne Zivilklausel?
Von Dietrich Schulze

In der Veröffentlichung einer Zivilklausel-Webseite von Anfang Januar [1] ist von 62 Zivilklauseln an Hochschulen und von 5 Zivilklauseln in Hochschulgesetzen der Länder die Rede. Zu dieser geschönten Darstellung sollen aus guten Gründen die Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena und das Bundesland Thüringen als Beispiele heraus gegriffen werden. Die Zivilklausel-Bewegung wird nicht stärker durch Selbstbeweihräucherung, sondern nur durch harte Arbeit gegen die im Aufwind befindliche Militarisierung in den Bildungs- und Forschungseinrichtungen und ihrem Umfeld. In Thüringen hat die neue Landesregierung im Dezember 2014 im Koalitionsvertrag [2] folgendes festgeschrieben: »Die Landesregierung wird mit den Hochschulen einen Diskussionsprozess über die Einführung einer Zivilklausel führen. Die Möglichkeit einer gesetzlichen Verankerung wird geprüft.«

Allein daran sieht man, dass die angeblichen Zivilklauseln im Hochschulgesetz Thüringen von 2006 und die darauf aufbauende FSU-Klausel von 2007 reine Alibiklauseln sind. Um die aktuellen Vorgänge besser begreifen zu können, hier eine kurze Darstellung der einschlägigen FSU-Vorgeschichte.

FSU-Zivilklausel-Geschichte

Im Mai 2011 bekannten sich Studierende um die Hochschulzeitung AKRÜTZEL [3] zur pazifistischen Universität. Der Autor konnte darin die Zivilklausel-Bewegung als „Ein zartes Pflänzchen“ charakterisieren und kurz darauf ein Video-Interview im Campus TV [4] zur Lage beitragen.



Im November 2011 beschloss der Landesparteitag DIE LINKE [5] einstimmig folgende Forderung:

»DIE LINKE Thüringen positioniert sich gegen Forschung und Lehre zu militärischen und kriegerischen Zwecken an den Thüringer Hochschulen und spricht sich für die Implementierung einer Zivilklausel im Thüringer Hochschulgesetz aus.«

Im Juni 2012 beschloss der Studierendenrat (StuRa) [6] einstimmig die Forderung an den Senat nach Einführung einer Zivilklausel in der Grundordnung mit folgendem Wortlaut:

»Wissenschaft, Studium und Forschung mit offen militärischem Nutzen bzw. militärischer Zielsetzung werden an der FSU nicht durchgeführt. Es herrscht das Primat der friedlichen Konfliktlösung, insbesondere mit nicht-militärischen Mitteln. Die Universität und ihre Mitglieder lehnen Forschungsthemen und die Annahme von Finanzmitteln ab, die konkreten Rüstungszwecken oder explizit militärischer Forschung dienen könnten. Sie sind sich der Bedeutung von dual-use-Forschung bewusst und beziehen zu solchen Forschungsprojekten differenziert und hochschulöffentlich Stellung. Militärische Werbung und Veranstaltungen ausschließlich mit militärischen Verbänden sowie Streitkräfteteilen sind untersagt. Übersichten über Drittmittelprojekte sind transparent und zugänglich. Sollten Unklarheiten bezüglich der Rechtmäßigkeit i.S. dieser Klausel auftreten wird eine paritätisch besetzte Kommission durch den Senat mit der Klärung beauftragt. Eine Aufhebung oder wesentliche Einschränkung des Passus ist unzulässig.«

Dazu die StuPa-HoPo-Referentin Stephanie Borck im Campus Radio [7].

Nach der vier Semester währenden Informations- und Aufklärungsphase gibt es vor der Lesung des StuRa-Antrags in der Senatssitzung am 4. Dezember 2012 eine Aktionswoche mit Podien und einer Unterschriftensammlung. Im Senat gab es offensichtlich keine Mehrheit. Im April 2013 lud das Rektorat noch zu einer Pro/Contra-Debatte [8] ein und danach wird es ziemlich still.

Erst Anfang 2014 bewegt sich wieder etwas. Die Konferenz der Thüringer Studierendenschaften (KTS) [9] nimmt Stellung zu einer unzureichenden Gesetzesnovelle und fordert die Aufnahme einer Verpflichtung der Hochschulen zur Implementierung einer Zivilklausel in die Grundordnungen und klare Regelungen zur transparenten Ausgestaltung von Kooperationsvereinbarungen zwischen den Hochschulen und Unternehmen.

Rüstungsatlas Thüringen Online

Im November 2014 gibt es etwas stark Aufklärendes, nämlich die Online-Stellung (s. Bild) des Rüstungsatlas Thüringen [10a] durch RLS Thüringen unterstützt von IMI e.V., Jenaer Trägerkreis «Rüstungskonversion», Landtagsfraktion DIE LINKE. und AK «Zivilklausel» des StuRa der FSU Jena mit einer guten Zusammenfassung in junge Welt [10b] mit gekürzten Passagen: »In Sachen „Forschung und Hochschulen“ tut sich vor allem die Universitätsstadt Jena hervor. So wird an der FSU seit 1999 an Verfahren der psychologischen Eignungsdiagnostik im Sinne der Wehrtauglichkeit geforscht. Die Politikwissenschaft lädt Bundeswehrangehörige zu wissenschaftlichen Vorträgen ein. Robotersysteme werden an mehreren Fakultäten der FSU erforscht, an denen auch die Rüstungsindustrie interessiert ist.«



Diese jahrelangen erfolglosen Bemühungen an der FSU, die Initiativen und Beschlüsse der linken Landtags- und Stadtratsfraktionen und schließlich der Rüstungsatlas waren die entscheidenden Voraussetzungen dafür, dass im Koalitionsvertrag die oben zitierte Zivilklausel-Forderung Eingang gefunden hat.

MP Ramelow "Pazifismus ist nichts für Deutschland“

Im Interview mit RP Online im Juni 2015 [11a] unter dem Titel »Bodo Ramelow: "Pazifismus ist nichts für Deutschland"« bedankt er sich bei der Bundeswehr für die Mithilfe bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und für Bundeswehr-Schiffe bei der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer und sagt dann wörtlich: »Das ist meine Vorstellung davon, was man mit Bundeswehr sinnvoll tun sollte. Ich habe Hochachtung für jeden, der für sich sagt: ich bin Pazifist. Aber das sehe ich nicht als Handlungskonzept für eine Nation wie Deutschland.«

Vor 70 Jahren direkt nach der Befreiung waren fast alle Deutschen Pazifisten, bis auf die Nazis, die auf die Integration schielten. „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ waren keineswegs Floskeln. Diese pazifistische Vision angesichts der kriminellen NATO-Kriegspolitik mit teilweise deutscher Federführung erneut für unser Land anzustreben, wieso soll das nichts sein? Als ob er die deutsche Geschichte vergessen hätte, sagt Bodo Ramelow so etwas ausgerechnet im 70. Jahr der Befreiung.

Die Erfurter Linksjugend ['solid] SDS [11b] entgegnete MP Ramelow in einem Offenen Brief, dass sie diese Aussagen mehr als nur kritisch sieht. Sie erinnert daran, dass die LINKE immer wieder für die Abrüstung der Bundeswehr und für Konversionsprogramme des gesamten Militärs hin zu ziviler Beschäftigung eintritt, im Landtagswahlkampf mit dem Ziel einer gesetzlich verankerten Zivilklausel und dem Verbot der Rüstungsforschung angetreten ist und dass die LINKE auf eine entmilitarisierte Gesellschaft hinarbeitet. Die Linksjugend erinnert an den Beschluss im Erfurter Programm zum Thema Bundeswehr und Militär. Dort heißt es:

»DIE LINKE lehnt den Umbau der Bundeswehr zu einer weltweit einzusetzenden Kriegsführungsarmee ab. DIE LINKE setzt sich für eine schrittweise Abrüstung der Bundeswehr ein, die kriegsführungsfähigsten Teile sollen zuerst abgerüstet werden. Die Abrüstung ist zu begleiten durch Konversionsprogramme für die Beschäftigten in der Rüstungsproduktion, für die Soldatinnen und Soldaten und für die Liegenschaften der Bundeswehr. DIE LINKE verfolgt langfristig das Ziel eines Deutschlands, eines Europas ohne Armeen, einer Welt ohne Kriege.«

Umsetzung des Koalitionsvertrags

Nach einem geschlagenen Jahr ist nichts bekannt von einem regierungsseitigen Diskussionsprozess zur Einführung der Zivilklausel z.B. für die FSU, die sich wie im Rüstungsatlas zitiert, besonders in der militärrelevanten Forschung hervortut.

Seit November 2015 gibt es ein merkwürdiges Geplänkel. Die mündliche Landtagsanfrage von MdL Schaft, wissenschaftspolitischer Sprecher der linken Landtagsfraktion, über existierende Zivilklauseln oder Ähnliches an Thüringer Hochschulen ergab als Regierungsantwort lediglich diejenige der Hochschule Nordhausen von 2008, die gar keine ist. Vom gleichen MdL wurde im Dezember nachgefragt, ob die im Januar 2014 an der FSU Jena, der TU Ilmenau und am GSI Helmholtz-Zentrum für Schwerionenforschung GmbH bestehenden Zivilklauseln oder Friedensklauseln gestrichen worden seien? So etwas fragt ein zuständiger MdL, der scheinbar keine Ahnung hat, dass die FSU-Klausel von 2008 seit der beschriebenen Studierendenkampagne ab 2011 nicht Ernst genommen und deshalb eine FSU-Zivilklausel gefordert wird.

Wenn die linke Landtagsfraktion diese Kampagne rein theoretisch nimmt und die notwendige Umsetzung der Zivilklausel-Forderung im Koalitionsvertrag aufschiebt, leistet sie den Studierenden einen Bärendienst.

Kein Wunder, dass in diesem Durcheinander die CDU Oberwasser bekommt, wie in den Presseberichten "Rot-Rot-Grün muss Forderung nach einer Zivilklausel jetzt fallen lassen" [12a] und "Thüringer CDU verwechselt Jenoptik mit An-Institut der FSU Jena" [12a] zum Ausdruck kommt.

MdL Schaft erinnert zwar an den FSU-StuRa-Beschluss [6], verliert aber kein Wort darüber, wann denn nun endlich mit der Uni Jena über diese von ihr bisher abgelehnte FSU-Zivilklausel Tacheles geredet wird.

Rot-rot-grün finanziert Rüstungsproduktion

Klare Worte hingegen fand MP Ramelow für Jenoptik, die eine Militärsparte hat, die mit der FSU zusammen arbeitet. Unter der Schlagzeile „Ramelow: Jenoptik ist Garant für erfolgreiche Entwicklung unseres Landes“ [12c] erklärte er: »Deshalb kann sich das Unternehmen auch in Zukunft darauf verlassen, dass die Landesregierung in der Wirtschaftspolitik auf Verlässlichkeit setzen und stabile Rahmenbedingungen für Investitionen garantieren wird.«

Tja, wie darf man das in Bezug auf die Jenoptik-Militärsparte sehen? Nur zur Erinnerung eine Presse-Erklärung des Trägerkreises Rüstungskonversion in Jena über "Waffentechnik aus Jena nach Katar" [13a] mit der Forderung an Jenoptik, die Lieferung zu stoppen und die Rüstungsbereiche des Konzerns in zivile Produktion umzuwandeln. Das ist exakt die zitierte Forderung im Erfurter Programm, wonach Konversionsprogramme für die Beschäftigten in der Rüstungsproduktion beschlossen worden sind.

Die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ (Webseite Jürgen Grässlin) berichtete im Dezember [13b] darüber, dass die Landesregierung an der Landesbeteiligung an Jenoptik festhält trotz Rüstungsproduktion. Das ist wohl der Kern der von MP Ramelow zugesagten Verlässlichkeit.

Rot-rot-grün finanziert weiter mit öffentlichen Mitteln Rüstungsproduktion. Die unsägliche Position "Pazifismus ist nichts für Deutschland“ scheint auch hier das Leitmotiv zu sein.

In Jena wird am 10. Februar Jürgen Grässlin (TOP-Experte Rüstungskonversion) auf Einladung von RLS Thüringen gemeinsam mit der Initiative zur Schaffung eines Rüstungskonversionsfonds in Thüringen [13c] über „Grenzen öffnen für Menschen – Grenzen schließen für Waffen“ sprechen. Vielleicht kann der Termin zu einer Kontaktaufnahme in Sachen Jenoptik genutzt werden.

Die antimilitaristischen Kräfte in und um Jena brauchen einen langen Atem, die als nichtmilitaristisch erscheinende rot-rot-grüne Landesregierung an Ihre Verantwortung für den Frieden zu erinnern und mit intelligenten Aktionen unter Druck zu setzen.

Schlussgedanke

Man darf gespannt sein, wie vor diesen problematischen Hintergründen die linken Fraktionen im Stadtrat Jena und in der Landtags- und Bundestagsfraktion tätig werden, um den Koalitionsvertrag in Sachen Zivilklausel in die Tat umsetzen zu helfen.

Der überzeugendste erste Schritt: die Verabschiedung der vom FSU-StuRa 2012 [6] beschlossenen Zivilklausel im FSU-Senat noch im Sommersemester 2016, auch als Idee für die landesgesetzliche Zivilklausel.


Quellen:

[1] http://www.zivilklausel.de/index.php/bestehende-zivilklauseln
[2] http://www.die-linke-thueringen.de/fileadmin/LV_Thueringen/dokumente/r2g-koalitionsvertrag-final.pdf
[3] http://zs.thulb.uni-jena.de/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00208805/294.pdf
[4] https://www.youtube.com/watch?v=K_GfffpqHAM
[5] http://www.die-linke-thueringen.de/fileadmin/LV_Thueringen/dokumente/parteitage/Beschluss_Zivilklausel.pdf
[6] https://www.stura.uni-jena.de/downloads/protokolle/11-12/2012-05-15_Beschluss.pdf
[7] https://www.campusradio-jena.de/2012/05/21/stura-verabschiedet-zivilklausel-interview-mit-hoporeferentin-stephi-borck/
[8] https://www.uni-jena.de/uni_journal_04_2013_position.html
[9] http://www.jenapolis.de/2014/02/20/stellungnahme-der-konferenz-thueringer-studierendenschaften-zum-entwurf-eines-thueringer-gesetzes-zur-verbesserung-der-perspektiven-des-wissenschaftlichen-nachwuchses-sowie-zur-aenderung-hochschulrech/
[10a] http://www.ruestungsatlas-thueringen.de/map.php
[10b] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20141112jw.pdf
[11a] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/bodo-ramelow-pazifismus-ist-nichts-fuer-deutschland-aid-1.5138927
[11b] http://soliderfurt.blogsport.de/2015/06/24/offener-brief-zum-interview-pazifismus-ist-nichts-fuer-deutschland-in-der-rheinischen-post-vom-04-06-2015/
[12a] https://www.jenapolis.de/2016/01/27/voigt-rot-rot-gruen-muss-forderung-nach-einer-zivilklausel-jetzt-fallen-lassen/
[12b] https://www.jenapolis.de/2016/01/27/thueringer-cdu-verwechselt-jenoptik-mit-an-institut-der-fsu-jena/
[12c] http://www.jenapolis.de/2016/01/25/ramelow-jenoptik-ist-garant-fuer-erfolgreiche-entwicklung-unseres-landes/
[13a] http://www.aufschrei-waffenhandel.de/fileadmin/dokumente/dateien-or/pdf-dokumente/14-02-06--Entruestet-Jena--PM_Traegerkreis.pdf
[13b] http://www.aufschrei-waffenhandel.de/Jenoptik.647.0.html
[13c] http://www.th.rosalux.de/event/54910/grenzen-oeffnen-fuer-menschen-1.html

Diese Zitate und noch mehr können als WebDoku-Auszug über Thüringen und Jena in chronologischer Reihenfolge unter http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160205.pdf studiert werden.

Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf ). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Für das Karlsruher Vorbereitungsteam der Whistleblower-Preisverleihung 2015 zeichnet er verantwortlich. Email dietrich.schulze@gmx.de

Online-Flyer Nr. 548  vom 10.02.2016



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