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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Globales
Ein Abgrund des Hasses, der an das Deutschland von 1933 erinnert
Die Kluft wird breiter
Von Uri Avnery

In jeder Liste mit den 100 wichtigsten Frauen Israels wird Ilana Dajan eine bedeutende Stellung einnehmen. Dajan - sie steht in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zum verstorbenen General mit der Augenklappe - ist die Gastgeberin einer der angesehensten Fernsehsendungen. Während das Fernsehen im Allgemeinen allmählich in einem Morast dummer „Reality“-Unterhaltung versinkt, zeichnet sich ihre Sendung "Uwda" (Tatsache) als ein Gipfel verantwortungsbewussten investigativen Journalismus aus, und zwar in eben der Art, für die mein ehemaliges Nachrichtenmagazin bekannt war.

Im Allgemeinen wurde sie immer als in milder Weise „links“ betrachtet, da kompromisslose Kritik an den Herrschenden im Allgemeinen der Linken zugeschrieben wird. Jetzt wird sie beschuldigt, der extremen, fast faschistischen Rechten zu dienen. Das schockiert. In der wütenden Debatte, die folgte, zitierte Dajan mich zu ihrer Unterstützung. Vierzig Jahre lang trug mein Nachrichtenmagazin im Titelkopf den Wahlspruch: „Ohne Furcht, ohne Vorurteil“. Dajan behauptet, sie handele diesem Motto gemäß. Das zwingt mich dazu, mich gegen meine bessere Einsicht auf den Disput einzulassen.


Team der UWDA-Sendung mit Ilana Dajan in der Mitte (Quelle: website des Senders)

DER HINTERGRUND dieser Angelegenheit hat mit dem Fundament des israelisch-palästinensischen Konflikts zu tun. Seit dem Sechstagekrieg von 1967 besetzt Israel neben anderen Gebieten auch das Gebiet, das die Araber, viele Israelis und die ganze Welt „das Westufer“ (des Jordans) nennen und das die israelische Regierung und die politisch rechten Israelis bei ihren biblischen Namen „Judäa und Samaria“ nennen. Fast seit dem Beginn der Besetzung hat die israelische Rechte gewaltige Anstrengungen unternommen, „das Land zu besiedeln“: jüdische Siedlungen, Städte, Dörfer und kleine „Außenposten“ im ganzen Gebiet zu errichten.

Wem gehören die Ländereien, auf denen die Siedlungen errichtet worden sind, offiziell? Ein großer Teil davon war „Regierungsland“. Diese Zugehörigkeit geht auf das Osmanische Reich zurück. Gemeindeland, das keinem einzelnen Fellachen (Bauern), sondern dem Dorf als Ganzem gehörte, wurde auf den Namen des Sultans registriert. Während der britischen „Regierung Palästinas“ wurde es „Regierungsland“. Als die israelische Armee das Gebiet besetzte, nahm die israelische Regierung von allen diesen Grundstücken Besitz. Das heißt, dass dieses Land jetzt ausschließlich der Nutzung durch die jüdischen Siedler vorbehalten ist.

Andere Landgebiete werden aus „Sicherheitsgründen“ oder „für öffentliche Zwecke“ einfach von der Militärregierung enteignet und dann den Siedlern übergeben. Viele dieser Siedlungen sind sogar nach israelischem Recht, das in diesen Gebieten gilt, offenkundig illegal. Allerdings wird dieses Recht nur sehr selten angewendet. Die israelische Militärregierung, die Armee und die Polizei unterstützen ganz offen die Siedlungen, schützen sie und verbinden sie mit israelischen Netzen. Die Gerichte schreiten nur selten ein.

Aber wie steht es mit den Siedlungen, die auf arabischem Land in Privatbesitz errichtet sind? Ah, da liegt der Haken. Alle möglichen und unmöglichen Tricks werden angewandt, um sie zu übernehmen. Darunter der Einsatz von gefälschten Dokumenten und gefälschten Unterschriften, viele davon von toten Eigentümern. Die gebräuchlichste Methode ist jedoch der Einsatz von arabischen Mittelsmännern.

FÜR DAS palästinensische Volk geht es um seinen Existenzkampf. Die israelische Rechte, die jetzt die Regierung beherrscht, macht keinen Hehl aus ihrer Vision von einem Land, das frei von palästinensischen Arabern ist („araberrein“ hätte man vor ein paar Jahrzehnten in Deutschland gesagt). Die Vision von einem ausschließlich von Juden besiedelten Land, in dem es keine anderen Bewohner gibt, ist für einige sehr verführerisch, besonders für Leute in religiösen Kreisen.

Die Siedler und ihre Verbündeten haben ein ganzes Netzwerk für „legalen“ Landerwerb geschaffen. Sie wenden sich an einen arabischen Eigentümer und bieten ihm einen weit überhöhten Preis für sein Land. Das Geld kommt von den jüdischen Milliardären in den Vereinigten Staaten oder aus geheimen staatlichen Geldquellen. Der arabische Eigentümer gerät in die größte Versuchung. Am liebsten würde er verkaufen und sich mit dem Geld davonmachen. Aber er fürchtet sich vor seinen Nachbarn und vor palästinensischen Fanatikern.

An dieser Stelle kommen die arabischen Mittelsmänner ins Spiel. Sie handeln als Agenten der Siedler und kaufen für sie das begehrte Land. Da die Käufer Araber sind, können die arabischen Verkäufer zu Recht behaupten, sie hätten ihren Landbesitz an andere Araber verkauft. Für die palästinensische Gemeinschaft sind diese Mittelsmänner schlimmer als Verräter. Sie gefährden die Existenz des palästinensischen Volkes. Sie erregen glühenden Zorn.

AN DIESER STELLE setzt Ilana Dajans Fernsehbericht ein. Er handelt von dem israelischen Friedensaktivisten Esra Nawi (ein irakisch-jüdischer Name). Er ist im Gebiet von Hebron im südlichen Westjordanland sehr aktiv. Ich kenne seinen Namen seit Jahrzehnten. Ich hatte immer den Eindruck, Nawi sei etwas einzelgängerisch, er sei selbstlos damit beschäftigt, den Palästinensern beizustehen, und stehe mit vielen aktiven israelischen Friedensorganisationen, besonders mit Ta’ajusch (arabisch: Zusammenleben), in Verbindung.

Hebron ist ein Zentrum der fanatischsten jüdischen Siedler. Eben dort hat der Siedler-Massenmörder Baruch Goldstein Dutzende Araber ermordet, während sie in der Moschee beteten. Danach wurde er von den wutentbrannten Menschen, die den Massenmord überlebt hatten, getötet. Von den Siedlern wird er jetzt als Heiliger verehrt. Diese Siedler kämpfen seit Langem darum, dass alle Araber aus den umgebenden Dörfern verschwinden: Sie zerstören ihre Häuser, fällen ihre Obstbäume und schütten ihre Brunnen zu. Esra Nawi arbeitet unermüdlich daran, die Araber dabei zu unterstützen durchzuhalten.

AUF SEITEN der Siedler gibt es einige jüdische faschistische Organisationen (tut mir leid, aber keine andere Bezeichnung sonst trifft wirklich auf sie zu), die von US-jüdischen Milliardären großzügig finanziert werden. Nun hat sich herausgestellt, dass diese Organisationen ein Spionagenetzwerk aufgebaut haben, dessen Agenten die israelischen Friedens- und Menschenrechts-Gruppen infiltrieren sollen. Einem dieser Agenten ist es gelungen, das Vertrauen des arglosen Nawi zu gewinnen, der sich in einem Augenblick der Selbstverherrlichung damit gebrüstet hat, dass er den palästinensischen Sicherheitskräften die Namen arabischer Land-Verkaufs-Mittelsmänner mitgeteilt habe, die dann als Verräter hingerichtet worden seien.

Die faschistischen Organisationen gaben die Information an Ilana Dajan weiter. Sie machte sie zum Zentrum einer ihrer wöchentlichen Fernsehsendungen. Nawi eilte zum Flughafen, wurde aber von der Polizei wieder aus dem Flugzeug geholt. Da sind wir also.

In der wütenden Debatte, die jetzt in den Medien tobt, wird Dajan von Linken wie Gideon Levy beschuldigt, sie sei zu einem Wendehals geworden und diene nun den Faschisten. Dajan antwortete mit einem wütenden Artikel, in dem sie mein Motto zitierte. Sie schrieb, es sei nicht ihre Sorge, sich zu fragen, ob ihre Enthüllungen der Linken oder der Rechten dienten. Ihre Aufgabe sei es einzig und allein sicherzustellen, dass sie der Wahrheit entsprächen. Auch sei es nicht ihre Aufgabe, versicherte sie, die Motive der Leute zu untersuchen, die sie mit Informationen versähen. Auch darin muss ich ihr recht geben. Einige wichtige Informationen mögen aus ziemlich ekelhaften Quellen stammen. Nichtsdestoweniger kann das öffentliche Wohl ihre Veröffentlichung erfordern.

Ich bin unbedingt gegen die Todesstrafe. Ich bin auch gegen Folter. Allerdings habe ich noch niemals irgendeinen Beweis dafür gesehen, dass palästinensische Sicherheitskräfte arabische Land-Verkaufs-Mittelmänner hingerichtet hätten, allerdings mögen sie sie barsch verhört haben. Die Sache hat auch eine komische Seite. Nawi wird beschuldigt, Kontakt zu fremden Agenten zu haben. Das ist ein Verbrechen, das der Spionage gleichkommt. Mit fremden Agenten? Den Sicherheitsdiensten der Palästinensischen Behörde unter der Führung von  Mahmoud Abbas. Erst vor ein paar Tagen enthüllte der israelische Sicherheitsdienst, dass die beiden Sicherheitsdienste, der israelische und der palästinensische, eng zusammenarbeiteten, um arabischen „Terrorismus“ zu verhindern, und dass auf diese Weise vielen Israelis das Leben gerettet worden sei. In welchem Fall sind die palästinensischen Dienste nun Feinde, mit denen ein Kontakt ein schweres Verbrechen ist?

Eine weitere Frage betrifft die oben erwähnte Enthüllung, dass extrem-rechte Organisationen, die von ausländischen (jüdisch-amerikanischen) Geldgebern finanziert werden, weitverbreitete geheime Spionageaktivitäten gegen israelische Aktivisten durchführen. Wie kommt es, dass die Leute vom Schin-Bet nichts davon wissen oder dass sie, wenn sie davon wissen, ihr Wissen geheim halten? Eines ist gewiss: Die israelische Politik wird von Tag zu Tag hässlicher. Die Kluft zwischen Linken und Rechten verbreitert sich immer mehr zu einem tiefen Abgrund des Hasses. Die Rechte setzt Methoden ein, die mich an das Deutschland von 1933 erinnern.


Uri Avnery, geboren 1923 in Deutschland, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. Sein Buch „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“ ist in der NRhZ Nr. 446 rezensiert.

Für die Übersetzung dieses Artikels aus dem Englischen danken wir der Schriftstellerin Ingrid von Heiseler. Sie betreibt die website ingridvonheiseler.formatlabor.net. Ihre Buch-Publikationen finden sich hier.


Top-Foto:
Uri Avnery (arbeiterfotografie.com)


Online-Flyer Nr. 546  vom 27.01.2016

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