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Globales
FN stärkste Partei Frankreichs dank deutscher Austeritätsdiktate in der EU
Xenophobie als Wirtschaftspolitik
Von Hans Georg

Außenpolitik-Experten schreiben den jüngsten Wahlerfolg des rassistischen Front National (FN) weniger den Anschlägen in Paris als vielmehr der von Berlin diktierten Austeritätspolitik und der von Deutschland mitverursachten ökonomischen Schwäche Frankreichs zu. Die Wahlergebnisse des FN seien schon lange vor den Attentaten steil angestiegen, heißt es in einer aktuellen Analyse aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).Viele Franzosen nähmen "den Verlust der nationalen Souveränität" in der Eurokrise "als Bedrohung des französischen sozialen Modells wahr"; die FN-Forderung, Frankreich solle "aus dem Euro austreten" und dem nationalen Markt Vorrang einräumen, gewinne deshalb stark "an Resonanz". Tatsächlich sind mit Nicolas Sarkozy und François Hollande zwei französische Staatspräsidenten unterschiedlicher politischer Orientierung bei dem Versuch gescheitert, die für die französische Wirtschaft schädlichen deutschen Austeritätsdiktate zu durchbrechen und auf diese Weise die Voraussetzung für einen ökonomischen Wiederaufstieg des Landes zu schaffen. Dass Berlin sie daran gehindert hat, ist beileibe nicht die einzige, aber doch eine wichtige Ursache für den Aufstieg des FN. 

Erstmals Nummer eins

Mit 27,96 Prozent der Wählerstimmen ist der rassistische Front National (FN) am Sonntag bei den Regionalwahlen in Frankreich zur stärksten Partei geworden. In sechs von 13 Regionen gewann er die Wahl, in zweien - Nord-Pas-de-Calais/Picardie (40,6 Prozent) und Provence-Alpes-Côte d'Azur (40,5 Prozent) sogar mit mehr als 40 Prozent der Stimmen. Damit ist er erstmals zur Nummer eins unter den französischen Parteien geworden. 

Jenseits von Flucht und Terror

Während in der Darstellung der deutschen Medien der bislang beispiellose Wahlsieg des FN weitestgehend auf das Streben nach Sicherheit nach den Pariser Terroranschlägen vom 13. November sowie auf eine abwehrende Reaktion der Bevölkerung auf die Massenflucht aus Nah- und Mittelost zurückgeführt wird, zeichnen Experten ein deutlich abweichendes Bild. "Die starke Position des FN ist kein Produkt der Schockwellen des schwarzen Freitags von Paris", heißt es etwa in einer aktuellen Analyse aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Vielmehr sei sie das Resultat einer seit Jahren andauernden Entwicklung. Bereits bei den Kommunalwahlen im März 2014 habe "das bürgerlich-rechte Lager insgesamt deutlich an Terrain" gewonnen; der FN habe schon damals "ein Dutzend Kommunen" erobern können. "Im Mai 2014 ging er aus den Europawahlen sogar als stärkste Kraft hervor", heißt es weiter; sein "Höhenflug" habe sich bei den Kantonalwahlen im März 2015 bestätigt.[1] Die Fakten deuten damit auf eine Ursache für den FN-Erfolg jenseits von Massenflucht und Terror hin. 

Ideale Bedingungen

Wie die Autorin der DGAP-Analyse, Sabine Ruß-Sattar, schreibt, lassen sich die FN-Zugewinne in der Tat nicht aus dem "Kontext der Eurokrise und des wirtschaftspolitischen Rangverlustes Frankreichs" lösen. Angesichts der Krise "nehmen viele Franzosen den Verlust der nationalen Souveränität tatsächlich als Bedrohung des französischen sozialen Modells wahr", berichtet die DGAP-Expertin. Die - von Berlin aufgezwungene - Austeritätspolitik mit ihren Einschnitten "in den Bereichen Rente und Gesundheit" sowie die Deregulierung des Arbeitsmarktes hätten keinen echten Aufschwung eingebracht, träfen "selbst in Teilen der Regierungspartei auf Widerstand" und hätten zahlreiche ehemalige Wähler des Parti Socialiste (PS) "aus eher niedrigen Einkommensschichten der Partei entfremdet". Die Reformpolitik unter François Hollande" habe "mit vertrauten sozialistischen Denkmustern ausgerechnet in Zeiten der Krise" gebrochen, "in denen die PS-Stammwähler den Schutz des Staates erwarten", erläutert Ruß-Sattar. Der FN nutze dies sehr geschickt aus; seine Forderung, "Frankreich solle aus dem Euro austreten, den inländischen Markt im Sinne des 'nationalen Vorrangs' vor der Konkurrenz ausländischer Güter und Arbeitskräfte schützen und die Reindustrialisierung des Landes betreiben", gewinne "an Resonanz". Die Partei finde zurzeit "ideale Bedingungen, um Xenophobie als Wirtschaftspolitik zu verkaufen".[2] 

Aggressive Exportförderung

Die desolate ökonomische Lage Frankreichs, die dem FN die Wähler in Scharen zutreibt, ist zum erheblichen Teil das Resultat einer aggressiven deutschen Wirtschaftspolitik, die Berlin in der Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) umzusetzen begonnen hat. In der öffentlichen Wahrnehmung wird sie vor allem mit der Kürzungspolitik der Agenda 2010 verbunden. In Paris haben Experten deren Folgen für Frankreich bereits im Frühjahr 2010 beschrieben. So hielt im April 2010 der Forschungsdirektor des Institut de relations internationales et stratégiques, Jacques-Pierre Gougeon, fest, dass die Arbeitskosten in Deutschland seit dem Jahr 2000 um 1,3 Prozent gesunken, in Frankreich hingegen um 17 Prozent gestiegen seien.[3] Dies ergab sich auch daraus, dass in Deutschland als einzigem Land der EU die Reallöhne zwischen 2000 und 2008 schrumpften - laut Mitteilung des Statistischen Bundesamts um 0,8 Prozent -, während sie in Frankreich im selben Zeitraum um 9,6 Prozent stiegen. Der Berliner Sparoffensive sei es geschuldet, dass der Anteil der deutschen Ausfuhren innerhalb der Eurozone von 25 Prozent im Jahr 2000 auf 28 Prozent im Jahr 2009 zugenommen habe - vor allem auf französische Kosten, hielt Gougeon fest: Frankreichs Exportanteil in der Eurozone sei gleichzeitig von 16 auf 13 Prozent gefallen. Das Land, das 1999 noch ein Außenhandelsplus von gut 39 Milliarden Euro habe erzielen können, habe 2009 ein Außenhandelsdefizit in Höhe von 43 Milliarden Euro verzeichnen müssen. Die Nettoabflüsse aus Frankreich allein nach Deutschland beliefen sich 2010 auf 29 Milliarden Euro und erreichten 2012 fast 40 Milliarden Euro. Bis 2014 gingen sie immerhin auf 34 Milliarden Euro zurück. Wie die französische Wirtschaft sich von den beständigen Milliardenverlusten erholen soll, solange die Bundesrepublik ihre aggressive Exportförderung weiterführt, ist nicht ersichtlich. 

Sarkozy, der Deutsche

Entsprechend haben sowohl Staatspräsident Nicolas Sarkozy als auch Staatspräsident François Hollande mit aller Macht versucht, die deutsche Exportoffensive und die sie begleitenden EU-Austeritätsdiktate zu brechen - vergeblich. Sarkozy bemühte sich seit Anfang 2010 erbittert, den Berliner Sparkurs zu stoppen. Der Machtkampf endete mit einem deutschen Sieg. Anfang 2011 erklärte die führende Außenpolitik-Zeitschrift des deutschen Establishments, die "Internationale Politik", Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der Durchsetzung der deutschen Krisenpolitik zur "EU-Kanzlerin" und wies Frankreichs Präsident Sarkozy die Rolle des "Vizekanzlers" zu.[4] Im Oktober 2011 besuchte eine Delegation der Sarkozy-Partei UMP Berlin, um sich dort von CDU-Politikern Fingerzeige für ihr Wahlprogramm 2012 zu besorgen. Im Dezember 2011 lud Sarkozy Ex-Kanzler Gerhard Schröder in den Élysée-Palast ein, um sich in Sachen Agenda 2010 beraten zu lassen. Kurz vor der französischen Präsidentenwahl im Frühjahr 2012 spotteten Beobachter, aus "Sarkozy dem Amerikaner", der sich zu Beginn seiner Amtszeit an Washington angelehnt hatte, um der deutschen Übermacht etwas entgegenzusetzen, sei jetzt "Sarkozy der Deutsche" geworden.[5] Sarkozy verlor die Präsidentenwahl. 

Deutschlands Juniorpartner

François Hollande gewann die Präsidentenwahl gegen Sarkozy im Frühjahr 2012 nicht zuletzt, weil er den deutschen Austeritätsdiktaten entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen versprach. Berlin ließ ihm keine Chance. "Hollande wird all das, was er im Wahlkampf angekündigt hat, nicht realisieren", äußerte schon kurz nach dessen Wahlsieg exemplarisch der deutsche Ökonom Rudolf Hickel.[6] Schon im Herbst 2012 musste Frankreichs neuer Staatspräsident auf deutschen Druck erste Sparmaßnahmen verabschieden. Als Hollande im Januar 2014 nicht mehr umhin kam, Kürzungsprogramme in mittlerer zweistelliger Milliardenhöhe anzukündigen, fühlte sich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bemüßigt, die für Frankreichs Bevölkerung schmerzhaften Einsparungen als "gute Botschaft" zu loben (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Verzweifelte Versuche des französischen Staatspräsidenten, auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise im Juli 2015 Berlin zumindest zu leichten Zugeständnissen bei seinen Austeritätsdiktaten zu veranlassen, schlugen ebenfalls fehl. "Hollande scheint sich im Augenblick von der Rolle des deutschen Juniorpartners emanzipieren zu wollen", ätzte damals die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Das gehe nicht an: Er müsse "den Kurs des nationalen Profilierens auf Kosten seines engsten Partners möglichst bald wieder verlassen".[8] Dass Berlin Hollande nicht einmal kleine Erfolge zugestand und der Sozialist ebenso Etatkürzungen veranlassen musste wie zuvor Sarkozy, hat seine Zustimmungswerte in der Bevölkerung dramatisch abstürzen lassen. 

Den Weg frei gemacht

Dass sowohl Sarkozy wie auch Hollande sich letztlich im Namen der EU auf den deutschen Austeritätskurs trimmen ließen, hat dem FN den Weg zu bisher beispiellosen Erfolgen frei gemacht. Zwar sind die deutschen EU-Diktate beileibe nicht die einzige Ursache für diese Erfolge; so müsste erklärt werden, weshalb mit dem FN nicht - wie in Griechenland mit Syriza - eine linke, sondern eine rassistische Partei vom Zerreiben des bisherigen Mainstreams profitiert. Dennoch haben die EU-Dominanz Berlins und ihre ökonomischen Konsequenzen zentrale Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der FN bei den Regionalwahlen zur stärksten Partei in Frankreich geworden ist.(PK)
 

[1], [2] Sabine Ruß-Sattar: Wahlkampf im Notstand. DGAPkompakt Nr. 17, Dezember 2015.
[3] Jacques-Pierre Gougeon: Non-dit franco-allemand. www.lemonde.fr 05.04.2010. S. dazu Die Frage der Führung.
[4] S. dazu Die Kanzlerin Europas.
[5] S. dazu Sarkozy, der Deutsche.
[6] "Merkel und Hollande werden sich nicht küssen". www.cicero.de 08.05.2012. S. dazu Der nächste Krisensieg.
[7] S. dazu Le modèle Gerhard Schröder.
[8] "Deutschland muss deutlich machen, dass Frankreich nicht nur der Juniorpartner ist". www.swp-berlin.org 14.07.2015. S. dazu Der Juniorpartner.

Diesen Artikel haben wir mit Dank übernommen von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59268



Online-Flyer Nr. 540  vom 09.12.2015

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